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Aktuelle Erkenntnisse der Hirnforschung und Implikationen für die Werbegestaltung

©2013 Bachelorarbeit 57 Seiten

Zusammenfassung

Seit geraumer Zeit beschäftigen Fragen wie die nach der Existenz eines „Buy-Buttons“, eines Kaufknopfs im Konsumentenhirn, gleichermaßen Marketingexperten wie Verbraucherschützer. Ist die moderne Gesellschaft willenloses Opfer der unbewussten Beeinflussung durch Konsumgüterhersteller?
Neue Erkenntnisse der Hirnforschung haben gezeigt, dass das Unbewusste sowie emotionale Prägungen das menschliche Verhalten und individuelle Entscheidungen dominieren. Vor diesem Hintergrund erklärt sich das in den letzten Jahren rasant gestiegene Interesse der Wirtschaftswissenschaften für die Hirnforschung, welches zur Entstehung des neuen Forschungsfeldes der Neuroökonomie führte. Einen Forschungszweig der Neuroökonomie bildet das Neuromarketing, bei dem der Fokus vor allem auf die Erklärung des Konsumentenverhaltens gerichtet ist.
Die vorliegende Bachelorarbeit stellt die Frage, wie aktuelle Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften auf den Kontext der Kommunikationspolitik übertragen werden können. Dabei wird sich speziell auf die Gestaltung effektiver Werbung konzentriert.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


bildgebende Verfahren der functional Magnetic Resonance Tomography (fMRI)
7
haben gezeigt, dass in der Realität das Unbewusste sowie emotionale
Prägungen das menschliche Verhalten und individuelle Entscheidungen
dominieren
8
. Vor diesem Hintergrund erklärt sich das in den letzten Jahren
rasant gestiegene Interesse der Wirtschaftswissenschaften für die
Hirnforschung, welches zur Entstehung des neuen Forschungsfeldes der
Neuroökonomie führte. Einen Forschungszweig der Neuroökonomie bildet das
Neuromarketing, bei dem der Fokus vor allem auf die Erklärung des
Konsumentenverhaltens gerichtet ist
9
.
Die junge und interdisziplinäre Forschungsrichtung verknüpft und integriert
Neurowissenschaft, Kognitionswissenschaft und Marktforschung im Rahmen
von marketingrelevanten Themen
10
. Raab et al. bezeichnen Neuromarketing
allgemein
DOV ÄGLH $QDO\Ve der neuronalen Wirkung absatzpolitischer
0DQDKPHQ³
11
. Häusel unterscheidet in einen enger und einen weiter
gefassten Ansatz:
:lKUHQG 1HXURPDUNHWLQJ LP HQJHUHQ 6LQQH ÄGHQ (LQVDW]
YRQ DSSDUDWLYHQ 9HUIDKUHQ GHU +LUQIRUVFKXQJ ]X 0DUNWIRUVFKXQJV]ZHFNHQ³
meint, umschließt die weitere Definition jegliche Nutzung der Erkenntnisse der
Hirnforschung für das Marketing
12
.
Die Relevanz der Consumer Neuroscience spiegelt sich beispielsweise in dem
Neuromarketing-Instrumentarium Limbic® der Gruppe Nymphenburg wider
13
.
Dieser Ansatz zum Konsumentenverhaltens auf Basis neurologischer
Erkenntnisse wird in der Fachwelt oft als das weltweit beste Instrument zum
Verständnis von Motiven, Emotionen und Persönlichkeiten gehandelt
14
.
Wenn man sich heute auch einig ist, dass es kein
HQ Ä%X\ %XWWRQ³ LP
menschlichen Gehirn gibt, so steht doch fest, dass die Beachtung neuronaler
Prozesse ein entscheidender Faktor für das Verständnis der Konsumenten und
7
Näheres hierzu vgl. z.B. Zurawicki (2010): 44-46
8
Vgl. Raab et al. (2009): 22-23
9
Im englischsprachigen Raum
ZLUG 1HXURPDUNHWLQJ PHLVW DOV Ä&RQVXPHU 1HXURVFLHQFH³
bezeichnet; diese Bezeichnung macht die enge Beziehung zum Konsumentenverhalten
deutlich
10
Vgl. Raab et al. (2009): 4-5
11
Raab et al. (2009): 6
12
Vgl. Häusel (2012c): 13-14
13
Vgl. Gruppe Nymphenburg - Limbic® - Das innovative und einzigartige Neuromarketing-
Instrumentarium
14
Vgl. Häusel (2012a): 11

