Der Dandy als fiktiver Autor: Christian Krachts "Faserland" als dandyistische Selbstinszenierung des Autors
©2011
Bachelorarbeit
61 Seiten
Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit untersucht die subversive Selbstinszenierung Krachts als Dandy anhand seines Romans „Faserland“. Dass Krachts medialer Selbstentwurf der Figur des Dandys entspricht, ist bereits vielfach festgestellt worden. Krachts Selbstinszenierung in Fernsehen, Internet, Interviews sowie im für die ‚neue Popliteratur‘ maßgeblichen Werk „Tristesse Royale“ ist, trotz programmatischer Dementi von Seiten Krachts und seiner Autorenkollegen, deutlich.
Als schwieriger für die Forschung hat sich die Interpretation „Faserlands“ in Hinblick auf den Dandy herausgestellt. Dem Protagonisten wurde immer wieder Dandyismus unterstellt. Befasst man sich jedoch wissenschaftlich mit der Figur des Dandys wird deutlich, dass diese Einschätzung nicht zutrifft. Es stellt sich die Frage, wieso in „Faserland“ trotzdem diese Begrifflichkeit immer wieder aufkam, warum dies von Kracht intendiert werden und wie umgesetzt werden könnte.
Die Theorie dieser Arbeit ist, dass Kracht ganz bewusst subtile dandyistische Hinweise in „Faserland“ gelegt hat, um auf seine Selbstinszenierung als Dandy hinzuweisen - als dandyistisch-subversive ‚Spur‘, die so ein dandyistisches Verfahren inkludiert: Im Subversiven verschränken sich hier Inhalt und Verfahren.
Außerdem soll aufgezeigt werden, dass die Komplexität der Selbstinszenierung Krachts dazu führt, dass es zu einer deutlichen und gewollten Trennung des realen Christian Krachts und seiner Autorenfigur Kracht kommt. Die Autorenfigur - oder der fiktive Autor - steht zwischen Realität und Kunstwerk, sie ist Paratext der Literatur Krachts, wie die Literatur Paratext der Figur ist. Eine derartige Friktion als Verfahren ist spezifisch für die Figur ‚Dandy‘. Die Nutzung der neuen Medien ermöglicht Kracht allerdings eine Friktion, wie sie für den klassischen Dandy noch nicht erreichbar war. Der klassische Dandy musste tatsächlich als Person Dandy werden, um eine Verschmelzung von Kunstwerk und Künstler zu erreichen - ob der reale Kracht dagegen ein Dandy ist, bleibt spekulativ: Man weiß fast nichts über ihn. Er übt die Pose, die tatsächlich nur Pose ist. Kracht schafft sich als Kunstwerk und schafft gleichzeitig eine Trennung des Kunstwerks Kracht vom realen Kracht. Ob dies Kracht dann vom idealen Dandy unterscheidet, bleibt zu untersuchen.
Als schwieriger für die Forschung hat sich die Interpretation „Faserlands“ in Hinblick auf den Dandy herausgestellt. Dem Protagonisten wurde immer wieder Dandyismus unterstellt. Befasst man sich jedoch wissenschaftlich mit der Figur des Dandys wird deutlich, dass diese Einschätzung nicht zutrifft. Es stellt sich die Frage, wieso in „Faserland“ trotzdem diese Begrifflichkeit immer wieder aufkam, warum dies von Kracht intendiert werden und wie umgesetzt werden könnte.
Die Theorie dieser Arbeit ist, dass Kracht ganz bewusst subtile dandyistische Hinweise in „Faserland“ gelegt hat, um auf seine Selbstinszenierung als Dandy hinzuweisen - als dandyistisch-subversive ‚Spur‘, die so ein dandyistisches Verfahren inkludiert: Im Subversiven verschränken sich hier Inhalt und Verfahren.
Außerdem soll aufgezeigt werden, dass die Komplexität der Selbstinszenierung Krachts dazu führt, dass es zu einer deutlichen und gewollten Trennung des realen Christian Krachts und seiner Autorenfigur Kracht kommt. Die Autorenfigur - oder der fiktive Autor - steht zwischen Realität und Kunstwerk, sie ist Paratext der Literatur Krachts, wie die Literatur Paratext der Figur ist. Eine derartige Friktion als Verfahren ist spezifisch für die Figur ‚Dandy‘. Die Nutzung der neuen Medien ermöglicht Kracht allerdings eine Friktion, wie sie für den klassischen Dandy noch nicht erreichbar war. Der klassische Dandy musste tatsächlich als Person Dandy werden, um eine Verschmelzung von Kunstwerk und Künstler zu erreichen - ob der reale Kracht dagegen ein Dandy ist, bleibt spekulativ: Man weiß fast nichts über ihn. Er übt die Pose, die tatsächlich nur Pose ist. Kracht schafft sich als Kunstwerk und schafft gleichzeitig eine Trennung des Kunstwerks Kracht vom realen Kracht. Ob dies Kracht dann vom idealen Dandy unterscheidet, bleibt zu untersuchen.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
4
Außerdem soll aufgezeigt werden, dass die Komplexität der
Selbstinszenierung Krachts dazu führt, dass es zu einer deutlichen und
gewollten Trennung des realen Christian Krachts und seiner Autorenfigur
Kracht kommt. Die Autorenfigur oder der fiktive Autor steht zwischen
Realität und Kunstwerk, sie ist Paratext der Literatur Krachts, wie die
Literatur Paratext der Figur ist. Eine derartige Friktion als Verfahren ist
spezifisch für die Figur ,Dandy`. Die Nutzung der neuen Medien ermöglicht
Kracht allerdings eine Friktion, wie sie für den klassischen Dandy noch
nicht erreichbar war. Der klassische Dandy musste tatsächlich als Person
Dandy werden um eine Verschmelzung von Kunstwerk und Künstler zu
erreichen, ob der reale Kracht dagegen ein Dandy ist, bleibt spekulativ: Man
weiß fast nichts über ihn. Er übt die Pose, die tatsächlich nur Pose ist.
