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Paragraph 88a StGB – Zum Schutz des Gemeinschaftsfriedens: Der Umgang mit linker Literatur in der BRD 1976 - 1981

©2009 Bachelorarbeit 63 Seiten

Zusammenfassung

In der vorliegenden Studie soll der Umgang mit Literatur in der Bundesrepublik Deutschland von 1976 bis 1981 unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Zensurpraxis betrachtet werden. Das Buch widmet sich hierfür speziell den Anwendungen und Auswirkungen des Paragraphen 88a (Verfassungsfeindliche Befürwortung von Straftaten) des Strafgesetzbuches. Um die Umstände, die zur Einführung des Paragraphen geführt haben, aufzuzeigen, werden zunächst die politischen und gesellschaftlichen Strukturen der Bundesrepublik in den 1970er Jahren dargelegt. Die Staatsregierung hatte sich zu der Zeit mit dem aufkommenden Terrorismus und der Frage der Inneren Sicherheit auseinanderzusetzen. In der BRD entwickelte sich eine außerparlamentarische Opposition, welche sich zunächst in der deutschen Studentenbewegung und später teilweise in der Bildung terroristischer Gruppen widerspiegelte. Die Bundesrepublik sah sich gewalttätigen Aktivitäten und organisiertem Terrorismus gegenüber, auf die der Staat rechtlich nicht vorbereitet war. Die Studie gibt einen Einblick in die Erweiterungen und Ergänzungen des Strafgesetzbuches in den 70er Jahren.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2.3.1 Die Studentenbewegung

In den 1960er Jahren kam es in der Bundesrepublik Deutschland vermehrt zum Ausdruck wachsender Unzufriedenheit, vor allem innerhalb der Generation, die noch während des Krieges oder kurz danach geboren wurde. Die sogenannte „68er-Generation“ verdankt ihren Namen der Bewegung von 1968, für deren Beteiligte die späten 1960er eine prägende Phase darstellt. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird von der deutschen Studentenbewegung oder der 68er Bewegung gesprochen. Der Grundstein für die spätere Studentenbewegung wurde bereits während der Anfänge der Bundesrepublik Deutschland gelegt. Die in der Zeit des dritten Reiches und während des zweiten Weltkrieges ge­sammelten Erfahrungen war für die Generation von 1968 unvereinbar mit den Handlungen der Staatsführer.„Die Studentenbewegung [ist] als institutionelle und formwandelnde Verlängerung und Fortsetzung gesellschaftlicher und poli­tischer Konflikte anzusehen, die die Geschichte der Bundesrepublik bis in die Mitte der 60er Jahre begleitet haben.“[1] Die Faktoren für den Widerstand, der sich in den späten 60ern formierte, waren zahlreich und divers. Die Proteste richteten sich hauptsächlich gegen die fortschreitende Konsumgesellschaft, mangelnde Hochschulreformen, den Vietnamkrieg, die Atomaufrüstung und den Imperialismus.[2] Die 68er Generation lehnte das saturierte Leben ihrer Eltern ab und forderte eine Aufarbeitung des Nationalsozialismus.[3] Sie woll­ten sich nicht mit der Politik des Staates zufrieden geben, die im schlimmsten Fall dazu führte, dass ehemalige NSDAP- Politiker in der BRD führende Posi­tionen übernahmen.[4] In den Jahren 1967 und 1968 nahmen die Demonstratio­nen und Proteste gegen die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen rapide zu. Hinter den zentralen Themen Atomrüstung und Pazifismus, dem Leitmotiv bis in die Mittsechziger, war die Notwendigkeit der Änderung der Gesellschaft erkennbar geworden.[5] Zentrale Begriffe der Studentenbewegung um 1968 waren: „Antifaschismus, Antiautoritarismus und Antiimperialis­mus“.[6] Die zwei Vorsätze „Nie wieder Krieg“[7] und „Nie wieder Totalitaris­mus“[8] beschreiben die seelische Befindlichkeit der deutschen Bevölkerung nach 1945.[9] Die Studentenbewegung reklamierte den Vorsatz „Nie wieder Krieg“ immer deutlicher, übersah aber neben ihrem Ehrgeiz den des Antitota­litarismus.[10] Allerdings war der antitotalitäre Affekt genauso bedeutend für das Nachkriegsdeutschland wie der pazifistische.[11] Die Studentenbewegung konnte ihr Bestreben nach Antitotalitarismus jedoch nicht überzeugend suggerieren und so standen ihnen viele Teile der Bevölkerung ratlos gegenüber. Als Höhe­punkt und gleichzeitiger Wendepunkt der Studentenbewegung wurde und wird der 02. Juni 1967 angesehen. An diesem Tag wurde der Student Benno Ohne­sorg auf einer Demonstration von einem Polizisten erschossen.[12] Für die Studen­tenbewegung leitete dieser Vorfall eine explosive Ausweitung ein. Der bis dahin latenten Unruhe und Protestbereitschaft der 68er Generation wurde mit diesem Vorfall ein Startsignal gegeben. Es kam zu einer rapiden Zunahme von Demonstrationen, öffentlichen Aktionen und Konfrontationen mit der Staatsgewalt.[13] Eine Demonstrationsstatistik „verzeichnete eine Anzahl von 2059 Demonstrationen im Jahre 1968, die sich 1969 auf 2253 steigerte.“[14] Der 02. Juni 1967 hatte eine Mobilisierung der Studenten und Schüler zur Folge. Es wurden Seminare oder sogar ganze Institute an Universitäten besetzt, Akten gestohlen und der ganze universitäre Ablauf gestört.[15] Die Konfrontation mit der Polizei stieg auf einen bis dahin noch nicht erreichten Gewaltpegel.[16] Das kommunizierte Ziel der Studentenbewegung änderte sein Erscheinungsbild. In mehreren links gerichteten Zeitschriften wurden Hassparolen, Gewaltakte und Sprengstoffrezepte veröffentlicht.[17] Es zeigte sich eine Steigerung der Aggressi­vitätsbereitschaft innerhalb der Studentenbewegung. Die Ausdehnung der Bewegung in Form der Zunahme der Gewaltbereitschaft wurde zusätzlich von den präventiven und repressiven Maßnahmen der Regierung gesteigert. Die Demonstrationen und Kundgebungen der Studentenbewegung im Jahre 1968 wurden durch ein enorm hohes Aufgebot der Polizei begleitet.[18] Es ent­wickelte sich eine Art Gegenbewegung zur linken Gegenöffentlichkeit. Auf einer Großkundgebung „Für Freiheit und Frieden“, organisiert von der Presse, dem Deutschen Gewerkschaftsbund und anderen gesellschaftlichen und politi­schen Institutionen, konnte man Plakate mit den Aufschriften „Raus mit den Roten, „Dutschke Volksfeind Nummer 1“ oder auch „Politische Feinde ins KZ“ sehen.[19] Die Radikalisierung der Studentenbewegung und das verschärfte Vorgehen der Regierung gegen die linke Gegenöffentlichkeit ebneten den Weg für die Anfang der 70er Jahre entstandenen terroristischen Vereinigungen.

