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Der Vater-Vorteil: Die exklusive Bedeutung des Vaters für die psychische Entwicklung des Kindes im Kleinkind-, Schulkind- und Jugendalter

©2013 Bachelorarbeit 53 Seiten

Zusammenfassung

Die vorliegende Arbeit diskutiert den aktuellen Stand der Forschung zur Bedeutung des Vaters für die psychische Entwicklung des Kindes.
Der Autor liefert, über die differenzierte Darstellung empirischer Forschungsergebnisse zu den unterschiedlichen kindlichen Entwicklungsstadien, aussagekräftige Argumente für die These, dass der Vater als real-erfahrbare Bezugs- und Bindungsperson gerade für die psychische Entwicklung des Kindes unentbehrlich und von großer Wichtigkeit ist.
Das Spiel zwischen Vater und Kind als ein zentrales väterlich-exklusives Instrument bei der Vermittlung kognitiver, emotionaler und moralischer Werte sowie die Auswirkungen der triadischen Beziehung auf die Selbstrepräsentation des Kindes als auch die väterliche Vorbildfunktion für Autonomie und Selbstbestimmung werden in diesem Buch genau betrachtet.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


3. Literaturrecherche

Der vorliegenden Arbeit liegt als Methode eine umfangreiche Literaturrecherche zugrunde. Die gefundene und einbezogene Literatur wurde durch den Autor auf ihre Relevanz für das Thema der Arbeit hin geprüft, sowie vergleichend analysiert und sortiert. Nur Literatur, die in ihren Forschungsergebnissen einen Bezug zum Thema aufwies, wurde miteinbezogen.

3.1. Vorgehen

Für einen ersten Überblick über das Arbeitsthema „Die distinktive Bedeutung des Vaters für die psychische Entwicklung des Kindes im Kleinkind-, Schulkind- und Jugendalter“ wurde zunächst in der Universitätsbibliothek Mainz, sowie in der Institutsbibliothek des psychologischen Instituts der Johannes Gutenberg Universität Mainz nach deutschsprachiger Literatur gesucht. Diese sollte die Entwicklung der bisherigen Forschung und deren Ergebnisse zu dem genannten Thema überblickartig zusammenfassen.

Primär beschränkte sich diese Suche auf Bücher des Fachbereichs Entwicklungspsychologie und, wenn vorhanden, dann speziell auf Bücher zur Vaterforschung. Anhand der Inhaltsverzeichnisse wurde zunächst festgestellt, ob Kapitel allgemein zum Thema der Vaterbedeutung vorliegen. War dies der Fall, dann wurde untersucht, unter welchem Aspekt der jeweilige Buchautor die Bedeutung des Vaters in Beziehung zur Entwicklung des Kindes gesetzt hatte. Hierbei wurde das Buch „Die Seele des Kindes“ von Martin Dornes aus dem Jahr 2006 identifiziert, das in Kapitel acht eine Sammlung der aus Dornes´ Sicht zentralen Studien und Forschungsergebnisse der vergangenen Jahre zur entwicklungspsychologischen Vaterbedeutung darstellt. Nützlich und hilfreich waren die enthaltenen Daten zu den differentiellen Vatereffekten bei der Geschlechtsrollen- und Autonomieentwicklung, zum Konzept der Triangulierung aus systemischer und psychoanalytischer Sicht, sowie zum historischen Entwicklungsprozess. Inge Seiffge-Krenke geht in ihrem Buch „Psychotherapie und Entwicklungspsychologie“ in der 2. Auflage von 2009 in Kapitel sieben ebenfalls auf aktuelle Forschungsergebnisse ein, differenziert aber noch deutlicher zwischen den verschiedenen Entwicklungsphasen und thematisiert zusätzlich die Akzentuierung des Geschlechts der Kinder im väterlichen Verhalten. Bemerkenswert sind auch zwei Bücher von Wassilios Fthenakis, „Väter: Band 1“ und „Engagierte Vaterschaft“ (Fthenakis, 1985, 1999), aus denen u.a. eine brauchbare Übersicht zum Wandel der Vaterrolle in der Familie, sowie den Auswirkungen von väterlichem Engagement auf die Kindesentwicklung verwendet werden konnte. Eingang in diese Arbeit fand auch Literatur mit einem Erscheinungsjahr, das vor 2000 liegt.

Für die weitere Literaturrecherche wurden zwei unterschiedliche Vorgehensweisen gewählt. Zum einen nutzte der Autor die Online-Suchmaschine der UB Mainz, sowie die über die Universität Mainz zugänglichen Literaturdatenbanken PSYNDEX und Web of Science zur Eingabe von Suchbegriffen und Autoren. Nach dem Identifizieren relevanter Literatur wurden zum Teil zusätzlich die Online-Bibliotheken Wiley, Jstor und Sagepub für den Dokumentenzugriff verwendet.

Zum anderen wurde das „Schneeballprinzip“ in Form des Sichtens der Literaturverzeichnisse von Zeitschriftenartikeln und Büchern namhafter Autoren in englischer und deutscher Sprache nach Texten über die Vaterbedeutung eingesetzt. Die Originaltexte der so in den Literaturangaben identifizierten Artikel, Studien und Bücher wurden dann über Online-Suchportale wie der elektronischen Zeitschriftenbibliothek (EZB) der Universität Mainz, Google Scholar oder über Google gesucht. Die Suche nach diesem Verfahren und die gefundene Literatur wurde dann je nach thematischem Schwerpunkt „schneeballartig“ weiter spezifiziert. Hierbei war unter anderem ein im Online-Publikationsverzeichnis des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefundener umfangreicher Übersichtsartikel von Jörg Fegert et al. (2011) über Vaterschaft und Elternzeit hilfreich, da er einen breiten und aktuellen Literaturverweis bot. Auch der Artikel von Daniel Paquette (2004) “Theorizing the father-child relationship: Mechanisms and developmental outcomes” fungierte als Ausgangspunkt für weitere Literatursuche.

Gibt man den Suchbegriff „Bedeutung des Vaters“ in die Suchmaschine der UB Mainz ein liefert diese dazu 7 Treffer. Die Online-Suchmaschine PSYNDEX zeigt bei gleichem Stichwort 107 Treffer an (02.05.2013). Beschränkt man die Suche auf einen Veröffentlichungszeitraum von 2000 bis heute erscheinen dort noch 43 Ergebnisse. Nach Betrachtung der Titel, ließen sich bereits 11 Ergebnisse ausschließen. Bei der Eingabe des Begriffs „Psychische Entwicklung des Kindes“ zeigte dieselbe Suchmaschine 22 Ergebnisse an, von denen lediglich 4 einen Bezug zum Thema herstellten.

Insgesamt finden sich über die Suchmaschine der UB Mainz und auch über die deutlich mehr Literatur umfassende Recherchedatenbank PSYNDEX nur wenige Artikel zur Bedeutung des Vaters. Dies lässt auf ein vergleichbar geringes Forschungsinteresse in den letzten Jahren zu diesem entwicklungspsychologischen Themengebiet schließen. Um einen Gesamtüberblick über die online vorhandene Literatur zur Vaterforschung zu bekommen, wurde der Begriff „V?ter“ bei PSYNDEX eingegeben. 1860 Ergebnisse wurden angezeigt. Beschränkt man die Suche auf den Zeitraum zwischen 2000 und 2013 bleiben noch 743 Treffer.

Um vermehrt Studien in englischer Sprache ausfindig zu machen, wurde die Suchmaschine Web of Science verwendet. Mit dem Begriff „Paternal influence on child development” als Thema (Topic) liefert diese Datenbank 216 Treffer von denen deutlich mehr als die Hälfte dieses Thema nur peripher behandelten. Für den Begriff „Father-child relationship“ wurden in PSYNDEX 19 Ergebnisse angezeigt, von denen 14 Artikel einen Bezug zum Thema aufwiesen.