Kracht schafft sich als Kunstwerk und schafft gleichzeitig eine Trennung
des Kunstwerks Kracht vom realen Kracht. Ob dies Kracht dann vom
idealen Dandy unterscheidet, bleibt zu untersuchen.
Wie Kracht den fiktiven Dandy-Autor schon in ,,Faserland" anlegt, ohne
dass dieser dabei wörtlich in Erscheinung träte (im Gegensatz zu ,,Tristesse
Royale"), soll im Folgenden dargestellt werden.
Dafür soll als erstes eine Grundlage gelegt werden, indem die Figur ,Dandy`
definitorisch gesichert wird. Eine gewisse Ausführlichkeit ist bei einer
derartig komplexen Gestalt nötig, auch um dann ausführen zu können,
inwiefern der fiktive Autor Kracht dieser Figur entspricht. Der Dandy soll in
seinen Charakterzügen sowie als historische Figur umrissen werden, der
Fokus dabei liegt dabei auf der Frage nach der Möglichkeit der Existenz
eines Dandys in der Gegenwart. Außerdem soll das Augenmerk speziell auf
die Problematik der Stellung des Dandys zwischen Literatur und Realität
gelenkt werden. Diese Stellung ist immanent für den Dandy, was ihn für die
Selbstinszenierung Krachts besonders tauglich macht.
Im zweiten Teil wird der Dandyismus in ,,Faserland" untersucht. Dazu
sollen zwei Ebenen unterschieden werden, auf denen ein Dandytum in der
Popliteratur möglich ist: Die formale und die semantische Ebene.
5
Auf der formalen Ebene werden für ,,Faserland" zwei dominante Verfahren
herausgearbeitet, die den Roman mittragen: Der Archivismus und die
Provokation, beides Verfahren, die auch das Dandytum ausmachen, wie
beschrieben werden wird.
Auf der semantischen Ebene sollen dafür die inhaltlichen ,Spuren`
aufgezeigt werden, die den Leser ,,Faserlands" auf den Dandy verweisen. Es
wird sich herausstellen, dass Kracht sich an dem Zeichenreservoir des
Dandytums bedient und so einen ,dandyistischen Eindruck` hervorruft. Über
diese wörtliche Ebene hinaus soll dann dargestellt werden, welche
semantischen, zum Dandytum passenden Topoi sich inhaltlich
niederschlagen, aber eben nicht als Vokabular zum Ausdruck kommen.
Beispielhaft seien hier die Ironie und der subversive Moralanspruch
genannt. Die semantische und die formale Ebene überkreuzen sich an
verschiedenen Stellen.
Der dritte Teil weist schließlich über ,,Faserland" hinaus und befasst sich auf
der gelegten Grundlage mit der Friktion und der Selbstinszenierung Krachts
als Dandy. Die Etablierung einer ,dritten Person`, also des fiktiven Autors,
als genuin dandyistisches Verfahren wird hier besprochen werden.
2. Der Dandy
Die Figur des Dandys fasziniert seit vielen Jahren. Ein ganz einheitliches
Bild dieser von Mysterien, Geheimnissen und Paradoxien geprägten Figur
ist nicht zu fassen.
5
Ein solches Bild ist dabei von Interesse, weil der Dandy
bis heute immer wieder in Literatur und Medien auftaucht, so auch in der
Popliteratur.
6
So fragt Schickedanz zu Recht:
Ist der Dandyismus eine literarische Stilform oder lediglich eine elitäre
Erlebnisweise? Ist der Dandy ein ubiquitäres Phänomen oder gibt es ihn
5
Vgl. z.B. Schickedanz, Hans-Joachim: Ästhetische Rebellion und rebellische Ästheten. Eine
kulturgeschichtliche Studie über den europäischen Dandyismus. Frankfurt/Main, 2000. S. 14.
6
,,Zu konstatieren gilt es auf jeden Fall, dass auch mit der aktuellen Jahrhundertwende vom 20. zum 21.
Jahrhundert die Figur des Dandys verstärkt (wieder-)be/gelebt wurde: sei es in literarischen und künstlerischen
Produktionen der Popliteratur bzw. Pop-Art, sei es durch die (Selbst)Inszenierungen der Autoren und Künstler
(und oft genau beides zugleich)." Tacke, Alexandra: Dandyismus, Dekadenz und die Poetik der Pop-Moderne,
in: Tacke, Alexandra/Weyand, Björn (Hrsg.): Depressive Dandys. Spielformen der Dekadenz in der Pop-
Moderne, Köln, Weimar, Wien 2009. S. 8.
6
nur in transformatorischen Gesellschaften? Ist der Dandy eine typische
Erscheinung des 19. Jahrhunderts oder gibt es ihn heute auch noch?"
7
Der Dandy als soziales Phänomen ist immer eine ideale Figur.
