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Kindsein 2.0: Die Konstruktion von Kidults anhand der Phänomene des E-Gaming und Hello-Kitty-Konsums

©2011 Bachelorarbeit 47 Seiten

Zusammenfassung

Bedenkt man, dass das 21. Jahrhundert erst knapp über ein Jahrzehnt alt ist, mag es wohl nach Ansicht Vieler noch in den Kinderschuhen stecken. Dennoch rechtfertigen Errungenschaften wie die Erfindung von Social Networks oder die Etablierung eines weltweiten Internetzugangs bereits jetzt seinen Status als bedeutende Epoche in der Geschichte der Menschheit.
Vor allem in Bezug auf westliche Gesellschaften, in denen diese Entwicklungen wohl am stärksten zu spüren sind, folgt es damit in gewisser Weise auch einem der neuesten Trends des noch jungen Jahrtausends. Nämlich dem vom Kind, „das zu schnell erwachsen wird“.
Als Antithese dazu geben sich immer mehr quasi Erwachsene jugendaffin, zieren sich mit Plüschaccessoires à la Hello Kitty oder verbringen täglich Stunden spielend vor dem Computer. Zeichen der Zeit, wie Viele meinen und obwohl diese konträren Entwicklungen gewissermaßen erneut ein Gleichgewicht zwischen den Generationen zu schaffen scheinen, werden sie doch im Grundton zumeist negativ bewertet.
In dieser Arbeit setzt sich der Anthropologe Pascal Honisch deshalb näher mit dem Auftreten solcher „Kidults“ auseinander und stellt sich dabei typischen Fragen des Älterwerdens.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2. Im Auftrag dieser Arbeit

Den Grundstock für dieses Traktat liefert – wie bereits erwähnt – ein Artikel des Soziologen Frank Furedi sowie eine vorläufige Begriffsbestimmung des Wortes „Kidult“. In diesem ersten Abschnitt der Arbeit soll weiters erklärt werden, warum sich gerade jener Themenkomplex für eine anthropologische Analyse anbietet. Im Kapitel 4. wird der erarbeitete Begriff anschließend anhand ausgewählter sozialwissenschaftlicher Literatur zum Thema Adoleszenz reflektiert und spezifiziert. Zu diesem Zweck wird der Autor unter anderem auf einschlägig anthropologische Literatur zurückgreifen.

In diesem Zusammenhang zu nennen wären „Adolescence and emerging adulthood“ von Jeffrey Jensen Arnett, „Ende der Kindheit: Initiationsriten und ihre subjektiven Deutungen unter dem Einfluss von Senioritätsprinzip und Erwachsenenzentriertheit“ von Bernhard Baudler sowie „Imagined childhoods“ von Marianne Gullestad.

Den Großteil dieser Arbeit wird schließlich die Betrachtung der Phänomene des E-Gaming und Hello Kitty Konsums unter Berücksichtigung einer weiterhin nur vorläufigen Definition des Kidult -Begriffes einnehmen.

Die Kapitel 5. und 6. richten ihren Fokus dabei vornehmlich auf das Phänomen des E-Gaming und in weiterer Folge des E-Sports. Die dabei behandelten Werke wären „E-Gaming als Verlängerung der Adoleszenz“ von Herbert Gebauer, „Children, gender, video games“ von Valerie Walkerdine sowie „PC bang, E-Sport und der Zauber von StarCraft“ von Gudrun Werdenich. Sie alle weisen neben ihrer sachgemäßen Thematik klare Bezüge zu Adoleszenz und E-Gaming im fortgeschrittenen Alter auf und bauen damit unmittelbar auf den voran­gegangenen Überlegungen auf.

