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Spracherwerb durch Hörverstehen - Englischunterricht in der Grundschule

©2008 Examensarbeit 86 Seiten

Zusammenfassung

Contrary to the inadequate assumption that listening is a passive operation,
since it is among reading a receptive skill, listening or rather listening
comprehension is proven to be a very active and complex process. And
more than that; it is the key skill that is fundamental for first and foreign
language acquisition. That is why it should especially for English beginners
be the central skill to be taught in the ESL (English as a Second Language)
classroom at school.
Dieses Buch informiert über den Prozess des Hörverstehens, die Bedeutung des Hörverstehens für die Kommunikation und für das Sprachenlernen und zeigt Möglichkeiten auf, was diese Erkenntnisse für den Englischunterricht in der Grundschule bedeuten sollten.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


0. Summary
Contrary to the inadequate assumption that listening is a passive operation,
since it is among reading a receptive skill, listening or rather listening
comprehension is proven to be a very active and complex process. And
more than that; it is the key skill that is fundamental for first and foreign
language acquisition. That is why it should especially for English beginners
be the central skill to be taught in the ESL (English as a Second Language)
classroom at school.
Therefore this paper starts with a theoretical part including first of all, a
description of how listening comprehension works to show that it is a very
active process. Before the actual listening process, there is always a purpose
for listening to the text and an expectation towards the text is developed.
This purpose could be taking part in communication or listening for
information, fun etc. The listening process itself consists of two parallel
processes that contain an interaction between text and listener, the bottom-up
process and the top-down process. During the bottom-up process the listener
absorbs the text and tries to understand what is said by using their already
acquainted phonological, lexical, syntactical and semantic knowledge. The
top-down process can be seen as an interpretation of the text, where the
listener uses not only their linguistic and cognitive knowledge, but also their
pragmatic, social-cultural knowledge and their assessment of the situational
context and the speakers. During these processes a number of listening
strategies that compensate possibly appearing problems are applied. These
problems can be caused by certain features of language that can make
understanding difficult and they might be even more serious for the foreign
language learner.
Furthermore, the importance of listening comprehension in first, second
and foreign language acquisition is portrayed. Many parallels between first
and foreign language acquisition that can and should be accounted for ELT
(English Language Teaching) are shown in this context.
How these cognitions are applied, is pointed out by the presentation of
the main aspects of the curriculum for ESL at primary school in Germany.
There it is portrayed that and how listening comprehension should play an
essential role in these ESL classes. The curriculum is based on language
5

acquisition theories and also considers developmental psychological factors.
Methods and contents appropriate for children and children's language
acquisition are required to encourage motivating authentic language
learning. This language learning or rather language acquisition mainly
depends on the input the listeners are provided with by the teacher. This
input can be e.g. everyday talk, classroom talk or texts presented by the
teacher as well as by other media such as audio CD's, videos etc. To
guarantee an optimal comprehensible input, according to Krashen's
hypotheses, the characteristics of optimal input, in terms of teacher talk or
media-presented texts and how to present and work with them are explained.
The consequences of these didactic and pedagogical principles,
guidelines and theories are further clarified by an overview over the most
popular teaching methods for listening comprehension training. Represented
are the results of the theoretical reflection by the analysis of a lesson
example to illustrate their practicability. This is to demonstrate how easily
workable, diversified and effective listening comprehension training can be
in ELT and what factors need particular consideration, especially in primary
school.
1. Einleitung
Betrachtet man die vier in der Schule zu vermittelnden Fertigkeiten Hören,
Lesen, Sprechen und Schreiben im öffentlichen Diskurs, wird immer wieder
darauf hingewiesen, dass das Hören die wichtigste Fertigkeit ist. Diese
Erkenntnis beruht einerseits darauf, dass das Hören die am meisten
verwendete Fertigkeit in der Kommunikation ist und die Tendenz dahin
geht, dass das Hören zukünftig noch stärker dominieren wird und somit die
Fähigkeit Hörverstehen besser ausgebildet sein und werden muss. Denn,
The point has frequently been made (Rivers and Temperley 1978;
Oxford 1993; Celce-Murcia 1995) that of the time an individual is
engaged in communication; approximately 9 per cent is devoted to
writing, 16 per cent to reading, 30 per cent to speaking, and 45 per
cent to listening. It is also undoubtedly the case that contemporary
society exhibits a shift away from printed media and towards sound,
and its members therefore need to develop a high level of proficiency
in listening. (Hedge 2003: 228)
6