8
Schon die
Differenz zwischen dem Anspruch auf Müßiggang und Unabhängigkeit vom
Geld und der sozialen Wirklichkeit stellt ein Problem dar. Menschen, denen
nachträglich der Titel ,Dandy` verliehen wurde, sahen sich selber
möglicherweise gar nicht als solchen
9
; andere möchten gerne Dandy sein,
werden aber nicht so wahrgenommen das Dandytum muss, um Geltung zu
haben, einem Individuum zugesprochen werden, es ist abhängig von äußerer
Auslegung. Dem von der Dandyforschung im Laufe der Jahre entworfenen
Bild des idealen Dandys zu entsprechen war schon immer im Zweifelsfall
unmöglich. Eine grundlegende Frage ist, was definitorisch den Dandy
ausmacht, dass er das Geld für ein tadelloses Äußeres und ein Leben als
Müßiggänger hat, oder dass er den Willen zum Dandytum und dessen
philosophische Basis vertritt, auch ohne die ausreichenden finanziellen
Mittel. Die Existenz des Dandys steht demnach zwischen Ökonomie und
Philosophie.
Der Eintritt der literarischen Figur ,Dandy` verkompliziert die
Dandyforschung zusätzlich. Reale Dandys sollten idealiter keinen Beruf
haben, auch nicht den eines Autors.
10
Trotzdem gab es Autoren, die sich als
Dandys sahen oder als solche gesehen wurden: Manche nutzten die
literarische Figur ,Dandy`, andere nicht.
11
Zuletzt seien noch die Autoren
genannt, die sich selber nicht mit dem Dandytum in Verbindung brachten,
diese Figur aber nutzten. Es finden also Irritationen und Friktionen im hohen
Maße statt, auch ganz bewusste. Und auch wenn ein Brummell es sich
finanziell tatsächlich leisten konnte, das Leben eines Dandy zu führen,
bestand für sein Dandytum eine reale Abhängigkeit von Autoren: Ohne das
Werk Barbey d'Aurevillys hätte es ja keine Hinterlassenschaft dieses Ur-
7
Schickedanz [Anm. 5] S. 14.
8
Dabei ist der Dandy per se eine männliche Figur. Es gibt immer wieder Hinweise auf weibliche Figuren, die in
eine ähnliche Richtung gehen, doch dieses zu untersuchen ist hier nicht der Ort. Einen Abschnitt zu diesem
Thema findet sich aber z.B. bei Gnüg, Hiltrud: Kult der Kälte. Der klassische Dandy im Spiegel der
Weltliteratur, Stuttgart 1988, ab S. 59.
9
Vgl. Gnüg [Anm. 8], S. 36: ,,Es lassen sich im Werk jener Autoren viele Belege finden, daß sie, die als Dandys
in die Literatur- und Kulturgeschichte eingingen, sich selbst keineswegs als Dandys begriffen."
10
Zum einen, weil die Leidenschaft, die es für eine Autorschaft braucht, sich mit der Kühle des Dandys nicht
vereinbaren lässt, zum Anderen entspricht dem Dandy eben das Nichts-Tun.
11
Vgl. Gnüg [Anm. 8] S. 14.
7
Dandys gegeben, der sich dem Müßiggang widmete, aber auch am Ende
seiner Karriere, als die Schulden überhandnahmen, sich weigerte zu
veröffentlichen. Auf Autoren wie Barbey fußt dann auch die
Dandyforschung.
12
Gleichgültig wie die Kombination Dandy/Autor also
aussieht: Beide sind unmittelbar miteinander verbunden. Dabei besitzt der
Dandyismus ursprünglich keine literarische Relevanz:
Bedeutsam wird er erst auf Grund dandyistischer Strömungen, die der
literarischen Romantik Englands und Frankreichs anhaften, ferner durch
die von Baudelaire initiierte Idee, im Dandy einen neuen Dichterbegriff zu
formulieren und zu leben.
13
Das Dandytum ist also ,,ohne die Aufhebung der Grenze zwischen Literatur
und Leben nicht vorstellbar"
14
. Gleichzeitig bleibt die frappierende
Differenz zwischen Künstler- und Dandyexistenz aber bestehen.
15
In diesem
Spannungsverhältnis stehen die Dandykünstler, wie die Dandyautoren.
Schafft ein Autor, der sich dem Dandytum zurechnet, ein Werk, ist dieses
aufgrund der besonderen ästhetischen Konzeption des Dandytums
interessant, die sich auf das Geschriebene auswirkt:
Gerade da der Dandy eine ästhetische Lebenshaltung kultiviert [...]
erscheint das Verhältnis von dandystischem Selbstentwurf und der
jeweiligen ästhetischen Struktur des Werks besonders interessant.
16
Die Friktion durchzieht das Dandytum im besonderen Maße. Sowohl
inhaltlich wie formal korrespondiert die Dandyliteratur mit dem realen
Konzept des Dandytums: So entspricht die Existenz des Dandys zwischen
künstlerischer Selbstdarstellung und dem realen darunterliegenden
Menschen seinem Verhältnis zur Dandyliteratur in vielfacher Weise, wie
sich im Folgenden zeigen wird.
12
Vgl. Ebd.
13
Schickedanz [Anm. 5] S. 14.
14
Tacke [Anm. 6] S. 10.
15
Vgl. Erbe, Günther: Der moderne Dandy. Zur Herkunft einer dekadenten Figur, in: Tacke, Alexandra/Weyand,
Björn (Hrsg.): Depressive Dandys. Spielformen der Dekadenz in der Pop-Moderne, Köln, Weimar, Wien 2009.
S. 24; oder Gnüg [Anm. 8] S. 21.
16
Gnüg [Anm. 8] S. 13.