Die Kapitel 7. und 8. beschäftigen sich wiederum mit dem verstärkten Konsum von Produkten der Marke Hello Kitty im 21. Jahrhundert. Beginnend mit einer Einführung in die Marktphilosophie ihres Produzenten Sanrio Co, Ltd. soll dabei der internationale Erfolg des Produktes sowie seine Rolle in der Konstruktion von Kidults erläutert werden. Diesem Zweck dienen vornehmlich die Arbeiten „Hello Kitty: The remarkable story of Sanrio and the billion dollar feline phenomenon“ von Belson und Bremner, „‚Hello Kitty‘ im japanischen Medienalltag“ von Corinna Peil sowie „ Consuming differences: 'Hello Kitty' and the identity crisis in Taiwan “ von Yu-Fen Ko.

Anschließend werden die gewonnen Informationen anhand der Konsumtheorien von Daniel Miller, Mark Paterson, Simon Skempton und Jack Zipes reflektiert, um sich einer letztlich adäquaten Definition von Kidults zu nähern.

Kapitel 10. nimmt sich abschließend gänzlich der Frage nach Kidult sein an und reflektiert auf diesem Weg noch einmal die Überlegungen zur Kidult -Konstruktion und -Rezeption der vorangegangenen Kapitel auf dem Weg zur finalen Begriffsbestimmung.

Den Anfang macht jedoch ein annäherungsweiser Definitionsversuch.

Kidults

3. Ein Definitionsversuch

“Our society is full of lost boys and girls hanging out at the edge of adulthood. Yet we find it difficult even to give them a name. The absence of a readily recognised word to describe these infantilised adults demonstrates the unease with which this phenomenon is greeted. Advertisers and toy manufacturers have invented the term ‘kidult’ to describe this segment of the market. Another word sometimes used to describe these 20- to 35-year-olds is ‘adultescent’, generally defined as someone who refuses to settle down and make commitments, and who would rather go on partying into middle age” (Furedi 2003).

Mit diesen Worten umschreibt der Soziologe Frank Furedi eine implizite Problemstellung, der sich immer mehr Menschen in den westlichen Gesellschaften des 21. Jahrhunderts ausgesetzt sehen. Dabei scheint das mittlerweile allgegenwärtige Phänomen faktisch Erwachsener, die in deklariert kindische Verhaltensmuster verfallen an sich keine Gefahr darzustellen und doch wird es nur zu gerne mit spitzzüngigen Kommentaren und Vorurteilen bedacht (vgl. Kapitel 1.).

Die Übernahme des Kidult -Begriffes aus der Marktwirtschaft in den regulären Sprach­gebrauch vermittelt daher weniger den Eindruck der überfälligen Namensgebung eines bestehenden Problems, als vielmehr der Problematisierung einer wertfreien Bezeichnung. So recht scheint jedoch niemand zu wissen, wie mit dem Phänomen umgegangen werden soll.

Die Frage nach seinem Ursprung scheint einfacher zu beantworten:

Childishness is idealised for the simple reason that we despair at the thought of living the alternative. The depreciation of adulthood is a result of the difficulty that our culture has in asserting the ideals usually associated with this stage in people’s lives“ (Furedi 2003).

Nach Ansicht Furedis handelt es sich de facto um die Scheu vor Konformität mit den kulturellen Normen des Älterwerdens der westlichen Welt, die Kidults in deren Verhaltensmuster drängt.

Als Merkmale des Erwachsenwerdens werden – wie wiederum Arnett und Blatterer anmerken – vor allem Eigenverantwortung, Autonomie und finanzielle Unabhängigkeit identifiziert (vgl. Arnett 2004: 18, Blatterer 2007: 58). Wobei Arnett feststellt:

“all three are characterized by individualism, all three emphasize the importance of learning to stand alone as a self-sufficient individual without relying on anyone else. The values of individualism, such as independence and self-expression, are often contrasted with the values of collectivism, such as duties and obligations to thers” (Arnett 2004: 18).

Obgleich er sich dabei auf US-amerkanische Studien unter Teenagern bis Spätzwanzigern bezieht, handelt es sich um eine in westlichen Industriestaaten allgemeinhin vertretene Auffassung – wie man auch den Worten Blatterers entnehmen kann:

“So, the emergence of adulthood is inextricably linked to processes of individualization, that is, individual’s gradual liberation from the determinants of birth and religious conformity, and their simultaneous charging with an ever increasing self-responsibility for all aspects of their lives. […] Common perspectives of human development from a state of childlike dependence to adult independence parallel our understanding of modernization as a process of emancipation from dogma, tradition, and authority” (Blatterer 2007: 11f.).