Insgesamt ergaben sich 36 Quellen deren Abstracts vom Autor auf Relevanz und Gültigkeit hin überprüft wurden. Nochmals wurden einige Artikel aussortiert und so insgesamt 19 Journal- und Zeitschriftenartikel identifiziert, deren Aufnahme in die Literaturliste dem Autor als berechtigt erschien (s. Anhang 7.4. - Tabelle 1.).

Es ist darauf hinzuweisen, dass für die vorliegende Arbeit das „Schneeballrechercheprinzip“ die meiste brauchbare und schließlich auch verwendete Literatur lieferte, da damit zu einzelnen spezifischen Aspekten des väterlichen Umgangs mit dem Kind deutlich exakter und präziser recherchiert werden konnte als mit den zum Teil unübersichtlichen und wenig validen Online-Suchmaschinen.

3.2. Tabellarischer Überblick der verwendeten Studien

Zur übersichtlichen Darstellung der verwendeten Studien zu den einzelnen distinktiven Verhaltensweisen des Vaters in der Interaktion mit seinen Kindern unterschiedlichen Alters wurde eine Tabelle angefertigt, die Stichprobe, Methodik, Hypothesen und zentrale Ergebnisse der Studien kurz aufführt und beschreibt (s. Anhang 7.4.). Es ist darauf hinzuweisen, dass nicht auf jede einzelne, der aufgelisteten Studien, im Text näher eingegangen wird.

4. Die distinktive Bedeutung des Vaters in unterschiedlichen
Entwicklungsphasen

In diesem Kapitel soll gezielt auf die distinktive Bedeutung des Vaters für die kindliche Entwicklung eingegangen werden. Die auf empirischen Studien basierenden und hier dargestellten Ergebnisse beziehen sich auf die Lebensspanne vom Säuglings- und Kleinkindalter bis in die Adoleszenz und ins junge Erwachsenenalter.

Nach Seiffge-Krenke (2009a) kann die Vaterforschung seit 1970 in drei Phasen unterteilt werden. Zentral für die erste Phase war der periphere, abwesende Status des Vaters in der Kindererziehung. In der zweiten Phase liegt der Fokus auf dem Vergleich mit der Mutter. Als erstrebenswert galt das Erreichen einer „größtmöglichen Ähnlichkeit“ zwischen den beiden Elternteilen (Seiffge-Krenke, 2009a S.196). Die dritte Phase der Vaterforschung bildet die Grundlage für die vorliegende Arbeit und soll durch die in diesem Kapitel aufgeführten Studienergebnisse näher beschrieben werden. Sie behandelt die, sich von den Mutter-Kind-Interaktionen unterscheidenden, Verhaltenscharakteristika und Umgangsformen des Vaters im Kontakt mit seinem Kind und deren zentrale Bedeutung für die psychische Entwicklung von Söhnen und Töchtern (Seiffge-Krenke, 2009a). 1

Aus den bisherigen Ergebnissen der dritten Phase der Vaterforschung lassen sich nach Seiffge-Krenke (2009b) fünf wichtige Funktionen des Vaters beschreiben: 1. Betonung und Training von Aktivität, die das Erlangen von Kontrolle über den eigenen Körper fördern, 2. Betonung des Geschlechts seines Kindes, 3. Förderung der Autonomie, 4. Strukturierung und Aufstellen von Regeln im Spiel und Alltag, 5. Lehrfunktion.

In welcher Entwicklungsphase des Kindes beginnt diese, im Zuge der dritten Phase, „neuentdeckte“ Vaterbedeutung und was macht das Verhalten eines „good enough“ Vaters aus?

4.1. Väter und Säuglinge/Kleinkinder – Triangulierung, Bindung, Spielfeinfühligkeit und Individuation

Ein Großteil der Forschungsarbeiten über die anfängliche Beziehungswelt und Beziehungswahrnehmung des Säuglings thematisieren primär die dyadische Mutter-Kind Beziehung und weisen dem Vater die Position des randständigen „Dritten“ zu, der erst in späteren Entwicklungsstadien für das Kind bedeutsam wird (von Klitzing, 2002, Dornes, 2006). Allerdings hat die neuere Säuglingsforschung der letzten Jahre gezeigt, dass die zwischenmenschliche Kompetenz des Säuglings in Form der aktiven und lenkenden Teilnahme an der Interaktion mit seinen Eltern unterschätzt wurde (Stern, 2002, Dornes, 2001). Diese neuen Erkenntnisse stellten auch einige festgefahrene Konzepte der Vater-Kind Beziehung in Frage (von Klitzing, 2002).

4.1.1. Frühe Triangulierung

Ernest Abelin, Psychoanalytiker und über mehrere Jahre Mitarbeiter Margaret Mahlers am Masters Children´s Center in New York, führte als Erster das entwicklungspsychologische Konzept der frühen Triangulierung und damit die präödipale Bedeutung des Vaters als Dritten im Beziehungsdreieck Mutter-Vater-Kind ein (Abelin, 1971, 1975, Staufenberg, 2011, Schon, 2010). Dieser Theorie zur Folge übernimmt der Vater bereits im ersten Lebensjahr seines Kindes eine zentrale Rolle bei dem, für die weitere Entwicklung des Kindes bedeutsamen, Separations- und Individuationsprozess (Abelin, 1975, Stiehler, 2006, Obereder, 2013). In der Beziehung zu seinem Kind symbolisiert der Vater einen „Nicht-Mutter-Raum“ und bietet seinem Kind so die Möglichkeit einer erweiterten Erkundung der Realität (Stiehler, 2006, S.32). Die Repräsentanz der Mutter-Kind-Dyade im Kleinkind wird dabei durch eine Repräsentanz des Vaters zu einer Triade ergänzt und eröffnet dem Kind so einen neuen inneren, psychischen Raum (Target & Fonagy, 2003). So entwickelt sich die Selbstrepräsentanz des Kleinkindes spätestens ab dem 18. Lebensmonat nicht mehr nur aus der dyadischen Beziehung zur Mutter, sondern vielmehr aus der wahrgenommenen triadischen Beziehung Mutter-Vater-Kind heraus. Das damit in Verbindung stehende Wahrnehmen der Verbundenheit von Mutter und Vater als (Liebes)-Paar führt beim Kleinkind zu einem Gefühl des Ausgegrenztseins aus der „Urszene“ (Dammasch, 2008, S. 20), dessen Überwindung dann wiederum das Kind dazu zwingt, sich mit dem Vater als dritter Person verstärkt zu identifizieren (Abelin, 1971, 1975, Dammasch, 2008).

Das Schweizer Forscherteam um Kai von Klitzing führte an der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Universitätsklinik Basel zwei aufwendige prospektive, empirische Längsschnittstudien mit insgesamt 118 Familien durch. Die Untersuchungstermine lagen im letzten Drittel der Schwangerschaft und erstreckten sich bis ins fünfte Lebensjahr (für weitere Methodik s. Tabelle 1). Von Klitzing et al. gingen davon aus, dass die triadische Beziehungskompetenz der Eltern, definiert als die Fähigkeit, die zukünftigen familialen Beziehungen ohne Ausschluss einer der beteiligten Personen, bereits vor der Geburt des Kindes zu „antizipieren und zu konzeptualisieren“ (von Klitzing, 2002, S.869), wesentlichen Einfluss auf die Beziehungswelt des Kindes nehmen würde (von Klitzing, 2002, Dammasch, 2011). Um dieses Konstrukt erfassen zu können, entwickelten von Klitzing und Kollegen mit dem Triadeninterview ein komplexes, halbstandardisiertes, psychodynamisches Paarinterview, das dreißig Einzelitems enthielt. Die Integration des „imaginären Kindes“ in der Beziehungswelt der Eltern konnte so präzise untersucht werden (Dammasch, 2011, S.50). Die Arbeitsgruppe unterschied zusätzlich zwischen dem interpersonalen Prozess der Triadifizierung in Form des Übergangs von der Zweier- zur Dreierbeziehung durch die Geburt des Kindes und dem intrapsychischen Prozess der Triangulierung, der sich in der Innenwelt der an der Triadifizierung beteiligten Personen abspielt (von Klitzing, 2002).