8
2.1 Historisch
Anhand der Geschichte des Dandys soll dargestellt werden, dass der soziale
Dandy keine einheitliche und unveränderliche Figur war. Bei der Definition,
was einen Dandy ausmacht, spielt dies eine Rolle: Einige Aspekte, die
Manche als konstitutiv ansehen, fallen aufgrund der historischen
Veränderlichkeit weg.
Einigkeit herrscht in der Einschätzung, dass der Dandy vornehmlich eine
,,Kulturerscheinung des 19. Jahrhunderts"
17
ist. Der Streitpunkt ergibt sich
aus der Frage, ob er ein ausschließliches Phänomen dieser Epoche oder ein
ubiquitäres ist Letzteres könnte die Theorie des Pop-Dandys
unterstützen.
18
Der Dandy ist eine ,,Sonderexistenz"
19
in Umbruchszeiten, als konservatives
Element gleichzeitig aus ihnen heraus aber auch gegen sie wachsend. Er
sieht die traditionellen (aristokratischen) Werte untergehen und die alles
gleichmachende Demokratie heraufziehen und stemmt sich durch seinen
Formalkult mit der Bildung einer Intellekt- und Eleganzelite gegen diese
Entwicklung
20
, ,,als Statthalter aristokratischer Kulturwerte"
21
. Seine Rolle
als Gegenentwurf zur entstehenden bürgerlichen Kultur gibt ihm etwas
Existenzialistisches.
22
Der Dandy als sozialer Typus kam zunächst in England Anfang des 19.
Jahrhunderts auf, bekanntestes Beispiel wenn auch durch die literarische
Überlieferung von Barbey d'Aurevilly ist George Brummell.
23
Literarische Bedeutung sowie eine philosophische Richtung erlangte das
Konzept dann in Frankreich
24
: ,,Durch Barbey d'Aurevilly und Baudelaire
erfuhr der Dandy eine philosophische Durchleuchtung und Deutung. Sein
17
Gnüg [Anm. 8] S. 12.
18
Vgl. z.B. Schickedanz [Anm. 5] S. 28: ,,Wenngleich der Dandy vermutlich ein ubiquitäres Phänomen (54)
darstellt, so tritt der Dandyismus als ästhetisches Kompositionsprinzip vor allem im 19. Jahrhundert, hier
besonders gegen Ende des Jahrhunderts, als typisches Fin-de-siècle-Thema in Erscheinung."
19
Schickedanz [Anm. 5] S. 16.
20
Vgl. Schickedanz [Anm. 5] S. 17.
21
Erbe [Anm. 15] S. 23.
22
Vgl. Grundmann, Melanie (Hrsg.): Der Dandy. Wie er wurde, was er war. Eine Anthologie, Köln, Weimar,
Wien 2007. S. 5.
23
Vgl. z.B. Erbe [Anm. 15] S. 18.
24
Vgl. Schickedanz [Anm. 5] S. 15.
9
Bild gewann klarere Konturen."
25
Neben der zeitlichen und räumlichen
Verschiebung spaltete sich das Dandytum auch formal: In England blieb der
Dandy ein meist äußerer Habitus, der nicht mit Hintergedanken belegt
war.
26
Intelligenz bedurfte es so nicht, dafür aber Geld um dem Müßiggang
zu frönen, sich teuer einzukleiden und zu spielen. In Frankreich dagegen
formierten sich die Künstler-Dandys, für die der erlesene Lebensstil
Ausdruck einer geistigen Einstellung war die aber für den Dandy im
streng definitorischen Sinne zu leidenschaftlich, zu arbeitsam und meist zu
arm waren.
27
Denn ein Großteil der Autoren und Künstler konnten sich
nicht in realiter ein Leben in Müßiggang leisten, sich voll zu einem
Kunstwerk stilisieren und so mit vollendeter Distinktion glänzen dem
eigentlichen Ziel einer Dandyexistenz.
28
Sie sparten an Allem um sich
Symbole des Luxus leisten zu können.
29
In Frankreich wurden das dem
Dandy innewohnende Moment der Revolte sowie seine ethischen und
philosophischen Eigenschaften stärker betont, auch um den Preis der
Einschränkung überhöhter Äußerlichkeiten: ,,Zum aristokratischen
Formalkult tritt die weltschmerzliche Erfahrung existentieller Isolation."
30
Der moderne Großstadtdandy als Künstler ist somit ein Gegentypus zum
aristokratischen Clubdandy.
31
Dem aristokratischen Clubdandy und dem Künstler-Großstadtdandy folgte
zum Fin de siècle der Dandy der Dekadenz und des Symbolismus.
32
Leidend unter dem Gedanken der unendlichen Kontingenz des Daseins
schließt er sich innerlich wie äußerlich ein, versinkt in seinem Narzissmus
und beschäftigt sich mit der Erschaffung einer künstlichen Gegenwelt
33
, um
25
Erbe [Anm. 15] S. 19.
26
Vgl. ebd. S. 22.
27
Vgl. ebd. S. 19. Im vornehmlich romantischen Deutschland konnte der Dandy des 19. Jahrhunderts nicht Fuß
fassen: Weder ließen sich die Affektlosigkeit, Leidenschaftslosigkeit und ,nil mirari`-Einstellung mit der
romantischen Fülle an Gefühlen vereinbaren, noch teilte der Dandy die Einstellung der Romantiker zur Natur:
Hatte er doch die Hoffnung auf eine Vereinigung von Kunst und Natur aufgegeben und wertete im Gegenteil die
Künstlichkeit als der Natur überlegen. Vgl. Gnüg [Anm. 8] S. 33f. Ein Motiv, das sich in diesem Zusammenhang
häufig findet, ist die Mechanisierung. Vgl. Erbe [Anm. 15] S. 30.
