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Ist Martin Heidegger gescheitert? Eine Einführung in die Daseinsanalyse aus „Sein und Zeit“

©2013 Bachelorarbeit 50 Seiten

Zusammenfassung

Im Jahr 1927 erscheint das Hauptwerk Martin Heideggers unter dem Titel „Sein und Zeit“ mit dem Ziel, die Frage nach dem Sinn von Sein erneut zu stellen – ein beachtliches Vorhaben, das, so könnte man meinen, offensichtlich gescheitert ist. „Sein und Zeit“ blieb Fragment und die Seinsfrage demnach unbeantwortet, dennoch bleibt es eines der meist diskutierten philosophischen Werke des 20. Jahrhunderts.
Die Arbeit gibt vor dem Hintergrund der Seinsfrage zunächst einen Überblick über das Werk, indem sie sich dessen philosophischen Kontext sowie dem entsprechenden Aufbau und der Methode widmet. Im Anschluss wird die vorbereitende Analyse Heideggers fokussiert – nämlich jene des Daseins. Durch die Freilegung menschlicher Existenzialen, wie beispielsweise jenen der Geworfenheit, des Seins zum Tode oder auch der Jemeinigkeit, offenbart sich eine philosophische Welt, deren besondere Perspektive auf menschliche Existenz sowie die Stellung desselbigen innerhalb seiner Welt zu weitreichenden Konsequenzen führt – auch außerhalb des philosophischen Gebiets.
Heideggers Konzeption des Daseins stellt in der Folge besondere Anforderungen an jene Wissenschaften, deren Beschäftigung sich mit Fokus auf den Menschen vollziehen; diese werden exemplarisch im Feld soziologischer Forschung aufgezeigt und diskutiert – letztlich schließt sich so der Kreis und die Frage nach dem Scheitern Heideggers transformiert sich zur Frage nach dem Sein der Soziologie.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2.3 Methode und Aufbau

Das ambitionierte Ziel Heideggers, nämlich das Setzen eines neuen Anfangs innerhalb der vorangegangenen Philosophiegeschichte, geht mit der Notwendigkeit einer neuen, dem Vorhaben angemessenen Methode einher. So wie sich die Struktur des Denkens dessen Gegenstand anzupassen, wenn nicht gar unterzuordnen hat, so bedarf es eines der Vorgehensweise und der Fundamentalontologie adäquaten Zugriffs. Diesen formuliert Heidegger in seinem eigensten Ansatz der „phänomenologischen Hermeneutik der Faktizität“ (Heidegger 2002: 29).

Um die Verbindung dieser zunächst verschiedenen Ansätze nachvollziehen zu können, empfiehlt es sich, die einzelnen Begriffe im Hinblick auf ihre Bedeutung im Gesamtzusammenhang des heideggerschen Vorgehens zu betrachten. So sind Ontologie und Phänomenologie strenggenommen eine zur Einheit verschmolzene Disziplin, denn „ Ontologie ist nur alsPhänomenologie möglich “ (Heidegger 2006: 35). Heidegger unterscheidet zwischen drei Begriffen des Phänomens: der „formale“, der „vulgäre“ und der „phänomenologische“ Begriff des Phänomens. Während der formale Begriff weit gefasst ist, indem er all das beschreibt, was sich überhaupt an sich selbst zeigt[1], bezieht sich der vulgäre Phänomenbegriff auf einzelne konkrete Dinge oder Sachverhalte, die gewissermaßen ersichtlich sind. Der phänomenologische Begriff bezeichnet hingegen etwas dem vulgären Phänomen Vorgängiges, das seinerseits jedoch unthematisch bleibt (Steinmann 2010: 17). Im Kontext von SuZ stellt sich das Vorhaben Heideggers wie folgt dar: Ausgehend von der alltäglichen Erscheinungsform (Faktizität) des Seienden (vulgäres Phänomen), lässt sich mithilfe der Phänomenologie das Sein dieses Seienden aufzeigen (phänomenologisches Phänomen), um im Anschluss mittels der Hermeneutik das Sein als solches, den verdeckten Sinn und Grund dieser Phänomene, aufdecken zu können (Steinmann 2010: 18).

In Anlehnung an die in Kapitel 2.2 skizzierte Struktur der Seinsfrage, zeigen sich nun die konkreten Schritte der heideggerschen Annäherung an den Begriff des Seins. Das Dasein wird in seiner Alltäglichkeit analysiert (Faktizität), also in der Weise, in der es sich zunächst und zumeist zeigt, um im Zuge dieser phänomenologischen Untersuchung das Sein des Daseins herausarbeiten zu können, damit das abschließende und eigentliche Ziel der Untersuchung, nämlich die Auslegung (Hermeneutik) des Seins als solchem, erfolgen kann.

Es zeigt sich bereits an dieser Stelle eine ausgesprochene Besonderheit des Vorgehen Heideggers, welcher bereits den Denkvorgang vom Gegenstand her denkt, sodass das Sein selbst die Herangehensweise und sein Sich-zeigen vorgibt und es sich nicht einer äußerlich aufgezwungenen Methode zu beugen hat.