Die Auswertungen der Studien belegen eindrucksvoll, dass der Säugling bereits von Anfang an zu triadischen und polyadischen Beziehungen sowohl mit der Mutter, als auch mit dem Vater und anderen Bezugspersonen in der Lage ist und sich selbst nicht, wie lange vermutet, nur in einer Zweierbeziehung wahrnehmen kann (von Klitzing, 2002, Dammasch, 2011). Im „Spiel zu Dritt“ mit dem vier Monate alten Kleinkind zeigte sich, dass der Säugling sowohl durch die Ausrichtung seines Blickes, als auch durch seine Mimik und Vokalisation aktiv den Trialog mitgestaltete und immer wieder versuchte, das außenstehenden Elternteil, also durchaus auch den Vater, in das Spiel mit einzubeziehen (von Klitzing, 2002, Seiffge-Krenke, 2009a). Besonders stark korrelierte die pränatal eingeschätzte triadische Kompetenz des Vaters mit der Qualität der triadischen Interaktionen in der Spielsituation vier Monate nach der Geburt (von Klitzing, 2002, Dammasch, 2011). Je stärker die elterliche Beziehungskompetenz pränatal beurteilt wurde, desto wahrscheinlicher lösten die Kinder die dargebotenen Konflikte in einem projektiven Erzähltest Ende des vierten Lebensjahres mit positiven Erzählinhalten und stimmigen Geschichten (von Klitzing, 2002). Speziell die spielerische Kompetenz des Vaters stand in direktem Zusammenhang mit der Häufigkeit gezeigter, aggressiver Verhaltensweisen der Kinder am Ende des vierten Lebensjahres (von Klitzing, 2002, Dammasch, 2011). Zudem hatten die Ergebnisse des pränatalen Interviews eine stärkere prädiktive Kraft für die weitere Entwicklung des Kindes, als die videodokumentierten Spielszenen zu dritt (von Klitzing, 2002, Heberle, 2012).

Die Bedeutung des Vaters beginnt also bereits vorgeburtlich, indem er sich aktiv um eine unterstützende, positive Gestaltung der Beziehung zum Partner bemüht und setzt sich in den, von von Klizing et al. von Geburt an beobachteten intensiveren, affektiv und körperlich erregenderen Spielelementen und Interaktionen mit dem Kind fort. Hier unterscheidet sich das Verhalten des Vaters deutlich von der Art und Herangehensweise der Mutter (von Klitzing, 2002, Heberle, 2012). Väter beeinflussen die Entwicklung ihrer Kinder also auch indirekt über die Beziehungsqualität zur Mutter (Tamis-LeMonta, Shannon, Cabrera, Lamb, 2004). Durch das so entstehende Interesse des Kindes für den Vater wird dieser wiederum zum Unterstützer bei den kindlichen Bestrebungen, sich aus der „mütterlich-fusionären Welt“ zu befreien (Heberle, 2012, S.28). Die im Kind hervorgerufenen, häufig schmerzhaften, ambivalenten Bestrebungen nach Autonomie einerseits und dem Bedürfnis nach Verschmelzung und Nähe zur Mutter andererseits, machen den Vater als zugewandten „Dritten“ zu einer wichtigen Sicherheit und Halt gebenden Bezugsperson während des allmählichen Loslösens aus der Mutter-Kind-Symbiose. Er ist vor allem Unterstützer bei den ersten Schritten in die Eigenständigkeit des Kindes (Walter, 2008). Peter Fonagy sieht es für einen erfolgreichen Triangulierungsprozess als notwendig an, Situationen zu schaffen, die es dem Kind ermöglichen, eine Vorstellung von der Beziehung zwischen zwei emotional bedeutsamen Personen zu entwickeln, in die es selbst nicht eingeschlossen ist (Target et al., 2003).

4.1.2. Der spielende Vater

Die Bindungsforschergruppe Grossmann et al. beobachtete in der Bielefelder Längsschnittstudie den Zusammenhang zwischen väterlicher Spielfeinfühligkeit im interaktiven Spiel mit seinen Kindern im Alter von 24 Monaten und 6 Jahren und der Bindungssicherheit und Bindnungsrepräsentation der Kinder im Alter von 6, 10 und 16 Jahren. Der Untersuchungszeitraum begann bei der Geburt und endete, als die Kinder 16 Jahren alt waren (Grossmann, Grossmann. Fremmer, Bombik, Kindler, Scheuerer-Englisch, Zimmermann, 2002). Grossmann et al. bezogen 49 Familien mit 26 Jungen und 23 Mädchen, die zu dieser Zeit keine erkennbare Risiken aufwiesen, in die Untersuchungen mit ein.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die herausfordernde Spielweise des Vaters mit seinen Kindern im Alter von 2 Jahren und seine Feinfühligkeit im Spiel und für die jeweilige Situation (SCIP-score) ein signifikanter Prädiktor für die Bindungsrepräsentation und -sicherheit des Kindes im Alter von 10 und 16 Jahren waren. Die Auswertung des Adult Attachement Interviews (AAI) lassen zudem den Schluss zu, dass die Präsenz des Vaters bei der Geburt bedeutsam mit dessen sicherem inneren Arbeitsmodell von Bindung korreliert (Grossmann et al., 2002). Auch die Bindungsqualität des Kleinkindes zur Mutter, erhoben mit dem FST 12 Monate nach der Geburt, ergab einen überzufälligen Zusammenhang mit der Qualität der Bindungsrepräsentationen und Beziehungen des Kindes im Alter von 6 und 10 Jahren (SAT-Werte) (für weitere Methodik s. Tabelle 1) (Grossmann et al., 2002). Überraschenderweise korrelierte nur der SCIP-score des Vaters signifikant mit der Dimension „Bindungssicherheit“ der Kinder im Jugendlichenalter (Grossman, 2002). Dies interpretiert Fonagy dahingehend, dass die, im Hinblick auf eine problemfreie Entwicklung, frühe Anpassung des Kindes an das Arbeitsmodell des Vaters sogar von größerer Relevanz sei, als die Anpassung an das Arbeitsmodell der Mutter (Fonagy, 1996).

Wie die Ergebnisse dieser Studie zeigen, ist es für die Bildung sicherer innerer Repräsentanzen beim Kind von großer Bedeutung, dass der Vater die bislang breit erforschte Funktion des „sicheren Hafens“, den die Mutter bei der Wiedervereinigung nach einer Trennung, beispielsweise während des FST, für das Kind symbolisiert, ergänzt, indem er dessen Explorationsfähigkeit während dem gemeinsamen Spielen fördert (s. Abb.1.) (Seiffge-Krenke, 2009a).

Abb. 1. Bindung und Exploration – Sich ergänzende Aufgaben der Mutter und des Vaters (Quellenverzeichnis: Siehe Anhang 7.3).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der Vater nimmt durch seine einzigartige Spielfeinfühligkeit von Geburt an einen vergleichbar großen Einfluss auf die kindliche Entwicklung sicherer innerer Arbeitsmodelle des Selbst, wie die Mutter (Grossmann, 2002, Seiffge-Krenke, 2009a, Heberle, 2012). Die Tatsache, dass die Mutter ihrem Kind biologisch näher ist als der Vater, vermindert dessen Fähigkeiten bei der Betreuung und Versorgung seiner Kinder nicht (Lamb, 2000). In Stresssituationen gilt der „hinreichend gute“ Vater (Walter, 2008, S.29) nach der Mutter als wichtigste Bindungsperson für das Kind und gibt dem Kind ebenfalls das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit (Cohen & Campos, 1974).