Im Gegensatz zu altruistischen Gesellschaftsformen haben die liberalistischen Bestrebungen der westlichen Welt mit dem Ausklingen des 20. Jahrhunderts eine verstärkte Distanz zu religiösen, staatlichen und sozialen Institutionen geschaffen, die im neuen Jahrtausend ihren Siegeszug fortsetzt. Das Ergebnis war und ist die Betonung des Individuums im Vergleich zum Kollektiv. Ein erwähnenswertes Beispiel ist in diesem Zusammenhang wohl auch die Generation X der 60er und 70er Jahre, die diese Entwicklung mitinitiierte und deren An­gehörige durch ihre nonkonformistische Jugendkultur[1] weitaus häufiger denn heutzutage Kidults als „soziale Störenfriede“ tituliert wurden.

“For those who most directly benefit from commodity and labor market conditions the expansion of youth is good news, especially with respect to the post-1970 generation. This generation was born contingent and lacks the social memory of a time when different social conditions prevailed. Its members have therefore been socialized into and have interiorized modes of life that are most conducive to the market processes of contemporary modernity” (ebd.: 81f.).

Nach Ansicht des Autors ist es daher gerade die verstärkte Individualisierung westlicher Gesellschaften, die Menschen den nötigen Raum zur Selbstverwirklichung als Kidult bietet und damit im krassen Gegensatz zu den von Furedi formulierten kulturellen Idealen des Erwachsenwerdens steht.

Auch die Marktwirtschaft[2] zeigt sich direkt von dieser Entwicklung beeinflusst indem sie mit gleichermaßen kind- wie erwachsenengerechten Produkten auf den band-wagon aufspringt. Wobei sich traditionelle Ideale wie die Übernahme neuer Verantwortungen, die Aufnahme von Arbeit, die Emanzipation von Heim und elterlichen Fürsorge und nicht zuletzt die Ehe (vgl. Gullestad 1996: 20) zunehmend in den Hintergrund gerückt sehen. Hierin erklärt sich letztlich auch die Hauptangriffsfläche die Kidult sein den HüterInnen sozialer Ordnung offeriert.

“our culturally specific framing of childhood and old age depends on the withholding or non attribution of autonomy, self determination, and choice from the very young and the very old. So powerful is the association of adulthood with personhood that adults who do not embody ideals of full competence, such as adults with disabilities, the infirm, and the frail are by way of infantilization relegated to the margins, to a quasi-childhood” (Blatterer 2007: 58).

So ist es die Ambivalenz zwischen den westlichen kulturellen und individuellen Vor­stellungen vom Erwachsenwerden, die ein Konfliktpotenzial schafft, das sich nicht zuletzt an Kidults entlädt. Erst die Entscheidungsfreiheit des autonomen Individuums bemächtigt es dabei jene Verhaltensmuster anzunehmen, die im klaren Kontrast zum prinzipiell prädes­tinierten Benehmen eines/r Erwachsenen stehen. Die Spannung zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung setzt Kidult sein sodann in den intersubjektiven Diskurs (vgl. ebd.: 59).

Der Umstand, dass Erwachsenensein faktisch die Grundvoraussetzung darstellt als mündige Person angesehen zu werden, erforderte logischerweise auch eine Wissenschaft, die sich über diese Vorstellung hinwegzusetzen weiß.

„Wenn Kinder und Jugendliche in den Ethnographien nicht hörbar sind, dann wird damit nur fortgesetzt, was als Voraussetzung von erfolgreich absolvierten Initiationsriten gilt: die Jüngeren bleiben stumm, verbleiben im Schweigen. […] Nur eine Ethnologie jenseits von Adultismus oder Erwachsenenzentriertheit kann versuchen, die Dunkelheiten auf der Seite dieses Schweigens aufzuhellen, neu zu beleuchten: um so ein weiteres, ein anderes Bild zu entwerfen“ (Baudler 2004: 65).