2.3.2 Die Rote Armee Fraktion

Im Zuge der Zuspitzung der Bewegung innerhalb der linken Gegenöffentlich­keit entstanden linke Gruppen, die mit militanten Mitteln gegen herrschende Gesellschaftsformen vorgingen. Diese Gruppierungen verfolgten das Ziel, die staatliche Ordnung und die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhält­nisse in der BRD zu bekämpfen.[20] Eine der ersten Organisationen dieser Zeit war die Rote Armee Fraktion (RAF). Anders als bei den Aktionen der Studen­tenbewegung, war die RAF darauf aus mit terroristischen Mitteln, wie Spreng­stoffanschlägen, Erpressung und Mord ihre Ziele zu verfolgen.[21] Für die RAF ist der Tod von Benno Ohnesorg das Schlüsselerlebnis, welches zum organi­sierten Terrorismus führte. RAF-Gründungsmitglied Gudrun Ensslin sagte am 02. Juni 1967: „Dieser faschistische Staat ist darauf aus, uns alle zu töten. Wir müssen Widerstand organisieren. Gewalt kann nur mit Gewalt beantwortet werden.“[22] In Ensslins Worten wird der Gemütszustand der RAF-Mitglieder deutlich. Sie schienen sich einem Staat ausgeliefert zu fühlen, deren politische und gesellschaftliche Verhältnisse sie nicht verstanden und nicht akzeptieren wollten. In ihren terroristischen Aktionen versuchte die Rote Armee Fraktion Zeichen zu setzen, „um den potentiell revolutionären Teil der Bevölkerung zu weiteren revolutionären Aktionen und letztlich zum Beginn des Volkskrieges zu veranlassen“.[23] Ihre Struktur übernahm die Rote Armee Fraktion aus dem „Minihandbuch der Stadtguerilla“ des brasilianischen Guerillaführers Carlos Marighella.[24] Die RAF verstand sich als eine Stadtguerilla und nahm deren Organisation und Vorgehensweisen an. Eine Stadtguerilla ist schwer bewaff­net, lebt im Untergrund und beschafft sich das benötigte Geld mit Banküber­fällen.[25] In dem Handbuch der RAF beschreiben die Mitglieder, was sie unter Stadtguerilla verstehen.

„Satdtguerilla ist bewaffneter Kampf, insofern es die Polizei ist, die rück­sichtslos von der Schusswaffe Gebrauch macht, und die Klassenjustiz, die Kurras[26] freispricht und die Genossen lebendig begräbt, wenn wir sie nicht daran hindern. Stadtguerilla heißt, sich von der Gewalt des Systems nicht demoralisieren zu lassen. Stadtguerilla zielt drauf, den staatlichen Herrschaftsapparat an einzelnen Punkten zu destruieren, stellenweise au­ßer Kraft zu setzen, den Mythos von der Allgegenwart des Systems und seiner Unverletzbarkeit zu zerstören. Stadtguerilla setzt die Organisierung eines illegalen Apparts voraus, das sind Wohnungen, Waffen, Munition, Autos, Papiere.“[27]

Am 18. Juni 1970 veröffentlichte die linke Zeitschrift agit 883 den Artikel „Minihandbuch der Stadtguerilla in Auszügen“ und machte damit das von der RAF verfolgte Konzept der interessierten Öffentlichkeit zugänglich.[28] Die agit 883 zeigte sich solidarisch mit der RAF und anderen terroristischen Gruppie­rungen, was immer wieder an Artikeln der Zeitschrift erkennbar war. Fast alle Titel der agit 883 wurden in den nächsten Jahren verfolgt und beschlagnahmt, insbesondere wegen der Anleitung zu Straftaten (§130a StGB) und der verfas­sungsfeindlichen Befürwortung von Straftaten (§88a StGB).

