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Eine Analyse der neuesten Diem-Debatte: Über den Streit um einen der bedeutendsten deutschen Sportfunktionäre und die aus diesem resultierenden politischen Konsequenzen

©2013 Bachelorarbeit 43 Seiten

Zusammenfassung

Die vorliegende Studie Arbeit beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der neuesten Debatte um die wohl meist diskutierte Person der deutschen Sportgeschichte: Carl Diem. Zunächst wird ein Blick auf die Wellen der Auseinandersetzung mit der Person Carl Diems im 20. Jahrhunderts geworfen. In einem weiteren Schritt wird die neueste Diem-Debatte im 21. Jahrhunderts analysiert, wobei Position, Gegenstände und Hintergründe beleuchtet werden. Schließlich erhalten die daraus resultierenden politischen Konsequenzen ihre Bedeutung. Diese Arbeit liefert eine Analyse des Streits um die Deutung und die daraus entstehenden Entscheidungen zum Umgang mit Namen und Werk Carl Diems – ein Streit der nicht nur auf die Benennungen von Straßen Auswirkungen hat, sondern auch repräsentativ für eine inhaltliche Spaltung der Deutungen von Sportgeschichte unter den deutschen Sporthistorikern gesehen werden kann.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


4
phie zu erarbeiten, die möglicherweise zu einer Konsensbildung führen konnte. Dass dieser
Konsens allerdings nicht erreicht wurde, konnte der Presse entnommen werden.
2
In dieser Arbeit soll die neueste Diem-Debatte, die von circa 2009 im Grunde bis heu-
te anhält, analysiert werden. Dabei soll die Debatte innerhalb der deutschen Fachöffentlich-
keit in den Blick genommen werden und sich folgenden Fragen unterziehen: Welche Ent-
wicklungen führten zur neuesten Diem-Debatte beziehungsweise wodurch wurde diese
ausgelöst? Welche Gegenstände wurden diskutiert und wie wurde von wem argumentiert? Im
nächsten Schritt soll dann gefragt werden, welche politischen Konsequenzen die neueste
Diem-Debatte nach sich zog und welchen Einfluss dabei die wissenschaftlichen Untersuchun-
gen leisteten.
Im Kapitel II. wird zunächst ein kurzer Einblick in die vier Diem-Debatten des zurück-
liegenden Jahrhunderts gegeben, um mit diesem Vorwissen die neueste und deren Entstehen
begreifen zu können. Diese wird im darauffolgenden Kapitel III. genauer untersucht und
Auslöser, Diskussionsgegenstände sowie Positionen und Deutungen der Debattierenden
aufgezeigt. Im Anschluss wird im Kapitel IV. dargestellt, welche politischen Konsequenzen
der neuesten Diem-Debatte folgten. Gleichfalls wird danach gefragt, welchen Einfluss bezie-
hungsweise welche Hilfe die neueste Diem-Debatte und aus ihr gewonnene Erkenntnisse der
Sport- und (Sport-)Geschichtswissenschaft für die Politik hatte.
Eine umfassende Darstellung der Diem-Debatte mit einem parteilosen Blick auf diese
liegt bisher nicht vor. Somit wurde für diese Arbeit eigentliche Sekundärliteratur, nämlich die
sportwissenschaftlichen und geschichtswissenschaftlichen Darstellungen und Deutungen von
Diems Denken und Handeln, für meine Fragestellungen zur Primärliteratur. Ich verfolge nicht
das Ziel, Carl Diem zu bewerten und zu beurteilen. Vielmehr ist es die Aufgabe dieser Arbeit,
von einem (möglichst) unabhängigen Blickwinkel die neueste Diem-Debatte zu durchleuch-
ten und dementsprechend keine Geschichte von Carl Diem zu schreiben, sondern eher eine
Geschichte der Carl-Diem-Geschichtsschreibung. Quellen, auf die ich mich beziehe, sind
hierbei Fachzeitschriftenartikel, da diese Medium der Auseinandersetzungen zwischen den
Sport- und (Sport-)Geschichtswissenschaftlern waren. Für das Kapitel II. werden somit die
sportwissenschaftlichen Zeitschriften Leibeserziehung und die später gegründete Sozial- und
Zeitgeschichte des Sports sowie die Darstellungen eines Aufsatzes von Hans Joachim Teich-
2
Vgl. Leffers, J.:
Denkmalsturz: Sporthochschule verliert im Namensstreit um Carl Diem, veröffentlicht am
22.08.07 unter :http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/denkmalsturz-sporthochschule-verliert-im-
namensstreit-um-carl-diem-a-501387.html, letzter Zugriff: 31.05.13; 14:22 Uhr oder Billig, M.: Streit um Carl
Diem. Vater des deutschen Sports als Vorbild ungeeignet, veröffentlicht am 27.12.2011 unter:
http://www.zeit.de/sport/2011-12/interview-becker-diem-nazi, letzter Zugriff: 31.05.13; 12:32 Uhr und noch
einige mehr.