damit der gezielten Beeinflussung von dessen Verhalten ist. Marketing muss
nicht mehr nur auf die durch den Konsumenten geäußerten Wünsche
reagieren, sondern diese proaktiv aktivieren
15
.
Die vorliegende Bachelorarbeit stellt die Frage, wie aktuelle Erkenntnisse aus
den Neurowissenschaften auf den Kontext der Kommunikationspolitik
übertragen werden können. Dabei wird sich speziell auf die Gestaltung
effektiver Werbung konzentriert.
Es handelt sich um eine Literaturarbeit, die das Ziel verfolgt, aktuelle und für
das Konsumentenverhalten relevante Erkenntnisse der Hirnforschung
aufzuzeigen sowie darzustellen, welche Implikationen für die Werbegestaltung
aus diesen abgeleitet werden können. Hierbei wird wissenschaftliche Literatur
zu den Themen der Kommunikationsgestaltung, speziell der Werbegestaltung,
der Hirnforschung und des Neuromarketing bzw. Consumer Neuroscience
herangezogen.
1.2. Ablauf der Arbeit
Die Arbeit widmet sich im Kapitel zwei zuerst den neurologischen Grundlagen.
Hierbei wird zunächst der Aufbau des menschlichen Gehirns überblicksartig
skizziert. Es folgen Erläuterungen zum Limbischen System und dem Cortex
sowie ein Überblick über die relevanten Gedächtnissysteme. Dieses Wissen
bildet die Grundlage für die anschließenden Kapitel.
Der Hauptteil stützt sich im Kapitel drei auf konkrete Erkenntnisse der
Hirnforschung, die Implikationen für die Werbegestaltung zulassen. An
geeigneten Stellen dienen Beispiele aus der Praxis zur Veranschaulichung der
Erkenntnisse. Die Struktur des Hauptteils richtet sich nach Faktoren des
Konsumentenverhaltens. In der Literatur werden diese unterschiedlich
klassifiziert
16
. Die vorliegende Arbeit geht anfangs auf das Bewusstsein und das
15
Vgl. Häusel (2012b): 7
16
%LHOHIHOG ]XP %HLVSLHO LGHQWLIL]LHUWH DOV ÄGLH VLFK DXV GHU IU 0DUNHQIKUXQJ HVVHQ]LHOOHQ
%H]LHKXQJ YRQ Ã*HKLUQ XQG 9HUVWDQGµ³ HUgebenden Faktoren als Wahrnehmung,
Informationsverarbeitung, Emotionen und Gefühle, Gedächtnis und Erinnerung sowie Motive
XQG +DQGHOQ %LHOHIHOG +lXVHO ZLHGHUXP VSULFKW YRQ Ä(PRWLRQV- und
0RWLYV\VWHPHQ³ +lXVHO D GLH QDFK %LHOHIHOG Neine direkte Einheit bilden.

Unterbewusstsein ein. In diesem Punkt werden auch die damit eng in
Verbindung stehenden Faktoren Aufmerksamkeit und Wahrnehmung
einbezogen. Der sich anschließende zweite Abschnitt behandelt Lern- und
Gedächtnisprozesse. Der letzte Teil des dritten Punktes widmet sich den
Emotionen und Motivationen.
Eine Zusammenfassung der Implikationen sowie ein Ausblick bilden im vierten
Kapitel den Abschluss der Arbeit.
2. Neurologische Grundlagen
2.1. Aufbau und Funktionsweise des menschlichen Gehirns
Das menschliche Gehirn bildet zusammen mit dem Rückenmark das Zentrale
Nervensystem
17
. Sein Aufbau lässt sich grob in Großhirn (auch Endhirn),
Zwischenhirn, Mittelhirn, Hinterhirn und Nachhirn gliedern
18
. Von oben
betrachtet besteht das Gehirn aus zwei Hemisphären, die den symmetrischen
Aufbau des Körpers widerspiegeln
19
und mittig verbunden sind
20
. Ihre
Koordinierung erfolgt durch den Balken, eine Vielzahl von Querverbindungen
21
.
Es werden nicht alle Informationen in gleichem Maße in beiden Hemisphären
verarbeitet. Durch ihre enge anatomische und funktionelle Verbindung ist
jedoch keine strikte Trennung in eine emotionale und eine rationale Seite
möglich. Es sind sowohl in der linken, als auch in der rechten Hirnhälfte nicht
nur kognitiv verarbeitende, sondern auch emotionale Strukturen angesiedelt
22
.
Dadurch ist jedes menschliche Handeln emotional geprägt
23
.
Die inneren Teile des Großhirns bilden die weiße Substanz (auch
Großhirnmark)
24
. Sie besteht aus den Fortsätzen der Nervenzellen und den
Verbindungen zwischen ihnen. Die weiße Substanz wird von der grauen
Substanz (auch Hirnrinde oder Cortex) umgeben. Dieser gefalteten Struktur
17
Vgl. Gegenfurtner (2011): 8
18
Vgl. Pinel / Pauli 2012: 71
19
Vgl. Madeja (2010): 15
20
Vgl. Fehse (2009): 49
21
Vgl. Gegenfurtner (2011): 14
22
Vgl. Scheier / Held (2010): 26
23
Vgl. Veigel / André (2010): 217-218
24
Vgl. Raab et al. (2009): 102