Diesem Maßstab getreu, ergibt sich der Aufbau von SuZ wie folgt: Heidegger betrachtet, wie gesehen, im Ausgangspunkt den Menschen in seiner Ursprünglichkeit und Alltäglichkeit und unterzieht ihn somit einer Analyse. Dieser Schritt wird im Rahmen der Daseinsanalytik geleistet, welche die verschiedenen Momente des Daseins hervorbringt und sie letztendlich in ihrer strukturellen Ganzheit gipfeln lässt, sodass das Sein des Daseins schließlich im Begriff der Sorge verankert wird (Erster Teil, Erster Abschnitt, Kapitel 1-6). Diese Betrachtung bietet die Erkenntnisgrundlage für die sich anschließende Herausarbeitung eines allgemeinen Sinns, welcher dieser zuvor freigelegten Strukturganzheit des Daseins zugrunde liegt und den Sinn der Sorge in der Zeitlichkeit festmacht (Erster Teil, Zweiter Abschnitt, Kapitel 1-3). Da dieser maßgebliche Schritt in Heideggers Analyse des Seins jedoch nicht dem Vorwurf willkürlicher Emporhebung eines scheinbar beliebigen Phänomens des Daseins zur allgemeinen Struktur unterliegen darf, erfolgt im Anschluss eine wiederholte Interpretation der zuvor aufgezeigten Daseinsstrukturen im Hinblick auf das als sinnstiftend ausgezeichnete Phänomen, da dieses nur insofern als allgemeiner Sinn festgehalten werden kann, als dass es in jedem Moment des Daseins zum Tragen kommt. Die Zeitlichkeit muss demnach in den einzelnen, zuvor herausgearbeiteten Momenten menschlicher Existenz nachgewiesen werden, um als tatsächlicher Sinn der Sorge bestätigt zu sein (Erster Teil, Zweiter Abschnitt, Kapitel 4). Die Argumentation kommt in der Folge über die Explikation der Zeit sowie mittels der Ausweisung der Zeitlichkeit als ursprünglichem Zeitbegriff der Ebene des Seins näher (Erster Teil, Zweiter Abschnitt, Kapitel 5-6), wenngleich ein Durchdringen zur selbigen ausbleibt.

An dieser Stelle bricht das Werk schlichtweg ab und lässt die eigentliche Fragestellung unbeantwortet. Von dem eigentlich geplanten Verlauf der Abhandlung erschien letztendlich nur der Erste Teil, während der Zweite Teil, der von der Zeit ausgehend den Sinn von Sein als solchem begründen sollte, niemals erschienen ist (Steinmann 2010: 27-30). Dieser Plan, welchen Heidegger zu späterer Zeit vollends verwirft, weicht in der „Kehre“ seines Denkens der Idee einer Wende hin zum Sein, einer Radikalisierung der husserlschen Prämisse „zu den Sachen selbst“ und somit der Abkehr von der subjektiven Herangehensweise über die menschliche Existenz (Roth 2008: 4).

Der Plan von SuZ übergibt der Realität demnach nur den vorläufigen Zwischenschritt der Vorbereitung einer noch ausstehenden Antwort und dennoch gehört SuZ „zu den philosophischen Veröffentlichungen dieses Jahrhunderts […], die innerhalb und außerhalb der akademischen Philosophie weltweit das größte Aufsehen erregt und den stärksten Einfluss ausgeübt haben“ (Weiß 2001: 3). Im Folgenden liegt daher nun der Versuch, das besondere an Heideggers Konzeption des Daseins herauszuarbeiten und somit dem Leser der vorliegenden Arbeit einen kleinen Einblick in das zu geben, was nicht nur die Philosophie bis heute beschäftigt oder, wenn bislang vernachlässigt, beschäftigen könnte – vielleicht sogar sollte.

3 Die Jemeinigkeit der Existenz

„Das Sein selbst, zu dem das Dasein sich so oder so verhalten kann und immer irgendwie verhält, nennen wir Existenz “ (Heidegger 2006: 12). An dieser Stelle wird besonders deutlich, was es genau ist, dass Dasein von anderem Seienden, beispielsweise von einem Stein oder einem Tisch, unterscheidet. Dasein ist nur im Vollzug, was es, wie an späterer Stelle noch deutlich werden wird, maßgeblich von Dingen unterscheidet, die in der Seinsweise bloßer Zuhandenheit oder Vorhandenheit bestehen. Das existierende Dasein verhält sich demnach zu sich, zu anderen Menschen und den Dingen in seiner Welt – es verhält sich zu Seiendem und dem Sein, das diesem zugrunde liegt.

Dieser dem Dasein eigenen Seinsweise der Existenz mutet jedoch zuletzt auch ein Moment der Pflicht, ein Aspekt des Nicht-anders-Könnens an. Diesen beschreibt Helmuth Plessner, ein Hauptvertreter der philosophischen Anthropologie, treffenderweise wie folgt: Der Mensch „muß […]sich zu dem, was er schon ist, erst machen “ (Plessner 2009: 16). Dem Dasein ist demnach seine Existenz auferlegt; der Mensch existiert solange er ist zwangsläufig und ganz gleich dessen, wie er seine Existenz im Konkreten füllt. Es ist an ihm sein Leben zu füllen und zu führen, denn dies verlangt ihm die Seinsweise des Existierens notwendigerweise ab.