5
ler im von Michael Krüger herausgegebenem Sammelband Erinnerungskultur im deutschen
Sport zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen dienen. Im zweiten Kapitel wird dann im
Speziellen eine Ausgabe der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft von Bedeutung sein, da
diese im Mittelpunkt meiner Betrachtung steht. Ebenso wird für dieses Kapitel ein Aufsatz
Krügers aus dessen bereits erwähntem Sammelband von 2012 berücksichtigt. Wichtig ist
hierbei, eine kritische Distanz gegenüber den Argumentationen der einzelnen Protagonisten
wahren, um sich nicht in die eine oder andere Richtung der Deutung Diems drängen zu las-
sen. Abschließend werden im Kapitel IV. die politischen Entscheidungen untersucht, die
möglicherweise durch die neueste Diem-Debatte beeinflusst wurden. Dabei werden als
Grundlage journalistische Darstellungen verwendet, um den Verlauf und die Umstände dieser
politischen Konsequenzen zu schildern. Einzelne quellenkritische Überlegungen wurden stets
in den Fließtext eingearbeitet, um die nötige Distanz einnehmen zu können.

6
II.
Diem-Debatten im 20. Jahrhundert
Ob zu seinen Lebzeiten oder über diese hinaus - wohl keine andere Persönlichkeit der deut-
schen Sportgeschichte wurde so kontrovers diskutiert wie Carl Diem. Im Laufe der zweiten
Hälfte des 20. Jahrhunderts kam es immer wieder zu Diem-Debatten. Hans Joachim Teichler,
der später noch einige Male zu Wort kommen wird, spricht davon, dass diese auf und ab in
Wellen verliefen.
3
Doch abschließend konnte keine Bewertung der Person Carl Diems gege-
ben werden, welche sich nachhaltig unumstritten etablierte. Im folgenden Kapitel soll aufge-
zeigt werden, welche Diskussionsgegenstände diese Wellen kennzeichneten, wer bezie-
hungsweise welche Gegebenheiten die ,,Anti-Diem-Wellen"
4
auslösten und welche neuen
Erkenntnisse aus den jeweiligen Debatten resultierten. Dies kann natürlich nicht in gänzlicher
Ausführlichkeit vorgenommen werden, da sich diese Arbeit auf die neueste Diem-Debatte des
21. Jahrhunderts fokussiert. Dennoch kommt eine solche nicht daran vorbei, die vorherigen
Debatten zu besprechen, da sie schließlich zur neuesten Debatte führten und deren Diskussi-
onsgegenstände schon damals in die Wege leiteten.
1.
Die erste Diem-Debatte um die Bundestagssitzung vom 23. März 1950
Bereits knapp zwei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Deutsche Sport-
hochschule (DSHS) Köln als Nachfolgeeinrichtung der Deutschen Hochschule für Leibes-
übungen (DfHL), die in Berlin ansässig war, gegründet. Deren Gründungsrektor war Carl
Diem, welcher bereits Leiter der DfHL und von 1936 bis 1945 Leiter des Internationalen
Olympischen Instituts war. Dieser veröffentlichte während der NS-Zeit zahlreiche Schriften,
darunter auch einige in nationalsozialistischen Zeitschriften. Als Carl Diem versuchte, sich in
der Nachkriegszeit in den deutschen Sport zu reintegrieren, stieß er ob seines Schaffens im
nationalsozialistischen Deutschland auf Widerstand. Dieser wurde ihm vornehmlich von
ehemaligen Arbeitersportfunktionären entgegengebracht und hielt einige Jahre an.