kommt eine besondere Bedeutung zu. Sie besteht aus den Zellkörpern und ist
somit Ort der Informationsverarbeitung
25
. Hier finden die höchsten und
komplexesten Hirnleistungen statt
26
. Der Cortex steuert als größter Teil des
Hirns
27
alle bewussten Erfahrungen und geplanten Handlungen
28
und ist an den
kognitiven Vorgängen wie Bewusstsein, Planung, Abwägen und Bewertung
maßgeblich beteiligt
29
.
Die Nervenzellen (auch Neurone) unterscheiden sich von anderen Zellen des
Körpers vor allem durch ihre Fähigkeit, elektrische Signale aufzubauen und
weiterzuleiten
30
. Sie sind die Träger der Informationsverarbeitung
31
.
Nervenzellen existieren seit der Geburt und teilen sich nicht
32
. Lediglich in
wenigen Teilen des Hirns, wie zum Beispiel dem Hippocampus, vermutet man
nach heutigem Forschungsstand eine Geburt neuer Zellen
33
. Ihre Anzahl wird
auf circa 100 Milliarden geschätzt
34
. Die als Synapsen bezeichneten
Verbindungen zwischen den Neuronen sind 1.000 bis 10.000 Mal zahlreicher
35
.
Die Verbindungen sind nicht statisch. Durch komplexe Prozesse und
eingehende Informationen aus der Umwelt unterliegen sie einer ständigen
Veränderung
36
, wie später noch näher gezeigt wird. Je nach ihrer Funktion und
Lage lassen sich Neurone in unterschiedliche Typen einteilen. Es existieren
zum Beispiel solche mit Spezialisierung auf das Geruchsempfinden, visuelle
Reize oder die Speicherung von Gedächtnisinhalten
37
.
25
Vgl. Madeja (2010): 17-18; weitere geläufige Bezeichnungen sind u.a. Großhirnrinde,
cerebraler Cortex und Isocortex, hierzu vgl. z.B. Raab et al. (2009): 102
26
Vgl. Madeja (2010): 196
27
Vgl. Gluck et al. (2010): 48
28
Vgl. Gegenfurtner (2011): 13
29
Vgl. Fehse (2009): 48-49
30
Vgl. Gegenfurtner (2011): 8
31
Vgl. Madeja (2010): 28
32
Vgl. Raab et al. (2009): 29
33
Vgl. Korte / Bonhoeffer (2011): 74
34
Vgl. Gluck et al. (2010): 68
35
Vgl. Schultz (2011): 95
36
Vgl. Fehse (2009): 49
37
Vgl. Schultz (2011): 101