28
Vgl. Erbe [Anm. 15] S. 27.
29
Vgl. ebd.
30
Erbe, Günther: Der moderne Dandy.
http://www.bpb.de/publikationen/YEJ0WG,0,0,Der_moderne_Dandy.de
[besucht am 10.08.2011]
31
Vgl. Erbe [Anm. 15] S. 25.
32
Vgl. Schickedanz [Anm. 5] S. 22.
33
Vgl. Erbe [Anm. 15] S. 17.
10
seine Distinktion zu wahren.
34
Er verschanzt sich ,,rebellisch gegen die
Zumutungen der Moderne hinter einer nihilistischen Pose".
35
Der
Dandyismus wird noch drängender zum
oft vergebliche[n] Versuch, der Angst vor dem Nichts, der Leere und der
Langeweile zu entfliehen, aber auch die Hoffnung, dem Untergang des Ichs
durch Stil, Form, Strenge und Erhabenheit entgegenwirken zu können.
36
Dieser Dandy-Ästhet findet sich vor allem in der Literatur. Sowohl
Huysmans als auch Wilde und D'Annunzio beschreiben den nicht mehr
lebensfähigen, von Neurotizismen und Zerrissenheit verfolgten Dandy und
Dekadent.
37
Eine besondere Rolle gewinnt der Dandy dieser Zeit, weil er
entscheidend zur Umwertung der Dekadenz beiträgt: Die 1867 von
Baudelaire veröffentlichten ,,Notes nouvelles sur Edgar Allan Poe"
38
werfen
ein neues Licht auf bis dahin pejorativ gewertete Begriffe der Dekadenz wie
Verfall, Untergang oder Entartung. Baudelaire beschreibt ebendiese Gefühle
als Gegenwartsgefühle sowie Grundgefühle des Daseins. So werden sie vom
zu überwindenden Lebensgefühl zum ,,Signum der Moderne"
39
.
Dem Dandy-Ästheten nachfolgend und den Übergang zu den heutigen
Dandyadaptionen bildend ist Oscar Wilde.
40
Dabei war er selber kein Dandy
im streng definitorischen klassischen Sinne. Er war keineswegs ein
affektloser, kühler Mensch und neigte besonders in jungen Jahren zur
Exzentrik, die der Dandy meidet.
41
Doch Wilde hatte den unbedingten
Willen, sich zum Kunstwerk zu stilisieren, um damit seine Umwelt zu
erstaunen und zu kritisieren und sich zudem (und das unterscheidet ihn von
vorherigen Dandys) dabei hemmungslos zu kommerzialisieren. Er
verkörpert den ,,Anti-Bürger schlechthin", eine unutilitaristische, zwecklose,
nur sich selbst genügenden Existenz.
42
Zwischen ernst gemeintem
Engagement und Selbstpersiflage
43
entspricht er sowohl ,,dem Bild des alle
34
Vgl. ebd. S. 29.
35
Ebd. S. 17.
36
Schickedanz [Anm. 5] S. 16.
37
Vgl. ebd. S. 219.
38
Baudelaire, Charles: Notes nouvelles sur Edgar Allan Poe, Paris 1857.
39
Ebd. S. 23 die spezielle Schönheit der Dekadenz wird mit Metaphern wie dem Sonnenuntergang
eingefangen, was auch die Hoffnung auf ,einen neuen Tag` beinhaltet.
40
Vgl. Erbe [Anm. 15] S. 35.
41
Vgl. ebd. S. 34.
42
Schickedanz [Anm. 5] S. 218.
43
Vgl. Erbe [Anm. 15] S. 33.
11
Normen durchbrechenden Künstlerrebellen als auch dem des virtuosen
Dandyposeurs", mit dem der Dandy ins Zeitalter der Massenkultur eintritt.
44
Sein Publikum ist nicht mehr die gehobene Gesellschaft, sondern die breite
Öffentlichkeit. Zudem schuf er wichtige Dandyfiguren wie im ,,Dorian
Gray", auf den noch zu kommen sein wird.
2.2 Charakter
Um zu bewerten, ob es auch heute noch eine Figur geben kann, die die
Bezeichnung ,Dandy` verdient, muss zunächst einmal der Begriff
definitorisch gesichert werden. Er ist eine ideale, ja utopische Figur, die sich
maßgeblich dadurch auszeichnet, dass sie zwischen Realität und
Artifizialität steht weil es sie als Menschen und als Figuren gibt zum
einen, und zum anderen weil jeder Dandy, ob real existent oder als Figur
(bspw. eines Romans), sich durch sein Verhältnis zur Oberflächlichkeit und
Künstlichkeit konstituiert.
Nicht nur der utopische Charakter des Dandys stellt die Wissenschaft vor
Probleme: Besonders hervorzuheben ist auch sein Hang zur Pose. Dieser
führt dazu, dass ein Dandy nicht selber zu seinen tieferen Eigenschaften zu
befragen ist: Er selber würde viele Eigenschaften, wie jede philosophische
Tiefe vehement leugnen. Auch hinterlässt ein idealer Dandy in seiner Rolle
als Müßiggänger (Nietzsche schrieb: ,,ein Dandy tut nichts"
45
) nichts
Bleibendes, die Dandyforschung ist also angewiesen auf Beobachtungen an
realen Dandys oder auf Untersuchungen von literarischen Werken, die
(gegen das Ideal) von bekennenden Dandys verfasst wurden oder die Figur
des Dandys nutzen.
