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Geld und Sprache: Die Auswirkungen der Catilinarischen Verschwörung in den Briefen Ciceros

©2013 Bachelorarbeit 44 Seiten

Zusammenfassung

Die im Jahr 2006 ausgebrochene Finanzkrise hat ein gewaltiges gesellschaftliches Echo verursacht. Ihre Folgen sind bei weitem noch nicht absehbar. Es lässt sich jedoch jetzt schon sagen, dass sie sich nicht auf die Ebene der Wirtschaft beschränken. Eine breite Debatte über den Kapitalismus hat die Öffentlichkeit, die Literatur und die Wissenschaft erreicht. Veränderungen im Umgang mit Geldbegriffen sind vielfältig zu beobachten.
Finanz- und Wirtschaftskrisen sind jedoch keine Erfindung der Moderne, so befand sich die späte Römische Republik etwa 100 Jahre in einer Art Dauerkrise. Besonders deutlich wird dies an der Catilinarischen Verschwörung - einer Verschwörung, die sich vor allem aus dem Versprechen der Schuldentilgung rekrutiert.
Von diesen Überlegungen angeregt, hat sich diese Arbeit mit Frage auseinandergesetzt, ob sich ähnliche sprachliche Phänomene für die römische Republik beobachten lassen.
Als Gegenstand der Untersuchung wurden die Briefe Ciceros an Atticus genutzt, seinem Vertrauten und vor allem seinen Bankier. Also ideal geeignet, um Veränderungen im Umgang mit Geld zu untersuchen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


3.2 Catilina und die Catilinarische Verschwörung

Für die Betrachtung der Verschwörung und der Person Catilinas steht mit den Reden gegen Catilina von Cicero und der Monographie Sallusts de Catilinae coniuratione ein solides Quellenwerk zur Verfügung[1], was durch die Catilina-Biographie Plutarchs ergänzt wird.[2] Dadurch ergibt sich ein grundsätzliches Problem bei der Betrachtung des Wirkens Catilinas: Die Überlieferungen sind stark gegen Catilina eingenommen.[3] Sallust ist in seinen Darstellungen bemüht, Catilina als Personifizierung für die Korruption der Republik herauszuarbeiten. Während die Reden Ciceros, der selber ein erbitterter Gegner Catilinas war, erst im Jahr 60 in überarbeiteter Fassung veröffentlich wurden.[4] Entsprechend ranken sich einige Gerüchte um seine Person. Ein gutes Beispiel stellt hier die sogenannte „1. Catilinarische Verschwörung“ dar. Nach der Absetzung der designierten Konsuln des Jahres 65 gab es ein Komplott zur Ermordung der an deren Stelle Berufenen. Zwar versuchen die Quellen die Urheberschaft dieser Konspiration mit Catilina in Verbindung zu bringen, allerdings ist wohl eher Crassus als Träger anzusehen.[5] Catilina hätte sich ansonsten den Rückhalt in der Nobilität zerstört, der für seine eigentlichen politischen Ambitionen unerlässlich gewesen wäre.[6] Die einzigen positiven Zuschreibungen, die er in den Quellen erhält, weisen ihn als tapfer und furchtlos aus.[7] Ansonsten finden sich vor allem Darstellungen eines lustwandelnden Verschwenders.[8] Durch diese Umstände sind die genauen Hintergründe der Verschwörung schwer einzusehen. Als Hauptmotiv lassen die Überlieferungen die Verschuldung und die Armut der Bevölkerung der Republik erkennen.[9] Deutlich wird dafür, dass die Verschwörung in den Augen der Zeitgenossen ein wichtiges Ereignis darstellte, auch wenn sie sicherlich nicht die Bedeutung hatte, die Cicero ihr zuschreibt.[10]

In der Forschung sind seine Person und die Verschwörung von Beginn an kontrovers betrachtet worden. So fand sich im 19. Jahrhundert vor allem ein „politischer Abenteurer“ wieder. Ein politisches Konzept wurde ihm abgesprochen und als sein Rückhalt galten die „gestrandete[n] Existenzen“[11] der Republik. Mommsen vollzog sogar eine komplette moralische Ächtung Catilinas und seiner Anhänger. Eine gegenteilige Darstellung bildete später vor allem die marxistische Forschung. Diese war bemüht, Catilina zu einem ernsthaften popularen Politiker aufzubauen. Er verkörperte in ihren Darstellungen viele Eigenschaften eines Sozialrevolutionärs.[12] Allerdings konnte auch sie nicht die Probleme eines fehlenden politischen Planes absprechen. In aktuellen Werken wird vor allem darauf hingewiesen, dass Catilina nicht als alleiniger Urheber der Konspiration zu sehen ist.[13] Die Unterstützung von Cäsar und vor allem von Crassus wird vermutet.[14]

Auch die generelle Motivation wird nicht in einem echten Versuch zum gesellschaftlichen Umsturz gesehen. Vielmehr scheint seine Motivation im Streben nach Macht Nahrung zu finden. Dieses findet bereits in seinem verbissenen Bemühen um das Konsulat Ausdruck. Die durch sein Scheitern bei den Wahlen entstandene Verschuldung und die daraus resultierende politische wie persönliche Sackgasse, dürfte einen weiteren entscheidenden Faktor dargestellt haben.[15] Dies wird in besonderem Maße dadurch unterstrichen, dass die Aussichten auf einen Erfolg des Umsturzes verschwindend gering waren. Nicht nur entzog Crassus Catilina wieder die Unterstützung, sondern auch das Heerespotential lässt einen langfristigen Erfolg äußerst unwahrscheinlich werden.[16] Als weiterer Faktor wird die Herkunft Catilinas verstanden. Die einfache Tatsache, dass er einer der ältesten und berühmtesten Familien entstammte, legten ihm den Zwang auf, seine Erfüllung im Erreichen der höchsten Ämter zu suchen.[17]

Dennoch ist die Verschwörung ein deutlicher Ausdruck für die Schwierigkeiten der späten Republik. Durch sie treten die Probleme der Politik, der Sitten und der moralischen Bindungen deutlich zu Tage.[18] Ebenso wird der Bedarf an sozialen Reformen durch die Auswirkungen des Elends und der Unzufriedenheit klar. Catilina ist jedoch nicht als Vorreiter einer bestimmten sozialen Bewegung zu verstehen.[19] Er selbst war kaum mehr als ein „Spielstein“[20] der eigentlichen Taktgeber seiner Zeit.

