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"The Walking Dead" - Horror, Drama oder Western? Eine Analyse

©2013 Bachelorarbeit 60 Seiten

Zusammenfassung

Zombie-Filme und -Serien sind natürlich dem Horror-Genre zuzuordnen. Oder? Was lange vollkommen fraglos war, wurde schon ab den 80ern mit der Entstehung der Zombie Romantic Comedy aufgeweicht. Das Genre der untoten Menschenfresser hat dabei vor allem George A. Romero mit seiner Living Dead-Reihe geprägt. Neuen Auftrieb erfährt das oft belächelte Genre seit einigen Jahren dank der Fernseh-Serie „The Walking Dead“, die vor allem in Amerika Quotenrekorde auf den Kabelsender aufstellt. Aber wie verhält Horror sich eigentlich in Serie? Wie kann man das Grauen über einen so langen Zeitraum aufrecht erhalten? Und welche anderen Genres lassen sich ausmachen? Ist es am Ende überhaupt „klassischer“ Horror oder dominieren die Strukturen von Drama, Thriller oder Western? Geklärt wird diese Frage anhand einer Untersuchung der Entwicklung des Zombies in Film und Fernsehen, einer Betrachtung der relevanten Fragestellungen und Konzepte aus der Genre-Theorie, v.a. Entwicklung und Hybridität von Genres, und schließlich einer Analyse der Genres Horror, Drama und Western. Zunächst allgemein beschrieben werden ihre Ausprägungen in der Serie erörtert und zu einem Gesamtbild zusammengeführt.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2.3 Der Virus-Zombie

Parallel zu Dawn kommt die Tendenz auf, das Entstehen von Zombies im Film mehr wissenschaftlich-rational zu erklären, z.B. durch einen Virus, der sich als Seuche verbreitet. Dieser Zweig wird vor allem durch das Computerspiel Resident Evil populär, das später auch verfilmt wird.[1] Neben den virusinduzierten Zombie-Filmen erscheinen auch einige „Krypto-Zombiefilme“[2] wie 28 Days Later[3], in denen die Infizierten wie tollwütig, schneller und stärker sind. Der Virus-Zombie steht für eine von Menschenhand gemachte Krankheit und somit das Böse, das der Mensch selbst geschaffen hat[4] ; so „sind die Untoten nun häufiger das Resultat biologisch-medizinischer Experimente und der Skrupellosigkeit global agierender Konzerne“[5], wie beispielsweise im zuvor erwähnten Resident Evil. Wo sich für frühere Generationen die Angst vor einem Nuklearkrieg in den Strahlungszombies Hollywoods niederschlug, ist der Virus-Zombie die Antwort auf bioterroristische Horrorszenarien seit dem 9. September 2011.[6] Besonders bedrohlich erscheint ein solcher Virus dadurch, dass „[d]er Krankheitserreger Standes- und Klassengrenzen [durchbricht] und somit das komplexe System sozialer und kultureller Identitäten und Ordnungen [negiert].“[7]

Joachim Schätz erkennt zudem, dass die Analogiebildung zwischen Untoten und Lebenden in neueren Filmen auch an die Kritik staatlich legitimierter Gewalt aus Night anschließt. In [-REC][8] oder 28 Weeks Later[9] tritt das Militär als gleichberechtigte Bedrohung neben die Monster, wenn die Soldaten z.B. in ihrer Gewaltanwendung nicht mehr zwischen Infizierten und Gesunden unterscheiden, sondern wahllos auf jeden schießen.[10] Diederichsen fasst das Ganze sehr treffend zusammen:

Entweder wird am Umgang mit Zombies das Handeln von faschistischen Regimes oder Militärs unter den Bedingungen des Ausnahmezustands bildhaft thematisiert, oder die Zombies selbst stellen allegorisch unangenehme Bevölkerungsteile dar: Konsumtrottel, rassistische Rednecks und faschistische Hinterwäldler im linken, Junkies, Kanalisationsbewohner, Obdachlose im rechten Zombiefilm.[11]

Zu verschiedenen Zeiten lösen unterschiedliche Aspekte Horror beim Publikum aus, was sich an den unterschiedlichen Zombie-Kategorien nachvollziehen lässt. Die gezeigten Variationen des Topos Zombie sind zudem notwendig, um das Publikum bei Laune zu halten; intermediale Transferierungen genau wie unerwartete Re-Kombinationen sind unerlässlich, um das Genre am Leben zu erhalten.[12] Kyle William Bishop sah schon 2010 voraus, dass die derzeit vielversprechendste Richtung für das Genre die Serialisierung einer Langzeitgeschichte sei. Für ihn kann ein Genre sich entweder in Richtung einer Wiederbelebung der alten Stoffe oder aber einer Verzweigung und Weiterentwicklung der Erzählung bewegen.[13] In der Form einer Serie sieht er großes Potential:

