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Die Einstufung des Pflegegeldes: Kritische Auseinandersetzung mit der novellierten Rechtslage durch das Budgetbegleitgesetz 2011 und Pflegegeldreformgesetz 2012, unter Berücksichtigung der aktuellen höchstgerichtlichen Judikatur

©2012 Diplomarbeit 61 Seiten

Zusammenfassung

Die vorliegende Arbeit setzt sich kritisch mit der novellierten Rechtslage durch das Budgetbegleitgesetz 2011 und Pflegegeldreformgesetz 2012 unter Berücksichtigung der aktuellen höchstgerichtlichen Judikatur auseinander.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Die Pflegegeldeinstufung
Abkürzungsverzeichnis
§
Paragraph
a.
auch
Abs
Absatz
ARD
Aktuelles Recht zum Dienstverhältnis
Art
Artikel
ASGG
Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz
ASVG
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz
BGBI
Bundesgesetzblatt
B-KUVG
Beamten-Kranken-Unfallgesetz
BlgNR
Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates
BMSK
Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz
BPGG
Bundespflegegeldgesetz
BVA
Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter
B-VG
Bundes-Verfassungsgesetz
bzw
beziehungsweise
ders
derselbe
d.h
das heißt
EB
Erläuternde
Bemerkungen
EG
Europäische
Gemeinschaft
EinstV
Einstufungsverordnung
etc
et cetera
EuGH
Europäischer Gerichtshof
EWG
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
ff
und
folgende
FSG-GV Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung
GewO
Gewerbeordnung
GP
Geschäftsperiode
GSVG
Gewerbliches Sozialversicherungsgesetz
GuKG
Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes
H
Heft
HBeG
Hausbetreuungsgesetz
Hrsg
Herausgeber
idF
in der Fassung
idgF
in der geltenden Fassung
ImpfSchG Impfschutzgesetz
iSd
im Sinne des
lit
litera
lt laut
NAG
Niederlassungs-
und
Aufenthaltsgesetz
Nr
Nummer
Ø Durchschnitt
OGH
Oberster Gerichtshof
ÖZPR
Österreichische Zeitschrift Pflegerecht
PEG-Sonde perkutane endoskopische Gastrostomie, Magensonde
PFG
Pflegefondsgesetz
PVA
Pensionsversicherungsanstalt
RdW
Recht der Wirtschaft
RIS
Rechtsinformationssystem im Internet

Die Pflegegeldeinstufung
RPGG
Richtlinien für die einheitliche Anwendung des Bundespflegegeldgesetzes
RV
Regierungsvorlage
S
Seite
SozSi
Soziale Sicherheit (Zeitschrift)
SSF-NV
Entscheidungen des OGH in Sozialsachen
StGB
Strafgesetzbuch
StGG
Staatsgrundgesetz
u.a
und
anderem
VA
Volksanwaltschaft
VfGH
Verfassungsgerichtshof
Vgl
Vergleiche
VO
Verordnung
www
World Wide Web
Z Ziffer
z.B
zum
Beispiel
ZAS
Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht

Die Pflegegeldeinstufung
ALLGEMEINER TEIL
1. Einführung
Von der Einführung eines einheitlichen Bundespflegegeldgesetzes (BPGG) 1993, über die
wesentlichen Novellen von 1998 und 2008, bis hin zu der Novellierung durch das
Budgetbegleitgesetz 2011 sowie das Pflegegeldreformgesetz 2012 - Ein kurzer Überblick
über die (Weiter)-Entwicklungen im Pflegerecht.
Der Staat Österreich sah bereits vor der Einführung des Bundespflegegeldgesetzes 1993 eine
hohe Anzahl an Regelungen für den Fall der ,,Pflegebedürftigkeit" vor. Diese Regelungen
waren jedoch unzureichend und schafften nur punktuelle Abhilfe. Die damals herrschende
gesetzliche Situation war vor allem durch folgende Merkmale gekennzeichnet:
Extreme Unübersichtlichkeit durch zahlreiche, nicht aufeinander abgestimmte gesetzliche
Regelungen mit unterschiedlichen Anspruchsvoraussetzungen und Leistungen, was zu
einer Ungleichbehandlung der Betroffenen geführt hatte
Keine Orientierung der Leistungen am Bedarf, keine Differenzierung der Leistungen nach
dem Pflegeaufwand (z.B beim Hilfslosenzuschuss aus der gesetzlichen Sozial-
versicherung) sowie
Versorgungslücken im Sachleistungsbereich und starke regionale Unterschiede in den
Bundesländern.
2
Zudem wurden strukturelle und gesellschaftliche Muster aufgebrochen, da die Überalterung
der Bevölkerung sowie die Etablierung von neuen Arbeits- als auch Familienstrukturen
unaufhaltsam waren. Die demographische Pyramide begann sich zu verändern, nicht zuletzt
dank des stetigen medizinischen Fortschritts wie Abbildung 1 deutlich zeigt.
2
BMSK, 15 Jahre Pflegevorsorge in Österreich ­ Bilanz und Ausblick (2008), 1
1

