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Das Pferd zwischen Ponyhof und Lasagne: Zum medialen Umgang mit Tierschutzfällen am Beispiel des Ponyhofes Staaken und der Reiterin Christine W.

©2013 Bachelorarbeit 63 Seiten

Zusammenfassung

Verhungerte Pferde, Hunde und Katzen in vermüllten Wohnungen und Masthähnchen, die schon lange vor der Schlachtung nicht mehr laufen können - Tierschutzfälle erregen bei den Rezipienten und allgemein in der Bevölkerung schnell große Aufmerksamkeit. Das Mitgefühl mit dem Tier ist groß - und es steigt. Je weniger der Mensch in seinem Alltag mit dem Tier zu tun hat, desto mehr scheint er sich an Tierschutzvergehen zu empören.
Viele Medien wissen dies zu nutzen und warten mit dramatischen Bildern und tragischen Schlagzeilen auf. Aber ist dies der Sache wirklich zuträglich?
In dieser Arbeit wird aufgezeigt, wie es um den Tierschutz in Deutschland bestellt ist, wie Medien mit Tierschutzfällen umgehen, welche Dynamik zur medialen Verbreitung führt und was Fachmedien tun können und sollten.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2.2 Die ersten Tierschutzgesetze

Erst Anfang des 19. Jahrhunderts begann der Mensch wirklich das Tier um des Tieres willen schützen zu wollen, anstatt den Schutz des Tieres von der negativen Wirkung von Tierquälerei auf die eigene Seele und die öffentliche Ordnung abhängig zu machen. Hierbei ist vor allem ein Werk des Dichters Matthias Claudius (1740-1815) hervorzuheben, der ein „Schreiben eines parforcegejagten (Hetzjagd, Anm. d. Verf.) Hirschen an den Fürsten, der ihn parforcegejagt hatte“ verfasste und darin auf die Schmerzen und Leiden des Tieres hinwies. Allerdings lag auch hinter der Tierschutzbewegung des 19. Jahrhunderts wieder der Gedanke der Vervollkommnung des Menschen durch seine ethische Erziehung. Mit dem Tierschutz wollte man der gottgeschaffenen Ordnung der Natur entsprechen (vgl. Meyer 1992).

1822 trat dann – nach mehreren erfolglosen Anläufen – das erste Tierschutzgesetz in England in Kraft. Es sanktionierte mutwillige und grausame Tiermisshandlung – allerdings nur bei Pferden und landwirtschaftlichen Nutztieren. 1838 gab es dann im ersten deutschen Land, in Sachsen, das erste Tierschutzgesetz. Weitere deutsche Länder folgten in den kommenden Jahren. Länderübergreifend wurden die Tiere dann erstmals im Reichsstrafgesetz 1871 geschützt. Allerdings war es für die Strafverfolgung häufig Voraussetzung, dass mit dem Quälen der Tiere öffentliches Ärgernis erregt wurde.

Das bis dato strikteste Gesetz wurde 1933 erlassen. Das rohe Misshandeln und absichtliche Quälen konnte nun mit einer Gefängnisstrafe von bis zu sechs Monaten geahndet werden (vgl. Kraemer 2009, S. 6 ff). Es war das umfassendste Tierschutzgesetz der Welt, das neben Tierquälerei für Filmproduktionen, unter anderem Hetzjagden und das Kupieren von Schwänzen und Ohren bei Hunden verbot, sowie die Betäubung von Fischen vor der Tötung vorschrieb. (vgl. Herzog 2010, S.67). Der Anthrozoologe Hal Herzog schreibt dazu:

Eine bizarre Umwertung der Werte fand vor dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland statt, die dazu führte, dass eine beträchtliche Anzahl Deutscher sich mehr Sorgen über das Leiden von Hummern in Berliner Restaurants machte als über Völkermord. (Herzog 2010, S. 67)

2.3 Das Deutsche Tierschutzgesetz

Das heutige Tierschutzrecht geht direkt auf das Tierschutzgesetz von 1933 zurück. Es wurde lediglich der ökonomischen Entwicklung, wie zum Beispiel der industriellen Tierhaltung, angepasst. Die Tiere werden um ihrer selbst willen geschützt ohne, dass ein eigenes Recht der Tiere dabei entsteht. Der wichtigste Punkt im Tierschutzgesetz (TierSchG) ist §1, der Zweck des Gesetzes:

Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.