[T]he human protagonists, and the post-apocalyptic world they are forced to inhabit, provide the greatest insight into the cultural value of the zombie narrative, and this exploration into the human can only be fully explored over the course of a long-term narrative form.[14]

In welche Richtung die weitere Entwicklung letztendlich auch verläuft, eines steht fest: „The zombie’s work, it seems, will never be done.“[15]

3. The Walking Dead – Die Serie

Im folgenden Kapitel wird die Serie mit ihren Haupt-Charakteren sowie der Handlung von Staffel eins und zwei, ihr herausragender Erfolg sowie begleitendes Material zur Serie vorgestellt.

3.1 Ein Überblick

Die seit dem Jahre 2010 laufende US-amerikanische Serie basiert auf der gleichnamigen Comicbuchreihe von Robert Kirkman und Tony Moore, die seit 2003 monatlich erscheint. Produziert wird die Serie u.a. von Frank Darabont (The Green Mile, The Shawshank Redemption) und Gale Anne Hurd (The Terminator, Aliens).[16] Die Fernsehadaption setzt die Stimmung des Comics meist sehr genau um, ohne dabei zu nah am Original zu bleiben. Unter anderem werden komplett neue Charaktere eingesetzt oder aber die Figuren länger am Leben gehalten als in der Vorlage.[17] Die 45-minütigen Folgen laufen in den USA auf AMC, in Deutschland auf dem Pay-TV-Sender FOX sowie als Eventprogramm über ein Wochenende bzw. wenige Tage auf RTL 2.

Die Serie spielt in und um die Region von Atlanta, Georgia, wo sich eine Gruppe Überlebender um den Hilfssheriff Rick Grimes mit den Problemen einer Zombie-Apokalypse befassen muss: Gruppenorganisation, Fragen über Standpunkte und moralische Werte in einer verlassenen Welt, Tötung von Infizierten, Selbstmord und der Umgang mit weiteren Überlebenden, die nicht immer freundlich gesinnt sind, sind nur einige der Themen.

Rick wird eines Tages während des Dienstes angeschossen und liegt seitdem im Koma. Als er schließlich aufwacht, findet er sich in einem verwüsteten und leergefegten Krankenhaus wieder. Alleine und verwirrt irrt er durch die von dem Zombie-Angriff gezeichnete Stadt und trifft an seinem Haus einen Mann namens Morgan und dessen Sohn, die ihm die wichtigsten Fakten näherbringen: Die ,Walker‘ (in der deutschen Fassung ,Beißer‘) sind Untote, deren Biss – vermeintlich - ansteckend und tödlich ist und die nur durch einen gezielten Kopfschuss ausgeschaltet werden können. Wie Rick später noch herausfinden wird, sind die gefürchteten Bisse und Kratzer lediglich hoch infektiös und dadurch tödlich, jedoch nicht ansteckend. Stattdessen steckt das Virus bereits in jedem und bricht aus, sobald die jeweilige Person stirbt. Da er seine Frau Lori und seinen Sohn Carl nicht finden kann, macht er sich auf die Suche nach ihnen in Richtung Atlanta. Dort wird er allerdings von einer Horde Zombies umzingelt und von dem jungen Glenn gerettet. Dieser führt ihn daraufhin zu der Gruppe Überlebender, der er angehört. Dort findet Rick zu seinem großen Glück auch seine Familie sowie seinen ehemaligen Partner Shane, der Lori und Carl gerettet hatte, wieder. Was er nicht weiß: Shane hatte Lori erzählt, dass Rick tot sei, da er ihn, als das Chaos ausgebrochen war, nicht aus dem Krankenhaus retten konnte und glaubte, nur so Lori und Carl dazu bewegen zu können, mit ihm zu fliehen. In der Zeit darauf haben die beiden eine heimliche Affäre angefangen, die nun abrupt von Lori beendet wird, die entsetzt glaubt, Shane habe sie belogen.