5
3
Vgl. Teichler, H. J.: Erinnerungskultur im deutschen Sport und die Diem-Debatte, in: Krüger, H. (Hrsg.):
Erinnerungskultur im Sport. Vom kritischen Umgang mit Carl Diem, Sepp Herberger und anderen Größen des
deutschen Sports, Berlin 2012, S. 129-131.
4
Teichler 2012, S. 129. Teichler spricht hier von einer Debatte in verschiedenen ,,Anti-Diem-Wellen". Mir
erscheint es jedoch sinnvoll, für ein besseres Verständnis, um die zeitlichen Differenzen zwischen den Ausei-
nandersetzungen mit Diem zu beschreiben, von mehreren Debatten zu reden, auch wenn es sich bei den ver-
schiedenen Debatten um die selbe diskutierte Person handelte. Dabei wird das Bild des wellenförmigen Verlaufs
nicht verfälscht.
5
Vgl. Bernett, H.: Carl Diem und sein Werk als Gegenstand der sportgeschichtlichen Forschung, in: Sozial- und
Zeitgeschichte des Sports, 1. Jahrgang, Heft 1, Köln 1987, S. 12.

7
Bei der Frankfurter Sportkonferenz am 7. Juni 1947 forderte Heinrich Sorg, der aus
dem Lager des Arbeitersports stammte und zu jener Zeit Sportreferent der SPD war, von
Diem, auf die Wahl ins Nationale Olympische Komitee (NOK) zu verzichten. Veranlasst zu
dieser Handlung sah sich Sorg vor allem durch Diems 1942 veröffentlichtes, insgesamt 1637
Seiten starkes und drei Bände umfassendes Werk Olympische Flamme. Im SPIEGEL vom 16.
August 1947 wurde Sorgs Behauptung zitiert, dass Diem ,,während der Zeit der militärischen
Erfolge dieses Krieges (des Zweiten Weltkrieges; Anm. des Autors) (...) ganz den Verstand
(verlor) und den Krieg in einer Art und Weise (verherrlichte), die an Verbrechen grenzt"
6
. Mit
diesen Worten bezog er sich auf Diems Olympische Flamme, die seine ,,eigene Anklage-
schrift"
7
darstelle und von militaristischen Bemerkungen durchzogen zu sein schien. Diese
Aufforderung blieb zwar wirkungslos, da Diem schließlich ins NOK gewählt wurde, kann
jedoch als erste öffentlichkeitswirksame Diem-Kritik gesehen werden, die nie völlig ermatte-
te.
Einen Höhepunkt dieser Zeit sieht Hans Joachim Teichler, der unter anderem im Jahre
1996 ein Gutachten für die mögliche Umbenennung des Carl-Diem-Weges in Köln veröffent-
lichte, in der 50. Bundestagssitzung am 23. März 1950. Auch hier wurde Diem erneut für den
Inhalt seines Buches Olympische Flamme kritisiert und grundlegend darauf als Militarist
betitelt. Aus den selben Gründen erhielt er über diesen Zeitpunkt hinaus Kritik aus der DDR,
doch diese schadete ihm nicht, da jegliche Kommentare aus östlicher Richtung aufgrund der
Spannungen des Kalten Krieges nicht als relevant gewertet und stets abgewehrt wurden.
8
2.