3.3 Cicero

Deutlich vielfältiger zeigen sich die Überlieferungen zur Person Ciceros. Über sein Leben und Wirken sind ungewöhnlich viele Zeugnisse erhalten. Vor allem stellen die Privatbriefe ein großartiges Medium dar, um sogar Rückschlüsse auf seine inneren Befindlichkeiten ziehen zu können.[21] Dazu kommen seine erhaltenen philosophischen Werke und Reden. Schon durch seine eigene Person steht ein gewaltiges Korpus zur Verfügun.[22] Bereits auf seine Zeitgenossen entfaltete er eine große Wirkungsgewalt und fand sich häufig in den Schriften der Kaiserzeit zitiert oder thematisiert.[23] Wobei er als Schriftsteller und Anwalt bedeutsamer schien als als Politiker.[24] Das große Materialspektrum und die in diesem enthaltenen Widersprüchlichkeiten führen jedoch auch zu dem Problem, dass in der Forschung kein einheitliches Cicerobild zu finden ist.[25] Bis heute gibt es keine Gesamtwürdigung, die seinem Wirken in all seinen unterschiedlichen Aspekten, der Politik, der Rhetorik und der Philosophie, gerecht wird.[26] Dennoch, oder gerade deswegen, ist ein „unüberschaubares Meer der Ciceroliteratur“[27] entstanden, dass seine Ufer bei weitem noch nicht erreicht hat.

In der Forschungsgeschichte wurde leidenschaftlich über Cicero diskutiert. Vor allem im 19. Jahrhundert wurde er heftig kritisiert. Mommsen geht sogar soweit, dass er ihm jegliches Talent und jeglichen Charakter abspricht.[28] Im Zuge einer Gegenreaktion kam es wiederum zur Überhöhung seiner Bedeutung.[29] In der aktuelleren Forschung zeigt sich eine deutlich differenziertere Betrachtung seiner Person. Vor allem wird seine Bedeutung auf seinen unterschiedlichen Betätigungsebenen unterschieden. Unumstritten ist seine Wirkung für die lateinische Sprache und Philosophie.[30] Es ist schließlich seiner Arbeit zu verdanken, dass die lateinische Sprache befähigt wurde, die griechische Philosophie sprachlich überhaupt fassen zu können.[31] Nicht so erfolgreich wird hingegen seine politische Leistung bewertet. Matthias Gelzer sieht ihn im Schatten Cäsars stehen.[32] Trotzdem gesteht er ihm politischen Erfolg und auch ein Wirken im Vordergrund zu. Dennoch überschätze vor allem Cicero selber seine politische Bedeutung und sein wahrer Wert sei seine rednerische Begabung.[33] Dem steht die Darstellung von Habicht aus dem Jahr 1991 gegenüber. Für ihn ist Cicero ein echter Politiker, der seinen Wert dadurch gewinnt, dass er die Ideen der Republik verkörpert.[34] Dieser Standpunkt findet sich auch bei Bringmann unterstützt, der in Cicero „auch als Politiker eine herausragende Persönlichkeit der späten Republik“[35] erkennt. Auch wenn er ihn letztendlich mit der praktischen Politik als gescheitert betrachtet.[36] Ähnlich das Fazit von Arnd Morkel: Er nimmt Cicero als einen wichtigen Politiker seiner Zeit wahr, spricht ihm aber eine staatsmännische Bedeutung ab. Schließlich fehle es ihm an einem politischen Sinn und an der Wahrnehmung der echten politischen Zustände.[37] Diese Schwäche wurde ihm bereits von Gelzer attestiert. Er legt dabei den Fokus in die Richtung eines fehlenden politischen Machtgefühls. So habe Cicero seine späteren Ambitionen torpediert, als er das Bündnisangebot Cäsars abgelehnt hatte, da ihm die eigentlichen Machtkonstellationen nicht ersichtlich waren.[38] Für Klaus Bringmann wiederrum liegt die eigentliche Leistung bereits darin, dass Cicero als homo novus seinen Weg in die Aristokratie gefunden hat. Diesen konnte er schließlich nur durch seine eigene Begabung begehen.[39]

Schwer bleiben die Vorwürfe hinsichtlich des Charakters und der Persönlichkeit Ciceros. Bereits bei Mommsen lässt sich die Anschuldigung der Wankelmütigkeit finden. Auch seine mangelnde Einsicht und das häufige Klagen wurden heftig kritisiert.[40] Ähnliche Kritik findet sich in der aktuellen Monographie von Morkel. Er spricht vor allem von der Arroganz und Eitelkeit Ciceros.[41] Eine interessante Relativierung bietet hier Jochen Bleicken. Für ihn ist es vor allem wichtig, auch seinen Charakter in den Kontext seiner Zeit einzubetten. So sind besonders die politischen Entscheidungen in der späten Republik aus den ganz persönlichen Konstellationen zu sehen. Ebenso bilden Freundschaftsdienste im Rahmen der amicitia den Zeitgenossen keinen Grund zur Verwunderung. Der Hang Ciceros zum Eigenlob wiederum lässt sich gut mit seiner Herkunft begründen. Es war für ihn elementar, seine eigene Leistung zu betonen, um seinen Platz in der Aristokratie zu verteidigen. Insgesamt bewegte er sich wahrscheinlich in den für seine Zeit anerkannten gesellschaftlichen Normen. Insgesamt scheint Cicero ein gutes Bild seines Standes widerzugeben.[42] Nicht eingeschränkt werden kann hingegen die Kritik am mangelnden politischen Instinkt für die wahren Machtkonstellationen.