Die Gruppe besteht aus ca. 20 Leuten, die in den Bergen ihr Camp aufgeschlagen haben, weil es dort sicherer zu sein scheint als in den Städten. Rick wird im Weiteren mehr oder weniger freiwillig zu ihrem Anführer. Eines Nachts wird das Lager jedoch überfallen und ein Teil der Bewohner stirbt oder wird gebissen. Nach einigen Diskussionen beschließt die Gruppe, das Seuchenkontrollzentrum von Atlanta aufzusuchen. Dort finden sie allerdings mit Dr. Jenner nur einen einzigen Überlebenden vor, der ihnen klarmacht, dass alle Institutionen auf der ganzen Welt entweder durch Tod der Mitarbeiter oder schließlich Stromversagen der Anlagen zusammengebrochen sind. Der Ursprung des Zombie-,Virus‘ sei immer noch ungeklärt und auch kein Heilmittel in Sicht. Auch das Zentrum steht kurz vor einem Stromausfall, der eine thermische Explosion verursachen wird, um ein Austreten der dort gelagerten Krankheitserreger zu verhindern. Er gibt der Gruppe die Chance, dort ,in Frieden‘ mit ihm zu sterben, was bis auf eine Person alle Überlebenden ablehnen. Erst im letzten Moment können sie der Detonation entkommen.

Zu Beginn der zweiten Staffel verliert die Gruppe bei dem Versuch, sich vor einer Gruppe Walker zu verstecken, ein kleines Mädchen namens Sophia. Rick folgt ihr zwar, kann aber nicht verhindern, dass sie spurlos verschwindet. Im Folgenden wird dies zu einer großen Zerreißprobe für die Gruppe, da die Frage, ob und wie lange nach ihr gesucht werden sollte, das Lager in zwei Parteien spaltet. Während der Suche wird dann auch noch Carl versehentlich angeschossen. So landen die Überlebenden schließlich auf der abgelegenen Farm von Hershel Greene, wo Carl gerettet werden kann. Auch hier kommt es allerdings zu Konflikten, da Hershel die Zombies für heilbar Kranke hält, die er in seiner Scheune einsperrt. Shane setzt sich schließlich über Ricks Anweisung hinweg, öffnet die Scheune und richtet mit den anderen die dort befindlichen Walker hin. Als letztes kommt die kleine Sophia, die auch zum Zombie geworden ist, aus der Scheune und auch sie muss getötet werden. Lori findet derweil heraus, dass sie schwanger ist, und Shane wird immer mehr von dem Gedanken getrieben, dass Rick Carl und Lori nicht beschützen kann und dass die beiden zu ihm gehören. Rick, Hershel und Glenn treffen in der Zwischenzeit in der Stadt auf eine weitere Gruppe Überlebender, die so unangenehm werden, dass Rick sie erschießen muss, um seine Gruppe zu schützen. Auf der Flucht lässt die andere Gruppe einen Jugendlichen zurück, dessen Rick und die anderen sich eher unfreiwillig annehmen. Auch dies führt zu einer großen Auseinandersetzung, da der Großteil der Meinung ist, man könne ihn nicht wieder laufen lassen, da er sonst die Widersacher zu der Farm führen könnte. Als Rick ihn schließlich doch freilassen will, ist es bereits zu spät: Shane hat ihn entführt und getötet, um so mit einer List Rick in den Wald zu locken, wo er ihn erschießen will. Rick schafft es, ihn zu überwältigen und tötet seinen ehemals besten Freund. Gerade als Carl dazu kommt, erwacht Shane als Zombie und Carl erschießt ihn endgültig. Dieser Schuss beschwört allerdings ein noch viel größeres Unglück herauf: Eine riesige Horde Walker hat den Schuss vernommen und kommt nun auf die Farm zu, was in einem aussichtslosen Kampf endet. Die Gruppe muss die Farm aufgeben und begibt sich wiederum dezimiert erneut auf die Reise.

3.2 Erfolge & Promotion

TWD kann nicht nur die höchste Zuschauerzahl eines Kabelsenders in den USA überhaupt verzeichnen[18], sondern zudem noch einen weiteren Rekord feiern: Als erster Kabel-Serie im amerikanischen Fernsehen ist es den Untoten um Rick Grimes gelungen, alle anderen fiktionalen Sendungen in der Zielgruppe der 18- bis 49-Jährigen zu übertreffen.[19] Sahen das Finale von Staffel zwei schon über neun Millionen Zuschauer, wird dies mit 12,4 Millionen zum Ende der dritten Staffel nochmals getoppt[20] und ein Ende des Hypes ist bisher nicht in Sicht. 2010 wurde die Serie für einen Golden Globe nominiert und hat schon einige Preise gewonnen, darunter 2013 einen AFI Award, der für die zehn besten Filme und Serien eines Jahres verliehen wird.[21]