Die offizielle Geburtsstunde der Roten Armee Fraktion war der 14. Mai 1970, der Tag, an dem das Mitglied Andreas Baader erfolgreich aus dem Gefängnis befreit wurde.[29] Gründungsmitglieder der RAF waren Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Manfred Grashof, Wolfgang Grundmann, Astrid Proll, Bernhard Braun und Horst Mahler. Die Mitglieder der RAF ließen sich für ihren Kampf in einem palästinensischen Militärlager ausbilden, in dem sie unter anderem strategische Planung, den Umgang mit Waffen und das Mischen von Spreng­stoff erlernten.[30] Mit diesem Wissen verübte die RAF in den nächsten Jahren zahlreiche Sprengstoffanschläge, Morde und Entführungen.[31] Trotz der Verhaf­tungen zahlreicher Führungsmitglieder der ersten Generation der RAF im Jahre 1972, lebte die Organisation weiter und verübte zahlreiche terroristi­sche Anschläge, bis sie sich 1998 selbst auflöste. Der Höhepunkt der terroristi­schen Aktionen ereignete sich im deutschen Herbst[32] 1977. In diesem Jahr wur­den der amtierende Generalbundesanwalt Siegfried Buback, der Vorstand­sprecher der Dresdner Bank Jürgen Ponto sowie der Präsident der Bundesver­einigung der deutschen Arbeitgeberverbände und des Bundesverbandes der deutschen Industrie Dr. Hanns-Martin Schleyer ermordet.[33] Die Entführung und anschließende Ermordung Hanns-Martin Schleyers war der letzte Versuch der RAF, die seit 1972 im Gefängnis sitzenden Führungsmitglieder Baader, Ensslin und Raspe sowie neun weitere Mitglieder zu befreien. Die RAF veröf­fentlichte unmittelbar nach der Entführung Schleyers am 05. September 1977 ihre Forderungen und drohte mit dem sofortigen Tod Schleyers, sollten diese nicht erfüllt und die Fahndung nach Schleyer nicht eingestellt werden.[34] Bundes­kanzler Schmidt ließ sich von den Forderungen der Roten Armee Frak­tion nicht unter Druck setzen. Er veranlasste die Fortführung der Fahndung nach Schleyer. Sein erklärtes Ziel war die Befreiung Hanns-Martin Schleyers und die Ergreifung der Terroristen.[35] Schmidt blieb bei seinem Kurs, als vier palästinensische Terroristen aus Solidarität mit der RAF die Lufthansa Ma­schine „Landshut“ entführten, um ein weiteres Druckmittel für die Freilassung der Terroristen zu haben.[36] Die Geiseln der „Landshut“ wurden am 18. Okto­ber 1977, fünf Tage nach ihrer Entführung, befreit, drei Palästinenser sterben bei dem Einsatz des Sonderkommandos.[37] Am selben Tag begingen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe Selbstmord. Nur wenige Stunden nach dem Tod der RAF-Mitglieder wird Hanns-Martin Schleyer von seinen Entführern ermordet.[38]

Die Rote Armee Fraktion war trotz deutlicher Distanzierung friedlich gesinn­ter Anhänger der linken Gegenöffentlichkeit, ein Produkt der Bewegung. Ter­roristische Gruppierungen, wie die revolutionären Zellen, die Bewegung 2. Juni und auch die RAF hatten zu größten Teilen ihre Wurzeln in den Studen­tenbewegungen. Diejenigen Revolutionäre, die Gewalt ablehnten, gestanden dem terroristischen Aktivisten die gleiche geistige Vaterschaft jedoch nicht zu.[39] „Vaterschaft ist im Bereich des Intellektuellen ein schwieriger Begriff. Streng genommen bezeichnet er nur ein geistiges Band, das sich zwischen ei­nem Älteren und einem Jüngeren spannt, ohne das der Ältere gefragt wird, ob er mit der Teilhabe an seinen Gedanken einverstanden ist.“[40] Die geistigen Urheber der Bewegung waren unter anderem die Werke von Marx, Mao, Mar­cuse, Horkheimer, Adorno und Bloch.[41] Sie alle waren Emigranten, einem Staat (Deutschland) entflohen, den sie bekämpften. Die Tatsache bewunderten viele der Revolutionäre, ob ihnen jedoch das Ausmaß einer Emigration mit der verbundenen geistigen Heimatlosigkeit bewusst war, bleibt fraglich. Zumal nicht davon ausgegangen werden kann, dass jeder Aufständische die Werke der geistigen Väter gelesen und verstanden hatte. Oftmals wurden nur zentrale Be­griffe aufgenommen und zu bloßen Schlagworten umfunktioniert. Es genügte zu provozieren, der Inhalt war sekundär[42]. So hatten die Werke von Marx oder Horkheimer durchaus Einfluss, aber oftmals nicht auf der Grundlage der vom Autor intendierten Aussage. Es bleibt festzuhalten, dass von einer gemeinsa­men geistigen Vaterschaft der friedlichen und der terroristischen linken Ge­genöffentlichkeit ausgegangen werden kann. Aufgrund des schemenhaften und oftmals auf Schlagwörter zurückzuführenden Einflusses dieser Vaterschaft, sollte jedoch nicht auf eine einheitliche Denk- und Interpretationsweise beider „Seiten“ geschlossen werden.