Die Pflegegeldeinstufung
Abbildung 1: Bevölkerungspyramide 1910 ­ 2030, Quelle: Statistik Austria
Mit dem Inkrafttreten des BPGG am 1 Juli 1993 einigten sich Bund und Länder mittels
Staatsvertrages (Art 15a B-VG) auf eine homogene Pflegevorsorge, in welcher eine
umfassende Reform der Pflege in den Mittelpunkt rückte.
Mit dieser Neuordnung der Pflegevorsorge wurde die letzte große Lücke im österreichischen
Sozialsystem geschlossen.
3
Das Pflegegeld, das in sieben Stufen unabhängig von der Ursache
der Pflegebedürftigkeit sowie unabhängig vom Einkommen und dem Vermögen gewährt
wird, brachte eine spürbare finanzielle Entlastung und verbesserte die
Dispositionsmöglichkeit für die Betroffenen sowie deren Angehörige.
4
Seit 1993 wurde das Pflegevorsorgesystem fast jährlich novelliert. Eine der wohl
bedeutendsten Novellierungen fand 1998 statt (BGBl I 1998/111 sowie auch BGBl II
1999/37), welche u.a einen leichteren Zugang zur Pflegestufe 4 ermöglichte, den
Personenkreises der Pflegegeldanspruchsberechtigten ausweitete, die Pflegegeldstufe 6
konkreter definierte sowie die diagnosebezogene Mindesteinstufung neu regelte.
Weiter besteht durch eine Novellierung (BGBl I 2001) seit 01.07.2001 für den Anspruch auf
Pflegegeld keine Mindestaltersgrenze mehr. Damit fallen auch pflegebedürftige Kleinstkinder
prinzipiell unter den anspruchsberechtigten Personenkreis des BPGG.
Mit der Änderung der Gewerbeordnung 1994 durch das BGBl I 2007/33 und der Schaffung
des Hausbetreuungsgesetzes (HBeG) wurde ein arbeitsrechtlicher Rahmen für die 24-
Stunden-Betreung geschaffen. 2008 wurde ein weiterer Meilenstein des Pflegegeldes durch
die Novelle BGBl I 2008/128 gelegt, welche am 01.01.2009 in Kraft trat. Durch diese
3
http://ec.europa.eu/employment_social/missoc/2006/02/2006_02_oe_de.pdf
4
BMSK, 15 Jahre Pflegevorsorge in Österreich, 2
2