AMC gibt sich große Mühe, die Zombie-Fans weiter zu binden: So wird seit der zweiten Staffel im Anschluss an jede Folge eine mittlerweile 60-minütige Talkshow ausgestrahlt, in der die Geschehnisse rund um die Überlebenden mit Gaststars, Fans, Darstellern und Crew-Mitgliedern diskutiert werden.[22] Auch das Online-Angebot ist sehr umfangreich. Auf der Internetseite von AMC[23] kann ein Persönlichkeitstest absolviert werden, der verrät, welchem der Charaktere man ähnelt, ein The Walking Dead Social Game, ein Fan Quiz, eine ,Story Sync‘, mit der Umfragen, Trivia und exklusive Videos während der Ausstrahlung abgerufen werden können und nicht zuletzt die ,Dead Yourself App‘, mit der der Zuschauer sich sekundenschnell zumindest auf dem Foto ebenfalls in einen schaurig-schönen Zombie verwandeln kann.

Etwas Besonderes ließ das Team sich auch zum Start der Serie einfallen: Als weltweite Promotion-Aktion zogen Hunderte von Zombies durch 26 Großstädte.[24] Selbst beim Super Bowl wurden Werbespots bzw. kurze Trailer gezeigt, die für den Kabelsender werben und das Thema parodistisch aufnehmen. So ist eine normale Hausfrau in einem normalen Haus mit nicht ganz so normalen Hausarbeiten beschäftigt: Dem Abwaschen blutiger Äxte und dem Aufräumen herumliegender Gliedmaßen, während die Tochter sich einen Zombie an der Kette hält.[25]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1

4. Genre-Theorie

Dieses Kapitel befasst sich mit dem Genre-Konzept, wobei Genre grundsätzlich auf drei Ebenen verstanden werden kann: 1. Das generische System mit den Beziehungen verschiedener Genres untereinander und zur Filmproduktion allgemein, 2. einzelne Genres als Einheit definiert durch ihre gemeinsamen Elemente und Strukturen sowie 3. als generischer Kontext, in dem einzelne Filme gelesen werden.[26] Auch die Thematik der Genre-Hybridisierung wird angesprochen, wobei mit Hybridität in dieser Arbeit lediglich das Konzept der Vermischung von Genres gemeint ist, nicht eine multimediale Hybridisierung im Sinne einer postmodernen Ästhetik, die mediale Grenzen überschreitet, wie es bei intermedialen Sprüngen, Überblendungen usw. der Fall ist.[27]

4.1 Das Genre

4.1.1 Die Genre-Theorie

Genres dienen der Gruppenbildung von Medientexten mit gemeinsamen formalen, strukturellen oder inhaltlichen Merkmalen zur Systematisierung und Einordnung der Texte.[28] Hickethier konkretisiert:

Als Genre wird eine Produktgruppe bezeichnet, die durch eine als typisch gesetzte soziale oder geografische Lokalisierung, spezifische Milieus, Figurenkonstellationen, Konfliktstrukturen, spezielle Stoffe bzw. durch besondere spezifische emotionale oder affektive Konstellationen zu kennzeichnen ist.[29]

Da diese Zuordnungen allerdings häufig problematisch und uneindeutig sind, sollten sie eher als dynamische, variable Austauschprozesse zwischen Produzenten und Rezipienten gesehen werden.[30] Eine umfassende Theoriebildung in der Filmwissenschaft wurde erst in den späten 60er bzw. frühen 70er Jahren betrieben.[31] Grundlegend dafür war der Wechsel vom autororientierten Werkzusammenhang als Betrachtungsweise zum Fokus auf übergeordnete Erzählsysteme und -strukturen als kulturelle Konzepte.

Genres dienen der Verständigung über Filme, helfen dem Zuschauer, sich zu orientieren, und stiften Erwartungen in Hinsicht auf Handlungen und Emotionen. „[G]enre movies are those commercial feature films which, through repetition and variation, tell familiar stories with familiar characters in familiar situations.“[32]

Genre-Texte können durch unterschiedliche Elemente oder Strukturen zu einer Gruppe zusammengefasst werden: gemeinsame stilistische und narrative Konventionen[33], Ikonographie[34], Schauplatz (wo und wann ein Film spielt; bei einigen Genres festgelegter als bei anderen)[35], Geschichten und Motive[36], Charaktere, Schauspieler und Stars[37], Zuschauer und Zielgruppe.[38] Genres werden dabei von einigen äußeren Faktoren beeinflusst. Die Industrie mit dem Ziel des maximalen Profits, der Künstler, der seine kreative Vision umsetzen will, die Geschichte mit einschneidenden Ereignissen sowie das Publikum, das vor allem unterhalten werden will, bewirken immer auch Veränderungen der Genres. Für den Rezipienten, der mit generischen Konventionen vertraut ist, liegt ein zusätzlicher Reiz darin, Referenzen und intertextuelle Bezüge zu entdecken und den Film zu kontextualisieren. Genres können dem Publikum bei der Interpretation von Filmen helfen, sie können allerdings auch einengend oder vorschreibend wirken.[39]