Da die Existenz die Möglichkeiten des Daseins in seinem eigensten Seinkönnen beschreibt, kann Heidegger auch sagen, dass Dasein „seinem eigenen Sein überantwortet“ ist (Heidegger 2006: 42). Dem Menschen ist es demnach in seiner Existenz aufgetragen zu wählen und zu verwerfen, denn die Entscheidung für eine Möglichkeit bedeutet in zweiter Instanz nichts anderes, als die Entscheidung gegen eine (andere) Möglichkeit. Auf diese Art verhält sich Dasein zu seiner Existenz, in dieser Weise existiert der Mensch überhaupt. Hierin liegt auch die Ursache dafür, dass Dasein niemals „als Fall und Exemplar einer Gattung von Seiendem als Vorhandenem“ (Heidegger 2006: 42) beschrieben werden darf, denn Vorhandenheit ist es gerade nicht, die den Menschen in seinem Lebensvollzug auszeichnet.

Durch diese ihm eigentümliche Seinsweise der Existenz ist es dem Menschen, im Unterschied zu anderem Seienden, in seinem Sein stets um dieses selbst bestellt. Der Mensch ist eben nicht schlichtweg als Vorhandenes, sondern er ist vielmehr in diesem Verhalten und der Beziehung zu seinem Sein. Vereinfacht gesagt: Dem Menschen geht es stets um etwas. Dasein ist in der Folge des Beschriebenen nicht einfach da, sondern in ihm ist Sein da, nämlich als Möglichkeiten sowie Verhalten zu den selbigen, als solches, um dessen Willen er ergreift und verwirft.

Es erklärt sich nun der durch Heidegger geprägte Begriff der „Jemeinigkeit“ (Heidegger 2006: 42), welcher eben jenen Umstand meint, der Dasein als solches, dem es in seinem Sein stets um dieses selbst geht, dem es in seinem Handeln um sich selbst geht, beschreibt. Vor dem Hintergrund dieses Lebens, welches das je meinige ist, treffe ich meine Entscheidungen und ganz gleich wie diese auch ausfallen mögen, es sind die je von mir getroffenen. Die Möglichkeit des Wählens ist sozusagen die große Gemeinsamkeit allen Daseins aus welcher erst die jeweilige Einzigartigkeit resultieren kann, sie vereint das Dasein als solches und unterscheidet das einzelne Dasein gleichzeitig von anderem Dasein. Die Existenz in ihrer Jemeinigkeit ist Grundlage der Individualität, sie macht den Menschen zum Gestalter eines Werkes, das wir Leben nennen.

Für die einzelnen Phänomene, welche durch Heidegger in der Folge herausgearbeitet werden, bedeutet dies, dass es sich bei ihnen „um je mögliche Weisen zu sein […]“ handelt (Heidegger 2006: 42) und sie ebenso wenig wie die Existenz an sich als bloß vorhandene Eigenschaften verstanden werden dürfen. Vielmehr bestehen menschliche Eigenschaften ausschließlich in ihrem Vollzug, denn Dasein ist nur in der Bewegtheit seiner Existenz, die sich gewissermaßen aus dem Wählen und Ausschließen jener sich ihm offenbarenden Möglichkeiten ergibt (Steinmann 2010: 43). Dies betont Heidegger auch im Folgenden erneut und ausdrücklich: „Dasein ist je seine Möglichkeit und es »hat« sie nicht nur noch eigenschaftlich als ein Vorhandenes“ (Heidegger 2006: 42). Die konkret realisierten Möglichkeiten unterliegen dabei einem gewissermaßen zugrunde liegenden Verständnis, welches als das für jedes einzelne Dasein „ Existenzielle “ formuliert wird (Heidegger 2006: 12). Diesem Verständnis ist nach Heidegger das „ existenziale “ Verstehen gegenüberzustellen, welches auf die allgemeinen, der Existenz als solcher zugrunde liegenden Strukturen abzielt, wobei diese wiederum bereits auf Ebene des Existenziellen vorgezeichnet sind. Das Existenzielle jedes einzelnen individuellen Lebens lässt somit auf einer höheren Ebene der Abstraktion Rückschlüsse auf Existenzialien zu, welche dem Dasein als solchem zugrunde liegende Strukturen und Phänomene beschreiben. Man kann an dieser Stelle auch von einer Art Einbettung des Menschen sprechen, welche gewissermaßen den Rahmen für seine Existenzbewegungen sowie das damit verbundene Verhalten darstellt.

Ein solcher Rahmen eröffnet sich im Existenzial des „In-der-Welt-seins“, welches nun im Folgenden, in Orientierung an seinen einzelnen Bestandteilen, thematisiert werden soll.

3.1 In-der-Welt-sein

Die menschliche Existenz ist im eigentlichen Sinne „In-der-Welt-sein“ (Heidegger 2006: 53), was bedeutet, dass es sich bei diesem Existenzial nicht um eine beliebige Eigenschaft menschlicher Existenz handelt, sondern vielmehr um eine Grundbedingung derselbigen. Bei dieser komplexen Struktur deutet sich bereits bei einem ersten Hinsehen eine ihr innewohnende Besonderheit an. Die in diesem Existenzial zusammengesetzten Komponenten verdeutlichen die wechselseitige Beziehung von Dasein und Welt im Gesamtgefüge: In die eine Richtung bedeutet dies, dass „[…] Welt kein Seiendes, sondern die Bedingung, unter der das Seiende […] erscheint “ darstellt und in die andere Richtung erweist sich, dass „[…] Dasein wesentlich durch den Bezug auf Welt bestimmt ist“ (Steinmann 2010: 47). Die Konzeption des In-der-Welt-seins verdeutlicht demnach schon alleinig durch ihre begriffliche Ausgestaltung die Zusammengehörigkeit ihrer Bestandteile, wodurch sich die Sinnhaftigkeit eines jeden einzelnen Phänomens jeweils nur unter Berücksichtigung seiner Verschränkung im Begriffsganzen dursichtig machen lässt. Welt im heideggerschen Sinn gehört demnach elementar zur Beschaffenheit des Daseins als Komponente des In-der-Welt-seins hinzu und Selbstsein kann somit nicht getrennt von der Welt betrachtet werden; wann immer Dasein existiert, geschieht dies nur im Kontext von Welt.