Die Pflegegeldeinstufung
Neuerung wurden Verbesserungen in der Einstufung von schwer behinderten Kindern und
Jugendlichen sowie Menschen mit einer schweren geistigen oder einer schweren psychischen
Behinderung, insbesondere mit einer demenziellen Erkrankungen (durch zusätzliche fixe
Stundenwerte), ermöglicht (Erschwerniszuschlag). Außerdem wurde das Pflegegeld seit
1993 mit den höchsten Prozentsätzen angepasst und die Förderung pflegender Angehöriger
verbessert.
5
Auch der Zugang zur Pflegestufe 5 wurde erleichtert, indem der Begriff des
,,außergewöhnlichen Pflegeaufwandes" in § 6 EinstV (siehe BGBl II 2008/469) durch das
vorangestellte Wort ,,insbesondere"
6
als demonstrative Aufzählung klargestellt wurde. Mit der
Änderung der Einstufungsverordnung zum BPGG durch das BGBl II 2008/469 wurde des
Weiteren die Sondenernährung als betreuungsbezogener Pflegebedarf klargestellt.
7
Nach diesen konstruktiven Weiterentwicklungen kam es jedoch mit 01.01.2011, durch das
Budgetbegleitgesetz 2011 (BGBl I 2010/111) zu einem Einschnitt im Pflegegeldsystem. Der
Zugang zu den Pflegestufen 1 und 2 wurde erschwert. Der durchschnittlich monatlich
erforderliche Pflegeaufwand wurde jeweils um 10 Stunden erhöht, was für Neunträge nach
dem 01.01.2011 bedeutet, dass statt mehr als 50 bzw 75 Stunden nun mehr als 60 bzw 85
Stunden monatlich erforderlich sind, um einen Anspruch auf Pflegegeld der Stufen 1 bzw 2 zu
haben.
Die Pflegegeldreform 2012 ist ein weiterer Meilenstein von Bund und Ländern bei der
Vollziehung des Pflegegeldes und bewirkte zusätzlich die erstmalige Schaffung eines
Pflegefonds zur Absicherung und Verbesserung der Pflegesachleistungen. Die Voraussetzung
für das Umsetzen des Pflegegeldreformgesetzes 2012 (BGBl I 2011/58) war die Erweiterung
des Kompetenztatbestandes nach Artikel 10 des B-VG. Neben den Tatbeständen des ,,Sozial-
und Vertragsversicherungswesen" wurde diesem der Tatbestand des ,,Pflegegeldwesen"
hinzugefügt.
8
Das Kernstück der Neuregelung bildet die Konzentration des gesamten Pflegegeldwesens
beim Bund (gemäß Art 151 Abs 45 B-VG). Zweck dieser Kompetenzkonzentration ist eine
deutliche Reduktion der Entscheidungsträger, die Vereinheitlichung in der Vollziehung,
eine Verkürzung der Verfahrensdauer, sowie Einsparungen bei den Bundesländern und den
Gemeinden zu erreichen.
9
Waren nach alter Rechtslage 303 Stellen für die Gewährung von
5
Rudda/Fürstl-Grasser, Die Einstufungsverordnung (2008) zum Bundespflegegeldgesetz samt Erläuterungen, 1
(
http://www.bva.at/portal27/portal/esvportal/channel_content
)
6
Greifeneder, Novelle 2008 erleichtert den Zugang zur Pflegestufe 5, ÖZPR 1/2010, 12
7
Grasser/Rudda, Die einheitliche Anwendung des Bundespflegegeldgesetzes-Neue Richtlinie, SozSi 2010, 518
8
Vgl Rudda, Pflegereform 2011/2012, SozSi 10/2011, 483
9
Vgl
http://www.behinderung-vorarlberg.at/Seiten/Pflegegeldwirdab2012Bundessache.aspx
3

Die Pflegegeldeinstufung
Pflegegeld zuständig, so ist dies nun konzentriert auf 7 Entscheidungsträger.
10
Für bisherige
Pflegegeldbezieher nach einem LPGG sind als neue Entscheidungsträger die PVA oder BVA
zuständig. Eine weitere wesentliche Änderung beinhaltet die Erweiterung des
anspruchsberechtigten Personenkreises. Laut § 3a Abs 1 BPGG besteht nun Anspruch auf
Bundespflegegeld auch ohne Bezug einer sog. Grundleistung (§ 3 Abs BPGG).
Bevor auf die Anspruchsvoraussetzungen eingegangen wird, behandelt der nächste Abschnitt
die Rechtsgrundlagen, welche einen Anspruch auf Pflegegeld begründen.
2. Rechtsgrundlagen des Pflegegeldes
Prinzipiell besteht zwischen Bund und Ländern gemäß Art 15a B­VG eine Vereinbarung über
gemeinsame Maßnahmen für pflegebedürftige Personen (BGBl 1993/866). Die primäre
Rechtquelle stellt das Bundespflegegeldgesetz, BGBl 1993/110 idgF, dar. Vor der Novelle
durch das Pflegegeldreformgesetz 2012 waren die Rechtsgrundlagen zerstreut. Sowohl
zwischen dem Bundespflegegeldgesetz und den neun Landespflegegeldgesetzen als auch
zwischen den einzelnen Landespflegegeldgesetzen bestanden geringfügige Unterschiede.
11
Es
wurden ein Bundes- und neun Landespflegegeldgesetze und dazu jeweils eine eigene
Einstufungsverordnung parallel geführt.
12
3. Pflegegeld als Beitrag zur Pflegefinanzierung
3.1 Pauschalierte Abgeltung von pflegebedingten Mehraufwand
Das Pflegegeld soll pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abgelten und den
betroffenen Menschen ein selbstbestimmtes und bedürfnisorientiertes Leben
13
ermöglichen.
Des Weiteren besteht, unabhängig von Einkommen und Vermögen, ein Rechtsanspruch auf
die Gewährung von Pflegegeld.
14
Um bei der Bemessung des Pflegegeldes berücksichtigt
werden zu können, muss es sich bei pflegebedingten Mehraufwendungen um lebenswichtige
Verrichtungen nicht medizinischer Art handeln.
15
10
Vgl Rudda, Pflegereform 2011/2012, SozSi 10/2011, 484
11
Rechnungshof, Vollzug des Pflegegeldes, Reihe Bund 2010/3, 8
12
Rechnungshof, Vollzug des Pflegegeldes, Reihe Bund 2010/3, 15
13
Vgl Greifeneder/Liebhart, Handbuch Pflegegeld
2
(2008) Rz 28
14
BGBl 1993/886 Art 2 Abs 5
15
Vgl Greifeneder/Liebhart, Handbuch Pflegegeld
2
Rz 12
4