3.4 Atticus

Obwohl die Quellen zu Atticus nicht annähernd dieselbe Vielfalt erreichen, ist auch für seine Person eine differenzierte Diskussion in der Forschung nachzuzeichnen. Die Grundlage für die Erforschung seiner Person bildet die von Nepos verfasste Biographie. Allerdings ist diese Darstellung tendenziös, da Nepos ein Freund des Atticus war und in seinem Werk kaum Kritik äußert. Da die Antwortbriefe an Cicero nicht überliefert sind, lassen sich zwar aus den Atticusbriefen Rückschlüsse auf den Empfänger ziehen, einen Einblick in dessen Inneres wird uns jedoch nicht gewährt.[43] Entsprechend gibt es wenige konkrete Informationen zu seinem Leben. Zusätzlich erschwert die Dominanz Ciceros in den Quellen die Betrachtung. Sein Wirken wird häufig im Vergleich zu seinem besten Freund gemessen, was ihn selbst etwas in den Schatten drängt.[44] So spricht Leppin gar von einem „Langweiler“, der nicht mit den „kolossalen Individuen“ seiner Zeit mithalten kann.[45]

Dabei hat sich bereits im 17. Jahrhundert ein starkes Interesse für Atticus entwickelt. Er wird als Mensch ohne Makel entworfen und die Diskussionen richten sich hauptsächlich auf seinen genauen Charakter. Die erste wissenschaftliche Auseinandersetzung lieferte Druman 1840. Allerdings finden sich auch hier einige schwer haltbare Urteile. Von Mommsen wird er lediglich mit einer kurzen Charakterisierung bedacht. Die Arbeiten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kranken vor allem an einer unausgegorenen Nutzung der zur Verfügung stehenden Überlieferungen. Auch die Arbeit Fegers aus dem Jahr 1962 ist nicht in der Lage ein ausgewogenes Bild zu liefern. Eine neuere Gesamtbetrachtung liefert Perlwitz. Er kommt zu dem Schluss, dass Atticus als eine große Persönlichkeit der Weltgeschichte betrachtet werden sollte.[46]

Die größte Besonderheit stellt wohl Atticus Lebensweg dar. Er hat, entgegen vieler seiner ambitionierten Zeitgenossen, seine wirtschaftlichen Ziele über den politischen Erfolg gestellt. Damit verbunden ist er bemüht, eine größtmögliche Neutralität gegenüber den politischen Lagern zu wahren, auch wenn er sich durchaus engagierte. Diese Neutralität brachte ihm viel Anerkennung und Wertschätzung seiner Zeitgenossen ein.[47] Ebenso ermöglichte ihm sein Verzicht auf den Wettstreit um die Ämter Freundschaften in allen politischen Lagern. Er konnte so ein ausgezeichnetes Netzwerk kreieren und erlangte als Vermittler und Beistand einen hohen Ruf.[48]

Ein erster Schritt in diese Richtung stellt wohl sein Umzug nach Athen dar, der im Jahr 86 erfolgte. Dadurch konnte er eine Positionierung im Bürgerkrieg zwischen Marius und Sulla vermeiden.[49] In Athen erarbeitete er sich auch seinen Rufnamen. Er investierte viel in den Wiederaufbau der Stadt und verlieh Geld zu relativ niedrigen Zinsen.[50] Von da an war der gut gebildete[51] Atticus in vielen sehr unterschiedlichen Bereichen tätig, wobei ihm sein reiches Erbe eine gute Ausgangslage verschaffte: er spekulierte mit Grundstücken, betrieb Landwirtschaft, beteiligte sich an der Ausbildung von Gladiatoren. Am bekanntesten sind wohl aber seine Tätigkeitsfelder im Bezug auf Cicero. Zum einen gab er dessen Schriften heraus und war auch generell als Verleger erfolgreich[52], gleichwohl er nicht als Verleger im modernen Sinne zu betrachten ist.[53] Zum anderen war Atticus Ciceros Bankier. Er kümmerte sich um seine Geldgeschäfte, überprüfte Schuldner und sorgte sich um die Durchführung von Transaktionen.[54] Auf diesem Gebiet hatte Atticus wahrscheinlich seine Haupteinnahmen generiert.[55] Durch seinen maßvollen Umgang mit der Höhe der von ihm verlangten Zinsen, wurde er als seriöser Geschäftsmann wahrgenommen.[56] Zudem zeichnete er sich auch durch wissenschaftliches Interesse und einer Vorliebe für Kunst aus, was in seiner von ihm aufgebauten Bibliothek Ausdruck fand.[57] Er war sogar selbst als Historiker und Schriftsteller tätig, allerdings nur im Rahmen von Auftragswerken.[58] Jedoch ist keine seiner Schriften überliefert.[59]

Auf die aktive Teilnahme in der Politik zu verzichten war für die Republik durchaus bemerkenswert, zumal sich Atticus zahlreiche Möglichkeiten boten ein Amt anzutreten.[60] Mit diesem „Sonderweg“[61] war er jedoch durchaus erfolgreich und sein erlangter Einfluss ist nicht zu unterschätzen. Schließlich war er in der Lage, seine Enkelin mit Tiberius, dem späteren Kaiser, zu verheiraten. Er schaffte also den Aufstieg bis in die kaiserliche Familie.[62] Sein Verhalten kennzeichnet aber auch den Wechsel von Republik zum Prinzipat und die Anpassung an eine neue Phase der römischen Politik.[63]

Es ist also nicht verwunderlich, dass die Meinungen über den mit 77 Jahren 32 v. Chr. verstorbenen Atticus hinsichtlich seiner eigentlichen Leistung auseinandergehen. Ihn jedoch als graue Eminenz zu sehen, die gar das Handeln Ciceros lenkt, ist sicherlich übertrieben.[64]

3.5 Die Briefe Ciceros

Die Briefe Ciceros bilden eine vielfältige, aber auch umstrittene Quelle. Heute sind 864 von ihnen erhalten, wobei es sich bei 90 von diesen um an Cicero gerichtete Briefe handelt. Ein noch größerer Teil ist wahrscheinlich verloren gegangen. Allen voran die wichtigen Sammlungen an Cäsar, Pompeius und Augustus. Dennoch informieren sie uns über Cicero von seinem 39. bis zu seinem 64. Lebensjahr. Vor allem in den 426 Briefen an Atticus erfahren wir viel über die Emotionen und Bewegründe seines Handelns.[65] Die überlieferten Exemplare sind seit der Antike in vier Sammlungen eingeteilt, wobei auch diese nicht vollständig erhalten sind. Im Rahmen der Untersuchung sollen jedoch nur die verwendeten Sammlungen in diesem Kapitel eine Erläuterung finden: die Briefe ad Atticum und die ad familiares. Während die Atticussammlung einen geschlossenen Zusammenhang abbildet, handelt es sich bei den ad familiares eher um ein Konvolut. Ihre Adressaten sind Freunde, seine Ehefrau, sein Freigelassener und Vertrauter Tiro, aber auch Leute, zu denen Cicero ein schwer zu bestimmendes Verhältnis pflegte, bis hin zu Personen, die, außer als Empfänger oder Autor eines Briefes, gänzlich unbekannt sind.[66]