Das beschriebene Verhältnis darf sogleich nicht als praktisches Zutun-haben-mit im Sinne eines handelnden Daseins innerhalb einer ihm externen Welt verstanden werden, sondern die Struktur des In-der-Welt-seins muss vielmehr als Form allen Verstehens gedacht werden. Diese Einsicht führt sogar zur Absage an eine von der Welt unabhängige Innensphäre, da durch das Dasein als In-der-Welt-sein alles Innere erst aus einer vorangegangenen produktiven Auseinandersetzung mit der Welt erfolgt (Steinmann 2010: 44). Es gilt demnach die Verschmelzung von Dasein und Welt in der Konzeption des In-der-Welt-seins so radikal als möglich zu denken, sodass die Diskussion des In-der-Welt-seins zur Analyse des Wie daseinsmäßig Seiendem wird.

3.1.1 Welt

Der Begriff Welt ist offensichtlich mehrdeutig, sodass dessen im Zusammenhang mit SuZ vordergründige Referenz erst noch geklärt werden muss. Heidegger unterscheidet in diesem Zusammenhang zunächst zwischen vier verschiedenen geläufigen Verwendungsformen des Begriffs. Hierbei orientiert er sich an der vorphilosophischen Einsicht, dass die Welt als Dingwelt von jener des Menschen differenziert werden kann (Steinmann 2010: 51).

Die Welt der Dinge steht schlichtweg für die Summe all dessen, was innerhalb derselbigen vorhanden ist und referiert somit in der Sprache Heideggers auf Seiendes. Darüber hinaus kann sie jedoch auch eine Region bezeichnen, der Seiendes im Ganzen oder auch nur teilweise angehört, sodass in diesem Bedeutungszusammenhang beispielsweise von der Welt der Mathematik gesprochen werden kann (Heidegger 2006: 64f.). Gemeint sind hiermit Regeln oder Verhaltensweisen, die dieser besonderen Welt zugrunde liegen. Erstere Bedeutung von Welt, die Welt als Summe von Objekten, ist der Ebene der Ontik zuzuordnen, letztere ist hingegen ontologischen Ursprungs, da sie bereits eine dem in der ersten Bedeutung von Welt nur aufgezählten Seienden zugrunde liegende Struktur im Sinn hat. Der Welt als Dingwelt als auch dem Verständnis von Welt als Region ist gemein, dass sie im heideggerschen Sinn dem nicht-daseinsmäßig Seienden zuzuordnen sind, während der nachstehende Bedeutungsaspekt von Welt ausdrücklich auf Dasein referiert.

Die Welt kann vor diesem Hintergrund als Umwelt beschrieben werden, welche eine Sphäre des Daseins ausdrückt, wobei sich diese Bedeutung von Welt zum einen auf die uns gemeinsame, etwa die öffentliche Welt beziehen, aber zum anderen auch auf die private, gewissermaßen häusliche Welt referieren kann. In diesem Sinn ist das durch Welt Beschriebene ebenfalls der Ebene der Ontik zuzuordnen (Heidegger 2006: 64f.).

Allen drei Phänomenen von Welt ist gemein, dass sie zwar eine gewisse Dimension von Welt beschreiben, das eigentliche Phänomen von Welt jedoch bereits voraussetzen. Es verhält sich nämlich keineswegs so, dass den Dingen ein Vorausgehen hinsichtlich der Welt zugesprochen werden kann, vielmehr verhält es sich umgekehrt. Dieses bislang unberücksichtigte Apriori von Welt beschreibt Heidegger durch den Terminus der „Weltlichkeit“ (Heidegger 2006: 65), welche die Basis dafür darstellt, dass so etwas wie Welt überhaupt erfahren werden kann. Für Heidegger meint Welt im primären Sinne Weltlichkeit, welche die Welt nicht als eine externe Bestimmung an Dasein heranträgt und beide Pole – Welt und Dasein – gleichsam gegenüberstellt, sondern sie hingegen untrennbar vereint. Zum In-der-Welt-sein des Daseins als konstitutives Moment maßgeblich dazugehörig, versteht sich Weltlichkeit als „Seinscharakter des Daseins“ (Heidegger 2006: 64).

Es kann also festgehalten werden, dass im Kontext von sowohl Nicht-Daseinsmäßigem als auch Daseinsmäßigem zwischen einer ontischen, das Einzelne betreffende, und einer ontologischen, den Seinscharakter dieses Einzelnen betreffenden, Bedeutung von Welt unterschieden werden kann. Dies führt vereinfacht gesagt zur Schlussfolgerung, dass die Welt des nicht-daseinsmäßig Seienden ebenso wie jene des Daseins ontologisch aufgefasst werden kann, was in der Folge nicht ohne Konsequenzen bleibt (Steinmann 2010: 51).