Die zweite Diem-Debatte im Vorfeld der Olympischen Spiele 1972
Die zweite Diem-Debatte ließ knapp zwanzig Jahre auf sich warten. Im zeitlichen Vorfeld der
XX. Olympischen Sommerspiele in München 1972 wurde im September 1971 im Münchener
Stadtrat darüber entschieden, welche Namensträger für Straßen, Plätze und Brücken im
Olympischen Dorf aufzunehmen seien. Im Laufe der Entscheidungsfindung wurde beschlos-
sen, den Namen Carl Diem nicht zu berücksichtigen, um ,,politischen Komplikationen aus
dem Wege zu gehen"
9
. Auf diesen Beschluss folgte am 4. Oktober des gleichen Jahres ein
SPIEGEL-Artikel von Walter Goelde. Dieser befasste sich auf kritische Weise mit der Ausei-
6
Ohne Autor: Sorg-Sorgen. Unser Embryo lebt, in: DER SPIEGEL: Nr. 33, 1947, S. 12.
7
Ebenda.
8
Vgl. Teichler 2012, S. 129.
9
Hinrichsen, J. & Obieray, U. & Sonnenschein, W.: ,,Der Krieg ist der vornehmsten Sport...". Geschichte und
Manipulation eines Zitats von Carl Diem (2. Teil), in: Leibeserziehung: Monatsschrift für Wissenschaft und
Unterricht, 21. Jahrgang, Heft 4, Schorndorf 1972, S. 127.

8
nandersetzung um die Sportvergangenheit der NS-Zeit und deren Funktionären. Einige dieser
Funktionäre füllten über diese Zeit hinaus verantwortliche Positionen in der deutschen Sport-
organisation aus ­ so auch Carl Diem. Im Artikel wurden die Diem-Zitate: ,,Die sportlichen
Erfolge in Friedenszeiten haben sich in militärische Siege verwandelt" sowie ,,Der Krieg ist
der vornehmste, ursprünglichste Sport" verwendet, wobei vor allem letzteres zu heftigem
Streit führte.
10
Die Witwe Carl Diems, Liselott Diem, reagierte mit einem Leserbrief an den SPIE-
GEL auf Goeldes Artikel und bezeichnete diesen als ,,systematischen Rufmord"
11
. Etwas
später veröffentlichte der Mitarbeiter des Carl-Diem-Instituts der DSHS und Bearbeiter der
1974 herausgegebenen Autobiographie Carl Diems, Bernd Wirkus, einen Artikel in der
sportwissenschaftlichen Zeitschrift Leibeserziehung, der gewissermaßen eine Richtigstellung
des Diem-Zitats darzustellen versuchte
12
. Demnach zitiere Diem selbst nur den belgischen
Schriftsteller und Dramatiker Maurice Maeterlinck aus dessen Buch Gedanken über Sport
und Krieg. Somit ist Diem, der den Satz ,,Der Krieg ist der vornehmste, ursprünglichste
Sport" bei einem Vortrag vor der Heeresschule für Leibesübungen in Wünsdorf im Jahre
1931 verwendete, nicht der Urheber dieses Zitates, sondern Maeterlinck ­ er habe dieses
allerdings nicht als solches vermerkt. Weiterhin argumentiert Wirkus, dass Diem ebenso wie
Maeterlinck versuche, keine positive Assoziation von Sport und Krieg herzustellen, denn
Diem fuhr im nächsten Satz des Vortrags fort, dass Sport und Krieg Gegensätze seien: ,,Das
eine ist Ernst, blutiger Ernst, das andere ist Spiel, heiteres Spiel." Mit dieser Argumentation
intendierte Wirkus wohl eine Richtigstellung des Diem-Bildes, welches seiner Ansicht nach,
durch Goeldes Artikel verfälscht wurde und unterstellte diesem die ,,Ignoranz der Herkunft
des Diem-Ausspruches"
13
.