Power und Parke von der University of Illinois fand bei der Auswertung von Videoaufnahmen einer Spielszene bei 24 Familien der Mittelschicht mit 8-Monate alten Erstgeborenen heraus, dass Mütter zwar sensibler auf Interessenshinweise des Kindes im Spiel reagieren, indem sie den Spielgegenstand immer wieder ins Blickfeld des Kindes rücken und sie das Kind so länger für ein bestimmtes Spielzeug begeistern konnten, dass das Spiel des Vaters aber deutlich stärker physisch betont ist („physical toy touching“) und dadurch das Interesse der Kinder daran und an seiner Person verstärkt, was wiederum auf die Bindungsrepräsentanz im Kind Einfluss nimmt (Power & Parke, 1983).

Der Anteil und Grad motorischer Stimulation im Spielverhalten gilt als ein wesentlicher Unterschied zwischen Vater und Mutter im Umgang mit dem Kind (Eickhorst & Scholtes, 2012). Das im Bewegungsspiel stattfindende direkte Kanalisieren der auftretenden Aggressivität fördert den Umgang und die Regulation starker Affekte, insbesondere bei kleinen Jungen und bietet ihnen gleichzeitig eine angemessene Bewältigungsstrategie (Dornes, 2006).

Michael Lamb ging bereits 1977 in einer der ersten neueren wissenschaftlichen Studien zur Vater-Kind-Interaktion der Frage nach, in wieweit sich Mütter und Väter in der Art und Weise, wie sie körperlichen Kontakt mit ihrem Kind aufnehmen und diesem dadurch Nähe und Bindung ermöglichen, unterscheiden (Lamb, 1977). Lamb beobachtete in einer Längsschnittstudie über 6 Monate insgesamt 10 Jungen und 10 Mädchen bei der Interaktion mit ihren Eltern. Beginnend im Alter von 7 Monaten wurden von jeder Familie zu vier Zeitpunkten 352 Minuten Videomaterial aufgezeichnet, kodiert und unterschiedlichen Kategorien zugeordnet. Lamb ging, ähnlich wie später auch von Klitzing (2002) (siehe oben), davon aus, dass Kinder von Beginn an zu beiden Elternteilen eine Bindung aufbauen, sich aber die Qualität der Interaktion mit dem Vater und der Mutter sowie im Trilog von einander unterscheidet (Lamb, 1977).

Die Auswertung der Untersuchungen ergab, dass Väter, verglichen mit den Müttern, ihre Kinder ebenso oft in stressigen Situationen beruhigten und diese sich, als Zeichen einer existierenden Bindung, von ihnen auch beruhigen ließen. Unterschiede zeigten sich im Reaktionsverhalten des Kindes auf das Spielverhalten der Eltern (Lamb, 1977). Signifikant öfter antworteten die Kinder auf das vom Vater angeregte Spiel mit positiv-erregtem Verhalten in Form von Lachen, Strampeln, hervorgebrachten Lauten und Kichern (Lamb, 1977). Der distanziertere, rauere und aufregendere Körperkontakt und das Betonen von aktiven und passiven Phasen mit herausfordernden Elementen macht das Spiel für die Kleinkinder andersartig (Seiffge-Krenke, 2009b, Dornes, 2006, Siegal, 1987). Auch das Schneiden von Grimassen, Imitationen und visuelle und akustische Stimulationen werden vermehrt von Vätern im Spiel mit dem Kind gezeigt. Weitere Untersuchungen zeigten, dass selbst das Füttern der Kinder durch den Vater auf eine spielerische Art geschieht (Seiffge-Krenke, 2009a). Zudem nehmen Väter ihre Babies häufig auf den Arm mit der Absicht, mit ihnen zu spielen, während Mütter in diesen Situationen dann öfter pflegend tätig werden (Lamb, 1977). Eine sichere, sich gegenseitig ergänzende Bindung zum Vater wie auch zur Mutter fördert eine gesunde Entwicklung des Kindes am stärksten (Target et al., 2003) 2.

4.1.3. Spiel und Kognition

Tamis-LeMonda et al. untersuchten in einer Längsschnittstudie von 2004 den Zusammenhang zwischen dem Spielverhalten von 290 Vätern mit ihren zwei und drei Jahre alten Kindern und der kognitiven und sprachlichen Entwicklung der Kinder im selben Alter. Mit Hilfe von Videokameras wurden die Väter im 24. und 36. Lebensmonat ihrer Kinder zweimal bei einer 10-minütigen Spielinteraktion mit ihren Kindern gefilmt. Geschulte Beobachter kodierten das Verhalten dann in 6 Dimensionen. Die Stärke des vom Vater gezeigten „supportive parenting“ (Tamis-LeMonda et al., 2004, S. 1816) im Spiel in Form erhöhter Sensitivität, einer positiven Wahrnehmung der Kinder und kognitiv stimulierenden Spielinhalten korrelierte signifikant mit höheren kognitiven und sprachlichen Entwicklungswerten der Kinder, gemessen mit der Bayley Scales of Infant Development (BSID-II) im Alter von 24 und 36 Monaten und dem Peabody Picture Vocabulary Test (PPVT-III) mit 36 Monaten (Tamis-LeMonda et al., 2004). Außerdem korrelierte das Bildungsniveau des Vaters positiv mit den Testwerten der Kinder. Nach Tamis-LeMonda et al. konnten mit den beiden genannten Faktoren bis zu 50% der Ergebnisvarianz erklärt werden (Tamis-LeMonda et al., 2004). Ergänzend dazu fanden Cabrera, Shannon & Tamis-LeMonda (2007) bei einer größeren Stichprobe mit 603 Kindern im Vorkindergartenalter, dass der Bildungsgrad des Vaters, entsprach er mindestens einem High-School Abschluss, insbesondere die sprachlichen Fähigkeiten seiner Kinder förderte.

4.1.4. Erstgeborene Söhne

Keller und Zach analysierten die Auswirkungen von Geschlecht und Geburtsreihenfolge des Kindes auf unterschiedliche Aspekte des elterlichen Interaktionsverhaltens (Keller & Zach, 2002). Ihrer Untersuchung lag die Überlegung zugrunde, dass bestimmte, das elterliche Verhalten beeinflussende, psychologische Prozesse und Mechanismen, aus einer evolutionspsychologischen Perspektive abgeleitet und erklärt werden können. 58 norddeutsche Familien aus der Mittelschicht wurden zwischen der 11. und 13. Lebenswoche ihrer erstgeborenen Kinder an fünf aufeinanderfolgenden Tagen von geschulten Beobachtern zu Hause besucht und mit Hilfe von Videokameras 2 Stunden lang bei der Interaktion mit ihren Kinder gefilmt. Keller und Zach konnten empirisch nachweisen, dass Väter deutlich mehr Zeit mit ihren erstgeborenen (M = 29%) im Vergleich zu den später geborenen Kindern (M = 17 %) verbringen (Keller & Zach, 2002). Väter differenzierten zudem nach Geschlecht und waren länger bei ihren Söhnen (M = 29%), als bei ihren Töchtern (M = 16 %) anwesend („Same-sex-hypothesis“). Erstgeborene Söhne wurden sowohl vom Vater als auch von der Mutter gegenüber allen anderen Kindern bevorzugt (Keller & Zach, 2002). Diese Ergebnisse waren kongruent mit den evolutionspsychologischen Annahmen der Autoren. Allerdings sahen die Väter ihren Töchtern (M = 35%) länger ins Gesicht als ihren Söhnen (M = 19%). Auch hier wurden Erstgeborene Kinder (M = 28%) deutlich gegenüber später Geborenen (M = 8%) bevorzugt. Väter differenzierten also ihr Verhalten deutlich nach Geschlecht und Geburtsposition, was die Hypothesen der Studie (s. Tabelle 1) bestätigte (Keller & Zach, 2002). Die gleichzeitige Anwesenheit von Mutter und Vater war ebenfalls bei erstgeborenen Söhnen am höchsten. Erstgeborene Söhne bekommen so noch deutlich häufiger die Möglichkeit, von den distinktiv bedeutsamen Vaterfähigkeiten und -funktionen zu profitieren.