Seit 2002 ist der Tierschutz außerdem als Staatsziel in das Grundgesetz integriert. Hier wurde der Artikel 20a um die Worte „und die Tiere“ ergänzt. Diese Ergänzung erhob den Tierschutz zu einem eigenständigen Verfassungswert (vgl. Tierschutzrecht 2007, Einführung). Es heißt nun:

Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung. (GG, Art 20a)

3 Wann und wie kommt Tierschutz in die Medien?

Etliche Tierschutzfälle werden Monat für Monat bei den zahlreichen Tierschutzorganisationen in Deutschland, sowie bei den Veterinärämtern und Amtstierärzten der Landkreise, Städte und Bezirke gemeldet. Auch Internetforen wie gutefrage.net sind voll mit Beiträgen von Benutzern, die zusammengefasst wissen wollen: „Wie kann ich meinen Tiere quälenden Nachbarn anzeigen?“ (gutefrage.net, 4.10.2010).

Selbst das TV-Programm in Deutschland spiegelt das Interesse am Tier. Täglich kann sich der Zuschauer zwischen vier und elf Serien am Tag nur mit diesem Thema anschauen. Besonders die Öffentlich-Rechtlichen Sender konkurrieren mit Formaten, die sich kaum unterscheiden. Auch die Namen, von Panda, Gorilla & Co. über Nashorn, Zebra & Co. bis zu Papageien, Palmen & Co., wirken austauschbar. (vgl. tierwebcams.de).

Dennoch schaffen es nicht alle Tierschutzfälle in die Medien. Und das, obwohl das Interesse am Tier Jahr für Jahr steigt und das Haustier – auch dank der Entwicklung der Singlehaushalte, die häufig Tiere als eine Art Kinderersatz halten – in Deutschland an immer größerer Bedeutung gewinnt.

Allein für Hundefutter zahlten die Deutschen 2010 rund 834 Millionen Euro – im Gegensatz zu 556 Millionen für Babynahrung. 2011 stieg der Umsatz mit Hundebedarfsartikeln auf 159 Millionen Euro, das bedeutet eine Steigerung von 2,6 Prozent zum Vorjahr. Die rund fünf Milliarden, die jährlich nur mit der Hundehaltung umgesetzt werden, machen 0,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) aus, während es die gesamte deutsche Land- und Forstwirtschaft 2011 nicht einmal auf ein Prozent des BIP brachte (vgl. Baurmann, 06.08.2012).

Auch das Spendenaufkommen für den Tierschutz steigt. So verzeichnete der Deutsche Spendenrat für 2012 einen Anstieg auf insgesamt sechs Prozent des gesamten Deutschen Spendenaufkommens von 4,2 Milliarden Euro für den Tierschutz und insgesamt vier Prozent für Umweltschutzorganisationen (Spendenrat, 14.03.2013).

Trotz des gestiegenen Interesses am Tierschutz ist zu beobachten, dass einige Fälle nicht in der aktuellen Berichterstattung landen. Woran liegt das also? Und seit wann ist Tierschutz überhaupt in den Medien ein Thema?

3.1 Fachmeinungen: Seit wann sind Tierschutzfälle interessant und warum?

Bei meinen Recherchen versuchte ich zunächst, im Archiv der Berliner Zeitung alte Tierschutzfälle zu finden. Dabei war ich nicht sehr erfolgreich. Die ersten Artikel waren erst Ende der 90er zu finden. Aber auch danach waren sie sehr rar gesät. „Das hat früher einfach niemanden interessiert“, erklärten mir die Redakteure. Außerdem hänge es auch immer von den Interessen der verschiedenen Redakteure ab, welche Fälle ins Blatt kommen. Fazit: Kein Tierfachmann in der Redaktion – keine Artikel über Tierschutz.

Aber auch bei der St. GEORG begann die reguläre Berichterstattung über Tierschutz erst in den 90er Jahren. Einer der spektakulärsten Fälle war die Berichterstattung über ein Video des Spiegel, in dem zu sehen war, wie für die Performance Sales International Auktion von Paul Schockemöhle und Ullrich Kasselmann (auch heute noch Größen in Pferdesport und -zucht, Anm. d. Verf.) Pferde gebarrt wurden (vgl. Tönjes 2013). Den Tieren werden dabei während des Sprunges Stangen an die Beine geschlagen um sie zum höheren Springen zu veranlassen.