Die ontologische Ebene der Dingwelt bedarf demnach ebenso einer eigenen Analyse wie die Weltlichkeit des Daseins, denn aus letzterem kann keineswegs auf ersteres geschlossen werden, da zwischen diesen beiden Auffassungen von Welt, wie gesehen, eine beachtliche Differenz zu verzeichnen ist. Im weiteren Verlauf von SuZ erfolgt demnach zunächst eine Analyse der Welt der Dinge, von welcher ausgehend dann eine genauere Beschreibung der Weltlichkeit des Daseins erfolgt.

An dieser Stelle gilt es zu betonen, dass es sich bei der Schlussfolgerung, es könne sich bei der nun erforderlichen parallelen Analyse um den Beleg einer Gegenüberstellung oder gar Koexistenz zweier verschiedener Welten handeln, um einen fatalen Irrtum handelt. Denn „es gibt für Heidegger nur eine Welt, welche Ding- und Daseinswelt umfasst“ (Steinmann 2010: 52). Es gilt demnach zunächst diese beiden Komponenten von Welt genauer zu erschließen, um dann die Möglichkeit zu erlangen, die Welt als Ganzheit, das In-der-Welt-sein als solches, begreifen zu können.

Die Welt der Dinge

Um zu dem vollständigen Begriff von Welt durchzudringen, beginnt Heidegger zunächst mit einem näheren Hinsehen auf die Dinge in der Welt. Der soeben gewählte Begriff des Dings mag exemplarisch dazu dienen, Heideggers Überlegungen zu erläutern: Dem Leser der vorliegenden Arbeit wird sich beim Lesevorgang des ersten Satzes dieses Unterkapitels höchstwahrscheinlich keine Unklarheit gestellt haben. Doch wenn man nun gefragt würde, was die verwendete Bezeichnung des Dinges meine, bestünde in diesem Moment die Möglichkeit einer annähernd adäquaten Antwort?

Die Rede von Dingen scheint in unserer Alltagssprache unverfänglich und neutral, es scheint so, als verfüge der Mensch auch hier über eine „unausdrücklich vorgreifende ontologische Charakteristik“ (Heidegger 2006: 68) dessen, was mit Ding bezeichnet wird. Würden wir also, bemüht um Korrektheit, einen Versuch wagen, die Antwort auf die vorangestellte Frage zu geben, so würde diese doch wahrscheinlich durch Merkmale wie „Substanzialität, Materialität, Ausgedehntheit“ (Heidegger 2006: 68) oder Ähnliches bestimmt sein. Das auf diese Weise Beschriebene ist nach Heidegger dem Ding als „Vorhandenen“ zuzuordnen (Heidegger 2006: 70). Vorhanden sind demnach solche Dinge, die schlichtweg in irgendeiner Weise empirisch vorkommen; Vorhandenheit beschreibt vereinfacht demnach das positiv Feststellbare an den Dingen, dass etwas sozusagen überhaupt faktisch gegeben ist.

Es drängt sich nun jedoch die Überlegung auf, ob die Ausgangsfrage, welche maßgeblich darauf abzielte, das Wesen des Dings zu ergründen, an dieser Stelle bereits beantwortet ist? Ist durch die Nennung der Bestandteile beispielsweise eines Vorlesungskatheders bereits erschlossen, was es ist, oder konnte bislang nicht vielmehr nur gezeigt werden, dass es ist? Letzteres scheint zutreffend, denn das Wie des Katheders ergibt sich einzig und allein aus dessen Wozu. Demzufolge handelt es sich bei einem Vorlesungskatheder um ein Ding, welches dazu dient, ausgehend von ihm zu einer Menschenmenge, einem Publikum, zu sprechen und zu welchem umgekehrt gesprochen werden kann. Es wird demnach zum Knotenpunkt von Kommunikation und Interaktion; eben zu mehr, als einem Holzkasten mit abgeschrägtem Deckel und gegebenenfalls einer Leselampe darauf.

Was soeben beschrieben wurde ist das Verständnis von einem Ding als „Zuhandenem“, welches die Erfahrung im tatsächlichen alltäglichen Umgang mit den Dingen, dem „besorgenden Umgang“ in sich begreift (Heidegger 2006: 68). Dieses „Zeug“ ist also das, „womit man es […] zu tun hat“ (Heidegger 2006: ). Durch seine innere Bewandtnis des „Um-zu“ wird dem Zuhandenen ein pragmatischer Charakter beigemessen, denn Zeug ist stets „eine Verweisung von etwas auf etwas“ (Heidegger 2006: 68) und die Seinsweise des Zuhandenen ist somit „Zuhandenheit“ (Heidegger 2006: 69). In dieser Eigenschaft der Verweisung gründet gewissermaßen die Einsicht, dass Zeug immer holistisch aufgefasst werden muss. Dies verdeutlicht Heidegger mittels folgender klarer Worte: „ Ein Zeug »ist« strenggenommen nie“ (Heidegger 2006: 68). Zuhandenes ist demzufolge nur in der Gesamtheit seiner Verweise und der durch sie initiierten Relationen zu anderem Zeug.