Michael Siegal von der University of Queensland kam in seiner frühen Metaanalyse von insgesamt 39 Studien zu vergleichbaren Ergebnissen. In 20 der analysierten, unabhängig voneinander publizierten Studien unterschieden sich die Bewertung und der Umgang des Vaters mit seinen Söhnen und Töchtern signifikant von einander (Siegal, 1987). Der Vater als Vermittler von Normen und Erwartungen der Welt außerhalb der Familie war vor allem bemüht, Autonomie und Selbstständigkeit an seine Söhne weiterzugeben (Siegal, 1987). Der geschlechtsspezifische Effekt im Verhalten des Vaters zeigt sich am deutlichsten im risikoreicheren und raueren Spiel („Tobspiele“) (Seiffge-Krenke, 2009b, S.206), das er mit den Söhnen deutlich öfter praktiziert, während die motorischen Aktivitäten mit seinen Töchtern erkennbar sanfter und vorsichtiger ablaufen (Pfaff & Seiffge-Krenke, 2008). Der Vater ist physisch stärker involviert und in den Interaktionen mit seinen Söhnen um Disziplin und angemessenes männliches Rollenverhalten bemüht (Crouter & Crowley, 1990, Siegal, 1987). Das starke, männliche Verhalten von Vätern bei ihren Söhnen unterstützt den Ablösungsprozess von der Mutter und fördert das Ausprägen von männlichen Eigenschaften von den Söhnen selbst (Target et al., 2003). Ein wichtiges Ergebnis des qualitativen Literaturreviews von Siegal war zudem, dass Vätern vor allem bei ihren Söhnen das Lernen eines angemessenen Umgangs mit Frustrationen als wichtig erachten. Dazu sind Väter bestrebt, ihren Kindern zu vermitteln, sich nicht von Verzweiflung unterkriegen zu lassen, auf ihre Fähigkeiten zu vertrauen und sich darüber bewusst zu sein, Dinge bewältigen zu können (Target et al., 2003).

Russell und Saebel kamen bei der Auswertung der Ergebnisse von 287 Studien, von denen 116 Studien Väter, Mütter, Söhne und Töchter mit einschlossen, zu der Schlussfolgerung, dass nicht immer signifikante Unterschiede zwischen allen vier Dyaden, sondern zum Teil nur zwischen Dyadenpaaren z.B. Vater-Sohn, Vater-Tochter („same-sex vs. cross-sex“) bestehen (Russell & Saebel, 1997). Außerdem ist ein signifikantes Ergebnis häufig von der Stichprobengröße abhängig. Je größer die Anzahl der teilnehmenden Personen, desto eher ergeben sich überzufällige dyadische Unterschiede, was auch als Kritik verstanden werden kann (Russell & Saebel, 1997). Ergänzend zu der Studie von Siegal (1987) identifizierten Russell und Saebel (1997) neben dem Geschlecht des Kindes, auch den sozialen Kontext, in dem die Familie lebt und in dem das Kind aufwächst sowie die unterschiedlichen Charaktereigenschaften sowohl des Kindes als auch der Eltern, als weitere bedeutsame Faktoren, die die Eltern-Kind-Beziehung beeinflussen und bestehende Präferenzen erklären können (s. Tabelle 1). Zusammengenommen konnten bei 40% der 326 untersuchten Studien der beiden oben genannten Metaanalysen vaterspezifische Effekte nachgewiesen werden (Seiffge-Krenke, 2009b).

4.2. Väter und Schulkinder – Förderer von Geschlechtsrollenidentität und kognitiv-emotionaler Entwicklung

Kamikaze-Play

Herzog (1980) erwähnte als Erster den Begriff des „Kamikaze-Play“ im Zusammenhang mit dem väterlichen Spielverhalten. Damit gemeint ist ein „lustvolles, gefährliches und grenzüberschreitendes Spiel“ mit ambivalentem Muster (Seiffge-Krenke, 2009a, S.207). Der Vater übernimmt hierbei die Rolle des Herausforderers, der seine Kinder ab dem Schulkindalter von 5 und 6 Jahren dabei unterstützt, Neues zu entdecken und sich in Situationen zu begeben, in denen sie vorher noch nicht gewesen waren (Seiffge-Krenke, 2009a). Mit dem Provozieren von starken Affekten beim Kind durch das anfängliche Anspornen und Anheizen des Spiels und dem gemeinsamen Bewältigen dieser in Form eines rechtzeitigen, unterbrechenden Eingreifens und Beendens, wenn die Situation zu überdrehen droht, unterstützt der Vater die kindliche Selbstregulation (Grieser, 2008). Physiologische Untersuchungen ergaben, dass sich bei Kindern, die vom Vater hochgenommen werden, Herzschlag und Atmung bereits durch die Erwartung des aufregenden Spiels beschleunigen (Paulsen, 2010).

Viele Studien belegen die, für die physische Entwicklung bedeutsame Betonung motorischer Aktivitäten der Kinder durch den Vater. Schwimmen, Laufen, Springen, Toben, Jagen, Kitzeln, Fahrrad fahren, Fußball spielen, und In-die-Luft-werfen gehören zu den Aktivitäten, die vor allem Väter mit ihren Kindern unternehmen (Paulsen, 2010, Pfaff & Seiffge-Krenke, 2008). Weitere Forschung hat gezeigt, dass insbesondere die nonverbalen, kognitiven Fähigkeiten der Kinder, durch die Art des von den Vätern initiierten Spiels gefördert und verbessert werden (z.B. Pruett, 1998). Ein liebevoller, einfühlsamer Vater wirkt zudem häufig über seine, sich von der Mutter unterscheidende Art, mit dem Kind die Welt zu entdecken, als „Programmöffner auf die Hirnentwicklung“ des Kindes (Hüther, 2001, S. 26).

Geschlechtsrollenidentität

Es ist zu beobachten, dass Väter im Umgang mit ihren Töchtern deren Weiblichkeit immer wieder sanft hervorheben (Seiffge-Krenke, 2009a). Nähe und Emotionalität, die Unterstützung von weiblichem Verhalten, sowie das Bieten von Schutz und Geborgenheit sind wichtige Aspekte in der Vater-Tochter-Beziehung (Crouter & Crowley, 1990). Der Umgang der Väter mit ihren Töchtern ist weicher und unterstützender. Die gelegentlich, von Außenstehenden bei der Betrachtung der Vater-Tochter-Beziehung, verwendete Bezeichnung „daddy´s little girl“ verdeutlicht dies (Seiffge-Krenke, 2001, S.60). Die starke Akzentuierung des Geschlechts durch das Spielverhalten, das Auswählen der Spielsachen und der Art des Vaters, dem Kind Aufgaben zu stellen, fördert gleichzeitig die Geschlechtsrollenentwicklung seines Kindes (Paulsen, 2010, Seiffge-Krenke, 2001). Bei Jungen wirkt sich zudem die Dominanz des Vaters in der Familie auf deren männliche Identität aus (Huber, 2006). Auch der Umfang an väterlicher Wärme, Zuneigung und Fürsorge korreliert mit der maskulinen Entwicklung des Sohnes (Huber, 2006).