Trotz dieser großen Vielfalt haben die Briefe in der Forschung wenig Beachtung gefunden. Dabei wurden sie bereits im 14. Jahrhundert durch den Humanisten Petrarca entdeckt. Für Petrarca war dies interessanterweise eine eher schreckliche Entdeckung, da sie sein Weltbild der idealen Antike gefährlich ins Wanken brachten. Zum ersten Mal lernte er auf diese Weise den Privatmann Cicero kennen, mit seinen Schwächen und Ängsten.[67] Am Ende des 18. Jahrhunderts finden sich dann erste philologisch-historische Untersuchungen. Erste komplette deutsche Übersetzung fertigte Wieland in den Jahren 1806-1813 an. Eine Phase der intensiven Beschäftigung mit den Briefen folgte Mitte des 19. Jahrhunderts. Prägend ist vor allem das abwertende Urteil durch Mommsen.[68] Obwohl seit 1959 Neuübersetzungen und neue Kommentare veröffentlicht wurden, sind die Briefe in der historischen Forschung noch deutlich unterrepräsentiert.[69] Ihre größte Beachtung finden sie für Einzelangaben und als Informationsquelle für Biographien. Heftige Debatten werden ebenfalls in Datierungsfragen geführt. Auch aus der philologischen Perspektive werden sie meist in Hinsicht der Modalität der Kommunikation untersucht.[70] Hohe Anerkennung erfährt Cicero hierbei für die passgenaue Gestaltung an den jeweiligen Empfänger.[71] Insgesamt fehlt aber eine globale Betrachtung der Korpora.[72]

Eine Ursache hierfür kann die ungeklärte Frage der jeweiligen Veröffentlichungsmodalitäten sein, da deren genauere Umstände unbekannt sind. Das Selbe gilt für ihre Erstdatierung. Ende des 19. Jahrhunderts wird diskutiert, ob die Veröffentlichung der Atticusbriefe zur Zeit des Kaisers Nero erfolgte oder von Atticus selbst vorgenommen wurde.[73] Eine weitere Theorie ist die Veröffentlichung durch Octavian, was im 20. Jahrhundert durch Carcopino als möglich erachtet wird. Diese These wurde mittlerweile jedoch von Boyance und Büchner widerlegt.[74] Taylor wiederum spricht sich für eine Herausgabe durch Nepos aus, Bailey hingegen legt die Erstausgabe wieder in die Zeit Neros. Ein zufriedenstellendes Ergebnis dieser Debatte ist noch nicht gefunden. Dass der erhaltenen Sammlung die echten Briefe zugrunde liegen, gilt jedoch als sicher. Ebenso finden sich durch größere zeitliche Lücken Hinweise auf eine Bearbeitung der Briefe, als deren Urheber Atticus vermutet wird. Ein Nachweis über die Motive der Bearbeitung kann ebenfalls nicht erbracht werden. Die Vermutung, dass Atticus die Briefe aus finanziellen Interessen verlegte, ist nach Perlwitz nicht haltbar. Einen weiteren Kritikpunkt stellen die fehlenden Antworten des Atticus dar. Es besteht zwar die einfache Möglichkeit des Verlustes der Briefe, jedoch könnte Atticus auf diese Weise seine eigenen Geschäfte verdeckt haben.[75] Eine weitere Theorie bietet Leppin an. Für ihn scheint das Interesse der antiken Philologen an den Schreiben des Atticus zu gering gewesen zu sein, als das sie sich um eine Überlieferung bemüht hätten.[76]

Eine genaue Bestimmung über die Frage der Datierung und des Herausgebers kann auch für die Sammlung ad familiares nicht getroffen werden. Es wird jedoch angenommen, dass sie vor den Atticusbriefen veröffentlich worden sind. Wahrscheinlich durch Ciceros Sekretär Tiro. Zudem war ein Teil der Briefe wohl durch Cicero selbst zur Veröffentlichung bestimmt.[77]

4. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Ursachen der Verschwörung

An dieser Stelle wird nun begonnen, die Hintergründe der Ereignisse, die den Rahmen zu den Briefen geben, zu erläutern. Die erste Betrachtung geht dabei auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ein. Damit soll ein Gefühl für den allgemeinen Zustand der Republik in der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. gegeben werden. Die konkreten Ereignisse, die es möglich machen die jeweiligen Stellen der Briefe genau zuzuordnen, folgen.

Die römische Republik befand sich seit der Mitte des 2. Jahrhunderts in einer Krise. Diese Krise hatte ihre Ursache in der raschen Ausbreitung der römischen Eroberungen. Es entstanden neue Strukturen, an die die Verfassung nicht angepasst war. Doch nicht allein die strukturellen Probleme zermürbten die Republik, denn eine ganze Reihe von größeren Kriegen spielte ebenfalls eine wichtige Rolle. Besonders deutlich lassen sich die Folgen des römischen Wachstums in der Landwirtschaft erkennen. Es bildeten sich immer mehr Latifundien heraus. Diese wurden von meist von den Senatoren unterhalten. Sie vergrößerten ihren Besitz sukzessive, während die Bauern, die das Rückgrat des Heeres stellten, ihren immer längeren Kriegsdienst leisteten. Ebenso schreckten jene nicht davor zurück, sich unrechtmäßig staatlichen Boden anzueignen.[78] Eine weitere Nebenerscheinung war der Weg zur Massensklaverei. Sklaven wurden in der Landwirtschaft vor allem als billige Arbeitskraft betrachtet und standen durch die zahlreichen Kriege in großer Zahl zur Verfügung. Dadurch wurden die Bauern noch weiter ins Abseits gedrängt.[79] Dabei konnten sie sich häufig auch so nicht der Konkurrenz der großen Betriebe stellen. Die Villenwirtschaft war wirtschaftlicher und marktbezogener.[80] Viele verarmte Bauern versuchten daraufhin in Rom ihr Glück. Es kam zu einer Landflucht, wodurch die Meisten ihre Situation jedoch kaum verbesserten.[81] Die in Rom eingeführte Geldwirtschaft ermöglichte zwar eine Spezialisierung der Handwerker, lies aber auch tiefgreifende Unterschiede zwischen arm und reich entstehen.[82] Durch diese Spezialisierungen entstand zwar auf der einen Seite ein differenziertes Angebot an Waren und Dienstleistungen, auf der anderen Seite standen aber auch die Handwerker durch die Sklavenwirtschaft unter einem gewaltigen Druck.[83] Die Großgrundbesitzer förderten auf ihrem Besitz zudem vor allem die Öl- und Weinproduktion. Als Folge sank die Menge des in Italien angebauten Getreides.[84] Rom konnte sich und sein Umland nicht mehr selbständig ernähren und die Getreidepreise stiegen. Die stark angewachsene Menge der verarmten Stadtbevölkerung stellte entsprechend einen großen sozialen und politischen Unruheherd dar.[85]