Wiederum als Reaktion auf Wirkus´ Artikel folgte ein Aufsatz in der gleichen Zeit-
schrift nur vier Hefte später. Die Bonner Studenten Ulrich Obieray und Werner Sonnenschein
sowie der Kölner Student der DSHS Jens Hinrichsen bezeichneten in ihrem Artikel, der den
gleichen Namen trägt wie der von Wirkus, nur mit der Beifügung (2.Teil) am Ende, Wirkus´
Artikel als ,,offiziösen Teil einer Aktion zur Vergangenheitsbewältigung (..., der) für die
Situation der Zeitgeschichte im bundesdeutschen Sport bezeichnend ist"
14
und holten zum
Rundumschlag aus. Hierbei kritisieren sie nicht allein den Wirkus-Aufsatz. Auch anderen
10
Goelde, W.: Adolfs Rekruten, in: DER SPIEGEL, Nr. 41, 1971, S. 169.
11
Diem, L.: Schreiben an Rudolf Augstein vom 7.10.1971.
12
Vgl. Wirkus, B.: ,,Der Krieg ist der vornehmste Sport...". Geschichte und Manipulation eines Zitats von Carl
Diem, in: Leibeserziehung: Monatsschrift für Wissenschaft und Unterricht, 20. Jahrgang, Heft 12, Schorndorf
1971, S. 409-411.
13
Ebenda, S. 411.
14
Hinrichsen & Obieray & Sonnenschein 1972, S. 127.

9
Autoren, die vornehmlich in ihren angehörigen Sportfachverbandszeitschriften publizierten
und ,,am (Liselott-)Diem-Brief orientierte Schützenhilfe leiste(te)n"
15
, wurde eine fehlende
kritische Haltung gegenüber Diems Arbeit im Dritten Reich vorgehalten. Ansatzpunkte der
Kritik waren Fehlinterpretationen und Auslassungen von Zitaten, historischen Fakten und
deren Zusammenhängen. Sie unterstellten zum Beispiel, dass Diem die von Wirkus ausge-
führte positive Assoziation von Krieg und Sport eben nicht versuchte abzuwehren, da er ,,zeit
seines Lebens die Auffassung (vertrat), daß der Sport zum Krieg gehört oder ihm dient"
16
.
Letztlich sah sich Bernd Wirkus daraufhin erneut veranlasst, eine Reaktion auf den
Aufsatz des Verfasserkollektivs der drei Bonner und Kölner Studenten zu leisten. Diese
wurde direkt im Anschluss an deren Artikel in der Leibeserziehung abgedruckt. Wirkus
antwortete auf die Kritik des Weglassens historischer Zusammenhänge mit dem Verweis auf
den wissenschaftlichen Anspruch des Carl-Diem-Instituts: Ziel sei eine ,,objektive Erfor-
schung" und nicht ,,die Erzeugung einer `Legende` um eine Person"
17
. Hinzu kamen weitere
Erklärungen zu den jeweils gewählten Diem-Zitaten und deren Deutungen.
Was sich aus dieser zweiten Diem-Debatte schlussfolgern lässt, ist einerseits die Schwierig-
keit, mittels Sprache und dem Belegen mit Zitaten, das Denken und Handeln von historischen
Personen postum zu rekonstruieren. Schließlich kann die Person, um die es geht, ebenso
wenig ein Veto einlegen wie Außenstehende ein objektives Urteil abgeben können. Zweitens
ist festzustellen, dass erste Zweifel an der Arbeit des Carl-Diem-Instituts aufkamen ­ gesche-
hen durch Hinrichsen et al. sowie Goelde. Schließlich gab das Carl-Diem-Institut vornehm-
lich Schriften aus Diems Nachlass heraus, welche ein positives Bild zu erzeugen suchten.
18
Diese Zweifel wurden von der damaligen Prorektorin Liselott Diem (zwischen 1969-1971)
und dem Diem-Instituts-Mitarbeiter Bernd Wirkus versucht, als falsch darzustellen. Wissen-
schaftliche Untersuchungen zur Organisation des Sports im Dritten Reich wurden nur margi-
nal durchgeführt, was an der sich erst entwickelnden Sportwissenschaft sowie an der mangel-
haften Quellenlage lag. Lediglich Hajo Bernett unternahm einen ersten Versuch, eine umfas-
sendere Darstellung der Sportpolitik im Dritten Reich
19
durchzuführen, indem er Akten der
Reichskanzlei sezierte. Der Name Carl Diem fand (zunächst) jedoch keine besondere Bedeu-
tung. Dies sollte sich in der Folgezeit ändern.