4.2.1. Vaterwärme

Sylvia Huber (2006) untersuchte im Rahmen ihrer Dissertation in zwei aufwändigen Studien den Einfluss des Vaters auf die Entwicklung von Mitgefühl und prosozialem Verhalten bei insgesamt 167 fünfjährigen Kindern (s. Tabelle 1). Per Videoaufnahmen wurden in einem speziell vorbereiteten Versuchsraum in der Kindergarteneinrichtung der Kinder deren Reaktionsverhalten auf das Zeigen von Kummer und Schmerz während zwei standardisierten Interaktionsabläufen erfasst. Dabei empfand eine, von einer geschulten erwachsenen Person gespielte Puppe, entweder Traurigkeit oder Schmerzen (Huber, 2006). Anschließend wurde in Form eines semistrukturierten Interviews die, dem Kind entgegengebrachte elterliche Wertschätzung und Wärme als Reaktion auf den Umgang des Kindes mit den oben genannten Situationen, sowie der induktive Erziehungsstil der Eltern (Bewusstmachen von Gefühlen und Gedanken des Gegenübers) gemessen. Mehrere eigens für die Studie konzipierte Fragebögen (30 bzw. 34 Items) mit geschlossenem Antwortmuster erhoben das Erziehungsverhalten (von „empathischer Anteilnahme“ bis „unempathisch“), die Erziehungsziele und die Häufigkeit und Art der Eltern mit ihren Kindern über Gefühle zu sprechen („feeling-talk“). Das Forscherteam konnte empirisch belegen, dass Kinder, deren Väter über ihre Art zu erziehen bei ihnen prosoziales Verhalten förderten, mehr Mitgefühl und weniger betroffen-gehemmtes und vermeidendes Verhalten in der Experimentalsituation, verglichen mit der Kontrollgruppe, zeigten (Huber, 2006). Das Priorisieren von Leistung durch den Vater in der Erziehung korrelierte wiederum negativ mit dem empathischen Verhalten der Kinder (Huber, 2006). Der Vater als empathischer Vermittler von, aus sozial- und entwicklungspsychologischer Sicht, so wichtigen prosozialen Verhaltensweisen, spielt also durchaus eine entscheidende Rolle während der emotionalen Entwicklung seiner Kinder (Huber, 2006).

Die wenigen Studie, die sich speziell mit der Bedeutung väterlicher Involviertheit für die psychische Entwicklung von Schulkindern befassten, fanden heraus, dass die empfundene Nähe der Kinder zu ihrem Vater und seine Erreichbarkeit ein wichtiger Faktor beim Entstehen und Festigen von Selbstvertrauen, Selbstkompetenz (kognitive und physische Kompetenz) und sozialer Akzeptanz war (Culp, Schadle, Robinson, Culp, 2000).

Culp et al. (2000) untersuchten bei 25 erstgeborenen Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter und deren Eltern den Zusammenhang von väterlichem Engagement in der Kindererziehung, erhoben mit dem PICCI (s. Tabelle 1) und den, von den Eltern wahrgenommenen internalisierenden und externalisierenden Verhaltensproblemen (gemessen mit der CBCL) ihrer Kinder. Mütter und Väter berichteten von weniger delinquentem und aggressivem Verhalten der Kinder, je stärker die Beteiligung des Vaters an der Erziehung eingeschätzt wurde (Culp et al., 2000). Dafür nahmen Väter internalisierende Probleme, ausgedrückt durch ängstliche und depressive Verhaltensweisen seiner Kinder, deutlich häufiger war, je stärker und damit zeitlich intensiver er sich in die Erziehung einband (Culp et al., 2000). Diese Ergebnisse zeigen, dass der Vater durch seine, in der Beziehungswahrnehmung des Kindes repräsentierte Erreichbarkeit und Nähe, zu einem wichtigen regulierenden Element in der Entwicklung und im Umgang mit internalisierenden und externalisierenden Verhaltensauffälligkeiten werden kann. Jedoch korrelierte weder die kognitive und physische Kompetenz, noch die soziale Akzeptanz bei Gleichaltrigen statistisch mit der wahrgenommenen Involviertheit des Vaters (Culp et al., 2000).

Die Ergebnisse der Forschergruppe Pougnet, Serbin, Stack und Schwartzmann (2011) vom „Centre for research in human development“ der Concordia University of Montreal an 138 kanadischen Kindern und ihren Familien aus der Region Québec (s. Tabelle 1), lassen ebenfalls darauf schließen, dass die Präsenz des Vaters im Schulkindalter seiner Kinder, sowie das Ausüben positiver väterlicher Kontrolle, vor allem bei Töchtern zu geringeren internalisierenden Verhaltensproblemen in der Präadoleszenz führt (Pougnet et al., 2011). Ergänzend zu den Ergebnisse von Culp et al. (2000) haben Pougnet et al. hier einen Geschlechtereffekt statistisch nachweisen können. Außerdem konnte eine statistisch signifikante Verbesserung des nonverbalen, kognitiven Funktionsniveaus und höhere IQ-Werte bei Kindern präsenter Väter aufgezeigt werden. Die Präsenz des Vaters blieb über einen Zeitraum von 6-10 Jahren ein stabiler Prädiktor für verbesserte kognitive Werte der Kinder (Pougnet et al., 2011). Es ist anzunehmen, dass Väter, die in der frühen Kindheit und im Schulkindalter präsent sind, ihren Kindern eine sprachlich und materiell stimulierende Umwelt bieten, die sie dabei unterstützen, ihre kognitiven Fähigkeiten auszubauen (Cabrera et al., 2007).

4.2.2. “Intensive fatherhood”

Welche Auswirkungen eine egalitäre Aufteilung der Erziehungsaufgaben zwischen den zusammenlebenden Elternteilen auf das Selbstbewusstsein der Kinder als einen wichtigen Aspekt der kindlichen emotionalen Entwicklung hat, untersuchten Deutsch, Servis & Payne in ihrer Studie von 2001. Hierzu interviewten sie einmalig 40 Kinder im Alter von 10 und 11 Jahren und ihre Eltern. Das Selbstbewusstsein und die wahrgenommene Nähe zum Vater wurden mit Hilfe zweier unterschiedlicher Fragebogenverfahren (s. Tabelle 1) aus Sicht der Kinder erfasst. Es wurde deutlich, dass das Sich-kümmern, das Eingehen auf das kindliche Aufmerksamkeitsbedürfnis, aber auch das angemessene Disziplinieren in bestimmten Situationen, das Selbstbewusstsein der Kinder steigerte (Deutsch et al., 2001). Auch die Hirnforschung hat mittlerweile mit Hilfe bildgebender Verfahren beobachten können, dass vor allem die emotionale Zugewandtheit des Vaters bei seinen Kindern u.a. über die Aktivierung der Spiegelneuronensysteme im Gehirn zur begeisterten Imitation körperlicher Bewegungsmuster und Ausdrucksformen führt und Einstellungen, Interessen und Überzeugungen des Vaters mit großer Freude von ihnen übernommen werden (Hüther, 2009).

Kinder, die auf Grund einer egalitären Rollenaufteilung mehr Zeit mit ihren Vätern verbrachten und die von ihnen beim Meistern von Problemen und Herausforderungen ermutigt wurden, zeigten zudem ein gesteigertes Interesse an weiblichen Aktivitäten und weniger negativ besetzte Geschlechtsrollenstereotype (Deutsch et al., 2001). Speziell bei Jungen führt die egalitäre Involviertheit des Vaters zum Aufheben der ablehnenden Stigmatisierung von Verhalten als typisch „weiblich“ (Deutsch et al., 2001). Interessant ist hier, dass die Kinder von sich aus über die Reflexion ihres eigenen Verhaltens und das Wahrnehmen ihrer eigenen toleranteren Einstellungen bestimmten Verhaltensweisen gegenüber auf den positiven Einfluss und die wichtige vermittelnde Funktion des Vaters schlossen.