Die Pflegegeldeinstufung
Konform gehend mit der Judikatur des EuGH judiziert der OGH
16
, dass das Pflegegeld nach
seinem Wesen (Zweck und Voraussetzungen für die Gewährung) eine Ergänzung zu
Leistungen der Krankenversicherung darstellt. Des Weiteren wird in der jüngsten
Rechtsprechung des OGH judiziert, dass aus dem BPGG nicht zu entnehmen ist, dass durch
die Pflegegeldbeiträge der gesamte Aufwand, der durch Fremdpflege anfallen kann,
abgegolten werden muss. Mit dem Hinweis auf den ,,Beitrag" lässt der Gesetzgeber erkennen,
dass die tatsächlichen Kosten für die Pflege in vielen Fällen die vorgesehenen
Pauschalbeträge übersteigen.
17
3.1.1
Pauschaler Betrag
Das in § 1 BPGG definierte Ziel des Pflegegeldes, ,,(einen) Beitrag" zum pflegebedingten
Mehraufwand zu leisten, ist sehr allgemein gehalten. Wie schon 1994 von Gruber und
Pallinger in ihrem Kommentar zum BPGG angemerkt, ist das Pflegegeld, wie in § 1 BPGG
normiert, nur als ,,Beitrag" zu den pflegebedingten Mehraufwendungen zu verstehen
18
und
dient somit nur der teilweisen Abdeckung des pflegebedingten Mehraufwandes.
19
Die
tatsächlich anfallenden Kosten für Betreuungs- und Hilfsverrichtungen werden somit bei der
Einstufung nicht berücksichtigt. Der Gesetzgeber nimmt somit in Kauf, dass die
pflegebedingten Mehraufwendungen häufig höher sind als das zugesprochene Pflegegeld.
20
Als Folge müssen Pflegegeldbezieher für Aufwendungen, welche über das Pflegegeld
hinausgehen, selbst aufkommen. Für den Fall, dass die pflegebedürftige Person finanziell
nicht in der Lage ist, für die Aufwendungen aufzukommen, ist insbesondere durch
Sozialhilfe- und Behindertengesetze der Länder sowie Leistungen aus der Sozialversicherung
weitere Unterstützung gesichert.
21
Ob die Leistungskombination von Pflegegeld und
Krankenversicherung für alle Pflegegeldbezieher die notwendigen (lebenswichtigen) Dienste
bereitstellt, ist fraglich.
Kritik übte hier der Rechnungshof in seinen jüngsten Berichten. Eine Hochrechnung des
Rechnungshofes ergab, dass das Pflegegeld die Kosten professioneller Pflege nur zu einem
geringen Teil decken kann.
22
16
OGH 2 Ob 190/07s SZ 2007/178
17
OGH 10 ObS 121/07b SSV-NF 21/85
18
Gruber/Pallinger, Kommentar zum BPGG (1994) § 1 Rz 1
19
Gruber/Pallinger, Kommentar zum BPGG § 4 Rz 53
20
Greifeneder/Liebhart, Handbuch Pflegegeld
2
Rz 23
21
Vgl Gruber/Pallinger, Kommentar zum BPGG § 1 Rz 1
22
Rechnungshof, Vollzug des Pflegegeldes, Reihe Bund 2010/3, 53
5