Die daraus resultierenden Forderungen nach billigerem Getreide und einer Neuverteilung des Landes waren spätestens seit den Gracchen politischer Alltag.[86] Tiberius Gracchus, Volkstribun im Jahre 133, versuchte sich dem Problem mit der Einsetzung einer Ackerkommission anzunehmen. Als er auf das Veto seines Kollegen mit dessen Absetzung durch die Volksversammlung reagierte, schaffte er damit eine Zäsur der römischen Innenpolitik: Er übertrug der Volksversammlung exekutive Macht. Macht, die sonst nur der Senat innehatte. Dadurch war auch ein neues Entscheidungszentrum der Politik geschaffen. Seine eigentlichen Reformversuche endeten niedergeschlagen durch den Senat. Es bildeten sich zwei Parteien der Aristokratie heraus: die sogenannten Popularen und die Optimaten. Die Popularen führten ihre Politik mit Hilfe der Volksversammlung durch, entsprechend wichtig waren die Themen der Landverteilung und des Getreides in ihrer Politik. Die Optimaten versuchten die Vorherrschaft des Senats zu erhalten.[87] Sie waren vor allem bestrebt, die Grundlagen ihres wirtschaftlichen Wohlstandes zu erhalten.[88] Diese Gruppierungen sind allerdings nicht als einheitliche Parteien zu sehen.[89] Die Bedeutung des Themas der Landverteilung lässt sich sogar für das Konsulat Ciceros nachweisen. Er musste sich des Versuches des Volkstribunen Servilius Rullus erwehren, der bestrebt war, ein neues Gesetz zur Landverteilung mit Hilfe der Volksversammlung zu verabschieden.[90] Das Hauptproblem des Konfliktes zwischen den politischen Lagern war jedoch, dass beide Seiten kaum mit den gesetzlichen Rahmen arbeiteten. Die Volkstribunate waren nach den alten Sitten vom Senat abhängig und jeder Versuch der unabhängigen Gesetzgebung stellte einen Bruch dieser Sitten dar. Der Senat und die Magistrate selber wiederrum hatten aber auch kein wirkliches Machtmittel, um die Ausübung dieser Politik zu verhindern.[91] In der direkten Folge wurden viele Auseinandersetzungen mit Gewalt in den Straßen ausgetragen und auch die Bestechung von großen Wählergruppen gewann zunehmend an Bedeutung. Dadurch war Erfolg in der späten Republik häufig mit der Bereitschaft verbunden, Gewalt und Geld aggressiv einzusetzen.[92] Entsprechend war die eigentliche Macht auf wenige, mächtige Personen übergegangen.[93]

Geld und Bestechung gewannen auch durch einen anderen Grund zunehmend an Bedeutung: seit jeher waren die Ämter des cursus honorum Ehrenämter. Die Finanzierung einer senatorischen Karriere über Kredite war entsprechend normal. Den Erlös erhoffte man sich durch die nachfolgenden Promagistrate.[94] Der Konkurrenzkampf um die Ämter wurde jedoch deutlich verschärft, da Sulla die Zahl der Mitglieder des Senats deutlich erhöhte.[95] Erschwerend kam natürlich auch hinzu, dass durch die wachsende Notwendigkeit, die Stadtbevölkerung zu bestechen, die Kosten einer Kandidatur nochmals stiegen. Entsprechend war die Armut nicht nur für die plebs urbana, sondern auch für die Senatoren selber ein gewaltiges Problem.[96]

Die politischen Strukturen wurden jedoch auch durch die zahlreichen Kriege geschwächt. Wie bereits angesprochen sorgten sie für eine starke Belastung der Bauern. Durch den drohenden Zusammenbruch des ganzen Standes, wurde auch das Heer geschwächt. Um die alte Schlagkraft wieder herzustellen, reformierte Marius in mehreren Schritten um das Jahr 107 v. Chr. die Armee hin zu einem Berufssoldatentum. Durch die Abschaffung des bisher gültigen Zensus wurde der Pool an Rekruten deutlich erhöht. Wichtiger für die weiteren Geschicke der Republik ist allerdings, dass der Feldherr von nun an für den Sold und den Ruhestand der Soldaten sorgen musste. Da also der imperator für das Wohlergehen seiner Legionäre verantwortlich war, standen sie mit ihrer Treue näher an dem jeweiligen Feldherren als an dem Staat selber. Dass den Soldaten für das Ende ihrer Dienstzeit Land versprochen wurde, sollte sich ebenfalls zu einem gewaltigen politischen Streitpunkt entwickeln.[97] Außerdem wurde ein Grundpfeiler der römischen Gesellschaft, das Klientelwesen, auf diese Weise ausgehöhlt.[98]

Der 89 v. Chr. ausgebrochene Bundesgenossenkrieg stellte eine weitere Belastung dar. Dabei sind nicht nur die direkten Probleme des mehrjährigen Krieges selbst zu sehen, sondern vielmehr sein Ergebnis: Ein großer Teil der Italiker erhielt das römische Bürgerrecht. Damit wurde zwar ein Streit beigelegt, der schon viele Jahre schwelte, die Verfassung aber an das neue territoriale Gebilde nicht angepasst. Die eigentlich benötigte neue Verwaltung blieb somit auf der Strecke, was die Politik weiter in ihrer Handlungsfähigkeit einschränkte.[99]

Vor allem aber sorgte der Konflikt zwischen den Popularen und den Optimaten für den endgültigen Verlust des politischen Gleichgewichts. Die Auseinandersetzungen gipfelten im Bürgerkrieg zwischen Anhängern des Optimaten Sullas und denen des Popularen Marius. Die mehrmalige Eroberung Roms durch beide Seiten und die eingerichteten Diktaturen zerrütteten den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Mit ihnen waren Gewalt und Willkür verbunden. Viele, vor allem aristokratische, Anhänger der jeweiligen Seite fanden den Tod. Der am Ende siegreiche Sulla bemühte sich durch Gesetze die Eintracht im Staat wiederherzustellen. Gleichzeitig war er bestrebt, die Vorherrschaft des Senates gegenüber den Volkstribunen zu sichern. Die meisten seiner Reformen wurden jedoch nach seinem Abdanken 79 wieder verworfen. Von einer Aussöhnung waren die Parteien zudem weit entfernt. Weitere Aufstände, wie der Sertorius- und der Lepidusaufstand, schlossen sich an.[100]