Genres sind nicht ideologisch neutral, da jedes Genre sein Material auf eine bestimmte Weise gruppiert, die ein bestimmtes Weltbild zeigt, selbst wenn dieses nur durch die Betonung bestimmter Lebensbereiche vermittelt wird: „Not only do genres reflect certain worldviews, they also shape them. The viewers are the receivers of an ideologically inflected perspective.“[40] Die meisten Genres werden dabei als Anhänger des politischen und kulturellen Status quo gesehen, wobei Genre-Filmen teilweise auch subversive Energien zugestanden werden, die allerdings zumeist nur implizit umgesetzt werden (können).[41]

Genres sind zudem medienübergreifend, d.h. bestimmte Genres kann es sowohl im Film als auch im Theater oder Roman geben.[42] So sind z.B. einige Genres aus der Literatur in den Film übernommen worden. Bezüglich der Wechselwirkung zwischen Produzent und Rezipient spricht Rick Altman von einem „production-distribution-consumption-process“[43], demnach gilt:

[G]enres provide the formulas that drive production; genres constitute the structures that define individual texts; programming decisions are based primarily on generic criteria; the interpretation of generic films depends directly on the audience`s generic expectations.[44]

Es wäre allerdings falsch zu vermuten, dass diese Erwartungen der Zuschauer immer erfüllt werden müssen; im Gegenteil ist es auch möglich, mit diesen zu spielen: „The audience desires to see their expectations fulfilled, but they also receive additional pleasure from finding those same genre-created expectations undercut or challenged in some way.“[45] Beispielsweise könnte eine typische Western-Handlung in eine vollkommen andere Zeit versetzt oder eine romantische Komödie mit dunklen, Noir-typischen Szenen durchsetzt werden. White geht sogar so weit, dass er herausstellt: „[T]he core feature of the concept of genre is its fluidity.“[46] Hayward führt dies weiter aus: „[T]he nonconformity of a film to its generic conventions can lead an audience to make it into a cult film.“[47]

4.1.2 Die Genre-Entwicklung

Grundsätzlich kann man drei Richtungen der Genre-Entwicklung verfolgen: 1. intra-generisch: interne, zyklische Entwicklungen innerhalb eines Genres. 2. inter-generisch: zusammenhängende Entwicklungen von Genres basierend auf Prinzipien der Hierarchie und Hybridisierung. 3. sozio-kulturell: Entwicklungen, die durch äußere Faktoren angestoßen werden. Da größere historische Ereignisse alle Lebensbereiche und somit auch die kulturelle Identität eines Landes beeinflussen, bleiben auch die Genres davon nicht unberührt.[48] Diese dreigeteilte Entwicklung von Genres lässt sich gut am Beispiel des Westerns verdeutlichen: Als wirksamster Einfluss stellt sich die sozio-kulturelle Entwicklung auf thematischem und ideologischem Hintergrund (u.a. des Grenz-Mythos) dar, während intra- und intergenerische Veränderungen vor allem durch veränderte industrielle und künstlerische Anforderungen initiiert wurden.[49] Alle drei Richtungen haben zur Weiterentwicklung des Genres beigetragen. Der Horror-Film lässt sich ebenfalls sehr gut als Beispiel heranziehen. Sein Archiv adaptiert immer wieder „aktuelle soziale, kulturelle, politische, mediale und theoretische (psychoanalytische, körper- und medientheoretische) Standards und Diskurse“[50] und lässt sie zirkulieren:

[D]as können neue Monster wie der Kannibale oder der Slasher der 1970er und 1980er Jahre sein, neue Perspektiven wie der Wechsel vom Invasionshorror zum paranoiden Horror vor dem Inneren des Körpers, neue Erzählweisen wie die wachsende Serialisierung der ,Gewalt-Nummern‘ sowie neue Bilderwelten wie der Eintritt von expliziter Wundästhetik im Splatterfilm oder die Rückkehr der unheimlichen Welt der Dinge im New Gothic Horror.[51]