Die Pflegegeldeinstufung
4. Entscheidungsträger ab 1.1.2012 (Pflegegeldreformgesetz
2012)
Abhilfe zu der oben beschriebenen Problematik der Vielzahl von Entscheidungsträgern
schaffte das mit 01.01.2012 in Kraft getretene Pflegegeldreformgesetz 2012 (BGBl I
2011/58). § 22 BPGG normiert hier die Übertragung der Zuständigkeit für
Anspruchsberechtigte nach den Landespflegegeldgesetzen auf die
Pensionsversicherungsanstalt (PVA) sowie die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter
(BVA).
Die folgende Abbildung zeigt eine Übersicht der neuen zuständigen Entscheidungsträger:
Entscheidungsträger ab 1.1.2012
Bisherige Entscheidungsträger
PVA
NEU
- Landespflegegeld
- Opferfürsorgefälle
PVA
280 verschiedene Entscheidungsträger in den
Ländern
VAEB (VA für Eisenbahnen u. Bergbau)
NEU
- ÖBB
VAEB
Bundessozialamt
Bundessozialamt
VA des österreichischen Notariats
VA des österreichischen Notariats
SVB (SVA der Bauern)
SVB (SVA der Bauern)
SVA (SVA der gewerblichen Wirtschaft)
SVA (SVA der gewerblichen Wirtschaft)
BVA (VA der öffentlichen Bediensteten)
NEU
- Post AG
- Telekom AG
- Postbus AG
- Präsident VfGH
- Pensionierte Landes-u.Gemeindebeamte
- LandeslehrerInnen
BVA (VA der öffentlichen Bedienstete)
- BVA ­ Pensionsservice (bisher)
Abbildung 2: Pflegegeldreformgesetz 2012 - Neue Zuständigkeiten ab 1.1.2012
23
23
Greifeneder, Pflegegeldreformgesetz 2012, ÖZPR, Heft 04/2011, 111
6

Die Pflegegeldeinstufung
5. Anspruchsberechtigte
5.1 Berechtigter Personenkreis
Die Rechtslage vor 2012 differenzierte zwischen einem anspruchsberechtigten Personenkreis
nach dem BPGG und dem LPGG. Seit 1.1.2012 liegt die alleinige Kompetenz in
Gesetzgebung und Vollzug beim Bund. Der § 22 BPGG normiert die Übertragung der
Zuständigkeit für Anspruchsberechtigte nach den Landespflegegeldgesetzen auf die
Pensionsversicherungsanstalt und die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter.
Seit 1.1. 2012 haben folgende Gruppen von pflegebedürftigen Personen Anspruch auf
Pflegegeld, wenn diese ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich haben:
Nach § 3 BPGG Bezieher eines/er Rente, Pension, Ruhegenusses, Versorgungsgenusses,
Sonderruhegeldes nach bundes- oder landesgesetzlichen Vorschriften oder Leistungen
nach dem Verbrechensopfergesetz;
Gemäß § 3a Abs 1 BPGG auch ohne eine derartige Grundleistung österreichische
Staatsbürger;
Gemäß § 3a Abs 2 BPGG folgende, österreichischen Staatsbürgern gleichgestellte
Personen:
¾ Fremde, die nicht unter eine der folgenden Anführungen fallen, insoweit sich eine
Gleichstellung aus Staatsverträgen oder Unionsrecht ergibt
¾ Fremde, denen Asyl gewährt wurde
¾ Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht gemäß §§ 84 und 85 des
Fremdenpolizeigesetzes 2005 verfügen
¾ Personen, die über einen Aufenthaltstitel
a) ,,Blaue Karte EU" gemäß § 42 NAG
b) ,,Daueraufenthalt-EG" gemäß § 45 NAG
c) ,,Daueraufenthalt-Familienangehöriger" gemäß § 48 NAG
d) ,,Familienangehöriger" gemäß § 47 Abs 2 NAG oder
e) gemäß § 49 NAG verfügen.
Ist der gewöhnliche Aufenthalt im Inland gemäß § 3 Abs 1 und § 3a Abs 1 BPGG nicht
gegeben, besteht ausnahmsweise dann Anspruch auf Pflegegeld, wenn der Auslandsaufenthalt
der Ausbildung dient.
Die Voraussetzung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Inland laut § 3 Abs 1 BPGG gilt
jedoch nicht für pflegebedürftige Personen, welche ihren Wohnsitz in einem EWR-Staat oder
7