Damit die Pferde die Beine über dem Sprung anheben und nicht wie in diesem Fall hängen lassen, werden sie von einigen Reitern gebarrt. Dabei werden ihnen beim Sprung Stangen an die Beine geschlagen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Pferd über einem Sprung

Außerdem berichtete die St. Georg über Pferdetransporte in den USA. Weitere Tierschutzfälle der St. GEORG werden unter 5.2 vorgestellt.

Um eine weitere Sicht der Dinge zu bekommen, interviewte ich den Amtstierarzt des Kreises Ostprignitz-Ruppin, Matthias Rott, zu dem Thema. Er war es, der im März 2013 dafür gesorgt hatte, dass 160 vernachlässigte Pferde aus Linow ihren Besitzern weggenommen und vom Kreis über Monate versorgt werden konnten. Mittlerweile sind sie alle erfolgreich weitervermittelt.

Der 65-Jährige ist seit 1971 Tierarzt. Rott ist der Meinung, die Öffentlichkeit sei heute einfach sensibler, wenn es um Tiere geht. „Wenn sie mal fernsehen, ist ja jede zweite Sendung über das liebe Tier. Mit der Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz gab es außerdem eine Verschärfung der Rechtsbestimmung. Sachen, die wir früher nicht kontrolliert hätten, sind heute geregelt.“ Seiner Ansicht nach war Tierschutz vor dem Ende der 80er in der Öffentlichkeit kaum relevant. „Naja, wer hat sich früher darum gekümmert, wenn der Nachbar die Kätzchen ertränkt hat? Niemand. Heute ist das eine Straftat, die zur Anzeige führt.“

Besonders Städter, die aufs Land zögen und keine Ahnung vom Umgang mit Tieren hätten, seien ein Problem. Einen großen Teil seiner Arbeit machten mittlerweile Anzeigen von Leuten aus, die einfach das Tier nicht verstünden. Zum Beispiel gebe es Anzeigen von Städtern, „wenn Kühe im Winter auf der Weide stehen und auch da im Schnee ihre Kälber bekommen. Dabei ist das ja nun wirklich die natürlichste Haltung, die man machen kann und bei Mutterkuhhaltung durchaus üblich.“

Obwohl die Berichterstattungen in den Medien zugenommen haben, sieht er keine signifikante Zunahme der tatsächlichen Tierschutzfälle. Vor allem die Anzahl der Wegnahmen von Tieren bleibe in etwa gleich. Jedes Jahr gebe es ein paar Fälle, in denen die Tiere gerettet werden müssten. Vor allem Hunde und Katzen aus vernachlässigten Haushalten seien betroffen.

Matthias Rott erteilt gern Auskunft über seine Arbeit. Das ist bei vielen Tierärzten, zum Beispiel beim Ponyhof Staaken, von dem später noch die Rede sein soll, nicht so.

Er war in dem Fall der 160 weggenommenen Pferde zufrieden über die Öffentlichkeit. „Gut, dass meine Arbeit gewürdigt wird. Nicht jeder kann solche Aktionen durchführen. Nicht jeder hat so einen Stadtrat, der hinter einem steht. Außerdem gingen die Beschimpfungen der Leute (der ehemaligen Tierhalter, Anm. d. Verf.) ja bis unter die Gürtellinie. Das tut schon gut, wenn da von den Medien vernünftig informiert wird.“ (vgl. Rott 2013)

3.2 Nachrichtenwerttheorie: Tiere sind niedlich

Schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts wird an Nachrichtenfaktoren und der so genannten Nachrichtenwerttheorie geforscht. Einer der Kernpunkte dabei ist: „Auswahlkriterien, wie sie von Redakteuren in der Regel angewandt werden, strukturieren und verzerren die Berichterstattung in den Medien“ (Mast 2008, S.58). Die von den Medien geschaffene Realität unterscheidet sich deshalb deutlich von der tatsächlichen. Dies liegt hauptsächlich daran, dass eher über das Abweichende, als über das Normale und eher über neue Dinge als über bestehende berichtet wird.