Da nicht nur Geschlecht und Herkunft sondern auch das relative Alter innerhalb der eigenen und untersuchten Gesellschaft die Wahrnehmungen der ForscherIn mitbestimmen (vgl. ebd.: 64), sieht es der Autor als Prämisse dieser Arbeit letztlich auch sich selbst mit dem untersuchten Begriff identifizieren zu können.

Die Rahmenbedingungen von Kidult sein nunmehr veranschaulicht, möchte er auf dem Weg zu einer konkreten Definition sodann einen ersten Entwurf von Kidult -Kultur anbieten.

3.1. Die Mechanismen einer synthetischen Jugendkultur

Zu Beginn der Ausführungen mag die Frage stehen, warum dem behandelten Phänomen eine „synthetische“ Jugendkultur zugrunde liegen soll. Dies erklärt sich dadurch, dass die Riege der Kidults sowohl deklariert Jugendliche wie Erwachsene umfasst und – sofern man zweite als ihre UrheberInnen ansieht – keine Jugendkultur im eigentlichen Sinne darstellen kann. Tatsächlich könnte man dies aber auch als semantisches Dilemma bezeichnen, was abermals die wissenschaftliche wie soziale Omnipräsenz der behandelten Problematik verdeutlicht. Es scheint daher unumgänglich Kidult -Kultur bestmöglich definitorisch einzugrenzen.

Nach Ansicht des Autors handelt es sich bei ihr um eine Erscheinung die vorwiegend in westlichen Industriestaaten auszumachen ist und das aus einer Vielzahl an Gründen.

Einer davon zeigt sich in der angesprochenen Individualisierung der Gesellschaft, die sodann den nötigen Freiraum für das Kidult dasein bietet. Ein weiterer im generellen Wohlstand, den diese Gesellschaften ihren Mitgliedern offerieren, sowie einer differenzierten Marktwirtschaft die davon Gebrauch macht. Blatterer schreibt dazu passend:

“Much of young people's identification with peers, such as personal appearance and leisure pursuits, depends on their spending capacity. These identifications play a vital role in their subcultural differentiation from adults. But the very dependence of youth culture on a separation from the adult world was (and is) underpinned by their relative isolation from the sphere of work and/or opportunities to earn a full adult wage. […] The culture industry continue[s] to profit from this ‘emergence of the adolescent as a self conscious social actor’” (Blatterer 2007: 71ff.).

Mit diesem Zitat zeigt sich gleichsam auch einer der Hauptunterschiede die Kidult - zu regulärer Jugendkultur aufweist. So finden sich großteils auch arbeitende Kidults, die sehr wohl ein geregeltes Gehalt beziehen, wodurch sie einerseits ihre Kaufkraft erhöhen, andererseits ihren autonom erwachsenen Status unterstreichen.

Am Beispiel sogenannter Boomerangkids (vgl. Kapitel 1.) illustriert auch Furedi gewisser­maßen die Bedeutung des persönlichen finanziellen Kapitals zur Aufrechterhaltung des Kidult -Lifestyles:

“the most common explanation for the rise of the boomerang generation is an economic one. It is often suggested that many young adults simply cannot afford to live on their own, or that they find it difficult to pursue the good life” (Furedi 2003).

Die Rede vom explizit „guten Leben“ ist und bleibt sinnbildlich bei der Definition von Kidults, deren Lebensstil im Allgemeinen als hedonistischer denn der prädestiniert erwachsene betrachtet wird. Für einige SozialwissenschaftlerInnen drückt sich darin aber auch die Unfähigkeit der Betroffenen aus sich den tatsächlichen Ansprüchen des Älter­werdens zu stellen. Furedi und Lee schreiben unter anderen dazu:

“Maturity, responsibility and commitment are only feebly affirmed by contemporary culture. Such ideals contradict the sense of impermanence that prevails over daily life. It is the gradual emptying out of adult identity that discourages young men and women from embracing the next stage of their lives” (ebd.),

beziehungsweise:

“infantilization/juvenilization of culture has prohibited today’s adults from maturing into healthy, responsible citizens but relegated them into lifelong consumers with ‘imaginary needs’” (Lee 2010: 3).