Genres sind also keine invariable, transhistorische Größe, sondern unterliegen vielmehr einem „zirkulären Definitionsvorgang“[52], der auf einem komplexen Austausch zwischen der semantischen und syntaktischen Ebene basiert. Das früher oft verwendete Phasen- Modell wird heute eher abgelehnt, da der dadurch suggerierte lineare Verlauf sich als unpassend erwiesen hat.[53] Stattdessen entwickeln sich die Genres weiter, sterben ab oder es entstehen gar neue, die auf aktuelle kulturelle Bedürfnisse reagieren.[54] Der Vorgang der Genre-Definition ist dabei selbst ein zirkulärer: es kann nicht entschieden werden, welche Werke zu einem Genre gehören, ohne die Charakteristiken des Genres zu kennen; diese Charakteristiken können aber nicht herausgearbeitet werden, ohne zu wissen, welche Filme dazu gehören.[55] Die Erkenntnisse werden dann meist durch historische Beobachtung von Werken aus der Vergangenheit gewonnen („descriptive mode“[56] ). Sobald das Genre von Publikum, Produzenten und Kritikern angenommen ist, wird es zu einem leitenden Prinzip („prescriptive mode“[57] ).

Dabei gilt: Generische Bezeichnungen sind zu Anfang oft adjektivisch, wie z.B. musical Comedy. In diesem Stadium beschreiben sie eine weit gefasste Genre-Kategorie, von der sie sich durch das Adjektiv gleichzeitig abgrenzen, wobei das Adjektiv etwa für eine wiedererkennbare Location, einen Handlungstyp oder andere unterscheidbare Faktoren steht.[58] Mit der Versubstantivierung (in dem Fall: Musical) geht dann ein neuer, eigenständiger Status einher, das neue Genre ist nicht mehr an die Form des ursprünglichen gebunden und kann nun auch selbst durch weitere Adjektive ergänzt werden.[59] (Siehe Grafik[60] )

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2

Diese Entwicklungen sind weder linear noch chronologisch: So können alte, bereits verschwundene Genres jederzeit durch neue Adjektive wiederbelebt werden[61] und Genres befinden sich somit ständig in Entwicklung. Jeder neue Film leistet durch seine notwendige Innovation dazu einen Beitrag.[62] Andererseits steht kein Film oder keine Serie für sich alleine, sondern wird, ob bewusst oder unbewusst, durch die gesellschaftliche Film- und Fernsehsozialisation immer im Zusammenhang mit anderen gesehen, welche die Rezeption mitbeeinflussen.[63]

Holtz sieht die Genre-Entwicklung als zyklisches Modell von experimenteller Phase, klassischer Phase, Verfeinerung und selbstreflexiver Phase. In der letzten Phase wurde alles, was innerhalb eines Genres dargestellt werden kann, gezeigt. Diese generische Erschöpfung zeigt sich vor allem in Parodien, in denen Stereotype durch Übertreibung sichtbar und lächerlich gemacht werden. Weitere Möglichkeiten dieser Phase sind Nostalgie, Entmythologisierung oder Bestätigung des Mythos. Holtz führt von André Bazin geprägte Möglichkeiten auf, dieser Erschöpfung entgegenzuwirken: Einführung eines neuen Elements, das bisher nicht Teil der Genre-Konvention war (z.B. politischer oder sexueller Kontext), Übertreibung formaler Elemente, um die Selbstreflexivität des Films herauszustellen oder minimalistische Rückkehr zu den Wurzeln des Genres. Wichtig ist hierbei, dass das letzte Stadium nicht als endgültig zu betrachten ist, da die Genres auch weiterhin existieren; es handelt sich lediglich um einen (über)lebens­not­wendigen Bestandteil eines Zyklus.[64]

Die Beziehung zwischen Geschichte und Genre beschreibt Holtz in einem diskursivem Modell: „[F]ilms are as much effects of culture as they are a shaping constituent.“[65] Genres werden von historische Ereignissen geprägt, die sich in ihnen einschreiben und unterliegen so immer aktuellen Schwankungen, wie sich am Beispiel von Kriegsfilmen zeigen lässt: „War allegories have undergone a […] shift from pro-war propaganda directly after 9/11 to post-war despair and social pessimism after the invasion of Iraq, adapting to dominant attitudes of the population.“[66]

[...]


[1] Vgl. Krautkrämer: A Matter of Life and Death, S. 29f; sowie: Resident Evil, Capcom, PlayStation u.a., Capcom/Virgin Interactive 1996; sowie: Resident Evil, D/UK/F 2002, R: Paul W. S. Anderson.

[2] So nennt Joachim Schätz die Filme, die ähnlich wie Zombie-Filme konzipiert sind, in denen die mit dem Virus Infizierten allerdings nicht tot sind, sondern es sich tatsächlich um eine (heilbare) Krankheit handelt. Vgl. Schätz: Mit den Untoten leben, S. 50.