Wie schon einer der Begründer der Dandyforschung, Barbey d`Aurevilly,
feststellte, wurde und wird der Dandy fälschlicherweise vielfach lediglich
44
Ebd. S. 35.
45
Friedrich Nietzsche: Nachgelassene Fragmente. 1875-79. Hrsg. v. Giorgio Colli, Mazzino Montanari.
Berlin/New York 1999, S. 82.
12
nach seinem Äußeren als Modegeck oder Kleiderständer bewertet, unter
Missachtung der ihm eigenen geistigen Eigenschaften
46
:
Menschen, die nur das Vordergründigste sehen, haben geglaubt, es sei vor
allem die Kunst, sich gut anzuziehen, eine kühne und geglückte Diktatur in
Sachen Putz und äußere Eleganz. Gewiß ist es das auch; aber es ist noch
viel mehr. Das Dandytum ist eine ganze Art zu sein, und zwar nicht nur im
Bereich des Sichtbaren. Es ist eine ganz aus Nuancen bestehende Art zu
sein, wie man sie in alten und hochzivilisierten Gesellschaften findet, in
denen die Komödie selten ist und der Anstand gerade noch über die
Langeweile triumphiert.
47
Das Geistige, die innere Einstellung, ist also tatsächlich, noch vor der
äußeren gepflegten Erscheinung, das ausschlaggebende Kriterium für das
Dandytum.
48
So beginnt auch Günther Erbe: ,,Der Dandy ist ein Mann von
einfacher, erlesener Eleganz, einer Eleganz, die Ausdruck einer bestimmten
Geistes- und Lebenshaltung ist." Er führt fort:
Er ist eine extravagante Spielart des Gentlemans, ausgezeichnet durch
überlegenen Geschmack, perfekte Manieren, zynisch-frivolen
Konversationston, Kaltblütigkeit und Unerschütterlichkeit in allen
Lebenslagen und einen auf die Spitze getriebenen Selbstkult. Er ist ein
passionierter Müßiggänger und eine notorische Spielernatur. Er ist Solitär
und Gesellschaftsmensch.
49
Die erwähnte Eleganz sei unauffällig und raffiniert,
50
dabei so originell,
dass der Dandy Maßstäbe setzt und dank seines ,,untrüglichen Sinns für das
gewisse Etwas" in der Position ist, auch Andere zu bewerten.
51
So steche
der Dandy schon äußerlich durch seine Überlegenheit hervor. Doch auch ein
hohes Maß an unemotionalem Intellekt gehört zum Dandytum:
Dandeskes Verhalten ist vor allem gekennzeichnet durch affektlos-kühle
Sachlichkeit, einen kritisch-unbestechlichen Blick für Tatsachen sowie eine
scharfe Beobachtungsgabe. Unsentimental und unromantisch, verabscheut
der Dandy große Gefühlsausbrüche sowie allen Bombast und
Überschwang.
52
Der Dandy bestaunt nicht, er lässt sich bestaunen, ganz nach seinem
Grundsatz ,,nil admirari"
53
. Unemotional und unsentimental wie er ist
46
Vgl. Gnüg [Anm. 8] S. 37.
47
Barbey d'Aurevilly, Jules: Über das Dandytum und über George Brummell. Ein Dandy ehe es Dandys gab.
Aus dem Französischen übers. v. Gernot Krämer, Berlin 2006. S. 27 f.
48
Vgl. z. B. Gnüg [Anm. 8] S. 13.
49
Erbe [Anm. 30].
50
Vgl. Erbe [Anm. 15] S. 19f.
51
Ebd. S. 22.
52
Schickedanz [Anm. 5] S. 19.
53
Z. B. Barbey d'Aurevilly [Anm. 47] S. 42; Grundmann [Anm. 22] S. 7.
13
scheut der Dandy jede Bindung, sei sie gefühlsbetonter, moralischer oder
finanzieller Natur: Geld spielt für ihn keine Rolle. Dies treibt er bis hin zur
Ignoranz, die sich oftmals in Schulden niederschlägt.
54
Die Figur des Dandys hat dabei immer ein Irritationsmoment und erschöpft
sich keineswegs in affektiertem Benehmen, Geldverschwendung und
modischer Kleidung.
[...], er löst gemischte Empfindungen aus; und diese Heterogenität seiner
emotionalen Wirkung korrespondiert im literarischen Bereich eine Ästhetik
des Interessanten, die Choc und Faszination verbindet.
55
Dieser beunruhigende Faktor bleibt dabei subversiv, der Dandy ist ,,ein
Provokateur, aber ein Provokateur mit Takt".
56
Maßgeblich für das Konzept
,Dandy` und für das Irritationsmoment gegenüber der Gesellschaft sind die
Janusköpfigkeit und Zwitterhaftigkeit
57
, die dem Dandy auf verschiedenen
Ebenen zu Eigen sind: Das Paradox ist ein wesentliches Merkmal des
Dandy.
58
Um die besondere Eleganz und Raffinesse des Dandy zu erkennen, braucht
es Insider-Wissen: ,,Nur der Kenner, der Insider des gesellschaftlichen
Highlife nimmt die subtile Nuance wahr, die das Raffinement des Dandys
ausmacht."
59
Der Dandy fällt nicht durch außergewöhnliche Kleidung auf
wie der Exzentriker, er unterlässt im Verhalten wie in der Kleidung alles
offensichtlich Auffällige.