Das Forscherteam vertritt die Ansicht, dass bei Kindern in Haushalten mit einer egalitärer Rollen- und Erziehungsaufteilung die Überzeugung entsteht, zwei Personen zu haben, denen sie wichtig sind und die sich um sie kümmern, was wiederum zu einem Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit sowie zu einem positiven Anstieg des Selbstbewusstseins dieser Kinder führt (Deutsch et al., 2001). Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass ein intensives Engagement des Vaters („intensive fatherhood“) einen ebenso bedeutsamen, aber differentiellen Beitrag zur affektiven Entwicklung des Kindes liefert, wie die enge Beziehung des Kindes zur Mutter (Deutsch et al., 2001).

4.3. Väter und Jugendliche/Junge Erwachsene – Ratgeber und Rollenmodell für Autonomie und Abgrenzung

Im Jugendalter und während dem pubertären Reifungsprozess des Kindes wird deutlich, dass die Interaktionen mit dem Vater im Vergleich zur Mutter weniger Zeit in Anspruch nehmen und der Jugendliche mehr Zeit alleine oder außerhalb von zu Hause verbringt (Shulman, 1997). Während der Adoleszenz ist der Jugendliche vermehrt mit der Verarbeitung von tiefgreifenden, innerhalb kürzester Zeit auftretenden, affektiven und körperlichen Veränderungen, beschäftigt (Grieser, 2008, Bohleber, 2004). Körperliche, seelische und soziale Entwicklungsanforderungen prallen gleichzeitig aufeinander (Petri, 1999). Mit dem Einsetzen der körperlichen Reife und der Identitätsfindung des Jugendlichen verändert sich auch die Vater-Kind-Beziehung noch einmal (Shulman, 1997). Weniger gezeigte Intimität und eine geringere Anzahl an Konflikten im Vergleich zur Mutter kennzeichnen den Kontakt des Jugendlichen zu seinem Vater. Dieser wird von seinen Kindern zunehmend entidealisiert (Shulman, 1997, Grieser, 2008, Seiffge-Krenke, 2009a). Dazu gehört auch, dass das Leitbild Vater durch gezielt ausgesuchte „Gegenbilder“, die symbolisch für eine Reduktion des Gemeinsamen und für ein Hervorheben des Trennenden, Individuellen stehen, teilweise ersetzt wird (Schon, 2010). Der Vater bleibt dennoch erster Ansprechpartner für schulische, berufliche und politische Fragen (Seiffge-Krenke, 2009a). Trotz diesen Autonomie- und Eigenständigkeitsbestrebungen der Jugendlichen ist zu beobachten, dass die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen in Form von Wirtschaftskrisen, mangelnder Berufsperspektiven und dem Verschwinden von traditionellen Normen und Werten eher regressiv und blockierend auf die Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Hinblick auf die Übernahme von Verantwortung für das eigene Leben wirken (Petri, 1999). Gerade in dieser schwierigen Phase des ängstlichen sich Nicht-Trennen-Wollens vom Elternhaus wird der Vater als Modell für die Balance zwischen Verbundenheit und Distanz wichtig (Seiffge-Krenke, 2009a).

4.3.1. Autonomieüberzeugung

Shulman und Klein (1993) interviewten in ihrer Studie 78 israelische Schüler, 28 Siebtklässler, 29 Neuntklässer und 21 Elftklässler. Das Forscherteam interessierte, inwieweit sich aus Sicht der Kinder die Funktion und Bedeutung von Müttern und Vätern bei Entwicklungsaufgaben der Adoleszenz unterscheiden. Väter wurden distanzierter von ihren Kindern wahrgenommen, was von diesen statt als signalisiertes Desinteresse eher als Anreiz zur Loslösung verstanden wurde (Shulman, 1997). Die Jugendlichen nahmen den Abstand in der Beziehung zu ihren Vätern überwiegend als Modell für das Recht auf persönlichen Freiraum in engen Beziehungen und für das Funktionieren dieser trotz zeitweisen Getrenntseins wahr (Shulman, 1997). Die Jugendlichen attestierten dem Vater eine größere Sensibilität für die kognitiven, körperlichen und sozialen Veränderungen, sowie die Autonomie- und Eigenständigkeitsbestrebungen während der Adoleszenz (Shulman, 1997). Der Grad der vom Vater wahrgenommenen Unabhängigkeit der Kinder stieg mit deren Alter. Durchschnittlich trauten Väter ihren Kindern Selbstständigkeit und Unabhängigkeit vier Jahre vor den Müttern zu (Seiffge-Krenke, 2001) (s. Abb. 2).

Abb. 2. Erlebte Autonomiegewährung der Jugendlichen im Alter von 12, 14 und 16 Jahren durch die Mutter und den Vater (Quellenverzeichnis: s. Anhang 7.3).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Im Hinblick auf moralische Werte wird vor allem Verlässlichkeit von deutschen und israelischen Jugendlichen als ein Wert angesehen, der ihnen vor allem vom Vater vermittelt wurde (Shulman & Seiffge-Krenke, 1997).

Tami Videon (2005) fand in einer Neuauswertung eines 6512 Jugendliche umfassenden Datensatzes der National Longitudinal Study of Adolescent Health (s. Tabelle 1), dass Veränderungen in der Vater-Jugendlichen-Beziehung sowohl einen signifikanten Einfluss auf das psychische Wohlbefinden von Söhnen als auch von Töchtern haben (Videon, 2005). Eine höhere Zufriedenheit mit der Beziehung zum Vater führte zu einer Abnahme der selbstberichteten depressiven Symptome der Jugendlichen, was ihr subjektives Wohlbefinden steigerte (Videon, 2005). Der vermutete größere Zusammenhang zwischen der Vater-Sohn-Beziehung im Vergleich zur Vater-Tochter-Beziehung konnte nicht nachgewiesen werden (Videon, 2005).

Hakoama und Ready (2011) wiesen ebenfalls in ihrer Studie zur Vater-Kind-Beziehung mit 192 College-Studenten nach, dass auch im jungen Erwachsenenalter die Erreichbarkeit des Vaters und eine belastbare, stabile Beziehung zwischen Vater und Kind die Beurteilung des eigenen Selbstbewusstseins der College Studenten signifikant beeinflusst (Hakoama et al., 2011).

Horst Petri schreibt treffend zu der, den Mut und das Selbstvertrauen der Kinder fördernden Bedeutung des Vaters: „Nur wenn er selbst ein Träger der Hoffnung ist, der trotz aller Widrigkeiten Mut, Kraft und Hoffnung ausstrahlt, wird er den Kindern die nötige Zuversicht geben, ihr Leben in eine offene Zukunft hinein zu entwerfen“ (Petri, 1999, S.43).