Andererseits, und dieser Punkt ist im Rahmen dieser Arbeit besonders
hervorzuheben, spielt das Hören, beziehungsweise das Hörverstehen beim
Spracherwerb, und so auch beim Fremdspracherwerb
1
in der Schule, eine
zentrale Rolle. Trotz seiner Wichtigkeit im Fremdsprachenunterricht, ist es
die am wenigsten erforschte Fertigkeit, was zum Teil auch daran liegen
mag, dass der Hörverstehensvorgang nicht direkt beobachtbar ist. Sicher ist
jedoch, dass das Hörverstehen nicht bereits als ausgebildete Fertigkeit
vorhanden ist, sondern genau wie die anderen Fertigkeiten, erlernt, geübt
und so gut wie möglich automatisiert werden sollte. (vgl. Hermes 1998:
221)
Dieses Verständnis von Hörverstehen existiert jedoch erst seit den 70er
Jahren des 20. Jahrhunderts, als mit der Kommunikativen Wende ein
Paradigmenwechsel stattfand. Das allgemeine Ziel des
Fremdsprachenunterrichts wurde nun, eine ,Kommunikative Kompetenz' in
der Fremdsprache aufzubauen, um sich vor allem in Betracht des
zusammenwachsenden Europas, mit den Nachbarländern verständigen zu
können. Aus diesem Grund löste ein in England entwickelter neuer
methodischer Ansatz für das Fremdsprachenlernen, das
C
ommunicative
L
anguage
T
eaching
(
CLT) die audiolinguale Methode ab. (vgl.
Richards/Rodgers 2001: 154 ff.) Die Fähigkeit zum Sprachhandeln wird
nach diesem Ansatz durch möglichst authentische Kommunikation in der
Fremdsprache selbst angeeignet, bei welcher die Nachricht im Vordergrund
steht (
message
orientation
). Sprechen und Hören waren nun wichtiger als
vormals Lesen und Schreiben und rückten in den Fokus der
Sprachwissenschaft, Fremdsprachendidaktik und -methodik.
2
Dieses neue
wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Hörverstehen und die daraus
resultierende Entwicklung neuer Methoden und Verfahren mit einer
Fokussierung auf das Hörverstehen im schulischen Englischunterricht
einleitete. (vgl. Richards/Rodgers 2001: 165 ff.) Frühere, sehr populäre
Methoden, wie zum Beispiel die Grammatik-Übersetzungs-Methode,
erkannten die Wichtigkeit des Hörverstehens nicht. Und auch die
audiolinguale Methode, obwohl sie das Hörverstehen als wichtigste
1
Hier und im weiteren Verlauf der Arbeit werden die Begriffe ,Fremdsprache' und
,Englisch' gleichermaßen verwendet, jedoch wird zwischen Erstspracherwerb
(Mutterspracherwerb), Zweitspracherwerb (natürlicher Fremdspracherwerb) und
Fremdspracherwerb (schulisches Fremdsprachenlernen) und den dazugehörigen
Sprachbegriffen unterschieden. (siehe Kapitel 2.2)
2
Aus diesem Grund stammt ein Großteil der in dieser Arbeit verwendeten Fachliteratur
zum Hörverstehen aus den 70er und 80er Jahren.
7

Fertigkeit betrachtete, räumte dem Hörverstehenstraining im Unterricht
keine übergeordnete Rolle ein. (vgl. Quetz 1981: 111) Im Gegenteil, Hedge
(2003: 227 f.) stellt fest, "Certainly some ELT methods have assumed that
listening ability will develop automatically through exposure to the
language and through practice of grammar, vocabulary, and pronunciation."
Dies mag in einem sehr geringen Maße zutreffen, jedoch reicht dies auf
keinen Fall aus. Da es nicht durch einen Lehrer gelehrt werden kann, muss
das Hörverstehen in verschiedenen Situationen, ausgebildet, geübt und
schließlich automatisiert werden. Es ist deshalb Aufgabe des Lehrers, dafür
geeignete Lernumgebungen und Lernsituationen zu schaffen. (vgl. Schmid-
Schönbein 2001: 63-64)
Besonders im Anfangsunterricht Englisch in der Grundschule spielt das
Hörverstehen eine sehr große Rolle, da es neben seiner Grundlage für den
Spracherwerb, Teil der mündlichen Fertigkeiten ist und der Schwerpunkt im
Grundschulunterricht Englisch auf der Mündlichkeit liegt. (vgl. Rahmenplan
Grundschule Hessen 1995: 245)
Damit das Hörverstehen im Englischunterricht in der Grundschule
gewinnbringend gefördert werden kann, ist es notwendig, dass aus der
Vielzahl der Verfahren besonders geeignete angewendet werden. Aus
diesem Grund sollen im Rahmen dieser Arbeit die in der Methodik und
Didaktik des Englischunterrichts in der Grundschule am häufigsten
empfohlenen Methoden und Verfahren zum Hörverstehenstraining in
Englischunterricht in der Grundschule vorgestellt und auf ihre Eignung hin
geprüft werden. Diese Methoden und Verfahren gründen sich zum einen auf
spracherwerbstheoretische Erkenntnisse und Hypothesen und zum anderen
auf ihre Erfolge in der Unterrichtspraxis. Dabei sollte berücksichtigt
werden, dass verschiedene Spracherwerbsmodelle mit unterschiedlichen
Hypothesen für den Fremdspracherwerb in der Schule existieren, die nicht
ausreichend empirisch untermauert sind. (vgl. Böttger 2001: 41) Dies
bedeutet wiederum, ,,In Einzelaspekten einander klar widersprechenden
Verfahren [...] können und dürfen nebeneinander bestehen, weil sie, richtig
angewendet, alle ihre Praxis-Erfolge zeitigen." (Butzkamm 1989: 47) Diese
Methodenvielfalt ist besonders in Anbetracht der Individualität der Schüler
wichtig, die es kaum möglich macht, eine universell erfolgreich anwendbare
Methode zu entwickeln. Aus der Vielfalt der Unterrichtsmethoden und ­
verfahren zum Hörverstehen ergibt sich außerdem eine Vielfalt von zu
8