60
Sein Signum ist die absolute Einfachheit, ohne
auffälligen Luxus, reiche Verzierungen und vor Allem ohne eklatanten
Bruch mit der geltenden Kleidernorm.
61
Damit ist der Dandy gegenüber Uneingeweihten in seiner Raffinesse
,,inkognito".
62
Auch in der gehobenen Gesellschaft, in der er sich bewegt,
bleibt er außen vor, obwohl diese ihn als einen der ihren ansieht: er ist ein
54
Vgl. Erbe [Anm. 15] S. 26f.
55
Gnüg [Anm. 8] S. 23f.
56
Barbey [Anm. 47] S. 54.
57
Vgl. z. B. Erbe [Anm. 15] S. 22f.
58
Vgl. z. B. Erbe [Anm. 30], Grundmann [Anm. 22] S. 5.
59
Gnüg [Anm. 8] S. 25.
60
Vgl. ebd. S. 11, S. 25.
61
Vgl. ebd. S. 27.
62
Erbe [Anm. 15] S. 21.
14
,,Außenseiter, der incognito reist"
63
. Sein Kleidungsstil ist Ausdruck seiner
Rolle als Einzelgänger: Sie bildet seine vollendete Einzigartigkeit ab, die
seinem Gefühl der Einsamkeit entspricht.
64
Durch die Fokussierung auf
Äußerlichkeiten, zum intensiven Körperkult, bereits in die Ecke des ,üblich
Weiblichen` geschoben, eignet dem Dandy dabei (bei aller Unauffälligkeit)
das Androgyne, Unmännliche. Auch in dieser geschlechtlichen
Uneindeutigkeit schlägt sich seine Zwitterhaftigkeit nieder, ebenso wie sein
Hang zur Revolte, stellt er sich doch bereitwillig in den Verdacht einer
gesellschaftlich keineswegs akzeptierten Homosexualität.
65
Der Intellekt spielt für den Dandy eine übergeordnete Rolle
66
: Berechtigt
dieser ihn doch zur Bildung einer ,,neue[n] Art von Adelsherrschaft"
67
. Der
Dandy nutzt ihn für die besondere Raffinesse seines Äußeren, aber auch um
sich seiner Umwelt überzuordnen, über sie zu urteilen und er befähigt ihn zu
einer genialischen Ironie
68
, unter deren Deckmantel er seine Mitmenschen
und die Gesellschaft scharf kritisiert. Dabei übersteigt die Ironie des Dandys
die rein rhetorische Ironie und ist konstituierend für ihn, sie meint das freie
Bewusstsein der eigenen Unfreiheit:
69
Ironie stellt sich hier dar als das Bewußtsein der Zerrissenheit des Ich, das
vom Ideal absoluter Spiritualität sich im Abgrund animalischer Unfreiheit
sieht. [...] Das ironische Selbstbewußtsein des Dandys, das die Abgründe
seiner sinnlichen Natur betrachtet, gibt ihm allein die Möglichkeit, sich
über sich zu erheben, ästhetisch produktiv zu sein.
70
Seine Selbst-Bewusstheit ermöglicht ihm Einblick in die psychologischen
Zwänge, denen jeder unterliegt, derer aber nur er sich bewusst ist.
71
Dies
gibt ihm die Möglichkeit, Andere zu durchschauen und mit ihnen zu
spielen
72
, ermöglicht ihm aber außerdem den speziellen Blick auf sich
63
Gnüg [Anm. 8] S. 26, siehe auch: Fratz, Kirstine: Dandy und Vampir, die Sehnsucht nach Ungewöhnlichkeit.
(Gardez! Hochschulzeitschriften Bd. 6) St. Augustin, 2001. S. 25.
64
Vgl. Gnüg [Anm. 8] S. 26.
65
Vgl. Erbe [Anm. 15] S. 28.
66
Vgl. Gnüg [Anm. 8] S. 36.
67
Charles Baudelaire: Der Maler des modernen Lebens, in: Kemp, F. /C. Pichois (Hrsg.): Sämtliche
Werke/Briefe, Bd. 5. München/Wien 1989, S. 244. Schickedanz nennt es sogar ,,Herrenmoral": Schickedanz
[Anm. 5] S. 19.
68
Vgl. Gnüg [Anm. 8] S. 23, S. 39ff.
69
Vgl. ebd. S. 49.
70
Ebd. S. 45.
71
Vgl. ebd. S. 38f.
72
Vgl. ebd. S. 38, S. 46: ,,Als dandystischen Wesenszug hebt Baudelaire hier gerade die subtile Einsicht in den
ganzen moralischen Mechanismus dieser Welt hervor, also die geistige Überlegenheit des psychologisch
15
selber, der geprägt ist von Ironie und Selbstpersiflage
73
. Von Gefühlen
bestimmte Augenblicke sind bei solch ständiger Bewusstheit des eigenen
Seins kaum möglich, doch erhofft er sich davon die Triebstruktur des
Menschen zu erkennen und seine Freiheit gegenüber dem Dasein überhaupt
zu behaupten.
74
Der Dandy erlebt natürliche Regungen und Intellekt als
zutiefst gespalten: Im Gegensatz zu den Romantikern hat er jedoch nicht das
Bedürfnis diesen Graben zu schließen. Im Gegenteil hält er diese Spaltung
von ,,Animalität und Spiritualität" nicht für vom Willen beeinflussbar,
sondern für eine Existenzbedingung.
75
Vor beiden Polen stehend kapriziert
er sich auf das Unnatürliche, Künstliche und Mechanische.