3. Zur Gesetzgebung

3.1 Das „Gesetz zum Schutz des Gemeinschaftsfriedens“

Der erste Entwurf des „Gesetzes zum Schutz des Gemeinschaftsfriedens“ ent­stand im Juni 1972 auf der ständigen Konferenz der Innenminister der Län­der.[43] Es war der Monat in dem die führenden Mitglieder der RAF Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe festgenommen wurden. Es war das Jahr, in dem die außerparlamentarische Opposition verstärkt terroristische An­schläge verübte.[44] In dieser Zeit sah sich die Bundesrepublik einer linken Gegen­öffentlichkeit gegenüber, auf deren Gewaltpotential sie rechtlich nicht vorbereitet war. „Weder Exekutive noch Judikative waren ideologisch und or­ganisatorisch auf die neue Form der Gegenöffentlichkeit vorbereitet. Gegen Kleinzeitschriften halfen keine Vertriebsverbote, gegen Raubdrucke keine In­dizierungen und gegen spontane politische Gruppen kein KPD-Urteil.“[45] In ihrem Programm der „Inneren Sicherheit“ forderte die ständige Konferenz der Innenminister, der Propagierung von Gewalt mit strafrechtlichen Mitteln ent­gegenzuwirken.[46] Am 11. November 1972 legten CDU/CSU ihren Entwurf für ein „Gesetz zum Schutz des Gemeinschaftsfriedens“ vor, in dessen Kern der § 130a[47] Strafgesetzbuch (StGB) stand, der die Befürwortung von Gewalt unter Strafe stellte. Dieser Entwurf wurde fast unverändert vom Bundesrat über­nommen, am 08. November 1974 beschlossen und noch im selben Monat an den Bundestag weitergeleitet.[48] Die Notwendigkeit des 14. Strafrechtsänderungs­gesetzes wurde mit der Existenz eines straffreien Raums, einer sogenannten Strafbarkeitslücke, begründet.[49] Der §130a StGB sollte die Tatbestände abdecken, die der § 126[50] StGB offen ließ. Nach § 126 StGB wird derjenige mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe be­straft, der den öffentlichen Frieden durch Androhung von Straftaten stört. Im Paragraphen werden Handlungen, die den öffentlichen Frieden stören, aufgeli­stet, darunter zählen: Landfriedensbruch, Mord, Totschlag, Völkermord, Ver­giftung, eine Straftat gegen die persönliche Freiheit, Raub, räuberische Erpres­sung oder eine gemeingefährliche Straftat.[51] Der Paragraph 130a StGB sollte nun Schriften unter Strafe stellen, die eine Anleitung zur Begehung von Straf­taten (Abs.2) und oder eine Befürwortung von Straftaten enthält (Abs.1). Der Gesetzesentwurf kriminalisierte das Vorfeld einer Straftat, indem er laut Geset­zestext die „Anleitung“, „Androhung“, „Billigung“ und „Befürwortung“ von Gewalttaten unter Strafe stellte.[52] Kriminalwissenschaftler sprechen bei dieser Problematik von einer „Vorverlegung der Strafbarkeit“.[53] Es kommt in den Parlamentssitzungen am 13. März 1975 und dem 16. Januar 1976 zu scharfen Debatten zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktion. Aufgrund der Be­griffe „Billigen“ und „Befürworten“ bemängelte die Regierungskoalition (SPD/FDP) die Entwürfe der Opposition (CDU/CSU).

“Der Begriff Befürwortung ist relativ unbestimmt [...]. Gefahren für die Freiheit der Meinungsäußerung, die sich bei der praktischen Anwendung, insbesondere beim ersten Zugriff, ergeben können, sind nicht von der Hand zu weisen, wenn der Tatbestand nur auf diese Merkmale abheben würde. Es ist fraglich, ob der Zusatz im Entwurf des Bundesrates, die Tat müsse geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören, alle nicht straf­bedürftigen Fälle von der Strafbarkeit ausnimmt“.[54]

Als die Absicht öffentlich bekannt wurde, dass § 130a StGB eine Art General­klausel sein sollte, die jede Schrift, die zur Gewalt anleitet oder diese befür­wortet unter Strafe stellt, „meldeten sich Schriftsteller und Publizisten zu Wort und erklärten, die Regierung bekomme damit ein Instrument in die Hand, mit dem jede missliebige Publikation, die meisten Klassiker der Weltliteratur, ja sogar die Bibel verboten werden könne.“[55] Aufgrund dieser Proteste rückten SPD und FDP von ihrem ursprünglichen Ansatz ab und sorgten für eine engere Fassung des Begriffs „Befürwortung“.[56] Am 13. März 1975 wurde Paragraph 130a StGB an den Sonderausschuss für die Strafrechtsform zur weiteren Bera­tung überwiesen. Das Gremium machte den Vorschlag, die gesamte „Befür­wortungs- Thematik“[57] aus dem § 130a StGB herauszunehmen und diese in einem weiteren Paragraphen im Rahmen der Staatsschutzdelikte zu regeln.[58] So wurde aus dem umstrittenen Teil des § 130a der § 88a[59] StGB geschaffen, welcher die verfassungsfeindliche Befürwortung von Straftaten unter Strafe stellte. Strafbar sollte nun jede den Gemeinschaftsfrieden störende Verbreitung von Schriften sein, sowie das öffentliche Ausstellen, Anschlagen, Vorführen oder Zugänglichmachen, ihr Herstellen, Beziehen, Liefern, Vorrätighalten, Anbieten, Ankündigen und Anpreisen.[60] Spezifiziert wurde der Begriff der „Befürwortung“ indem festgelegt wurde, dass nach § 88a StGB Schriften, die sich gegen den Bestand oder die Sicherheit der BRD richten, unter Strafe ge­stellt werden. Der § 130a stellte in seiner abschließenden Form das Anleiten zur Gewalt unter Strafe.

Auch wenn die „Befürwortungs-Thematik“ in einem gesonderten Paragraphen und mit Spezifizierung festgeschrieben wurde, blieb es thematisch zum einem bei dem Problem der sogenannten Vorfeldkriminalisierung, obwohl die Regie­rung das Problem mit der sogenannten Sozialadäquanzklausel aus der Welt schaffen wollte. Diese besagt, dass in Ausnahmefällen die Strafbarkeit entfällt, wenn die Verbreitung von Schriften der Kunst, der Forschung, der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens, der staatsbürgerlichen Aufklärung oder der Geschichte dient.[61] Auf diese Ausnahmen wurde mit Ab­satz drei im Paragraph 88a StGB hingewiesen . Zum anderen blieb der Begriff „befürworten“ im Gesetzestext, für den trotz Protest keine Definition oder Ab­hilfe geschaffen wurde. Der Bundestag verabschiedet „Das Gesetz zum Schutz des Gemeinschaftsfriedens“ am 16. Januar 1976. Die Paragraphen 130a und 88a StGB traten am 01. Mai 1976 in Kraft.