Es ist wohl die Grundeinstellung Kidult sein als abnormen Zustand zu begreifen, die auch Lee zu der Feststellung bewegt, es würde sich um ein Streben nach imaginären Bedürfnissen der Betroffenen handeln. Nichtsdestotrotz sieht der Autor in diesem Kritikpunkt auch einen deutlichen Fingerzeig dahin gehend vor allem die Materialität von Kidult- Kultur adäquat zu untersuchen.

Nicht zuletzt aus diesem Grund werden sich die beiden Hauptkapitel dieser Arbeit mit den Fallbeispielen des E-Gaming und Hello Kitty Konsums auseinandersetzen. Den Worten Furedis nach zu urteilen wohl nur allzu passende Phänomene, um die soziale Konstruktion von Kidults nachzuvollziehen.

“There is a new crossover market that caters for […] adults who want to behave like children. According to observers, the computer toy industry ‘successfully spans the child-adult market’” (Furedi 2003).

Nachdem der Kidult -Begriff nunmehr beinahe zur Gänze erläutert wurde, steht das nächste Kapitel mit seinen Überlegungen zu den Altersgrenzen von Kidult sein vor der wohl schwersten Aufgabe dieser Arbeit.

4. Adoleszenz und die Suche nach Identität

Ein Wort, das in den wissenschaftlichen Analysen von Kidult sein immer wieder seine Anwendung findet, ist „Adoleszenz“, worunter man typischerweise die Übergangsphase vom Kind- zum Erwachsenen-Dasein versteht. Dass es sich dabei jedoch um einen dehnbaren Begriff handelt, beweisen nicht zuletzt die unterschiedlichen Ansichten über Anfang und Ende dieser Entwicklungsphase, die sich sowohl inter- also intradisziplinär mitunter erheblich unterscheiden können. So beschäftigen sich nicht zuletzt sowohl die Psychologie, die Medizin (beziehungsweise die biologische Anthropologie) als auch die Kultur- und Sozialanthropologie mit Adoleszenz, wobei erstere nach Blatterer auch als möglicher Ausgangspunkt für sozialwissenschaftliche Reflexionen angesehen werden kann:

“In fact, the psychological approach to adulthood dominates the social scientific purview and is the main influence on sociologists dealing with the subject. […] adulthood is seen as dependent on individuals’ self-understanding” (Blatterer 2007: 4).

Nichtsdestotrotz haben die vorangegangen Ausführungen bewiesen, dass eine solche doch einigermaßen grobe Dreiteilung der menschlichen Entwicklung, in „kindlich – adoleszent – erwachsen“, längst überholungsbedürftig ist. Weshalb sich dieses Kapitel verstärkt Überlegungen nach den tatsächlichen Grenzen von Kind- und Erwachsensein verschreibt, sofern solche überhaupt klar auszumachen sind. Der Autor möchte sich dabei zu Beginn auf die – aus anthropologischer Sicht – sinnbildlichen Fragen Baudlers stützen:

„Ende der Kindheit? Wird es erreicht durch einfachen Ablauf der Zeit, durch Entwicklung? Oder müssen ‚spektakuläre‘ Riten den Beginn eines neuen Lebensabschnittes, einer ‚Stufe‘ markieren? […] Wie werden Existenz und Ausgestaltung solcher Initiationsriten gewertet, beurteilt? Wie werden sie gewichtet, wie geschildert? Aus wessen Perspektive“ (Baudler 2004: 57).

Bei der Beschäftigung mit Initiationsriten im anthropologischen Kontext, ist eine Heranziehung der Thesen Arnold van Genneps unumgänglich. In seinen „les rites de passage“ beschreibt dieser ausführlich die soziokulturelle Entwicklung vom Kind zum/r Erwachsenen und teilt diese seinerseits ebenfalls in drei Phasen. Namentlich rites de séperation, rites de marge und rites d’agréation (van Gennep 1999: passim).