2.2. Limbisches System, Cortex und Gedächtnissysteme
2.2.1. Das Limbische System
Das Limbische System umfasst all jene Bereiche des Gehirns, die mit
Emotionen in Verbindung stehen
38
. Roth fasst darunter Strukturen zusammen,
ÄGLH PLW HPRWLRQDO-affektiven Zuständen in Verbindung mit Vorstellungen,
Gedächtnisleistungen, Bewertung, Auswahl und Steuerung von Handlungen zu
tun haben, [...] unabhängig davon, ob diese [...] bewusst oder unbewusst
ablaufen
39
. Seine Definition verdeutlicht die Bedeutung des Limbischen
Systems für die vorliegende Arbeit, da Faktoren wie Gedächtnis, Bewertung
und Auswahl mit dem Konsumentenverhalten eng in Verbindung stehen
40
.
Diese Klassifizierung hat sich in den letzten Jahrzehnten in der Wissenschaft
etabliert, gilt heute aber zum Teil als umstritten. Ein Grund dafür ist die
Heterogenität der Areale, die dem Limbischen System zugeordnet werden
41
. Es
existieren hingegen auch bewährte Ansätze der Markenführung, wie Limbic©
der Gruppe Nymphenburg
42
, die sich auf das Limbische System stützen. In der
Praxis ist es kaum relevant, ob man die systematische Gruppierung
entsprechender Strukturen anerkennt, da letztendlich ihre jeweiligen Funktionen
entscheidend sind. Im Rahmen dieser Arbeit wird der Begriff des Limbischen
Systems so verwendet, wie er sich in der Wissenschaft etabliert hat.
Neben der Steuerung aller emotionalen Funktionen ist das Limbische System
auch an der Steuerung aller kognitiven Funktionen beteiligt
43
. Damit beeinflusst
es sowohl die Gedächtnisbildung, als auch das Gefühlsleben
44
. Die
Verarbeitung aller emotionalen Reize und Erinnerungen läuft unter Beteiligung
des Limbischen Systems ab. Wie oben bereits diskutiert wurde, sind emotionale
Prozesse nach heutigem Erkenntnisstand entscheidend für das Verhalten der
Konsumenten
45
. Als bedeutende Strukturen des Limbischen Systems sind im
38
Vgl. Gluck et al. (2010): 405
39
Roth (2003a): 256
40
Vgl. Bielefeld (2012): 226
41
Vgl. Fehse (2009): 47; Roth (2003): 256
42
Vgl. Gruppe Nymphenburg: Limbic® - Das innovative und einzigartige Neuromarketing-
Instrumentarium
43
Vgl. Birbaumer / Schmidt (2010): 79
44
Vgl. Lindstrom (2009): 37
45
Vgl. Punkt 1.1., S. 2

Rahmen dieser Arbeit die Amygdala als sein zentraler Kern
46
, der Hippocampus
und der frontale Cortex
47
zu nennen
48
.
Die Amygdala (auch Mandelkern) sitzt im Kleinhirn und gilt als das Furcht- und
Angstzentrum des Gehirns
49
. Sie beeinflusst jedoch auch alle anderen
Emotionen. Die Amygdala steuert die emotionale Bewertung von Objekten
50
sowie die Speicherung und den Abruf emotionaler Gedächtnisinhalte
51
.
Erinnerungen werden so emotional angereichert
52
. Zusätzlich beeinflusst sie
vegetative
53
und hormonelle Funktionen
54
. Dies geschieht über ihre
Verbindungen zu wichtigen Regionen des Cortex, vor allem dem
orbitofrontalen Cortex, und dem Hippocampus
55
.
Der Hippocampus ist zusammen mit der ihn umgebenden Hirnrinde
Hauptorganisator des deklarativen Gedächtnisses, wenn auch nicht der Ort der
Speicherung selbst
56
. Die Speicherung
HUIROJW
ÄPRGDOLWlWV- und
IXQNWLRQVVSH]LILVFK LQ GHQ YHUVFKLHGHQHQ 5LQGHQDUHDOHQ³
57
, also in speziellen
Bereichen des Cortex, die für den jeweiligen Sinn zuständig sind. Der
Hippocampus bestimmt, welche Wahrnehmungsinhalte wo, wie stark und in
welchem Kontext abgespeichert werden
58
. Er ist
Äeine der zentralen
Schaltstellen für das [explizite und implizite] Einspeichern und Abrufen von
Mustern und Bedeutungen
³
59
und trägt dazu bei, dass Objekte als bekannt oder
unbekannt wahrgenommen werden
60
.
46
Vgl. Bielefeld (2012): 63
47
Vgl. Gluck et al. (2010): 405
48
Zu den bedeutendsten Strukturen des Limbischen Systems zählen weiterhin der Thalamus,
der Hypothalamus und der Nucleus Accumbens; da sie im Rahmen dieser Arbeit keine
Relevanz besitzen, wird auf diese Teile nicht näher eingegangen
49
Vgl. Lindstrom (2009): 39
50
Vgl. Häusel (2012a): 280
51
Vgl. Gluck et al. (2010): 405
52
Vgl. Gluck et al. (2010): 50
53
Vgl. Pispers / Dabrowski (2011): 60
54
Vgl. Roth (2003b)
55
Vgl. Roth (2003b); der orbitofrontale Cortex ist ein Teil des präfrontalen Cortex, welcher im
Anschluss noch näher betrachtet wird
56
Vgl. Bielefeld (2012): 197; Roth (2003b); zum deklarativen Gedächtnis zählen das
semantische sowie das episodische Gedächtnis; Näheres hierzu vgl. z.B. Korte / Bonhoeffer
(2011): 63
57
Roth (2003b)
58
Vgl. Raab et al. (2009): 128
59
Scheier / Held (2010): 147
60
Vgl. Bielefeld (2012): 97