Johan Galtung und Mari Holmboe Ruge entwickelten 1965 einen Katalog von zwölf Kriterien für den Nachrichtenwert. Diese Faktoren bestimmen häufig die Auswahl der Journalisten. Je mehr Nachrichtenfaktoren sich auf ein Ereignis beziehen lassen, desto größer ist die Chance, dass es medial beachtet wird (vgl. Mast 2008, S. 58 ff).

Im Folgenden sollen nun die Nachrichtenfaktoren, die sich in Bezug auf den Tierschutz eignen analysiert werden und wenn möglich, Tierschutzfälle aus den Medien zu den verschiedenen Faktoren vorgestellt werden.

Frequenz

Je mehr der zeitliche Ablauf eines Ereignisses der Erscheinungshäufigkeit der Medien entspricht, desto wahrscheinlicher wird das Ereignis zur Nachricht. (Mast 2008, S. 59)

Dieser Faktor trifft vor allem dann auf Tierschutzfälle zu, wenn der Beschuldigte einer Straftat wiederholt vor Gericht erscheinen muss. So war es zum Beispiel im Fall von Christine W., der 2008 in Norderstedt vorgeworfen wurde, ihre Reitpferde während des Trainings zu misshandeln. Von diesem Fall soll allerdings später noch die Rede sein. Ein weiteres Beispiel für diesen Faktor war die in Linow beschlagnahmte Pferdeherde. Im März 2013 wurden, wie bereits erwähnt, in dem brandenburgischen Dorf 160 Pferde vom Amtstierarzt Rott beschlagnahmt, weil die Besitzer wiederholt nicht auf Auflagen zur Verbesserung der Tierhaltung eingegangen waren. In den folgenden Wochen mussten mehrere Pferde eingeschläfert werden.

Die restlichen wurden entwurmt und geimpft, einige Stuten bekamen Fohlen, die Kennzeichnung der Tiere war ohne Pass nur mithilfe von Zuchtvereinen möglich und schließlich mussten die Pferde auch noch ein neues Zuhause finden (vgl. Stamer, 15.03.2013).

All diese Punkte schufen eine Dynamik, die es den Medien ermöglichte, fast täglich eine neue Nachricht über den Fall zu bringen. Allerdings konnte man in vielen Medien – wie auch bei der Berliner Zeitung – feststellen, dass die Nachrichten, vor allem Online, direkt von der dpa übernommen wurden. Eigens nach Linow ins tiefste Brandenburg zu fahren und über den Fall zu berichten, war in vielen Redaktionen offenbar nicht möglich. Vielleicht war auch das Interesse nicht groß genug, denn auch für die Berliner Zeitung wurde das Thema erst interessant als ich erwähnte, wie viel Geld die Aktion den Landkreis kostete.

Bei der vernachlässigten Herde in Linow bestand eine gewisse Frequenz für die Medien, da die Pferde gekennzeichnet und medizinisch behandelt werden mussten. Einige mussten eingeschläfert werden, andere – wie diese ausgemergelte Stute – brachten jedoch sogar gesunde Fohlen zur Welt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Stute mit Fohlen in Linow

Schwellenfaktor (absolute Intensität, Intensitätszunahme)

Es gibt einen bestimmten Schwellenwert der Auffälligkeit, den ein Ereignis überschreiten muss, damit es registriert wird. (Mast 2008, S.59)

Dieser Schwellenwert der Auffälligkeit war gegeben, als ein 59-jähriger Landwirt aus Frauenhagen Ende 2011 in Brandenburg seine Pferde und Rinder so schlecht versorgte, dass einige auf der Weide verendeten. Doch selbst die toten Tiere ließ er nicht entsorgen. Sie lagen somit im Schmutz und verwesten unter den Hufen der anderen (Schwers, 29.11.2011). Die besondere Schwere des Falls mit 150 Tieren und die ekelerregenden Bilder der verwesenden Tierkadaver überschritten den Schwellenwert und wurden registriert. Neben der BILD berichteten unter anderem der Berliner Kurier, die Morgenpost, die Märkische Oderzeitung und nordkurier.de über Monate, da es lange dauerte, bis der Betrieb geschlossen werden konnte.