[3] 28 Days Later (28 Tage später), GB 2002, R: Danny Boyle.

[4] Vgl. Krautkrämer: A Matter of Life and Death, S. 30.

[5] Fürst/Krautkrämer/Wiemer: Einleitung, S. 10.

[6] Vgl. Kim Paffenroth: Gospel of the Living Dead: George Romero's Visions of Hell on Earth. Waco, Texas 2006, S. 3.

[7] Catherine Shelton: Unheimliche Inskriptionen: eine Studie zu Körperbildern im postklassischen Horrorfilm. Bielefeld 2008, S. 352.

[8] [-REC], E 2007, R: Jaume Balagueró/Paco Plaza.

[9] 28 Weeks Later (28 Wochen später), GB/E 2007, R: Juan Carlos Fresnadillo.

[10] Vgl. Schätz: Mit den Untoten leben, S. 60.

[11] Diedrich Diederichsen: Blut, Schlamm und Barbecue. In: Zeit Online, 13.09.2007, URL: http://www.zeit.de/2007/35/Irak-Allegorien/ (28.06.2013), S. 2.

[12] Vgl. Schätz: Mit den Untoten leben, S. 56f.

[13] Vgl. Bishop: American Zombie Gothic, S. 197ff. Eine Wiederbelebung der alten Stoffe hat Romero selbst unlängst mit Diary of the Dead, quasi dem Prequel zu Night (mit den gleichen klassischen Mustern), umgesetzt.

[14] Ebd., S. 206

[15] Ebd., S. 207.

[16] Vgl. The Walking Dead. In: Internet Movie Database, URL: http://www.imdb.com/title/tt1520211/ (02.07.2013).

[17] Vgl. Nina Rehfeld: Die Toten kehren zurück, und sie sind hungrig. In: Frankfurter Allgemeine Feuilleton, 16.11.2010, URL: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/amerikanisches-fernsehen-die-toten-kehren-zurueck-und-sie-sind-hungrig-1576005.html (30.06.2013).

[18] Vgl. Riedner: http://www.quotenmeter.de/n/52683/walking-dead-stellt-neuen-rekord-auf .

[19] Vgl. Manuel Weis: „Walking Dead“ verabschiedet sich mit neuen Rekorden. In: Quotenmeter, 04.12.2012, URL: http://www.quotenmeter.de/n/60761/walking-dead-verabschiedet-sich-mit-neuen-rekorden (30.06.2013); sowie: Bernd Michael Krannich: The Walking Dead: Neue Rekord-Quoten für Fortsetzung von Staffel 3. In: Serienjunkies, 12.02.2013, URL: http://www.serienjunkies.de/news/walking-dead-zuschauerrekord-zomnieserie-46747.html (02.07.2013).

[20] Vgl. Lesley Goldberg: 'Walking Dead' Season 3 Finale Sets More Ratings Records. In: The Hollywood Reporter, 01.04.2013, URL: http://www.hollywoodreporter.com/live-feed/walking-dead-season-3-finale-ratings-431948 (02.07.2013).

[21] Vgl. http://www.goldenglobes.org/2010/12/the-68th-annual-golden-globe-awards-nominations/ (02.07.2013); sowie: http://www.imdb.com/title/tt1520211/awards?ref_=tt_ql_4 (02.07.2013).

[22] Siehe Talking Dead, URL: http://www.amctv.com/shows/talking-dead/about (30.06.2013).

[23] Vgl. The Walking Dead – AMC, URL: http://www.amctv.com/shows/the-walking-dead (30.06.2013).

[24] Vgl. Anonymus: Zombies machten weltweit Werbung für neue TV-Serie, URL: http://www.krone.at/Videos/Steil/Zombies_machten_weltweit_Werbung_fuer_neue_TV-Serie-The_Walking_Dead-Video-227502 (30.06.2013).

[25] Vgl. Jenny Je>http://www.moviepilot.de/news/daryl-sorgt-in-the-walking-dead-spots-fuer-sauerei-120226 (02.07.2013).

[26] Vgl. Barry Keith Grant: Film Genre. Theory and Criticism. Metuchen/New York/London 1977, S. 2.

[27] Vgl. Angela Krewani: Hybride Formen. New British Cinema - Television Drama – Hypermedia [Horizonte 30]. Trier 2001, S. 155.

[28] Vgl. Frahm/Voßkamp: Genre/Gattung/Format, S. 257.

[29] Knut Hickethier: Einführung in die Medienwissenschaft. Stuttgart/Weimar 2003, S. 151.

[30] Vgl. Frahm/Voßkamp: Genre/Gattung/Format, S. 257.