Bereits im Juni 1980 bemühte sich die FDP um Entschärfung der Anti-Terror-Gesetze und damit auch des Paragraphen 88a StGB.[62] Die Freidemokraten for­derten eine Überprüfung der Gesetze, vor allem die Paragraphen 130a und 88a StGB sollten auf ihre Folgen hin untersucht werden.[63] Der SPD-Justizminister Hans-Jochen Vogel fertigte eine Dokumentation zur Praxis von § 88a StGB an, in welcher deutlich wird, dass es seit Bestehen, 103 Ermittlungsverfahren aber nur sieben Verurteilungen auf Grundlage des Paragraphen gab.[64] Neun Monate später, am 12. März 1981 erklärte der neuen Bundesjustizminister Jürgen Schmunde: „Eine Überprüfung habe im Falle der §§ 88a und 130a des Strafge­setzbuches ergeben, dass die Vorschriften ihr rechtspolitisches Ziel, die Be­kämpfung des Terrorismus bereits im Vorfeld der eigentlichen terroristischen Kriminalität zu verbessern, in der Praxis nicht erreicht haben.“[65] Die SPD/FDP Koalition machte nach weniger als fünf Jahren ihre eigene Gesetzgebung wie­der rückgängig.

3.2 Inhalt und Wirkung des „Zensurparagraphen“

Als „Zensurparagraph“ oder „Maulkorbparagraph“[66] wurde der Paragraph 88a StGB in den Jahren seiner Existenz mehrfach bezeichnet. Doch was steht in dem Gesetzestext des Paragraphen wirklich? Welchen Wirkungskreis hat er? Wer war betroffen? Welche Auswirkungen und Folgen waren zu erwarten?

Der Paragraph 88a StGB war einer von 6 Paragraphen[67], die im Zuge des vier­zehnten Strafrechtsänderungsgesetzes, im Mai 1976 in Kraft traten. Der Öf­fentlichkeit wurden die Veränderungen und Neuerungen unter dem Namen „Gesetz zum Schutz des Gemeinschaftsfriedens“ vorgestellt. Vom Namen aus­gehend handelte es sich um Gesetze, die die Gemeinschaft schützen sollten. Es stellen sich die Fragen, wer die Gemeinschaft ist und wovor die Gemeinschaft geschützt werden sollte. Ein Blick in den Gesetzestext des Paragraphen 88a sollte Aufschluss geben.

Nimmt man den Gesetzestext wörtlich, so besagt der § 88a StGB, dass jemand mit bis zu drei Jahren Gefängnis oder einer Geldstrafe bestraft wird, wenn er eine verfassungsfeindliche Schrift, auf welche Art auch immer, einem anderen zugänglich macht, diese produziert oder für sie wirbt. Verfassungsfeindlich ist die Schrift, wenn sie gegen einen der Straftatbestände, wie sie im § 126 StGB aufgeführt sind, verstößt. Weiterhin muss sie dazu bestimmt oder geeignet sein, bei dem Rezipienten die Bereitschaft zu fördern, diese Taten zu begehen. Zu den Straftaten nach § 126 zählen wie bereits erwähnt, schwerer Landfriedens­bruch, Totschlag, Völkermord, Raub, räuberische Erpressung aber auch die sogenannten gemeingefährlichen Verbrechen, wie Brandstiftung, Vergiftung oder die Beschädigung wichtiger Anlagen wie Strom- oder Wasserleitungen. Demonstranten setzten oft Wasserleitungen außer Kraft, um die von der Polizei eingesetzten Wasserwerfer unbrauchbar zu machen.[68] Ein genauer Blick auf die damalige Rechtsprechung lässt erkennen, dass mit den sogenannten ge­meingefährlichen Verbrechen auch Streiks, Hausbesetzungen und Verkehrs­blockaden gemeint waren.[69] Diese Straftaten waren typische Handlungen im Protest der linken Gegenöffentlichkeit gegen den Staat. Mit der rechtlichen Beziehung zwischen den §§ 126 und 88a waren nun auch die Befürwortung dieser Formen des Widerstandes strafbar.[70] Das heißt, nach § 88a ist es unter anderem strafbar, Demonstrationen, Streiks oder Hausbesetzungen zu befür­worten, indem zum Beispiel Plakate, die zu einer Demonstration aufrufen, verteilt, aufgehängt oder irgendwie anders zugänglich gemacht werden. Ver­sucht man nun das Objekt der Schutzbedürftigkeit in dem Gesetz zu erkennen, scheint es um den Schutz der politischen Ordnung des Staates zu gehen, weni­ger um den Schutz der Gemeinschaft. Die Reichweite des Paragraphen war schwer absehbar, vor allem wegen des sehr flexiblen Begriffs der „Befürwor­tung“. Ein Vertreter des Bundesjustizministeriums erläuterte den Begriff:

„Erstens gebe es Befürwortung in der Form der indirekten Auf­forderung, zweitens Befürwortung in der Form scheinbarer Di­stanzierung, drittens Beschreibung strafbarer Handlungen mit Nachahmungstendenz, viertens Befürwortungen in der Form der Billigung eines historischen Ereignisses in der Absicht, es als nachahmenswertes Vorbild hinzustellen, fünftens Befür­wortung von Gewalt in Form der Ankündigung oder Vorher­sage von Gewalttaten mit Nachahmungstendenz und sechstens Befürwortung von Gewalt in der Form des Abdrucks fremder Meinungen, wobei der Autor die fremden Meinungen sich zu eigen macht, um einen bestimmten Eindruck zu erzielen.“[71]

Auffallend bei dieser Aufzählung ist die Bemühung nach Lückenlosigkeit, alle Eventualitäten sollten mit einbezogen werden. Damit wird nach § 88a nicht das praktische, aktive, körperliche Unterstützen einer Straftat geahndet, sondern die Parteinahme mit Worten für eine bestimmte Handlung.[72] Damit deckte der neue Paragraph die oben erwähnte Strafbarkeitslücke vollständig ab und er­gänzte das schon bestehende Strafrecht um eine vorher nicht fassbare Katego­rie: Die der Befürwortung und Anleitung einer Straftat im Vorfeld der Tat. Paragraph 88a StGB kriminalisierte das Vorfeld einer Straftat, wie Mord oder Entführung, ebenso wie das Vorfeld eines Streiks oder einer Demonstration.