Abbildung 1: Die Bereiche des Cortex
Quelle: Doktor Gumpert; eigene Bearbeitung in Anlehnung an Zahr / Sullivan (2008)
Er beeinflusst emotionales Lernen, indem er Informationen über den Kontext
des Lernprozesses bereitstellt. Um dies mit einem Beispiel zu
veranschaulichen: Ein Konsument empfindet beim Genuss einer heißen
Schokolade durch deren guten Geschmack ein positives Gefühl. Dank des
Hippocampus werden gleichzeitig Kindheitserinnerungen abgerufen, in denen
ihm seine Großmutter an kalten Wintertagen stets eine heiße Schokolade
zubereitete. Der Kontext der positiven Emotionen in der Kindheit wurde
gespeichert. Bei Schädigung des Hippocampus kann zwar noch emotional
reagiert werden; der Kontext, in dem ein Reiz auftritt, wird aber nicht
gespeichert
61
. Gedächtnisvorgänge und emotionale Erlebnisverarbeitung sind
somit durch den Hippocampus eng verbunden
62
und Objekt- und
Situationsmerkmale werden mit emotionalen Bewertungen verknüpft
63
.
2.2.2. Der Cortex
Die menschliche Großhirnrinde, die den oberen Teil sowie die Seiten des Hirns
bedeckt
64
, lässt sich in vier Bereiche einteilen: den Okzipital-, Parietal-,
Temporal- sowie den Frontalcortex
65
(Abb. 1).
61
Vgl. Gluck et al. (2010): 418
62
Vgl. Korte / Bonhoeffer (2011): 63
63
Vgl. Häusel (2012a): 280
64
Vgl. Gluck et al. (2010): 48
65
Vgl. Gegenfurtner (2011): 13-
DXFK %H]HLFKQXQJ DOV Ä/DSSHQ³ 2N]LSLWDOODSSHQ XVZ GLH
Auflistung der Bereiche dient hier der Vollständigkeit, um im Folgenden vor allem näher auf
den Frontallappen eingehen zu können; für detaillierte Informationen zu den jeweiligen
Funktionen wird auf die Quelle verwiesen