15
Hinrichsen & Obieray & Sonnenschein 1972, S. 128.
16
Ebenda.
17
Wirkus, B.: In Sachen Carl Diem, In: Leibeserziehung: Monatsschrift für Wissenschaft und Unterricht, 21.
Jahrgang, Heft 4, Schorndorf 1972, S. 131.
18
Vgl. Laude, A. & Bausch, W.: Der Sport-Führer. Die Legende um Carl Diem, Göttingen 2000, S. 204.
Weiterhin: Vgl. Teichler, H. J.: Carl Diem und sein Werk als Gegenstand der sportgeschichtlichen Forschung,
in: Sozial- und Zeitgeschichte des Sports, 1. Jahrgang, Heft 1, Köln 1987, S. 16.
19
Bernett, H.: Sportpolitik im Dritten Reich. Aus den Akten der Reichskanzlei, Schorndorf 1971.

10
3.
Die dritte Diem-Debatte ­ Mythos Carl Diem von 1987
Eine dritte Diem-Debatte wurde durch eine sporthistorische Zeitschrift und zwei in dieser
enthaltene Dokumente eröffnet. Im März 1987 gaben drei deutsche Sportwissenschaftler eine
sporthistorische Zeitschrift namens Sozial- und Zeitgeschichte des Sports heraus. Zu diesen
zählten der Hannoveraner Lorenz Peiffer, welcher sich bereits seit Mitte der 1970er Jahre in
seinen Arbeiten mit Turnen und Sport im Dritten Reich beschäftigte, Giselher Spitzer, zu
jener Zeit wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität
Bonn, sowie dem Bernett-und Ueberhorst-Schüler
20
Hans Joachim Teichler. Ihrer Erstausgabe
gaben sie den Titel Mythos Carl Diem. In jenem Titel steckt eine implizite Hypothese, nach
der Carl Diem eine mythische Figur sei, die bis dato möglicherweise falsch dargestellt und
interpretiert zu sein scheint. Eine Überprüfung und eventuelle Richtigstellung dessen schien
den Herausgebern und Autoren wohl angebracht.
So spricht Lorenz Peiffer in seinem Aufsatz Carl Diem und der Sport in der Zeit des
Nationalsozialismus, welcher in der oben genannten Startausgabe der Zeitschrift Sozial- und
Zeitgeschichte des Sports erschien, davon, dass ,,Darstellungen von Betroffenen über eigene
Erlebnisse und selbst miterlebte (...) Ereignisse und Entwicklungen (...) einer kritischen
Betrachtung und Wertung"
21
bedürfen. Schließlich weisen diese durch eine persönliche
Involvierung einen subjektiven Charakter auf. Jene kritische Betrachtung scheint er in den
drei Quellen, die er zu Rate zieh, welche alle samt aus Diems Feder stammen und nach dem
Zweiten Weltkrieg verfasst wurden, nicht zu erkennen. Deshalb liegt es nun am Historiker,
eine kritische Distanz zu diesen Darstellungen einzunehmen.
Dass nun etwa 15 Jahre nach der letzten Diem-Debatte eine weitere losbrach und eine
kritische (Neu-)Betrachtung und (Neu-)Wertung der Person Carl Diems nötig war, musste
einen Grund haben. Diesen lieferte Reinhard Appel, der zwischen 1963 und 1991 nahezu
ununterbrochen als Moderator im deutschen Fernsehen, vor allem im Zweiten Deutschen
Fernsehen (ZDF), zu sehen war. Appel referierte am 28. April 1984 in der Berliner Führungs-
und Verwaltungsakademie aus einem ,,sehr persönlichen Grund"
22
auf einer Diskussionsver-
anstaltung über die Olympische Idee. Dieser ,,sehr persönliche Grund" war, dass Appel sich
20
Hajo Bernett und Horst Ueberhorst zählen zu den bedeutendsten deutschen Sporthistorikern des 20. Jahrhun-
dert. Bernett gilt gemeinhin als Begründer der Sportgeschichtsschreibung zur Sportpolitik im Dritten Reich. Der
von Horst Ueberhorst herausgegebene Sammelband in sechs Bänden mit dem Titel Geschichte der Leibesübun-
gen gilt als Standardwerk der deutschen Sportgeschichte.