Mit der Einführung des Paragraphen 88a sollte eine „Harmonisierung der sich ergänzenden Strafvorschriften“[73] erreicht werden. Es ging „um die Bestrafung einer Befürwortung und Anleitung zur Gewalt im Vorfeld des geltenden §111 StGB, um Worte also, die nicht, wie zuvor für eine Verfolgung erforderlich, Anstiftung im streng juristischen Sinne sind.“[74] Es ging um die Verhinderung von Massenaktivitäten, wie Demonstrationen und Streiks und um die Verhin­derung von Unruhen und Landfriedensbruch.[75] Die Regierung schuf mit die­sem Gesetz eine enorme Waffe gegen die linke Gegenöffentlichkeit, denn sie nahm ihnen:

„den Austausch, die Erörterung und Aufarbeitung von Erfahrungen; die Öffentlichkeit und Offenheit der Entscheidungen, durch die eine wir­kungsvolle politische Arbeit überhaupt erst möglich wird; der Versuch durch die Herstellung von Gegenöffentlichkeit politischen Zusammen­hänge aufzuzeigen, lokale Beschränkungen aufzuheben, Lehrstückeffekt zu gewinnen und dadurch Voraussetzungen für weitere Aktivitäten zu schaffen. [...] Aktivitäten die mit einer öffentlichen Diskussion und Vor­bereitung sowie unterstützenden Kommentaren und Kampagnen stehen und fallen: Streiks etwa, Demonstrationen, Hausbesetzungen [...].“[76]

Der enorme Wirkungskreis des § 88a StGB war für die Gesellschaft nicht vor­hersehbar, da die bürgerliche Presse, wie bereits erwähnt, nur den Namen der Paragraphen und maximal den Gesetzestext des Paragraphen 88a StGB publi­zierte. Die genauen Formulierungen der Regierungsvertreter oder ihre Ansich­ten über den Begriff der „Befürwortung“ blieben jedoch unveröffentlicht.

4. Anwendungsfälle

4.1 Erste Ermittlungsverfahren

Drei Monate nach Inkrafttreten des 14. Strafrechtänderungsgesetzes wurden im August 1976 erstmals Durchsuchungen auf Grundlage der Paragraphen 88a und 130a StGB durchgeführt. Die Generalbundesanwaltschaft Karlsruhe initi­ierte eine großflächige Fahndung nach linken Schriften.[77] Gesucht wurde vor allem die Zeitung Revolutionärer Zorn, die Zeitung der Revolutionären Zellen, gegen dessen Hersteller und Verbreiter nach den Paragraphen 129[78] (Bildung krimineller Vereinigung) sowie 88a StGB ermittelt wurde.[79] Am 18. August 1976 wurden in Bochum, Hamburg, Köln, Tübingen, Heidelberg und München linke Buchhandlungen und Privaträume der Geschäftsführer durchsucht.[80] Die Durchsuchungen fanden in den frühen Morgenstunden statt, in denen die mei­sten der Buchhandlungen noch nicht geöffnet waren. Die Beamten verschafften sich gewaltsam Zugang und führten die Durchsuchungen in Abwesenheit der Geschäftsführer durch.[81] Vier Buchhändler wurden vorläufig festgenommen, noch am selben Tag wurden drei von ihnen wieder frei gelassen.[82] Thomas Kram, Geschäftsführer einer politischen Buchhandlung in Bochum, blieb je­doch in Untersuchungshaft. In seiner Buchhandlung wurden sieben Exemplare der Zeitschrift Revolutionärer Zorn gefunden.[83] Er war der erste Buchhändler der auf Grundlage des Paragraphen 88a StGB inhaftiert wurde.[84] Wegen der Suche nach Beweismaterial wurde am Folgetag auch Krams Buchladen Miguel Hernandez in Essen durchsucht. Die Durchsuchung verlief jedoch ohne Erfolg. Der Bundesrichter erließ auf Grundlage des Beweismaterials aus Bochum Haftbefehl beim Bundesgerichtshof. Kram wurde sieben Tage später ohne er­neute Überprüfung des Haftbefehls aus der U-Haft entlassen.[85] Die Nacht vom 18. zum 19. August wurde Kram als Polizeigewahrsam in Rechnung ge­stellt. Der Buchhändler musste für Übernachtung und Essen aufkommen.[86] Im Dezember 1977 fand Krams Verfahren statt, er wurde freigesprochen. Dem Buchhändler konnte nicht nachgewiesen werden, dass er den Inhalt der Druck­schrift gekannt hatte.[87]

Die Tagespresse der BRD berichtete in den folgenden Tagen über die Durch­suchungen der Buchläden und den Privaträumen der Buchhändler. Doch die Berichte fielen klein, sehr sachlich und teilweise auch unwahr aus. So veröf­fentlichte die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) am 20. August 1976 einen Artikel mit der Überschrift: „Polizeiaufgebot sucht nach Politschrif­ten“.[88] In Bezug auf diesen Artikel schrieb der Mitarbeiter des durchsuchten Buchladens Gegendruck in Essen, Gilbert Brockmann einen Leserbrief und eine Gegendarstellung. In seinem Schreiben wies er auf unkorrekte Angaben der Journalisten hin. Im benannten Artikel wurde Brockmann unterstellt, er habe Raubdrucke hergestellt und in einer Bildunterschrift hieß es, sein Buch­handel sei versteckt gelegen.[89] Der Buchhändler schrieb in seinem Leserbrief , der

„[...] Artikel über die politische Verfolgung linker Literatur, ihrer Her­steller und Verbreiter, übernimmt in plumper Weise die Argumentation der Staatsschutzbehörden der BRD und der lokalen Verfolgungsbehörde in Essen: „bundesweite Beschlagnahme von terroristischen Propaganda­material. Der Artikel reiht sich lückenlos ein in die Kriminalisierung po­litischer Oppositioneller, die[...] − allein weil sie für das Recht der freien Meinungsäusserung konsequent eintreten, durch die Staatsschutzbehörden permanent verfolgt werden und einer anonymen Öffentlichkeit ausgelie­fert werden, was durch ihre Art der Berichterstattung verursacht wird.“[90]

Brockmann fordert die WAZ in seinem Leserbrief auf, im Interesse einer öf­fentlichen Diskussion seinen gesamten Leserbrief und die komplette Gegendar­stellung zu drucken.[91] Die Zeitung druckte zwar eine Gegendarstellung, aber sie enthielt nur Teile von Brockmanns eingereichter Gegendarstellung, der Le­serbrief wurde ganz außer acht gelassen. Die abgedruckten Absätze der Ge­gendarstellung waren teilweise so aus dem Zusammenhang gerissen, dass Brockmanns Intention, wie er sie im Leserbrief deutlich gemacht hatte, nicht zur Geltung kam.