Die kortikalen Bereiche sind essentiell für das Speichern und Erinnern von
Informationen
66
. Der Frontallappen ist der wichtigste Teil des Gehirns für die
Verarbeitung von Werbung
67
. Besondere Bedeutung kommt dabei dem Areal
zu, welches man als präfrontalen Cortex (PFC) bezeichnet. Er gilt als zentrales
Entscheidungs- und Exekutivsystem des menschlichen Gehirns
68
. Durch
komplexe kognitive Prozesse
69
werden alle sensorischen Informationen aus
anderen Cortex-Arealen zusammengeführt
70
, bewertet
71
und mit Plänen und
Zielen abgeglichen
72
.
Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass nicht nur die von einem Objekt
ausgehenden sensorischen Reize, sondern zum Beispiel auch die mentalen
Vorstellungen des Objekts in den Bewertungsprozess eingehen. Stimmen
aktuell wahrgenommene äußere Reize mit den Vorstellungen und Erfahrungen
zum Objekt überein, kann eine ganzheitlich positive Empfindung ausgelöst
werden. Im entgegensetzten Fall, wenn also Teile der Wahrnehmung
widersprüchlich sind, bleibt die positive Wirkung aus und es kommt zu einer
kognitiv dissonanten Empfindung
73
. Dieser Bewertungsprozess ist Basis für
Zukunftsplanung, Handlungsvorbereitung und Problemlösung
74
. Der präfrontale
Cortex beeinflusst damit motorische sowie emotionale Reaktionen
75
. Er ist
unabdingbar für Bewusstseinszustände
76
und gilt als Sitz des
Arbeitsgedächtnisses
77
.
66
Vgl. Fehse (2009): 87
67
Vgl. Fehse (2009): 49
68
Vgl. Roth (2003a): 480
69
Vgl. Raab et al. (2009): 119
70
Vgl. Häusel (2012a): 282; bei der Zusammenführung der Informationen aus verschiedenen
Sinneswahrnehmungen spricht man von einem multimodalen Verarbeitungsprozess
71
Vgl. Scheier / Held (2010): 62; die Autoren bezeichnen speziell den orbitofrontalen Cortex als
GDV Ä%HZHUWXQJV]HQWUXP³
72
Vgl. Gegenfurtner (2011): 149
73
Vgl. Raab et al. (2009): 180
74
Vgl. Häusel (2012a): 282; Raab et al. (2009): 117
75
Vgl. Gluck et al. (2010): 187; Lindstrom (2009): 36-37; Raab et al. (2009): 117
76
Vgl. Roth (2003a): 222
77
Vgl. Häusel (2012a): 282

2.2.3. Überblick über die Gedächtnissysteme
Das Gedächtnis besteht aus einer Vielzahl von Hirnarealen sowie
Verknüpfungsformen
78
. In diesem Zusammenhang weist Fehse darauf hin, dass
das Modell der Einteilung in ein Ultrakurzzeitgedächtnis (auch sensorisches
Gedächtnis), Kurzzeitgedächtnis sowie Langzeitgedächtnis veraltet ist, da diese
Begriffe eine räumlich getrennte Lage der Gedächtnisformen implizieren. In der
Realität ist an jeder Form der Speicherung eine Vielzahl von Hirnstrukturen
beteiligt
79
.
Für diese Arbeit von Bedeutung sind der kurzzeitige mentale Speicher, der als
Arbeitsgedächtnis bezeichnet wird
80
, sowie die heute wissenschaftlich
anerkannte Gliederung des langzeitigen Gedächtnisses in einen expliziten
(auch deklarativen) und einen impliziten (auch prozeduralen) Teil
81
.
Neben dem präfrontalen Cortex
82
wird auch der Hippocampus zum
Arbeitsgedächtnis gezählt
83
. Damit ist es maßgeblich an kognitiven Fähigkeiten
wie dem Planen und logischen Denken beteiligt
84
. Zur aktiven Verarbeitung
eingehender Informationen ruft das Arbeitsgedächtnis Informationen aus dem
langzeitigen Gedächtnis ab und speichert sie in einem Puffer zwischen, von wo
aus sie weiterverarbeitet werden
85
. Das Arbeitsgedächtnis hat Zugriff auf die
Sinnes- und Gedächtnissysteme. Es hält damit einen bestimmten Teil der
Wahrnehmung und die mit ihr verbundenen Gedächtnisinhalte sowie
Vorstellungen im Bewusstsein fest
86
. Eingehende Stimuli werden folglich
dahingehend manipuliert, dass ihre Verarbeitung unter Einbezug der bereits
abgespeicherten Gedächtnisinhalte stattfindet
87
. Ihre Interpretation ist demnach
78
Vgl. Korte / Bonhoeffer (2011): 63
79
Vgl. Fehse (2009): 78-79
80
Vgl. Smith / Kosslyn (2009): 240
81
Vgl. Smith / Kosslyn (2009): 194
82
Vgl. Punkt 2.2.2., S. 9
83
Vgl. Lynch (2004): 88
84
Vgl. Smith / Kosslyn (2009): 240
85
Vgl. Thöne-Otto (2008): 320; die Autorin bezieht sich in ihren Ausführungen auf Baddeley,
einen der bedeutendsten Wissenschaftler zum Arbeitsgedächtnis
86
Vgl. Roth (2003a): 159
87
Vgl. Gluck et al. (2010): 206