Was an dieser Stelle impliziert wird, ist der Verweisungszusammenhang des Zuhandenen, denn wenn dies stets auf etwas verweist, muss zwangsläufig eine Art System herrschen, auf dessen Basis die durch das Zeug geschehenden Verweise überhaupt möglich sind. Dieses System bezeichnet Heidegger als „Zeugganzheit“ (Heidegger 2006: 68), wobei dessen holistischer Charakter keineswegs zum Verständnis dieser Ganzheit als einer solchen, welche jedem ihrer Teilaspekte einen festen Platz zuweist, verleiten darf (Steinmann 2010: 53). Denn das Zeug darf „gerade nicht als ein präzise definierter Teil eines Ganzen aufgefasst werden […]“ (Steinmann 2010: 54). Was das Zeug in seiner Verweisung auf anderes Zuhandenes maßgeblich bestimmt, ist nämlich die dieser Verweisung eigentümliche Offenheit; so ist beispielsweise ein Hammer ein Werkzeug, das auf sehr verschiedene Anforderungen zu reagieren erlaubt und daher seinen situationsspezifischen Sinn erst aus dem Werk erhält, welches Ziel der Handlung darstellt. Das Zeugganze ist somit ein System, welches zwar das Zeug und die mit ihm einhergehenden Bezüge umfasst, diese Bezüge jedoch nicht als eindeutig und starr definiert, sondern sie vielmehr offen hält.[2]

Zuhandenes zeichnet sich demnach durch die Eigenschaft der Verweisung aus, welche sich stets innerhalb eines Zeugganzen vollzieht. Die vom Zeug ausgehende Verweisung begründet demnach das Bestehen einer grundsätzlichen „Verwiesenheit“ (Heidegger 2006: 84) innerhalb der Dinge. Diese Verwiesenheit ist jedoch nicht als etwas in jedem Verweisungsakt neu zu Schaffendes zu denken, was im Seinscharakter der „Bewandtnis“ (Heidegger 2006: 84) noch einmal deutlicher wird. Zeug hat „[…] mit ihm bei etwas sein Bewenden“ (Heidegger 2006: 84) wodurch ersichtlich wird, dass Verwiesenheit und Bewandtnis Seinscharaktere von Zuhandenem sind, die in diesem gleichsam mitschwingen. Die Dinge können und müssen in der Folge eben nicht erst auf jeweils anderes Zeug verwiesen werden, sodass Verwiesenheit aktiv hergestellt werden würde, denn Verwiesenheit ist vielmehr das Apriori eines jeden Verweisungszusammenhangs. Die Bezüge zwischen den Dingen, dem Zeug in unserer Welt, sind folglich weder starr, sodass sie auf nur ein bestimmtes Anderes referierten, noch werden sie aktiv erst hergestellt, denn sie sind in der Verwiesenheit des Zeugganzen immer schon da. Der Verweis eines Dings auf ein anderes in dieser Welt ist somit das Sichtbarmachen einer immer schon neben anderen Verbindungsmöglichkeiten gewesenen Option der Verweisung dieses referierenden Zeugs. In der Folge erscheint ein Ding niemals wirklich vereinzelt, sondern kann im eigentlichen Sinn ausschließlich im Zurücktreten hinter einen Verweisungszusammenhang, durch sein Um-zu, sichtbar werden.

Die grundlegende Struktur der Zeugverwiesenheit ist nicht zuletzt auch Basis für menschliches Handeln innerhalb der Welt, denn: „Nur weil das Zuhandene immer schon beziehungsoffen ist und in einen Zusammenhang mit anderen gehört, kann das Handeln in der Welt es aufnehmen und für seine individuellen Zwecke deuten oder wirksam werden lassen“ (Steinmann 2010: 59). Das zuvor Dargelegte bündelt sich also, der heideggerschen Daseinsanalytik sowie dem Fokus der vorliegenden Arbeit gemäß, in der Bedeutung, welche es für den Menschen einnimmt. Die Zeugganzheit, inklusive ihrer Offenheit und Verwiesenheit, bildet demnach nicht nur das Fundament dafür, dass Zeug als solches überhaupt in Erscheinung treten kann, sondern ist gewissermaßen auch die Software des menschlichen Navigationssystems, dem Umgang mit sowie der Handlungsorientierung in der Welt. Ohne die angesprochenen Bezüge und Verweise, wäre Dasein in der dinglichen Welt mitunter orientierungslos, wenn nicht gar handlungsunfähig.

Verdeutlicht wird diese Bedeutung von Welt, wenn Heidegger die drei Modi einführt, welche Zuhandenes potenziell annehmen kann und sich durch diese gleichermaßen der Verfügbarkeit entzieht. Er spricht in diesem Zusammenhang von „Auffälligkeit“, „Aufdringlichkeit“ und „Aufsässigkeit“ (Heidegger 2006: 74). Zuhandenes ist „auffällig“, wenn es unbrauchbar ist, wenn es sozusagen un zuhanden wird, während es durch Fehlen und damit im Besorgen vermisst „aufdringlich“ ist. „Aufsässig“ ist Zuhandenes dagegen, wenn es im Strukturganzen des jeweils Besorgten deplatziert und somit vereinfacht gesagt fehl am Platz ist (Heidegger 2006: 37f.).