Anlässlich dieser ersten BRD-weiten Durchsuchungen, wurden Presseerklä­rungen herausgegeben unter anderem von Buchläden, dem Verband des linken Buchhandels, der Humanistischen Union und einiger studentischer Vertreter von Universitäten. Die Begründung der Durchsuchungen, die Vorgehensweise und die vorgenommenen Festnahmen trafen bei vielen politisch engagierten auf Unverständnis. Um den wachsenden Befürchtungen Ausdruck zu verleihen, aber vielleicht auch um der ungenügenden und oft sehr einseitigen Berichter­stattung durch die Tagespresse eine Gegenpol zu schaffen, verbalisierten sie ihre Ansichten. .

So hieß es zum Beispiel in der Presseerklärung vom Vorstand der Assistenten­schaft und dem Vorstand der Studentenschaft der Ruhruniversität in Bochum:

„Diese Maßnahmen richten sich gegen die politische Mündigkeit und kri­tische Auseinandersetzung mit Literatur, die nicht der herrschenden poli­tischen Meinung entspricht. Der politische Buchhandel soll in die krimi­nelle Ecke gestellt, von der bürgerlichen Mitte abweichende politische Auffassungen sollen unterdrückt werden. Die Bundesrepublik ist vor lau­ter Terroristenfurcht bereit, sich freiwillig auf den Weg in den Polizeistaat zu begeben.“[92]

Wie viel Eingrenzung würden die Bürger der BRD für den Staatsschutz und das Anti-Terror-Programm hinnehmen? Am 26. August 1976 demonstrierten 300 Studenten für die Freilassung von Michael Kram und für die Abschaffung der Paragraphen 99a und 130a.[93] Im Oktober 1976 veranstalte der Verband des linken Buchhandels[94] während der Frankfurter Buchmesse eine Podiumsdis­kussion zu der Einführung der Paragraphen 88a und 130a StGB. Daraufhin kam es zu Protestaktionen in zahlreichen deutschen Großstädten. An einem bundesweiten Aktionstag verhängten linke Buchläden ihre Regale um zu demonstrieren, welche Folgen die neuen Gesetze für Kunden haben könn­ten.[95] In Westberlin wurde unter anderem eine gefälschte öffentliche Bekannt­machung an 50.000 Haushalte geschickt, in welcher die Bürger und Bürgerin­nen aufgefordert wurden, aufgrund der neuen Gesetzeslage bestimmte Bücher im Rathaus bzw. in Polizeistationen abzugeben. Unter den Büchern waren un­ter anderem Tucholskys „Tiger Panther und Co“, Max Frischs „Biedermann und Brandstifter“ und Brechts sämtliche Werke.[96]

Der Geschäftsführer des Anderen Buchladens in Köln, Wolfgang Hippe sagte auf einer Pressekonferenz der Jungdemokraten:

„ Man habe den Eindruck, dass die Bundesanwaltschaft mit der Durchsu­chung mehrere linker Buchläden und einiger Privatwohnungen in der ver­gangenen Woche einen Test gemacht habe, um festzustellen, wie heftig die Öffentlichkeit auf eine Zensur reagiere.“[97]

Eine Art Grenzen austesten sah Hippe in der Vorgehensweise der Polizisten. Als wollte die Regierung sehen, wie viel die Gesellschaft zuließe. Die Lebens­jahre der neu eingeführten Paragraphen des Strafgesetzbuches begannen mit einem Paukenschlag von Seiten der Regierung, aber auch einem imposanten Gegenschlag der linken Gegenöffentlichkeit.

[...]


[1] Sack u. Steinert 1984, S. 107

[2] Vgl. Fels 1998, S. 260ff

[3] Vgl. Ebd.

[4] Anm. Z. B. Kurt Georg Kiesinger der erste Bundeskanzler der BRD. Kiesinger trat 1933 in die NSDAP ein.

[5] Vgl. Sack u. Steinert 1984, S. 514

[6] Vgl. Fels 1998, S.44

[7] Ebd.

[8] Ebd.

[9] Vgl. Ebd. 44f

[10] Vgl. Ebd.

[11] Vgl. Ebd.

[12] Vgl. Pflieger 2004, S.15

[13] Vgl. Fels 1998, S. 204

[14] Vgl. Ebd. S. 206

[15] Vgl. Ebd

[16] Vgl. Ebd.

[17] Anm.: z. B. linkeck Nr. 6, 1968

[18] Vgl. Fels 1998, S. 207

[19] Vgl. Fels 1998, S. 207

[20] Vgl. Pflieger 2004, S.15

[21] Vgl. Ebd.

[22] Gudrun Ensslin zitiert nach Pflieger 2004, S.15

[23] Pflieger 2004, S.22

[24] Vgl. Pflieger 2004, S.22

[25] Vgl. Ebd.

[26] Anm.: Karl Heinz Kurras ist der Polizist der am 02. Juni 1967 Benno Ohnesorg erschossen hat. Er wurde vom Vorwurf des Totschlags freigesprochen.