Während erstere die Trennung des Individuums von dessen sozialem Gefüge meint, beschreibt letztere seine erneute Eingliederung. Die dazwischenliegende Phase wird mitunter auch als Liminalitätsphase bezeichnet und internalisiert sozusagen die Initiationsriten, die diesen Prozess vorantreiben.

Nach Ansicht van Genneps stellen jene Rituale wichtige gesellschaftliche Institutionen dar,

durch deren inadäquate Einhaltung oder gar Brüche die betroffene Sozialstruktur Schaden nehmen kann. Obgleich er dabei anmerkt, dass sich industrielle, säkulare Gesellschaften prinzipiell in der Priorisierung solcher Initiationsriten stark von indigen segmentären[3] unterscheiden (s.a. Arnett 2004: 115), können sie dabei dennoch nicht einfach rigide generalisiert werden, so sie doch verschiedene soziokulturelle Systeme repräsentieren.

Kidults wiederum positionieren sich nach Ansicht des Autors in einem global-intrakulturellen Gefüge, das zuzeiten der Entstehung der Thesen eines Arnold van Gennep (1909) noch nicht existierte, womöglich in dieser Form auch nicht vorstellbar war. Die dank liberalistischer Entwicklungen – wie er weiter konstatieren möchte – nunmehr legitime Distanzierung des westlichen Individuums von den traditionellen Vorstellungen des Älterwerdens seiner Gesellschaft bietet ihm dabei die Möglichkeit Teil einer Subkultur zu werden, die der Jugend scheinbar keine Grenzen setzt. Nach Ansicht des Autors müsste man korrekterweise allerdings das Präfix „Sub-„ durch „Super-“ ersetzen, da sich Kidult -Kultur längst transglobal entfaltet hat und dadurch einen Bezugsraum für Angehörige unterschiedlichster soziokultureller Systeme darstellt.

Gerade ihr Status als eine solche Superkultur in der westlichen Welt erlaubt es sodann Überlegungen zu Adoleszenz anzustrengen, die jenseits traditioneller Vorstellungen der betroffenen Gesellschaften stehen. So schreibt beispielsweise Blatterer:

“The economic and social changes of the recent past have meant that the markers indicating a transition from adolescence to adulthood either are absent or have become individualized and have thus lost the social significance they once held“ (Blatterer 2007: 49),

sowie weiter:

“When in addition to the perception of an open future and too many options the interminable process of striving for personal growth becomes a goal, adulthood can no longer retain its status as final destination; it is replaced by youth as a value. In other words, the liminality attributed to youth (adolescence) is becoming a quality of contemporary adulthood. […] Van Gennep’s concepts presupposes two states that border the liminal phase: a state that has been left behind, and another that is not yet reached. The liminality of the new adulthood, however, knows no limit” (ebd.: 76).

De facto präsentiert sich Adoleszenz zwar weiterhin als Phase der Identitätsfindung, ist allerdings zeitlich und sozial nicht mehr prädeterminiert. Während ihr allfälliges Ende vom Individuum nunmehr scheinbar gänzlich frei bestimmt werden kann, bleibt ihr Anfang dabei jedoch nach wie vor von dessen Reifeprozess abhängig. Wobei auch jener sich zunehmenden Veränderungen ausgesetzt sieht:

“The boundaries between childhood and adulthood are blurring, both biological and socially speaking. Not only are we living longer and often healthier lives than in previous history, our bodies reach sexual maturity at ever-younger ages” (ebd.: 35).

Einmal die Stufe der Adoleszenz beschritten obliegt es jedem selbst, diese ins Erwachsenenleben zu integrieren, den traditionellen Normen unterzuordnen oder gänzlich in ihr zu verbleiben. Einzig die Abhängigkeit von der eigenen biologischen Funktionalität und den kognitiven Fähigkeiten vermag VertreterInnen der westlichen Wohlstandsgesellschaft im Ausleben ihrer Adoleszenz gegebenenfalls einzuschränken[4].