Diesen drei Modi ist gemein, dass Zuhandenes nicht wie gewohnt hinter den durch es freigelegten Verweisungszusammenhang zurücktritt, sondern vielmehr in seiner Dinglichkeit explizit wird und somit ist „[…] die Verweisung des Um-zu auf ein Dazu […] gestört“ (Heidegger 2006: 74). Doch gerade in diesem Moment der gestörten Verweisung wird dieselbige explizit und ausdrücklich, rückt sie wahrhaft in den Vordergrund. Das Scheitern der Verweisung offenbart nicht nur die Zusammenhänge zwischen den Dingen unseres alltäglichen Besorgens und Zutunhabens-mit, sondern eröffnet auch die Einsicht in das all dem zugrunde liegende. Denn „mit diesem Ganzen […] meldet sich die Welt“ (Heidegger 2006: 75). Was also in dieser Situation Klarheit wird, ist der Umstand, dass wir uns in einem Kontext, in einer Welt, bewegen, auf deren strukturelle Bezüge wir in unserem alltäglichen Handeln maßgeblich angewiesen sind. Darüber hinaus wird nochmals verdeutlicht, dass der Kontext von Dingen, in dem wir uns bewegen, nicht plötzlich verschwindet. Das „[…] Unzuhandene steht nicht plötzlich außerhalb eines jeden Zusammenhangs, sondern macht im Gegenteil erkenntlich, dass es seinen Ort in der Verbindung zu anderen Dingen hat“ (Steinmann 2010: 57). Dieser Ort ist folglich das Davor jeden Handelns sowie jeder Verweisung; ein ungegenständlicher, die Dinge zusammenhaltender sowie umspielender Gesamtzusammenhang. Dieser Ort ist die Welt als Gesamtheit der Dinge, welche sich im Unzuhandenen „gemeldet“ hat.

Wie dargelegt, ist der Prozess in dem Unzuhandenes erscheint maßgeblich mit dem die resultierende Unbrauchbarkeit, das etwaige Fehlen oder auch die Deplatzierung feststellenden Dasein verbunden. Das Aufleuchten von Welt ist dementsprechend nur durch Zutun des Menschen möglich und somit gilt es dessen Beitrag zur Ganzheit von Welt genauer zu betrachten.

Die Weltlichkeit des Daseins

„[…] Mit diesem Zuhandenen, das wir deshalb Hammer nennen, hat es die Bewandtnis beim Hämmern, mit diesem hat es seine Bewandtnis bei Befestigung, mit dieser bei Schutz gegen Unwetter; dieser »ist« um-willen des Unterkommens des Daseins, das heißt, um einer Möglichkeit seines Seins willen“ (Heidegger 2006: 84).

Mit diesen Zeilen fällt Heidegger gewissermaßen mit der Tür ins Haus, da an dieser Stelle die Art und Weise in der Dasein seine Rolle für die Gesamtheit des Zeugs sowie für die Welt als Ganzheit einnimmt, ausdrücklich angesprochen wird. Die Bedeutung des Menschen im Kontext einer ganzheitlichen Welt, in der die Dinge in ihrer Zeugganzheit erscheinen, wird im Folgenden noch weiter konkretisiert: „[…] Die Bewandtnisganzheit selbst […] geht letztlich auf ein Wozu zurück, bei dem es keine Bewandtnis mehr hat […]. Dieses primäre ‚Wozu‘ ist ein Worum-willen. Das ‚Um-willen‘ betrifft aber immer das Sein des Daseins, dem es in seinem Sein wesenhaft um dieses Sein selbst geht“ (Heidegger 2006: 84).

Die im Voraus dargelegten Verweisungen des Zeugs sind also nicht endlos, sondern verfügen gewissermaßen über einen letzten Zweck auf den sie hinaus laufen. Dieser Zweck, das Worum-willen, geht vom Dasein aus, welchem es, wie bereits festgehalten, „in seinem Sein stets um dieses Sein geht“. Somit werden die Verweisungszusammenhänge sowie die Bedeutung eines jeden einzelnen Seienden der Seinsart Zuhandenheit zum unmittelbaren Ausdruck des menschlichen Seins. Auf diese Weise färbt der durch den Menschen gesetzte Selbstzweck das Wozu des Bewandtniszusammenhangs und erklärt den eigentlichen Sinn, das tiefe Fundament einer jeden Verweisung, um dessen Willen eine jede Verweisung ist.

Eine Welt als Ganzheit verlangt nach innerer Bestimmtheit sowie Zusammenhalt und eben dies sind die Eigenschaften, die durch das Dasein an die zuvor nur als Gesamtheit der Dinge erscheinende Welt herangetragen werden. „Die Gesamtheit aller Dinge wird zur Ganzheit, wird zu einer Welt, weil sich ihre Erschließung dem einen Seinsbezug des Daseins verdankt“ (Steinmann 2010: 62). Die Verwiesenheit ist eben nur daher eine Ganzheit, da es sich bei ihr nicht um eine bloße Ansammlung unterschiedlicher Verweise verschiedenen Zeugs handelt, sondern weil ihr eine alles umschließende Struktur zugrunde liegt, die maßgeblich durch den Menschen getragen ist. Das Sein des Daseins, um das es demselbigen in seiner Existenz bestellt ist, wird somit zum roten Faden der Zeugganzheit; wird gar zur sinnstiftenden Instanz der Begegnung mit sowie der Erscheinung von Seiendem.