21
Peiffer, L.: Carl Diem und der Sport in der Zeit des Nationalsozialismus ­ Anmerkungen zu den Schriften Carl
Diems über ein von ihm persönlich erlebtes und mitgestaltetes Kapitel der jüngsten deutschen Sportgeschichte,
in: Sozial- und Zeitgeschichte des Sports, 1. Jahrgang, Heft 1, Köln 1987, S. 92.
22
Appel, R.: Aus einem Referat von Reinhard Appel vom 28. April 1984 in der Führungs- und Verwaltungsaka-
demie in Berlin, in: Sozial- und Zeitgeschichte des Sports, 1. Jahrgang, Heft 1, Köln 1987, S. 105.

11
an ein persönliches Erlebnis in seinem Referat erinnerte, in dem Diem (,,ein großer Mann der
Olympischen Idee"
23
) im März 1945 auf dem Berliner Reichssportfeld vor der Hitler-Division
Großdeutschland, der Appel zu jener Zeit angehörte, in einer ,,flammenden Rede, in der viel
von Sparta und Opferbereitschaft vorkam, zum siegreichen Endkampf gegen die deutschen
Feinde aufforderte"
24
. Diese Erinnerung gab neue Hinweise darauf, ob Diems Rolle im Natio-
nalsozialismus die eines, wenn nicht Parteimitglieds, zumindest die eines regimezuarbeiten-
den Mitläufers gewesen sei. Eine solche Deutung widersetzte sich exakt dem bisherigen, von
Diem selbst und durch die Arbeit des Carl-Diem-Instituts erzeugten Diem-Bild eines Gegners
und Verfolgten des Nationalsozialismus.
25
Dass Diems politische Weste im Dritten Reich
nicht blütenweiß sein konnte, erhärtete auch das zweite Dokument der benannten Erstausgabe
der Sozial- und Zeitgeschichte des Sports. Dieses war die Verfügung des Nationalsozialisti-
schen Reichsbundes für Leibesübungen (NSRL) vom 22.9.1939, in der Diem zum kommissa-
rischen Leiter des Gaues Ausland ernannt wurde.
26
Jene Funktion Diems wurde von Liselott
Diem lange Zeit bestritten.
27
Doch mit diesem Dokument verdichtete sich, dass Diem Ver-
antwortlichkeiten im NS-Regime hatte, auch wenn er kein Parteimitglied war.
Es zeigt sich, dass nun mehr Quellen aufgetaucht sind, die nicht nur eine Würdigung
Diems für seine Leistungen für die Organisation und Etablierung des deutschen Sports wäh-
rend der Kaiserzeit, der Weimarer Republik und der Nachkriegszeit zuließen, sondern eine
kritische Betrachtung für sein Wirken in der Zeit des Nationalsozialismus notwendig mach-
ten. Doch noch war der Prozess der nötigen Quellenerschließung für eine ganzheitliche Ein-
ordnung Diems nicht abgeschlossen. So hoffte Bernett 1987, dass nach einer personellen
Neubesetzung im Carl-Diem-Institut eine Forschungsstelle entsteht, die ,,nicht durch be-
stimmte Interessen der Nachlaßverwaltung eingeengt"
28
sei.
23
Ebenda.
24
Ebenda.
25
Vgl. Peiffer 1987, S. 92.
26
Eine ausführliche Darstellung, wie es zu dieser Ernennung kam gibt Teichler, H. J.: Der Weg Carl Diems vom
DRA-Generalsekretär zum kommissarischen Führer des Gaues Ausland im NSRL, in: Sozial- und Zeitgeschichte
des Sports, 1. Jahrgang, Heft 1, Köln 1987a, S. 42-91.