Der erwähnten Fokussierung auf das Artifizielle entspricht der urbane
Lebensraum des Dandys. Die ,,Natur [ist ihm] fremd, ja verdächtig
geworden".
76
Obwohl auch er letzten Endes der Natur unterliegt, dominiert
er seine natürlichen Regungen gleichzeitig, indem er sie durchschaut und
sich ihnen soweit wie möglich verschließt. Ausdruck dessen ist die
Affektkontrolle, die das ganze Leben des Dandys bestimmt bis hin zur
Sexualität.
77
Einher damit geht sein mechanistisches Körperverständnis,
nach dem alle spontanen Regungen letztlich mechanisch hervorgerufen
werden, auch wenn der Auslöser und der Ablauf undurchschaut bleiben.
78
Einen Wert gewinnt die Natur erst, wenn sie von schöpferischen Geistern
geformt wird: selbst sein eigener Körper ist dem Dandy zunächst Rohstoff.
Nur bewusste Form verleiht Würde: ,,Die Form allein also, das, was sich
nicht der Natur verdankt ist unsterblich".
79
Der Natur setzt der Dandy sich selbst als Kunstwerk entgegen. Dabei ist er
nicht als klassischer Künstler zu begreifen. Es fehlt ihm an der Leidenschaft,
die ein Künstler in seine Werke investiert. Auch ist das Ideal des Dandys,
wie schon erwähnt, der Müßiggang. Das Künstler-Dasein dagegen ist harte
gebildeten Beobachters und das philosophische Wissen um die mechanischen Zwänge der als frei proklamierten
Seelenäußerungen."
73
Vgl. Erbe [Anm. 15] S. 18, Gnüg [Anm. 8] S. 39.
74
Vgl. Gnüg [Anm. 8] S. 38f.
75
Ebd. S. 44 f.
76
Ebd. S. 42.
77
Vgl. Erbe [Anm. 15] S. 28.
78
Vgl. Gnüg [Anm. 8] S. 43.
79
Ebd. S. 56.
16
kritisieren.
87
Arbeit.
80
Umstritten ist die Frage, ob der Dandy insofern als Künstler gelten
darf, als er genialisch sich selber als Kunstwerk erschafft. Manch Einer
spricht ihm das genialische ab, er sei zwar in der Lage originell zu sein, aber
ein innovativer Geist, der Neues erschafft, sei dem Dandy nicht zu Eigen:
Er [der Dandy] sammelt und kombiniert [...] und erzielt oft genug das
Unerwartete oder Überraschende, aber er ist kein Genie im Sinne Kants,
das Neues und genuin Originelles hervorbrächte.
81
Seine Posen seien geborgt
82
, er zeichne sich durch einen ,,Mangel an freier
Erfindung" und ein ,,rückwärts gerichtetes Auge"
83
aus. Andere
widersprechen dieser Einschätzung mehr oder weniger vehement. Melanie
Grundmann beispielsweise schreibt: ,,Der Dandy ist ein überlegener Geist,
ein Genie, unerwünscht in einer Gesellschaft, in der die Masse beherrschbar
sein soll."
84
So weit geht Schickedanz nicht, aber er spricht dem Dandy zu,
durch die Stilisierung seiner Selbst Künstler und Kunstwerk zugleich zu
sein. Seine Selbstdarstellung beinhalte alles, ,,was auch anderen
Kunstwerken eigen ist: nämlich Inhalt, Form und Strategie."
85
Einen
anderen Ansatzpunkt bietet Westerwelle. Das Dandytum sei insofern Kunst,
als es durch seine über bloße Naturnotwendigkeit hinausgehenden
Statussymbole ,,eine geistig-spirituelle Dimension des künstlerischen
Menschen [anzeige], die jenseits aller Zweck- und Nutzenrechnung liegt."
86
Dadurch hat der Dandy das Potenzial, jeden Utilitarismus, auch die Kunst
betreffend, durch seine allein sich selbst genügende Existenz zu
Die unausgesprochene Utilitarismuskritik des Dandys gehört zum Moment
der Revolte, das, da ist sich die Forschung einig, unabdingbar zum
80
Vgl. Erbe [Anm. 15] S. 24.
81
Werber, Nils: ,,Das graue Tuch der Langeweile". Der Dandy als Motiv und Verfahren der Literatur 1900/2000,
in: Tacke, Alexandra/Weyand, Björn: Depressive Dandys. Spielformen der Dekadenz in der Pop-Moderne, Köln,
Weimar, Wien, 2009. S. 72.
82
Vgl. Gerd Stein: Dandy Snob Flaneur. Dekadenz und Exzentrik. Kulturfiguren und Sozialcharaktere des
19. und 20. Jahrhunderts Bd. 2, Frankfurt/Main, 1985. S. 9.
83
Otto Mann: Der moderne Dandy. Ein Kulturproblem des 19. Jahrhunderts. Hrsg. v. Karl Jaspers. Berlin 1925,
beides S. 74.
84
Grundmann [Anm. 22] S. 11.
85
Schickedanz [Anm. 5] S. 21.
86
Westerwelle, Karin: Der Dandy als Held. Merkur, Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, Heft 9/10,
63. Jahrgang, September/Oktober 2009. S. 895.
87
Vgl. Gnüg [Anm. 8] S. 68f.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2011
- ISBN (PDF)
- 9783955499808
- ISBN (Paperback)
- 9783955494803
- Dateigröße
- 769 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
- Note
- 1,7
- Schlagworte
- Archivismus Ironie unsicherer Erzähler Décadence Autorinszenierung
- Produktsicherheit
- BACHELOR + MASTER Publishing