Auch die Gender Rezeption sieht sich von diesen Entwicklungen stark beeinflusst. So sind Männer und Frauen durch das neuzeitliche Adoleszenzverständnis gleichermaßen von ihren soziokulturellen Rollen als Erwachsene entbunden. Arnett verdeutlicht den Kontrast zu überkommenen Ansichten von Adoleszenz, indem er schreibt:

“Adolescent girls growing up in the American middle class in the 18th and 19th centuries faced expectations that both constricted and supported them more than American adolescent girls today. They were narrowly constricted in terms of the occupational roles they were allowed to study or enter. […] In fact, no profession at all was considered best, so that a young woman could focus on her ‘proper’ future roles of wife and mother. […] Until marriage, young women were kept as innocent as possible in body and in mind. The goal of keeping girls innocent was taken so far that many adolescent girls were not even told about menarche” (Arnett 2004: 140f).

Der Liminalität fortan keine Grenzen mehr gesetzt, werden auch etwaige Übergangsrituale obsolet, was dem Individuum vice versa zu weitaus mehr Freiraum während seiner persönlichen Identitätssuche verhilft. Kidult -Kultur bietet dabei neben ihrer Funktion als Referenzraum für Gleichgesinnte auch eine Chance jene adoleszente Identität letztlich zu entwickeln.

Youth culture offers a collective identity, a reference group from which youth can develop an individual identity. […] It represents a free area to relax with one’s peers outside the scrutiny and demands of the adult world” (ebd.: 264).

Gerade der Umstand, dass Menschen mit Beginn ihrer Adoleszenz erstmalig kognitiv dazu fähig sind, sich als Person im gesellschaftlichen Kontext zu begreifen (vgl. ebd.: 164), verdeutlicht den Wert, der dieser Seinsphase beizumessen ist. Das Kidult tum in wissen­schaftlichen wie journalistischen Reflexionen als Abnormalität mit negativer Konnotation zu behandeln wäre demnach fahrlässig, handelt es sich dabei doch viel mehr um einen kulturellen Bezugsraum auf dem Weg zur individuellen Selbstverwirklichung.

An diesen Gedanken anschließend möchte der Autor die nachfolgenden Kapitel dazu nutzen Kidult -Kultur anhand von Fallbeispielen zu veranschaulichen, um der LeserIn ein konkretes Bild von Kidults und deren Konstruktion zu liefern.

[...]


[1] Zu nennen wären hierbei das Hören von Punk-Musik, Tragen von Tätowierungen und Piercings sowie eine oftmals subversive Grundeinstellung.

[2] Die nicht zuletzt den Kidult -Begriff erst geprägt hat.

[3] In denen Familienleben, Altersgrenzen und Geschlechter einer stärken Distinktion unterliegen.

[4] Gemeint sind Umstände wie Senilität, geistige wie physische Unreife oder Beeinträchtigungen, die ggfs. Abhängigkeit zu anderen Menschen schaffen und so den autonomen Status der Betroffenen entkräften.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2011
ISBN (PDF)
9783956845871
ISBN (Paperback)
9783956840876
Dateigröße
868 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Wien
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1
Schlagworte
Adoleszenz Korea Konsum Kawaii Popkultur

Autor

Pascal Honisch wurde 1988 in Mödling, Österreich geboren. Neben seiner Tätigkeit als Autor arbeitet er u.a. als Anthropologe, Journalist und Poetry Slammer. Seine wissenschaftlichen Interessenschwerpunkte sind Ethnomusikologie, interkulturelle Kommunikation, China Anthropology sowie neue Medien (v.a. auditive Anthropologie). Er publizierte seit 2008 als freier Journalist und Autor u.a. wissenschaftliche Texte für das Austrian Journal of SEAS sowie kultur- und gesellschaftsrelevante Artikel für kurier.at, Chilli.cc und mokant.at. 2012 zeigte er sich mitverantwortlich für die sozialwissenschaftliche Anthologie „Stich:Punkte“ zum Thema Tätowierungen.
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