Die Pflegegeldeinstufung
der Schweiz haben. Laut EuGH
24
würde ein derartiger ,,Inlandsbezug" in diesen Fällen gegen
Art 19 Abs 1 Wanderarbeitnehmerverordnung (EWG 1408/71) verstoßen. Der EuGH
argumentierte so, dass das Pflegegeld europarechtlich eine Vervollständigung zu den
Leistungen der Krankenversicherung darstelle und das Bundespflegegeld eine
beitragsabhängige Leistung sei, die unter den Anwendungsbereich der Verordnung EWG
1408/71 falle. Folglich ist das Pflegegeld in die EU-Mitgliedstaaten zu exportieren
(Exportgebot), wenn der Anspruchsberechtigte seinen Wohnsitz in einem EU-Mitgliedstaat
hat. Durch die seit 01.05.2010 in Geltung befindliche (Nachfolge)Verordnung zur
Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO 883/2004) hat sich an dieser
Rechtslage nichts verändert.
6. Pflegebedarf im Sinne des BPGG
6.1 Gesetzliche Definition
Der Begriff des ,,Pflegebedarfs" setzt sich nach dem Gesetz aus dem ,,Betreuungsbedarf"
und dem ,,Hilfsbedarf" zusammen.
25
Was wiederum unter Betreuungs- und Hilfsbedarf
konkret zu verstehen ist, ist aus den §§ 1 und 2 der EinstV zu entnehmen.
Laut § 1 Abs 1 EinstV sind unter Betreuung alle in relativ kurzer Folge notwendigen
Verrichtungen anderer Personen zu verstehen, die vornehmlich den persönlichen
Lebensbereich betreffen und ohne die der pflegebedürftige Mensch der Verwahrlosung
ausgesetzt wäre. Zu diesen Tätigkeiten zählen laut § 1 Abs 2 EinstV insbesondere das An-
und Auskleiden, das Zubereiten und die Einnahme von Mahlzeiten, die Verrichtung der
Notdurft, die Einnahme von Medikamenten und die Mobilitätshilfe im engeren Sinn. Diese
Aufzählung ist als demonstrative zu bewerten, was durch das vorangestellte Wort
,,insbesondere" impliziert wird.
Unter Hilfsbedarf fallen nach § 2 Abs 1 EinstV aufschiebbare Verrichtungen, welche von
anderen Personen erbracht werden, die den sachlichen Lebensbereich betreffen und zur
Sicherung der Existenz erforderlich sind. Unter die taxative Aufzählung
26
der
Hilfsverrichtungen lt. § 2 Abs 2 EinstV fallen die Herbeischaffung von Nahrungsmitteln,
Medikamenten und Bedarfsgütern des täglichen Lebens, die Reinigung der Wohnung und der
persönlichen Gebrauchsgegenstände, die Pflege der Leib- und Bettwäsche, die Beheizung des
24
EuGH RsC-215/99 Jauch/PVA der Arbeiter ECR 2001 I-1901
25
Vgl Gruber/Pallinger, Kommentar zum BPGG § 4 Rz 5
26
Vgl Gruber/Pallinger, Kommentar zum BPGG § 4 Rz 16; siehe auch z.B OGH 10 ObS 102/01z SSV-NF
16/23
8