27
Vgl. Teichler 2012, S. 130.
28
Bernett 1987, S. 16.

12
4.
Die vierte Diem-Debatte ­ Das Gutachten von Teichler 1996
Nachdem vor allem durch die Arbeiten von Bernett und Teichler einige neue Erkenntnisse
deutlich geworden waren, nahmen sich auch die Medien wieder vermehrt der Thematik an.
Anlässlich des 75-jährigen Jubiläums der DSHS Ende Oktober 1995 sah sich die Fernsehsen-
dung Monitor veranlasst, die Frage zu stellen, ob sich keine anderen Vorbilder für den zeitge-
nössischen Sport finden lassen als Carl Diem.
29
Darin wird berichtet, dass für Diem ,,Olympia
'36 auch als ideologisches Instrument (galt). Er stellte die Spiele uneingeschränkt in den
Dienst der Nationalsozialisten und ermöglichte ihnen so diese ungeheure Propagandashow"
30
.
Um Diems Zusammenarbeit mit dem NS-Regime zu unterstreichen, gaben die Reporter auch
Reinhard Appel das Wort, um erneut die Durchhalterede Carl Diems auf dem Reichssportfeld
zu schildern. Hier beschuldigte Appel Diem als ,,mitschuldig, daß (...) junge Menschen geop-
fert wurden, in einer Situation, die ja bereits ausweglos war."
31
Diese Kritik, die in der Moni-
tor-Sendung an Diem geäußert wurde, stellt in seiner Schärfe eine neue Dimension dar, da sie
nun auch weitreichendere politische Konsequenzen nach sich zog. Denn Anträge für Umbe-
nennungen von Carl-Diem-Straßen, -Wegen, -Sportplätzen und -Hallen wurden in der Folge
zahlreich gestellt.
32
Als Konsequenz dieses nun öffentlichen Politikums beauftragte der Rektor der DSHS,
Joachim Meister, den Sportwissenschaftler Hans Joachim Teichler, eine Expertise zur Rolle
Carl Diems in der Zeit und im zeitlichen Umfeld des NS-Regimes abzugeben. Diese wurde
dann im dritten Heft des Jahres 1996 der Zeitschrift Sozial- und Zeitgeschichte des Sports
veröffentlicht. Für die Zeit zwischen 1933 und 1945 untersuchte Teichler sowohl Diems
Tätigkeiten in der deutschen Sportverwaltung als auch seine publizierten Schriften. Außerdem
nutzte er Diems Tagebuch als Quelle, mit der er belegen konnte, dass Diem ,,zwar ausgespro-
chen national, aber nicht völkisch dachte und die antisemitische Ausrichtung der NSDAP
ablehnte"
33
.
Mit dieser These versuchte Teichler auch die Rede Diems auf dem Reichssportfeld zu
erklären. Dabei bezieht er sich auch auf verschiedene Publikationen Diems und dessen Tage-
buch, in denen er ,,an einer Grundüberzeugung fest(hielt), die aus seiner politisch-
29
Eine Transkription des Beitrags findet sich unter http://www.aussichten-online.de/diem-monitor.html, letzter
Zugriff: 3.5.2013; 13:24 Uhr. Moderation: Klaus Bednarz, Reporter: Mathias Werth und Bernd Wengen.
30
Ebenda.
31
Ebenda.
32
Vgl. Kluge, V.: Zum aktuellen Stand in der ,,Diem-Debatte", in: Kurier. Informationen der Deutschen Sport-
hochschule Köln, 25. Jahrgang, Heft 2, Köln 2002, S. 2.
33
Teichler, H. J.: Die Rolle Carl Diems in der Zeit und im zeitlichen Umfeld des NS-Regimes, in: Sozial- und
Zeitgeschichte des Sports, 10. Jahrgang., Heft 3, Köln 1996, S. 61.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2013
ISBN (PDF)
9783956845468
ISBN (Paperback)
9783956840463
Dateigröße
750 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1
Schlagworte
Sportgeschichte Carl Diem Antisemitismus Sporthistorikerstreit Rassismus
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