Sullas wahrscheinlich folgenschwerste Reform blieb jedoch erhalten, denn er hatte die Verantwortung für militärische Kommandos den Promagistraten übertragen. Da diese wiederum die neuen militärischen Aufgaben kaum bewältigen konnten, wurden Feldherren mit besonderem, von eigentlichen Magistraturen unabhängigen, imperium ausgestattet. Der Weg für den Aufstieg der prägenden Individualisten der späten Republik war somit geebnet. Durch den Oberbefehl konnten die Generäle die Soldaten oftmals an sich binden, wodurch sie über ein gewaltiges Klientel und Machtmittel verfügten. Ebenso führten erfolgreiche Feldzüge nicht selten zu erheblichen Reichtümern. Besondere Brisanz erhielten diese Kommandos, da sie von den Volksversammlungen vergeben wurden. Entsprechend war es für die Potentaten möglich rein über ihre Popularität oder ihr Gewaltpotential ihre Kommandos zu erhalten und gegen den Senat Politik zu betreiben. Das Beispiel, das diese Möglichkeiten sehr deutlich aufzeigt, ist die Karriere des Pompeius.[101]

Die späte Republik ist also bereits in der Auflösung befindlich. Die politischen Entscheidungen von den Gracchen bis hin zu Cäsar wurden von gewalttätigen Aktionen begleitet.[102] Die Nobilität war zersplittert und die entscheidenden Aktionen wurden von Einzelpersonen getragen.[103] Die politische Kampagne Catilinas kann also bei der verarmten Bevölkerung auf fruchtbaren Boden fallen. Es ist also nicht verwunderlich, dass er die Unzufriedenen um sich sammeln konnte und dass sein Versprechen der Schuldentilgung die „Öffentlichkeit in höchste Erregung“[104] versetzte.

5. Der Verlauf der Verschwörung

Um einen Begriff der Tragweite dieser Verschwörung zu bekommen, sollen nun die einzelnen Schritte der Erhebung beleuchtet werden. Genauso soll dieses Kapitel dazu dienen, konkrete Ereignisse, die den Zeitraum der zu untersuchenden Briefe betreffen, zu erläutern.

Nach dem Ende der Diktatur Sullas wehrten sich sowohl die Popularen als auch die Optimaten gegen dessen Reformen. Dies äußerte sich nicht nur in den militärischen Aufständen um Sertorius oder Lepidus, auch innenpolitisch versuchte man die Räder zurückzudrehen. Dabei treten vor allem die Konflikte zwischen den adligen Parteien wieder deutlich hervor. Diese Gegenbewegung findet einen Höhepunkt im Jahre 70 v. Chr. In diesem Jahr hatten Crassus und Pompeius das Konsulat inne. Sie nutzen diese Machtfülle, um die alten Machtbefugnisse der Volksversammlung wieder herzustellen. Generell müssen die beiden Konsuln zusammen mit Cäsar als die eigentlichen Handlungsträger der Ereignisse der kommenden Dekaden angesehen werden oder zumindest als die kontrollierenden Faktoren.[105]

Catilina selbst begann seine Karriere als Günstling Sullas. Er machte vor allem durch seine Härte von sich reden. Während Sullas Herrschaft konnte er einigen Reichtum erlangen. Entsprechend war es ihm möglich, den cursus honorum zu beschreiten.[106] So erreichte er im Jahr 67 schließlich die Prätur. Als Proprätor erhielt er die Statthalterschaft über die Provinz Africa. Die Proprätur versuchte er zu nutzen, um seine durch den Wahlkampf angeschlagenen Finanzen aufzubessern. Jedoch scheint er dabei die Grenzen der in den Provinzen anerkannten Bereicherung überschritten zu haben: Wieder in Rom angekommen sah er sich mit einer Klage wegen Amtsmissbrauch konfrontiert. Dies bedeutete für ihn nicht nur, dass er für die Wahlen um das Konsulat des Jahres 65 nicht zugelassen wurde, sondern auch, dass sich Catilina von der Aristokratie verraten sah. Er nahm die Klage gewissermaßen als Verschwörung gegen seine Person wahr. Es folgte die Annäherung an Crassus.[107] Das Verfahren dauerte an und es war ihm erst wieder für das Jahr 63 möglich als Konsul zu kandidieren. Dieser Versuch scheiterte jedoch.[108] Durch die hohen Kosten des Wahlkampfes und seinem Scheitern war Catilina selber hoch verschuldet. Er versuchte sich nun durch radikale Versprechungen eine breite Anhängerschaft aufzubauen. Darunter fallen Bestrebungen, die Machtverhältnisse in den Ämtern neu zu ordnen, genauso wie eine Umverteilung von Besitz. Vor allem aber die Ankündigung der Schuldentilgung verschaffte ihm die Unterstützung der Stadtbevölkerung, der verarmten Adligen und der Veteranen Sullas, die sich von der Republik nicht unterstützt sahen.[109]

Jedoch war er nach wie vor bestrebt, dies über eine ordentliche Magistratur umzusetzen und bewarb sich erneut für das Konsulat des Jahres 62. Dabei machte er auch deutlich, dass er sich als Konsul selbst als Kopf des Staates verstehen würde und die politischen Verhältnisse umstürzen wolle.[110] Doch reichte es für ihn nicht nur der Anlaufspunkt der Unzufriedenen zu sein und die Kandidatur scheiterte erneut.[111] Dabei war es wahrscheinlich vor allem Ciceros Bemühen zu verdanken, dass Catilina nicht gewaltsam in die Wahlen eingreifen konnte.[112] Catilinas Mittel waren nun erschöpft, seine politische Zukunft zerstört. In gleichem Maße verlor er auch seinen gesellschaftlichen Rückhalt.[113] Ab welchem Moment genau er die Unterstützung von Crassus und Cäsar verlor, lässt sich nicht genau bestimmen. Auch ihre generelle Rolle vor der Verschwörung ist schwer zu beleuchten.[114]