[27] Vgl. Pflieger 2004, S. 24

[28] Vgl. ID-Archiv im Internationalen Institut für Sozialgeschichte 1989, S. 19ff

[29] Anm.: Andreas Baader wurde wegen Brandstiftungen in verschiedenen Kaufhäusern am 31. Oktober 1969 zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Einen Monat später wurde das Hafturteil rechtskräftig, Baader trat dieses jedoch nicht an und floh nach Paris. Im Jahr 1970 kam er wieder nach Berlin und wurde dort im April aufgegriffen und inhaftiert zur Haftverbüßung.

[30] Vgl. Pflieger 2004, S. 25

[31] Anm: z. B. Die Entführungen und Morde an Generalbundesstaatsanwalt Siegfried Buback, Vorstandssprecher der Dredner Bank Jürgen Ponto und Präsident des Bundesverbandes der Arbeitgeber Hanns Martin Schleyer.

[32] Anm.: Als Deutscher Herbst wird die Zeit und die politische Atmosphäre der BRD im September und Oktober 1977 bezeichnet. Die Monate waren durch den bisherigen Höhepunkt der terroristischen Aktivitäten der RAF, der Bewegung 2. Juni und den revolutionären Zellen geprägt.

[33] Vgl. Pflieger 2004, S.75 u.79

[34] Vgl. Soell. 2008, S. 661

[35] Vgl. Ebd.

[36] Vgl. Fels 1998, S. 191

[37] Vgl. Ebd.

[38] Vgl. Ebd.

[39] Vgl. Ebd. S. 99

[40] Ebd.

[41] Vgl. Ebd. S. 43

[42] Vgl. Fels 1998, S. 44

[43] Vgl. ID-Archiv im Internationalen Institut für Sozialgeschichte 1989, S. 114

[44] Anm.: z. B. ein Raubüberfall auf die Filiale der Berliner Diskontbank und ein versuchter Sprengstoffanschlag auf das türkische Generalkonsulat

[45] Kienzle u. Mende, 1980, S. 31

[46] Vgl. ID-Archiv im Internationalen Institut für Sozialgeschichte 1989, S. 114

[47] Vgl. Anhang § 130a StGB

[48] Vgl. VLB 1975, S. 3

[49] Vgl Politische Buchhandlung Bochum 1977., S. 47

[50] Vgl. Anhang § 126 StGB

[51] Vgl. Ebd

[52] Vgl. Anhang § 88a StGB; Vgl. Politische Buchhandlung Bochum 1977, S. 39

[53] Vgl. Ebd.

[54] Politische Buchandlung Bochum 1977, S. 101

[55] Duve 1978, S. 79

[56] Vgl. Ebd.

[57] ID-Archiv im Internationalen Institut für Sozialgeschichte 1989, S. 115

[58] Vgl. Ebd.

[59] Vgl. Anhang § 88a StGB

[60] Vgl. Anhang § 130a StGB

[61] Anm.: Die sogenannte Sozialadäquanzklausel besagt, dass bei der Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, bei der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und auch im Falle der volksverhetzenden Schriften Strafbarkeit entfällt wenn die Schriften der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dienen.

[62] Vgl. Verlorenes Profil: Der Spiegel 25/1979 vom 18.Juni 1979, S. 27

[63] Vgl. Ebd.

[64] Vgl. Ebd.

[65] Verlorenes Profil: Der Spiegel 25/1979 vom 18.Juni 1979, S. 27

[66] Sekretariat des 3. Internationalen Russell-Tribunal, Jury u. Deutscher Beirat 1979, S. 128

[67] Anm.: Die sechs Paragraphen waren: §126 (Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten), 130a 8Anleitung zu Straftaten), 140 (Belohnung und Billigung von Straftaten), 145d (Vortäuschung einer Straftat gegenüber einer Behörde) und 241 (Bedrohung eines anderen mit einer Straftat)

[68] Vgl. Politische Buchandlung Bochum 1977, S.56

[69] Vgl. Ebd. S. 55f

[70] Vgl. Ebd.

[71] Ebd. S. 56f

[72] Vgl. Cobler 1976, S. 74

[73] Vgl. Ebd. S. 77

[74] Ebd.

[75] Vgl. Ebd. S. 78

[76] Ebd. S. 79

[77] Vgl. VLB 1976, S. 5

[78] Vgl. Anhang § 129 StGB

[79] Vgl. ID-Archiv im Internationalen Institut für Sozialgeschichte 1989, S. 37

[80] Vgl. VLB 1976, S. 5

[81] Vgl. Ebd. S. 21

[82] Vgl. Ebd.

[83] Vgl. ID-Archiv im Internationalen Institut für Sozialgeschichte 1989, S. 37

[84] Vgl. ID-Archiv im Internationalen Institut für Sozialgeschichte 1989, S. 37

[85] Vgl. Ebd.

[86] Vgl. VLB 1976, S. 18

[87] Vgl. ID -Archiv im Internationalen Institut für Sozialgeschichte 1989, S. 37

[88] Vgl. Ebd. S. 31

[89] Vgl. Ebd. S. 32

[90] VLB 1976, S. 32

[91] Vgl. Ebd. S. 32

[92] VLB 1976, S. 33

[93] Ebd. S 40

[94] Anm.: Der Verband des linken Buchhandels (VLB) war in Zusammenschluss mehrerer politisch linksorientierter Verlage, Buchläden, und Druckereien. Der VLB wollte zum einen ein Gegengewicht zu bürgerlichen Buchhandlungen schaffen und zum anderen die linke Szene der BRD mit linker Literatur versorgen.

[95] Vgl. ID- Archiv im Internationalen Institut für Sozialgeschichte 1989, S. 37

[96] Vgl. Ebd.

[97] Ebd. S.35

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2009
ISBN (PDF)
9783958206007
ISBN (Paperback)
9783958201002
Dateigröße
1.7 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Leipzig
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,7
Schlagworte
Zensurparagraph Mescalero AGIT Russell-Tribunal Zensur
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Titel: Paragraph 88a StGB – Zum Schutz des Gemeinschaftsfriedens: Der Umgang mit linker Literatur in der BRD 1976 - 1981
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