immer subjektiv von bisherigen Erlebnissen und Erfahrungen geprägt:
Ä:LU
sehen nicht, was wir sehen, sondern, was wir bereits sahen
88
.
Das implizite, prozedurale Gedächtnis beeinflusst das menschliche Verhalten
ohne den bewussten Abruf von Informationen
89
. Seine Verarbeitungskapazität
ist nahezu unbeschränkt. Die Informationsverarbeitung erfolgt schnell, parallel
und weitgehend fehlerfrei. Implizit erkennt der Mensch zum Beispiel Objekte
anhand ihrer visuellen Merkmale. Dabei ist die Verarbeitung der Informationen
flach. Das heißt, sie findet nur auf einer unteren, ersten sensorischen oder
motorischen Ebene statt
90
. Wie später noch gezeigt wird, ist für alle höheren,
mit Kognition verbundenen Verarbeitungsschritte das Bewusstsein
erforderlich
91
. Auf dieser unteren Ebene ermöglicht das prozedurale Gedächtnis
eine schnelle und effiziente Reaktion auf Situationen, especially if the decision
SURFHVV LV FRPSOH[ DQG H[SOLFLW LQIRUPDWLRQ LV ODFNLQJ³ 'HU LPSOL]LWHQ
Evaluierung von Objekten und Stimuli kommt dabei nicht nur in offensichtlich
intuitiven Situationen eine besondere Rolle zu. Sie beeinflusst ebenfalls alle
Arten scheinbar rationaler Entscheidungsprozesse
92
. Hier bestätigt sich wieder,
was bereits anfangs hervorgehoben wurde: Keine Entscheidung oder Handlung
ist rein rational.
Das explizite, deklarative Gedächtnis arbeitet im Gegensatz zum impliziten
*HGlFKWQLV VHULHOO ODQJVDP XQG ÄPKHYROO³ Explizit memorierte Informationen
wie Daten, Namen und Personeneigenschaften können bewusst abgerufen
werden
93
. Seine Kapazität ist beschränkt und es ist fehleranfällig. Es kann
jedoch Informationen auf höheren Ebenen verarbeiten. Diese Fähigkeit ist vor
allem bei komplexen und bedeutungshaften Inhalten essentiell. Durch seine
Flexibilität ist das explizite System fähig, neue oder neuartige Leistungen zu
vollbringen
94
. Die bedeutendsten Hirnstrukturen sind Teile des
Assoziationscortex
95
und der Hippocampus
96
, welcher oben bereits als
88
Fehse (2009): 60
89
Vgl. Smith / Kosslyn (2009): 195
90
Vgl. Roth (2008): 21
91
Vgl. Punkt 3.1.1., S. 14
92
Deppe et al. (2005): 171
93
Vgl. Lynch (2004): 88
94
Vgl. Roth (2008): 21
95
Vgl. Roth (2003): 221; der Assoziationscortex umfasst vor allem Teile des parietalen,
temporalen und präfrontalen Cortex; neben der Wahrnehmung ist er bedeutend für weitere

Hauptorganisator des deklarativen Gedächtnisses identifiziert wurde
97
.
Willentliches, bewusstes Speichern wird durch Bereiche des präfrontalen
Cortex ermöglicht
98
.
%LUEDXPHU IDVVW ]XVDPPHQ GDVV SUR]HGXUDO EHGHXWHW Ä:LU ZLVVHQ HWZDV³
GHNODUDWLY ZLHGHUXP Ä:LU ZLVVHQ GDVV ZLU HWZDV ZLVVHQ³
99
.
Nach den Erläuterungen zu Aufbau und Funktionsweise des Gehirns sowie
dessen relevanten Strukturen widmet sich der Hauptteil der Arbeit nun der
Darstellung, wie spezielle Erkenntnisse der Hirnforschung für die Werbepraxis
Bedeutung erhalten. In diesem Rahmen wird auch gezeigt, wie sich das
Marketing bereits die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den
Neurowissenschaften zu Nutze macht.
3. Herleitung von Implikationen für die Werbegestaltung aus
der Hirnforschung
3.1. Bewusstsein und Unterbewusstsein
3.1.1. Grundlagen zu Bewusstsein und Unterbewusstsein
Jede Sekunde erreichen das Gehirn über die Sinne circa 11 Millionen Bits an
Informationen, von denen nur 40 Bits wahrgenommen werden können
100
. Heute
gilt als wissenschaftlich bewiesen, dass der Mensch nur sehr wenige
Entscheidungen bewusst fällt. So finden bis zu 95 Prozent der Gehirnaktivität
unter dem Bewusstseinslevel statt
101
.
Laut Meffert et al. ist Wahrnehmung eine bedeutende Stufe im
Kommunikationsprozess und bildet die Grundlage für Informationsverarbeitung,
Lernen und Erinnern
102
. Sie kann bewusst oder unbewusst erfolgen.
kognitive Aufgaben, die zwischen Informationsverarbeitung und Handlung stehen; Näheres
hierzu vgl. auch Raab et al. (2009): 110
96
Vgl. Lynch (2004): 88
97
Vgl. Punkt 2.2.1., S. 7
98
Vgl. Fehse (2009): 85
99
Birbaumer (2010): 620-621
100
Vgl. Scheier / Held (2010): 47
101
Vgl. Raab et al. (2009): 160
102
Vgl. Meffert et al. (2012): 740