4.3.2. Bewährter Rat

Susanne Pfaff ging in ihrer Diplomarbeit von 2007 der Frage nach, ob und in welcher Form der Vater auch im jungen Erwachsenenalter seiner Kinder noch einzigartige, distinktive Funktionen ausübt und erfüllt. Insgesamt befragte Pfaff mit Hilfe eines eigens für diese Untersuchung konstruierten 103 Items umfassenden Vater-Kind-Beziehungs­fragebogen und dem „Inventory of the dimensions of emerging adulthood“ (IDEA) (s. Tabelle 1) 78 Väter (Altersmittelwert: 57.7 Jahre) und 108 Kinder (67 Töchter) im jungen Erwachsenenalter (Altersmittelwert: 26.6 Jahre). 58 von 79 Vätern lebten mit der Mutter des Kindes in einem Haushalt. Im Durchschnitt zogen die Kinder im Alter von 20.3 Jahren aus dem Elternhaus aus. Pfaff untersuchte, ob die erwachsenen Kinder oder deren Väter stärker auf die Beziehung angewiesen sind und in deren Erhalt investieren (Pfaff, 2007). Die statistische Auswertung der Daten ergab, dass ein gleichgroßes, beidseitiges Interesse am Erhalt der Beziehung besteht. Allerdings schätzen Väter die Beziehung signifikant positiver ein (r = .24, p = .035) (Pfaff, 2007). Es ergab sich zusätzlich eine Tendenz dahingehend, dass die erwachsenen Kinder glaubten, ihre Väter seien stärker als sie selbst auf die Beziehung angewiesen (Pfaff, 2007). Als weiteres zentrales Ergebnis hat diese Studie gezeigt, dass Väter auch in diesem Lebensabschnitt weiterhin als Ratgeber bei beruflichen Fragen von den Kindern gesehen werden und eine wichtige Rolle bei der Förderung und Stärkung deren Autonomie spielen. Die erwachsenen Kinder bewerteten den engen Kontakt zum Vater positiv und sahen sich dadurch vom Vater hilfreich emotional unterstützt (Pfaff, 2007).

4.4 Vatertypologie

Die jüngeren Ergebnisse der Vaterforschung haben zu einem fundierten Wissen über die Bedeutung und Rolle des Vaters für die psychische und physische Entwicklung seines Kindes geführt und das gesellschaftspolitische und entwicklungspsychologische Verständnis sowie die Auslegungen von bisher bestehenden Vater-Theorien verändert (Schon, 2010, Dammasch, 2008). Parallel dazu entwickelte sich, vor allem verbreitet über die Medien, eine „neue“ Rollenerwartung an den Vater (Seiffge-Krenke, 2009b). „Wo steckt der neue Vater?“, ist eine Frage mit der Seiffge-Krenke und Schneider in ihrem Buch Familie – nein danke?! ein Kapitelabschnitt einleiten und mit der eine, derzeit in der Gesellschaft vorherrschende Such-und Veränderungserwartung den Vätern gegenüber, beschrieben werden kann (Seiffge-Krenke & Schneider, 2012, S.124). Die traditionelle Vaterrolle verliert an Interesse und Wichtigkeit und soll, wenn es nach den Medien geht, durch partnerschaftliche, egalitäre, die traditionelle Rollenaufteilung ablehnende, „neue“ Vater-Dimensionen ersetzt werden (Bambey & Gumbinger, 2012). Die Soziologen Bambey und Gumbinger (2006) befragten 1524 Väter von Grundschulkindern, die in Frankfurt am Main und Umgebung lebten, mittels Fragebogen und Interviews, zu ihren Überzeugungen und Einstellungen bezüglich der eigenen Vaterschaft, der veränderten Erwartungshaltung an den Vater und der tatsächlichen Umsetzung der elterlichen Praxis. Mit Hilfe einer Clusteranalyse ließen sich insgesamt sechs Vatertypen voneinander unterscheiden (s. Abb. 2.) (Bambey et al., 2006).

Abb. 3. Graphische Darstellung von 6 Vatertypen nach einer Clusteranalyse von 1524 Vätern (Quellenverzeichnis: s. Anhang 7.3).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Überraschenderweise lassen sich nach der Auswertung der Daten 28,5 % der Stichprobe zur Gruppe der egalitären („idealen“) Väter zählen, womit sie gleichzeitig das größte Cluster bilden. Egalitär meint hier eine partnerschaftliche Aufteilung der Familienaufgaben und Erziehungspflichten sowie das Nachgehen einer zeitlich annähernd gleichverteilten Teilzeiterwerbstätigkeit (Bürgisser, 2008). Väter dieses Clusters beschreiben sich als zugewandt und geduldig im Umgang mit ihren Kindern, emotional kompetent und von der Partnerin akzeptiert und respektiert. Sie bemühen sich um eine reflektierende Betrachtung und Ausübung ihrer Rolle (Bambey et al., 2006). Dieses Cluster wies während des gesamten Verfahrens eine hohe statistische Stabilität auf und ist damit eindeutig von den anderen Gruppen zu unterscheiden. Betrachtet man die Graphik und vor allem die inhaltliche Definition der einzelnen Cluster genauer, zeigt sich jedoch, dass sich knapp die Hälfte der Väter weiterhin an einem traditionellen Rollenmodell orientieren. Bezieht man den “Fassadenhaften Vatertypus“, der zwar vorgibt sich von einer traditionellen Rollenaufteilung zu distanzieren, in der Umsetzung dann aber hauptsächlich der Mutter die Erziehungsaufgaben der Kinder überlässt, mit ein, so praktizieren 71.5 % (fassadehafter, partnerschaftlich-traditioneller, randständiger, distanzierter und gereizter Typ) der Väter eine traditionell ausgerichtete Kindererziehung (Bambey et al., 2006).

Dieses Ergebnis zeigt, dass der vermeintlich wahrgenommene Trend hin zu einer „neuen“ Vaterschaft nur auf eine verhältnismäßig kleine Anzahl von Vätern zutrifft. Vor allem die, durch den Erwerbsalltag häufig stark eingeschränkte Flexibilität vieler Väter sowie fehlende egalitäre Rollenvorbilder und eine damit einhergehende Verunsicherung können als Gründe für die weiterhin überwiegend traditionelle Ausrichtung ausgemacht werden (Seiffge-Krenke et al., 2012b). Wöckel, Abou-Dakn, Kentenich & David (2008) zeigten in ihrer Metaanalyse von 624 Publikationen, dass bis zu 88 % der werdenden Väter ihre gebärende Partnerin in den Kreissaal begleiten. Trotz der auf Basis dieses Verhaltens gerechtfertigten Schlussfolgerung, dass ein Großteil der Väter durchaus Interesse am eigenen Nachwuchs hat, ist mit dem Eintreffen des Kindes ein Traditionalisierungeffekt in Form eines Anstiegs des Arbeitsumfangs zu beobachten (Seiffge-Krenke, 2009b). Laut statistischem Bundesamt sind in Deutschland derzeit 90 % der Männer Vollzeit beschäftigt (Destatis, 2012b). Aus ökonomischen Gründen, vor allem im Hinblick auf die Sicherung des Wohls der Familie, wäre es unklug, auf das durchschnittlich höhere Einkommen des Vaters im Vergleich zur Mutter zu verzichten (Dornes, 2006). Trotzdem geben 56 % der Väter an, ihre Karriere zumindest zeitweise für das Kind zurückstellen zu wollen. 51 % sind überzeugt, dass es sich lohnt, für eine Teilhabe an der Erziehung finanzielle Einbußen in Kauf zu nehmen (Väter gGmbh, 2012).

Weitere Vorschläge für eine Typisierung des Vaters stammen von Le Camus, der fürsorgliche, strenge, alternative, präsente und lehrende Väter unterscheidet (Le Camus, 2003, 2006). Seiffge-Krenke (2009a) mit ihrer Darstellung von Disneyland-Daddys und Sag-du-doch-mal-was!-Vätern in Scheidungsfamilien und der „hinreichend gute“ Vater, der von Walter (2008) beschrieben wird, machen deutlich, wie facettenreich und verschieden der Vater wahrgenommen wird und wie unterschiedlich stark seine einzigartigen Persönlichkeitsanteile in den jeweiligen Situationen gewichtet werden (s. auch geschichtlicher Wandel des Vaterbildes in Kapt.2).

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Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2013
ISBN (PDF)
9783956845161
ISBN (Paperback)
9783956840166
Dateigröße
965 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,3
Schlagworte
Frühe Triangulierung Triangulierung Vaterwärme Intensive fatherhood Rollenmodell
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Titel: Der Vater-Vorteil: Die exklusive Bedeutung des Vaters für die psychische Entwicklung des Kindes im Kleinkind-, Schulkind- und Jugendalter
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