Im Nachhinein stellte sich heraus, dass einige Pferde, sowie ihr Besitzer, Landwirt Peter S, der unter anderem ein Tierhaltungsverbot erhalten hatte, auf dem Hof in Linow aus dem vorherigen Fall Unterschlupf fanden. Dort wurden die Tiere, wie bekannt, weiter vernachlässigt.

Bedeutsamkeit (kulturelle Nähe/Betroffenheit, Relevanz)

Je größer die Tragweite eines Ereignisses ist, je mehr Betroffenheit es auslöst, desto eher wird es zur Nachricht. (Mast 2008, S.59)

Eines haben Tierschutzfälle bei den meisten Menschen sicher: Sie lösen Betroffenheit aus. Welcher, einem Tier freundlich zugewandte, Mensch würde von verwesenden Tierkadavern und blutig gerittenen Pferden nicht betroffen? Allerdings ist festzustellen, dass sich die Berichterstattung über Tierschutzfälle häufig zu sehr auf die Betroffenheit an sich stützt. Diese Art der Anteilnahme werde häufig missbraucht um die Bevölkerung mit Bildern von leidenden Tieren emotional zu beeinflussen, schreibt Alexandra Kraemer in ihrer Arbeit über Tierschutz und Strafrecht. Sie befürchtet, dass die Berichterstattung durch zu viele Emotionen an Sachlichkeit verliert:

„Die PR-Industrie verwendet ebenfalls bevorzugt Abbildungen von „süßen“ Tieren, um ihre Verkaufszahlen zu steigern (sog. Bambi-Effekt). Nur auf den ersten Blick ist dies dem Tierschutz förderlich. Bei näherer Betrachtung kann diese Art der Aufbereitung aber dem Tierschutzgedanken schaden, da sie einer sachlichen Diskussion abträglich ist und auf eine Begründung der These verzichtet.“ (Kraemer 2009, S. 30/31)

Leidende und kranke Tiere, aber auch niedliche, wie zum Beispiel dieses Gallowaykalb, rufen bei den Rezipienten starke Emotionen hervor. Dies kann die objektive Berichterstattung behindern.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Gallowaykalb

Konsonanz (Erwartung, Wünschbarkeit)

Je mehr ein Ereignis mit vorhandenen Vorstellungen und Erwartungen übereinstimmt, desto eher wird es zur Nachricht. (Mast 2008, S.59)

Erwartbarkeit lässt sich bei Tierschutzfällen in Medien nur selten voraussetzen. Lediglich im so genannten Wiesenhof -Skandal 2011, als durch Recherchen der ARD und der Tierrechtsorganisation PeTA, sowie einer ehemaligen Pächterin des Wiesenhofes, die schlechten Haltungsbedingungen in Anlagen des Geflügelfleischherstellers Wiesenhof bekannt wurden, war Konsonanz gegeben (vgl. PeTA 2011). Hier konnten Tierliebhaber und Verbraucher sagen: „Das habe ich doch schon immer gewusst. So günstig kann man keinen Hähnchenschenkel herstellen.“ Dass viele ihn trotzdem gekauft haben, und immer noch kaufen, ist wohl auf Verdrängung zurückzuführen. Die PHW Gruppe, zur der auch Wiesenhof gehört, konnte seinen Gesamtumsatz im Geschäftsjahr 2011/2012 um 5,2 Prozent auf 2,4 Milliarden Euro steigern (agrarheute, 14.02.2013). Da, nachdem die allgemeine Empörung etwas abgeebbt war, nur noch selten berichtet wurde, konnten sich offensichtlich viele Verbraucher wieder schnell mit dem Wiesenhofgeflügel anfreunden.

Kontinuität

Ein Ereignis, das bereits als Nachricht definiert ist, hat eine hohe Chance, von den Medien auch weiterhin beachtet zu werden. (Mast 2008, S. 59)

Als Nachricht definiert war ebenfalls der Wiesenhof -Skandal. Vorgegeben von der ARD, dem öffentlich-rechtlichen Sender mit großem Vertrauensvorschuss, konnten alle Medien aufspringen und in die Empörung einstimmen. Auch die großen Lebensmittelhändler und Discounter sahen sich unter Druck, bessere Haltungsbedingungen von Wiesenhof zu fordern oder den Verkauf der Produkte einzustellen (vgl. fleischskandale.de, 25.09.2011).