Für den Begriff des Bewusstseins existiert keine einheitliche Definition. Es kann
mehrere verschiedene Zustände umfassen. Stimuli können aber grundsätzlich
nur dann als bewusst wahrgenommen gelten, wenn sie sprachlich berichtbar
sind
103
. Das Unbewusste hingegen wird häufig mit impliziten und nicht
reflektierten Vorgängen im Gehirn gleichgesetzt
104
.
Aufmerksamkeit ist laut
7URPPVGRUII XQG 7HLFKHUW Ä$NWLYLHUWKHLW GLH VLFK DXI HLQ
NRQNUHWHV 2EMHNW EH]LHKW³
105
. Sie richtet sich auf das, was momentane Relevanz
besitzt
106
. Ist ein Konsument zum Beispiel hungrig, wird er der Reklame eines
Fast-Food Herstellers in der Fußgängerzone eher Aufmerksamkeit schenken,
als wenn er soeben zu Mittag gegessen hat. Somit befähigt
Aufmerksamkeitssteuerung zur Auswahl der Informationen, die verstärkt und
weiter verarbeitet werden, und jener, die unterdrückt und vernachlässigt
werden
107
. Man bezeichnet diesen Prozess als selektive Aufmerksamkeit
108
.
Eingehende Stimuli werden also wahrgenommen und entweder bewusst oder
unbewusst verarbeitet. Entscheidend für die Bewusstseinsbildung ist die
Aufmerksamkeit. Was keine Aufmerksamkeit erhält, wird nur schwach oder gar
nicht bewusst
109
. Ob einem Stimulus Aufmerksamkeit gewidmet wird, hängt von
seiner momentanen Relevanz ab
110
.
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Hirnstrukturen und -prozesse gebunden sind
111
. Es gibt jedoch kein
bestimmtes Hirnareal, das speziell für bewusste Wahrnehmung eingehender
Sinnesinformationen verantwortlich ist. Der Neurowissenschaft, und somit auch
dem Neuromarketing bei der Nutzung bildgebender Verfahren, stellt sich also
die Frage, welche Strukturen an der Bildung des Bewusstseins beteiligt sind
112
.
Es sind grundsätzlich keine Hirnareale außerhalb der Großhirnrinde
103
Vgl. Raab et al. (2009): 159-160; Näheres zu den Bewusstseinsformen vgl. S. 161
104
Vgl. Scheier / Held (2010): 59
105
Trommsdorff / Teichert (2011): 45
106
Vgl. Smith / Kosslyn (2009): 107
107
Vgl. Smith / Kosslyn (2009): 103
108
Vgl. Pinel / Pauli (2012): 207
109
Vgl. Roth (2003a): 205-206
110
Vgl. Fehse (2009): 67
111
Roth (2008): 18
112
Vgl. Gegenfurtner (2011): 85

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2013
ISBN (PDF)
9783956846489
ISBN (Paperback)
9783956841484
Dateigröße
1.9 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Westsächsische Hochschule Zwickau, Standort Zwickau
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1
Schlagworte
Unterbewusstsein Werbung Marketing Limbisches System Cortex
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Titel: Aktuelle Erkenntnisse der Hirnforschung und Implikationen für die Werbegestaltung
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