Wohl als letzten Ausweg versuchte Catilina nun mit Gewalt die Macht zu erringen. Mit der Unterstützung des Manlius, der den Veteranen Sullas vorstand, organisierte er in Italien militärische Erhebungen und lies Armeen bilden. Der eigentliche Umsturz sollte dann durch Brandstiftung an 12 Stellen in Rom und gezielte Ermordungen eingeleitet werden. Catilina hoffte, dass er den Staat dadurch ins Chaos stürzen könnte, um dann wichtige Positionen einnehmen zu können.[115] Cicero erhielt jedoch über eine Vertraute aus dem Kreise der Verschwörer die wichtigen Informationen. Zudem wurden ihm von Crassus sogar handfeste Beweise über das Vorhaben Catilinas übergeben. Mit diesem Material schuf er eine breite Front im Senat gegen Catilina.[116] Dessen Versuch Cicero im November 63 zu ermorden schlug fehl und er musste noch im Dezember aus Rom fliehen, da er als Feind des Staates angesehen wurde. Seine Anhänger in der Stadt hatten weder das Potential noch die Fähigkeiten den Umsturz durchführen zu können. Seine wichtigsten Verbündeten wurden vom Senat verhaftet. Catilina selbst wagte an der Spitze der Truppen des Manlius den Ausbruch nach Gallien. Allerdings wurde er vorher gestellt und sein zahlenmäßig unterlegenes Heer geschlagen. Der Verschwörungsversuch war damit gescheitert. Catilina verlor in der Schlacht sein Leben.[117] Seine verhafteten adligen Unterstützer waren bereits am Tag ihrer Festnahme hingerichtet worden.[118]

Für Cicero bedeutete die Aufdeckung des Umsturzes seinen wahrscheinlich größten politischen Triumph. Die Optimaten gewannen wieder an Entscheidungsstärke und Geschlossenheit und bauten ihn als pater patriae, und damit als Retter des Staates, auf.[119] Dennoch sollte gerade der Umgang mit den Verschwörern in Rom noch folgenschwer sein. Der Senat konnte so entschlossen agieren, da die Truppenerhebungen des Manlius es ihnen ermöglichte den Konsuln diktatorische Befugnisse zu übertragen. Diese Entscheidung richtete sich gegen Römer, die ihre Waffen gegen den Staat erhoben hatten und wurde allgemein akzeptiert. Die Hinrichtung der in Rom festgesetzten Konspirateure hingegen warf Schwierigkeiten auf, denn seit der Zeit der Ständekämpfe war es römischen Magistraten nicht gestattet ohne einen ordentlichen Prozess ein Kapitalurteil zu fällen. Auf diesem Wege sollte Willkür verhindert werden. Diese Problematik wurde auch im Senat diskutiert. Schließlich hatten sie sich nicht mit Waffen gegen den Staat gestellt und waren damit keine Staatsfeinde. Allen voran lehnte Cäsar eine schnelle Hinrichtung ab. Für ihn hatte nur die Volksversammlung das Recht, dieses Urteil zu fällen. Cicero drängte jedoch auf eine schnelle Entscheidung. Für ihn war es für sein Prestige wichtig, eine Entscheidung in seiner Amtszeit herbeizuführen. Die entscheidende Argumentation wird Cato zugesprochen. Er verwies darauf, dass es sich um geständige Verbrecher handelte und es Brauch sei, diese ohne Prozess verurteilen zu können.[120] So kommt Dahlheim in seiner Betrachtung des Prozesses auch zu dem Fazit, dass es sich um „Justizmord“ handele.[121] Die Entscheidung sei von den Optimaten erzwungen und vor allem auf die politische Wirkmächtigkeit hin ausgelegt worden.[122] Über die Folgen wird im nächsten Kapitel zu sprechen sein.

Kurz nach dem Scheitern der Verschwörung wird die römische Politik im Jahre 60 neugeordnet: Es bildete sich das erste Triumvirat, bestehend aus Cäsar, Pompeius und Crassus. Es sollte das politische Geschehen durch Schlägerbanden und Truppengewalt kontrollieren. Das Ende der alten Ordnung der Republik scheint an dieser Stelle bereits besiegelt.[123]

[...]


[1] Vgl. ebd. S. 231.

[2] Vgl. Rollinger 2009, S. 44.

[3] Vgl. Dyck, S. 2-4.

[4] Vgl. Dahlheim, S. 35.

[5] Vgl. Christ, S. 257.

[6] Vgl. Dyck, S. 3.

[7] Vgl. Dahlheim, S. 35.

[8] Vgl. Christ, S. 256.

[9] Vgl. Rollinger, S. 44.

[10] Vgl. Bleicken, S. 231.

[11] Dahlheim, S. 33.

[12] Vgl. ebd. S. 34.

[13] Vgl. Bleicken, S. 232.

[14] Vgl. Dyck, S. 4.

[15] Vgl. ebd. S. 7-9.

[16] Vgl. Christ, S. 262.

[17] Vgl. Dahlheim, S. 33-35.

[18] Vgl. Bleicken, S. 232.

[19] Vgl. Christ, S. 267.

[20] Dahlheim, S. 35.

[21] Vgl. Fuhrmann, Manfred: Cicero und die römische Republik. Eine Biographie, Mannheim 52011 (durchges. und bibliogr. erw. Aufl.), S. 9.

[22] Vgl. Bleicken, S. 220.

[23] Vgl. Bringmann 2010, S. 13.

[24] Vgl. Rollinger 2009, S. 69.

[25] Vgl. Jäger, Wolfgang: Briefanalysen. Zum Zusammenhang von Realitätserfahrung u. Sprache in Briefen Ciceros, Frankfurt a. M. 1986, S. 2.

[26] Vgl. Bringmann 2010, S. 294.

[27] Ebd. S. 291.

[28] Vgl. Bleicken, S. 226.

[29] Vgl. Bringmann 2010, S. 293.

[30] Vgl. ebd. S. 14.

[31] Vgl. Bleicken, S. 228.

[32] Vgl. Bringmann 2010, S. 293.

[33] Vgl. Gelzer, S. 409.

[34] Vgl. Bringmann 2010, S. 294.

[35] Bringmann, Klaus: Krise und Ende der römischen Republik (133-42 v. Chr.), Berlin 2003, S. 103.

[36] Vgl. Bringmann 2010, S. 289.

[37] Vgl. Morkel, Arnd: Marcus Tullius Cicero. Was wir heute noch von ihm lernen können, Würzburg 2012, S. 284-286.