Die Verschränkung von Dasein und Ding innerhalb der Welt wird nun ebenfalls ersichtlich. Zeug eröffnet die Möglichkeit auf anderes Zeug im jeweiligen Zeugganzen zu referieren und dieses somit begegnen zu lassen. Dieses Begegnenlassen ist jedoch genauer gesagt eine Haltung, eine Seinsweise des Daseins, welches die Dinge auf sich wirken lässt und sie in ihrer Offenheit eine Konstellation bilden lässt. Auf diese Weise sind Bewandtnis der Dinge und Gebrauch dieser durch das Dasein untrennbar miteinander verbunden und bestehen nur in diesem Verhältnis (Steinmann 2010: 61).

Diesem Verhältnis vorgängig ist jedoch die Tatsache, dass die Bewandtnis der Dinge je schon in der Welt ist und durch das Dasein nicht etwa erst an die Dinge herangetragen werden muss. „Das auf Bewandtnis hin freigebende Je-schon-haben-bewenden-lassen ist ein apriorisches Perfekt, das die Seinsart des Daseins selbst charakterisiert“ (Heidegger 2006: 85), sodass Dasein eben gerade nicht als Initiator der Bewandtnis der Dinge fungiert, welche in diesem Fall nicht als zwangsläufig zur Welt Hinzugehörendes ausgewiesen werden könnten, sondern vielmehr den Ort der Freilegung dieser bereits vorher erschlossenen Bewandtnis darstellt.

Der Einheitshorizont, welcher die Welt somit erst in ihrer Ganzheit erscheinen lässt, geht folglich mit dem Selbstverstehen des Daseins einher. Weltverstehen ist Selbstverstehen – und umgekehrt; dies beschreibt die Eigentümlichkeit der Weltlichkeit. Heidegger kann daher sagen „ Das Dasein ist seine Erschlossenheit[3] “ (Heidegger 2006: 133) und betont so nur noch einmal längst Verständliches, nämlich dass die Idee einer isolierten Innenwelt des Daseins im Zuge der Verschränkung von Dasein und Welt verworfen werden muss. Die Ganzheit der Welt ist demnach nur im erschließenden Dasein und Dasein selbst ist nur in der Erschlossenheit dieser Welt.

Heidegger zerstört auf diese Weise aus theoretischer Sicht gerne vorgenommene Trennungen zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Innen und Außen und zeigt, dass solche Differenzierungen gewissermaßen erst nachträglich an das Sein des jeweiligen Seienden herangetragen wurden. Ein die Ursprünglichkeit zum Ziel habendes Denken jedoch geht von den Sachen selbst aus und was es dort vorfindet, sind eben keine detailliert zerlegten Analyseschnipsel, welche so denn, einem Puzzle gleich, nachträglich zu einem System zusammengebaut werden können.

Welt im Sinne Heideggers ist Weltlichkeit, da ohne das Zutun des Daseins das Sprechen von einer Welt im Sinne einer Ganzheit ad absurdum führte. Die Beschreibung, welche sich auf Basis des Dargelegten für den Begriff der Welt als Weltlichkeit ausweisen lässt, ist somit die folgende: „ Das Worin des sichverweisenden Verstehens als Woraufhin des Begegnenlassens von Seiendem in der Seinsart der Bewandtnis ist das Phänomen der Welt “ (Heidegger 2006: 86). Es wird an dieser Stelle erneut deutlich, dass die Begrifflichkeiten, an denen sich Heidegger abarbeitet, losgelöst von der allzu vertrauten Starrheit begrifflicher Kategorien zu verstehen sind. Die phänomenale Welt in der heideggerschen Konzeption ist prozesshaft zu denken, nämlich als das, worin Weltbegegnung geschieht. Der Ort dieses Geschehens konnte am Dasein festgemacht werden, welches offen für die Zusammenhänge in der Welt, Dinge in ihrer Bewandtnis begegnen lässt. Die genaue Betrachtung der Art und Weise dieser Begegnung verlangt nach einer konkreteren Ausführung, welche nun im Rahmen der Diskussion des In-Seins erfolgen soll.

[...]


[1] An dieser Stelle wird die Anlehnung an Edmund Husserl, den Urvater der klassischen Phänomenologie, deutlich, deren Hinwendung zum Gegenstand des Denkens sich immer „zu ihm selbst“ zu verhalten hat, damit sich dieser „von sich selbst her“ zeigen kann. Husserl räumt der Philosophie in seinem Denken ebenfalls besonderen Stellenwert ein und verfolgt dabei das Ziel, sie als strenge Wissenschaft zu begründen (Husserl 1981). Zur Vertiefung eignet sich das gleichnamige Werk „Philosophie als strenge Wissenschaft“.

[2] Dieser Offenheitscharakter unterscheidet die Verweisung nach Heidegger etwa von einem „Zeichen“ (Heidegger 2006: 82), dessen Referendum etwas Spezifisches darstellt und das Zeichen somit zu einer möglichen Ausprägungsform von Verweisung wird.

[3] Die Explikation der heideggerschen Konzeption von „Erschlossenheit“ erfolgt im Rahmen des Kapitels 3.1.2, erweist sich aber bereits an dieser Stelle hilfreich, um die als Verschränkung zu denkende Verbindung des begegnenlassenden Daseins mit der Welt zu verdeutlichen.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2013
ISBN (PDF)
9783956846977
ISBN (Paperback)
9783956841972
Dateigröße
857 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1
Schlagworte
Heidegger Jemeinigkeit Existenz Seinsvergessenheit Seinsfrage Weltlichkeit
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Titel: Ist Martin Heidegger gescheitert? Eine Einführung in die Daseinsanalyse aus „Sein und Zeit“
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