Die Pflegegeldeinstufung
Wohnraumes einschließlich der Herbeischaffung von Heizmaterial und die Mobilitätshilfe im
weiteren Sinn.
Durch das aktuelle österreichische Schrifttum wurden die gesetzlichen Bestimmungen
sinnvoll ergänzt bzw. konkretisiert. Um als pflegebedürftige Person eingestuft zu werden,
bedarf es einer klaren Abgrenzung zwischen unterschiedlichen Arten von Maßnahmen,
welche gesetzt werden, um den ursprünglichen Gesundheitszustand wiederherzustellen
bzw. den gegebenen zu erhalten. Handelt es sich um ,,Verrichtungen medizinischer Art"
27
,
so fallen diese Verrichtungen nicht unter den Anwendungsbereich des BPGG, da hierfür
grundsätzlich die Krankenversicherungsträger zuständig sind. Es muss sich folglich bei
diesen Tätigkeiten um Verrichtungen nicht medizinischer Art handeln, um bei der
Pflegegeldeinstufung Berücksichtigung zu finden.
28
Diese, in der Praxis höchst relevante
Frage, führt uns zum nächsten Abschnitt, in welchem die rechtlichen Abgrenzungskriterien
zwischen Pflege einerseits und einer ,,medizinischen Hauskrankenpflege" bzw. einer
,,Krankenbehandlung" andererseits beleuchtet werden.
6.2 Rechtliche Abgrenzung: medizinische Hauskrankenpflege und
Krankenbehandlung
Gemäß § 117 Z 2 ASVG werden als Leistungen der Krankenversicherung aus dem
Versicherungsfall der Krankheit Krankenbehandlung (§§ 133 bis 137), erforderlichenfalls
medizinische Hauskrankenpflege (§ 151) oder Anstaltspflege (§§ 144 bis 150) gewährt. Der
Ausdruck "erforderlichenfalls" steht dabei in Beziehung zu den Regelungen des § 144 Abs 1
ASVG und § 151 Abs 1 ASVG, nach denen medizinische Hauskrankenpflege bzw.
Anstaltspflege zu gewähren sind, "wenn und solange es die Art der Krankheit erfordert".
Voraussetzung für die Hauskrankenpflege und die Anstaltspflege ist somit die
Verwirklichung des Versicherungsfalls der Krankheit, also das Vorliegen von Krankheit in
sozialversicherungsrechtlichem Sinn (§ 120 Abs 1 Z 1 ASVG).
29
Folglich fallen diese Sachverhalte nicht unter den Anwendungsbereich des BPGG.
6.2.1
Medizinische Hauskrankenpflege
Wenn und solange es die Art der Krankheit erfordert, ist medizinische Hauskrankenpflege iSd
§ 151 Abs 1 ASVG zu gewähren.
30
Die medizinische Hauskrankenpflege wird erbracht durch
Angehörige des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege, die von der
27
Greifeneder/Liebhart, Handbuch Pflegegeld
2
Rz 12
28
Greifeneder/Liebhart, Handbuch Pflegegeld
2
Rz 12
29
OGH 10 ObS 315/00x ZAS 6/2001, 43
30
VfgH V 91/03ua ASoK 2004, 178
9

Die Pflegegeldeinstufung
Versicherungsanstalt beigestellt werden, oder die mit der Versicherungsanstalt in einem
Vertragsverhältnis im Sinne des Sechsten Teiles des Allgemeinen Sozial-
versicherungsgesetzes stehen, oder die im Rahmen von Vertragseinrichtungen tätig sind, die
medizinische Hauskrankenpflege betreiben.
31
Zu diesen Verrichtungen zählen qualifizierte
Pflegeleistungen wie die Verabreichung von Injektionen, die Sondenernährung,
Dekubitusversorgung, Stoma-, Fistel- und Katheterpflege. Nicht dazu zählen die Grundpflege
sowie die hauswirtschaftliche Versorgung des Kranken.
32
Diese Art der Hauskrankenpflege
wird maximal vier Wochen gewährt.
33
Durch eine chef- oder kontrollärztliche Bewilligung ist
diese Frist, bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen, jedoch zu verlängern.
34
Medizinische Hauskrankenpflege wird nach § 151 Abs 6 ASVG nicht gewährt, wenn sich
Patienten in stationärer Pflege in einer Krankenanstalt befinden, oder in einer Pflegeanstalt für
chronisch Kranke, einem Heim für Genesende oder in einer Sonderkrankenanstalt, die
vorwiegend der Rehabilitation dient, untergebracht sind.
6.2.2
Rechtliche Abgrenzung zwischen Pflege und Krankenbehandlung bzw.
therapeutisches Verfahren
Nach herrschender Rechtsprechung ist die Abgrenzung zwischen dem anzurechnenden
Pflegeaufwand und den nicht im Rahmen der Pflegegeldgesetze zu ersetzenden medizinischen
Behandlungen, therapeutischen Maßnahmen oder medizinischen
Hauskrankenpflegeleistungen so vorzunehmen, dass ein Pflegeaufwand jedenfalls dann
anzunehmen ist, wenn es sich um Maßnahmen handelt, die ein ansonsten nicht behindert
Mensch gewöhnlich selbst vornehmen kann.
35
Beispiel 1: Pflegegeld - Medizinische Hauskrankenpflege
Laut einem Urteil des OGH besteht bei einem notwendigen Verbandswechsel, z.B wegen
chronischer Unterschenkelgeschwüre bei venöser Insuffizienz, kein Pflegebedarf im Sinne
des BPPG, wenn auch ein Mensch, der über das Venenleiden hinaus keine Behinderung hat,
regelmäßig einen solchen Verbandswechsel nicht selbst durchführen kann.
36
In diesem Fall
besteht Anspruch auf medizinische Hauskrankenpflege laut § 151 ASVG oder auf
Krankenbehandlung laut § 133 ASVG. Kann ein behinderter Mensch das Verbinden der
31
§ 151 Abs 2 ASVG
32
§ 151 Abs 3 ASVG
33
§ 151 Abs 5 ASVG
34
OGH 10 ObS 315/00x ZAS 6/2001, 43
35
Greifeneder/Liebhart, Handbuch Pflegegeld
2
Rz 14
36
OGH 10 ObS 102/98t SSV-NF 12/81; zuletzt OGH 10 ObS 154/11m ARD 6212/9/2012
10