[31] Zur Abgrenzung zur Auteur-Theorie vgl. u.a. Susan Hayward: Cinema Studies: The Key Concepts. 3. Aufl. London u.a. 2007 [1996], S. 103; sowie: Jane Feuer: Genre Study and Television. In: Robert C. Allen (Hrsg.): Channels of Discourse, Reassembled: Television and Contemporary Criticism. 2. Aufl. Chapel Hill u.a. 1992 [1987], S. 104-121, hier: S. 107.

[32] Grant: Film Genre, S. 1.

[33] Vgl. ebd., S. 10f.

[34] Symbole, die eine kulturelle Bedeutung über den einzelnen Film hinaus haben; im Western sind dies z.B. Pferde, Planwagen, Waffen. Objekte, archetypische Charaktere, oder bestimmte Mise-en-scène eines Genres wie Low Key Lighting im Film Noir können ikonographisch sein. Trotz der kulturellen Bedeutung kann ihre Interpretation von Film zu Film variieren: Die Stadt im Western steht z.B. immer für Zivilisation, aber jeder Film kann eine andere Sicht darauf vermitteln. Vgl. ebd., S. 11ff.

[35] Vgl. ebd., S. 14f.

[36] Vgl. ebd., S. 15ff.

[37] Oft eher flache, wiedererkennbare Stereotypen; zudem kann die Besetzung einer Rolle bestimmte Attribute vorwegnehmen; Stars verkörpern wie Genres konkrete Werte und Normen in einer bestimmten historischen Periode. Vgl. ebd., S. 17ff.

[38] Genrefilme funktionieren wie durch einen impliziten Vertrag mit den Rezipienten: sie generieren Erwartungen, die darauf basieren, dass die Zuschauer mit den Konventionen vertraut sind. Vgl. ebd., S. 20ff.

[39] Vgl. Martin Holtz: American Cinema in Transition. The Western in New Hollywood and Hollywood Now. Frankfurt am Main u.a. 2011, S. 34-49.

[40] Ebd., S. 23-26, hier: S. 26.

[41] Vgl. ebd., S. 23-32.

[42] Vgl. Knut Hickethier: Film-und Fernsehanalyse. 4. Aufl. Stuttgart/Weimar 2007 [1993], S. 208.

[43] Rick Altman: Film/Genre. London 1999, S. 15.

[44] Ebd.

[45] John White: Westerns [Routledge Film Guidebooks]. London 2011, S. 46.

[46] Ebd., S. 170.

[47] Hayward: Cinema Studies, S. 187.

[48] Vgl. Holtz: American Cinema in Transition, S. 49.

[49] Vgl. ebd., S. 480.

[50] Meteling: Monster, S. 321.

[51] Ebd.

[52] Frahm/Voßkamp: Genre/Gattung/Format, S. 263.

[53] Vgl. ebd., S. 262f.

[54] Vgl. Knut Hickethier: Film- und Fernsehanalyse. 4. Aufl. Stuttgart/Weimar 2007 [1993], S. 205 f.

[55] Vgl. Holtz: American Cinema in Transition, S. 8f.

[56] Ebd., S. 9.

[57] Ebd.

[58] Vgl. Rick Altman: Reusable Packaging. Generic Products and the Recycling Process. In: Nick Browne (Hrsg.): Refiguring American Film Genres. History and Theory. Berkeley/ Los Angeles/ London 1998, S. 1-42, hier: S. 19.

[59] Vgl. ebd., S. 3-6.

[60] Ebd., S. 20.

[61] Vgl. ebd., S. 22.

[62] Vgl. Holtz: American Cinema in Transition, S. 9; sowie: Lothar Mikos: Film- und Fernsehanalyse [Medien- und Kommunikationswissenschaft, Literaturwissenschaft 2415]. Konstanz 2003, S. 253.

[63] Vgl. Hickethier: Film- und Fernsehanalyse, S. 203.

[64] Vgl. Holtz: American Cinema in Transition, S. 49ff.

[65] Ebd., S. 475.

[66] Ebd., S. 476.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2013
ISBN (PDF)
9783956846052
ISBN (Paperback)
9783956841057
Dateigröße
1.3 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität zu Köln
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,3
Schlagworte
Genre-Theorie Zombie Hybridität Wild West Serie

Autor

Jasmin Kirchner, geboren 1985, hat Medienkulturwissenschaft und Medienrecht an der Universität zu Köln studiert. Ihr Schwerpunkt lag dabei auf den Themen Genre-Theorie und speziell dem Genre Horror.
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Titel: "The Walking Dead" - Horror, Drama oder Western? Eine Analyse
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