Personalisierung

Je mehr ein Ereignis personalisiert ist, sich im Handeln oder Schicksal von Personen darstellt, desto eher wird es zur Nachricht. (Mast 2008, S. 59)

Der Faktor Personalisierung ist vor allem dort zu beobachten, wo ein Vergehen gegen den Tierschutz genau auf eine Person bezogen werden kann. Dies war der Fall bei Christine W.. Als Reiterin war sie direkt für die Pferde verantwortlich und musste vor Gericht zu ihren Taten aussagen. Auch in dem, noch im Folgenden analysierten, Fall des Ponyhof Staaken, konnten die Missstände direkt auf die Halter der Tiere zurückgeführt werden.

Bezug auf Elite-Personen

Ereignisse, die (…) mächtige Nationen betreffen, haben einen überproportional hohen Nachrichtenwert. Entsprechendes gilt für Elite-Personen, d.h. prominente und/oder mächtige, einflussreiche Personen. (Mast 2008, S. 59)

Dies ist häufig im Pferdesport zu beobachten, wo sich – auch weil der Sport nicht billig ist –wohlhabende und somit auch für die Allgemeinheit bekannte Personen finden. Beispiele sind Zara Phillips, Vielseitigkeitsreiterin und als Tochter von Prinzessin Anne an vierzehnter Stelle der britischen Thronfolge, oder auch die jordanische Prinzessin Haya Bint Al Hussain, die Präsidentin der Internationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI).

Auch in dem Fall um das Millionenpferd Totilas waren Elite-Personen in den Medien. So zeigte PeTA 2012 die Halter des Pferdes, Paul Schockemöhle und Ann Kathrin Linsenhoff, sowie den Trainer Klaus Martin Rath und den Reiter Matthias Rath wegen tierquälerischer Trainingsmethoden und nicht pferdegerechter Haltung an (vgl. Pochammer 2012, S. 26ff.). Etliche regionale und überregionale Medien wie Die Welt, Der Spiegel, der Focus, N24 und das Hamburger Abendblatt berichteten über den Fall.

Negativismus

Je >>negativer<< ein Ereignis, je mehr es auf Konflikt, Kontroverse, Aggression, Zerstörung oder Tod bezogen ist, desto stärker wird es von den Medien beachtet. (Mast 2008, S. 59)

Negativismus ist der Faktor, der garantiert von allen Tierschutzfällen bedient wird. Das Quälen und der Tod von Tieren werden von nahezu allen Rezipienten als negativ empfunden. Unterstützt wird dies meist noch von der dramatischen Bebilderung der Berichte.

Nicht direkt auf Tierschutzfälle zu beziehen sind die Nachrichtenfaktoren Eindeutigkeit, Überraschung, Variation und Bezug auf Elite-Nationen. Acht von zwölf Faktoren treffen also auf die meisten Fälle zu. Warum einige dennoch nicht von den Medien aufgegriffen werden, hat andere Gründe, die unter anderem in Punkt 4, dem Ponyhof Staaken näher erörtert werden sollen.

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Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2013
ISBN (PDF)
9783956846779
ISBN (Paperback)
9783956841774
Dateigröße
4.4 MB
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,3
Schlagworte
Wiesenhof Amtstierarzt Barren Gammelfleisch Rollkur

Autor

Kirsten Stamer wurde 1986 in Hamburg geboren. Nach einer Lehre zur Pferdewirtin mit Schwerpunkt Zucht und Haltung und einiger Erfahrung in diesem Beruf, beschloss sie, ihr Abitur nachzuholen. Ihr anschließendes Studium in Journalismus und Unternehmenskommunikation schloss die Autorin 2013 in Berlin ab. Bereits während des Studiums sammelte sie Erfahrungen bei der Berliner Zeitung und bei Fachzeitschriften wie der GEO und der St. GEORG. Ihre journalistischen Recherchen in mehreren Tierschutzfällen motivierten sie, sich der Thematik des vorliegenden Buches zu widmen.
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Titel: Das Pferd zwischen Ponyhof und Lasagne: Zum medialen Umgang mit Tierschutzfällen am Beispiel des Ponyhofes Staaken und der Reiterin Christine W.
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