Die Pflegegeldeinstufung
Unterschenkel aber nur deshalb nicht, weil er an einer Behinderungen leidet, so wäre der
notwendige Aufwand im Rahmen der Ermittlung des Pflegeaufwandes zu berücksichtigen.
37
Beispiel 1.2: Pflegegeld - Medizinische Hauskrankenpflege
Weiters judizierte der OGH, was in diesem Fall in der Literatur auf viel Kritik stieß, dass das
lebensnotwendige Absaugen von Schleim durch die Mutter an ihrem behinderten Kind
38
keinen Pflegebedarf im Sinne des BPGG darstelle. Das Höchstgericht argumentierte, dass
Betreuungsleistungen, die nach kurzer Einschulung durch Therapeuten von Nicht-Fachleuten
(vor allem von Familienangehörigne) im Rahmen bestimmter Therapien geleistet werden
können, weder der Betreuung noch der Hilfe iSd BPGG zuzurechnen sind und somit bei der
Bemessung des Pflegeaufwandes nicht zu berücksichtigen seien. Bei der aufgrund einer
Schluckstörung notwendigen Hilfe beim Absaugen handle es sich um Betreuungsleistungen,
die auch an nicht Pflegebedürftigen von dritten Personen durchgeführt werden müssten und
daher im Sinne der ständigen Rechtsprechung bei der Ermittlung des Pflegebedarfes im Sinne
des BPGG nicht berücksichtigt werden könnten.
39
Diese Entscheidung ist insoweit bemerkenswert, zumal in den EB zur EinstV 1999 als
Beispiel für zeitlich unkoordinierbare ,,Pflegemaßnahmen" ausdrücklich das wegen einer
Schlucklähmung regelmäßige Absaugen des Pflegebedürftigen genannt wird, der OGH jedoch
in der zitierten Erläuterung das Vorliegen einer Pflegemaßnahme iSd BPGG ausdrücklich
unter Bezugnahme darauf verneint.
40
Ebenso sind therapeutische Maßnahmen an Behinderten,
die der Erhaltung und der Verbesserung des Gesundheitszustandes dienen, bei Ermittlung des
Pflegebedarfes nicht zu berücksichtigen. Dies gilt auch dann, wenn die Verrichtungen
tatsächlich von Angehörigen durchgeführt werden.
41
In diesem Sinne ist beispielsweise die
Unterstützung bei logopädischen Übungen
42
, Therapiehandlungen nach BOBATH
43
oder
physiotherapeutischen Übungen
44
bei der Ermittlung des Pflegebedarfes nicht zu
berücksichtigen.
37
OGH 10 ObS 102/98t SSV-NF 12/81
38
OGH 10 ObS 206/00t SSV-NF 14/95
39
Vgl OGH 10 ObS 206/00t SSV-NF 14/95
40
Allmer, Jüngere Judikatur zur Abgrenzung, 2005, 7; Vgl auch Greifeneder/Liebhart, Handbuch Pflegegeld
2
Rz 14
41
Greifeneder/Leibhart, Handbuch Pflegegeld
2
Rz 17
42
OGH 10 ObS 185/00d SSV-NF 14/99
43
OGH 10 ObS 10/08f SSV-NF 22/10
44
OGH 10 ObS 185/00d SSV-NF 14/99
11

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783956848230
ISBN (Paperback)
9783956843235
Dateigröße
1.1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Wirtschaftsuniversität Wien
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1
Schlagworte
Pflegebedarf BPGG Diagnosebezogene Mindesteinstufung Pflege Pflegegeldstufe Betreuungsbezogener Mindestwert
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Titel: Die Einstufung des Pflegegeldes: Kritische Auseinandersetzung mit der novellierten Rechtslage durch das Budgetbegleitgesetz 2011 und Pflegegeldreformgesetz 2012, unter Berücksichtigung der aktuellen höchstgerichtlichen Judikatur
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