[38] Vgl. Gelzer, S. 121.

[39] Vgl. Bringmann 2010, S. 285.

[40] Vgl. Rollinger 2009, S. 16.

[41] Vgl. Morkel, S. 19.

[42] Vgl. Bleicken, S. 226-228.

[43] Vgl. Leppin, Hartmut: Atticus. Zum Wertewandel in der späten römischen Republik, in: Res publica reperta. Zur Verfassung und Gesellschaft der römischen Republik und des frühen Prinzipats. Festschrift für Jochen Bleicken zum 75. Geburtstag, hrsg. von Jörg Spielvogel, Stuttgart 2002, S. 192-193.

[44] Vgl. Perlwitz, Olaf: Titus Pomponius Atticus. Untersuchungen zur Person eines einflussreichen Ritters in der ausgehenden Römischen Republik, ,Stuttgart 1992 (= HERMES Einzelschriften 58), S. 11-17.

[45] Vgl. Leppin, S. 192.

[46] Vgl. Perlwitz, S. 11-17.

[47] Vgl. Sauer, Jochen: Werte und soziale Rollen in der Atticus-Vita des Cornelius Nepos, in: Römische Werte und römische Literatur im frühen Prinzipat, hrsg. von Andreas Haltenhoff, Andreas Heil und Fritz-Heiner Mutschler, Berlin 2011 (= Beiträge zur Altertumskunde 275), S. 120-125.

[48] Vgl. Perlwitz, S. 140-146.

[49] Vgl. ebd. S. 35.

[50] Vgl. Kasten, S. 1002.

[51] Vgl. Sauer, S. 137.

[52] Vgl. Kloft, S. 182.

[53] Vgl. Perlwitz, S. 18.

[54] Vgl. Rollinger 2009, S. 164.

[55] Vgl. Perlwitz, S. 35.

[56] Vgl. ebd. S. 80.

[57] Vgl. Kasten, S. 1002.

[58] Vgl. Sauer, S. 138.

[59] Vgl. Leppin, S. 194.

[60] Vgl. Leppin, S. 192.

[61] Perlwitz, S. 20.

[62] Vgl. Sauer, S. 140.

[63] Vgl. Perlwitz, S. 145.

[64] Vgl. ebd. S. 11.

[65] Vgl. Bringmann 2010, S. 11.

[66] Vgl. Schneider, Wolfgang Christian: Vom Handeln der Römer. Kommunikation und Interaktion der politischen Führungsschicht vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs im Briefwechsel mit Cicero, Hildesheim 1998 (= SPUDASMATA 66), S. 68-69.

[67] Vgl. Möller, Lenelotte: M. Tullius Cicero. Berühmte Briefe. Briefe aus dem Exil, Wiesbaden 2009, S. 7.

[68] Vgl. Jäger, S. 2-5.

[69] Vgl. ebd. S. 11.

[70] Vgl. Schneider, S. 73-74.

[71] Vgl. Jäger, S. 7.

[72] Vgl. ebd. S. 15.

[73] Vgl. Perlwitz, S. 20-22.

[74] Vgl. ebd. S. 19.

[75] Vgl. ebd. S. 22-25.

[76] Vgl. Leppin, S. 192.

[77] Vgl. Jäger, S. 20-21.

[78] Vgl. Bleicken, S. 61-63.

[79] Vgl. Fellmeth, S. 83.

[80] Vgl. Christ, S. 3.

[81] Vgl. Fellmeth, S. 85.

[82] Vgl. Christ, S. 81.

[83] Vgl. Fellmeth, S. 83.

[84] Vgl. Bleicken, S. 62.

[85] Vgl. Fellmeth, S. 83-85.

[86] Vgl. Rollinger 2009, S. 23.

[87] Vgl. Bleicken, S. 63-66.

[88] Vgl. Fellmeth, S. 101.

[89] Vgl. Gelzer, S. 65.

[90] Vgl. Dyck, S. 5-6.

[91] Vgl. Gelzer, S. 152.

[92] Vgl. Bringmann 2010, S. 287.

[93] Vgl. Rollinger 2009, S. 64.

[94] Vgl. ebd. S. 12.

[95] Vgl. Bleicken, S. 72.

[96] Vgl. Rollinger 2009, S. 11.

[97] Vgl. Bleicken, S. 67-68.

[98] Vgl. Christ, S. 5.

[99] Vgl. Bleicken, S. 69-70.

[100] Vgl. ebd. S. 70-74.

[101] Vgl. ebd. S. 73-77.

[102] Vgl. ebd. S. 209.

[103] Vgl. ebd. S. 224.

[104] Christ, S. 260.

[105] Vgl. Bleicken, S. 76-80.

[106] Vgl. Dahlheim, S. 34.

[107] Vgl. Christ, S. 256-257.

[108] Vgl. Gelzer, S. 67-68.

[109] Vgl. Dyck, S. 6.

[110] Vgl. ebd. S. 7.

[111] Vgl. Christ, S. 260.

[112] Vgl. Dyck, S. 7.

[113] Vgl. Christ, S. 261.

[114] Vgl. Dyck, S. 9.

[115] Vgl. Dyck, S. 7-8.

[116] Vgl. Christ, S. 263.

[117] Vgl. Dyck, S. 8.

[118] Vgl. Christ, S. 266.

[119] Vgl. Möller, S. 15.

[120] Vgl. Dahlheim, S. 38-45.

[121] Ebd. S. 45.

[122] Vgl. ebd. S. 46.

[123] Vgl. Bleicken, S. 80-81.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2013
ISBN (PDF)
9783956846618
ISBN (Paperback)
9783956841613
Dateigröße
740 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Leipzig
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1
Schlagworte
Wirtschaftskrise Finanzkrise ad Atticum tabula nova

Autor

Hannes Dölle wurde 1987 in Leipzig geboren. Im Jahr 2013 schloss er sein Studium des Polyvalenten Bachelor Lehramt in den Fächern Geschichte und Latein ab und befindet sich momentan im Master of Education. Die gewählte Fächerkombination ist ein Ausdruck des großen Interesses an der klassischen Antike. Durch die mediale Debatte um die Bedeutung des Finanzbegriffes und einem privaten Recherecheprojekt wurde das Interesse an der Forschungsfrage dieser Arbeit ausgelöst.
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Titel: Geld und Sprache: Die Auswirkungen der Catilinarischen Verschwörung in den Briefen Ciceros
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