verwendenden Unterrichtsinhalten (hier vor allem Texte), die es auch zu
beurteilen gilt. Als Orientierungshilfe und Richtlinien gelten hierbei der
vom Staat vorgegebene Rahmenplan Grundschule und ein dazugehöriger
Erlass.
3
Zusammenfassend ist demnach das Ziel dieser Arbeit, anhand
theoretischer Grundlagen aus Entwicklungspsychologie,
Spracherwerbsforschung, Linguistik, Erkenntnissen aus der Praxis und
gemäß der staatlichen Vorgaben, die Konsequenzen für die Praxis des
Hörverstehenstrainings im Anfangsunterricht Englisch in der Grundschule
in Bezug auf Methode und somit auch Inhalt und Rolle des Lehrers und der
Schüler, darzulegen. Dazu wird zunächst geklärt, wie Hörverstehen zu
funktionieren scheint, welche Rolle es im Spracherwerb spielt und welchen
staatlichen Vorgaben es im Rahmen des Englischunterrichts in der
Grundschule unterliegt. Auf dieser Grundlage werden daraufhin
verschiedene Faktoren, wie Hörmaterial und Präsentation dargestellt, die es
beim Hörverstehenstraining in der Grundschule zu berücksichtigen gilt.
Darauf basierend folgt eine Übersicht über die populärsten Methoden zum
Hörverstehenstraining im Anfangsunterricht Englisch. Abschließend wird
ein Unterrichtsbeispiel vorgestellt und anhand der im Verlauf der Arbeit
gewonnenen Erkenntnisse analysiert.
2.
Was ist Hörverstehen?
,,Das Hörverstehen vereinigt als rezeptive Sprachkompetenz die
Wahrnehmung, das Verstehen, Interpretieren und Reflektieren von
sprachlichen Äußerungen." (Nold/Rossa 2007, 178) Eine genaue Definition
des Hörverstehens gibt es jedoch nicht, da die Vorgänge beim Hörverstehen
nicht unmittelbar beobachtet werden können. (vgl. Elsner 2007: 101) Im
Folgenden soll nun näher erläutert werden, was über das Konstrukt ,Hören'
oder ,Hörverstehen' bekannt ist. Dabei wird Bezug genommen auf die
allgemeinen Vorgänge, sowie auf die verschiedenen Strategien, die beim
Hörverstehen angewendet werden. Des Weiteren sollen Probleme erläutert
3
In dieser Arbeit entstammen diese Richtlinien dem ,Rahmenplan Grundschule des Landes
Hessen` von 1995 und der dazugehörigen ,Orientierungshilfe zur Leistungsbeurteilung und
­bewertung im Fach Englisch in der Grundschule' von 2004 (siehe Literaturverzeichnis).
9

werden, die beim Hörverstehen, besonders in der Fremdsprache auftreten
können. Schließlich soll der Bezug zwischen Hörverstehen beim
Mutterspracherwerb beziehungsweise Zweitspracherwerb und
Fremdspracherwerb
4
in der Schule hergestellt werden, um die Wichtigkeit
des Hörverstehens(-trainings) im Anfangsunterricht Englisch in der
Grundschule zu rechtfertigen und um später die Eignung bestimmter
Methoden beurteilen zu können.
2.1 Das Hörverstehen als aktiver Prozess in Muttersprache,
Zweitsprache und Fremdsprache
Wie bereits erwähnt, ist das Hörverstehen die grundlegende Fertigkeit für
den Spracherwerb. Es kann keine Produktion von Sprache stattfinden, wenn
die rezeptive Fertigkeit des Hörverstehens unzureichend ausgebildet wurde.
Trotz dieser Erkenntnis wurden und werden die beiden rezeptiven
Fertigkeiten, das Hören und das Lesen, oft fälschlicherweise als passive
Fertigkeiten bezeichnet und somit vor allem in der Praxis als weniger
wichtig erachtet als die produktiven Fertigkeiten Sprechen und Schreiben.
Im Folgenden soll, obwohl die Erkenntnisse auch für das Lesen gelten,
aufgrund des Rahmenthemas jedoch ausschließlich auf das Hören
eingegangen werden
5
. Dazu sollen zunächst die besonderen Eigenschaften
des für das Hörverstehen maßgeblichen Mediums, der Sprache, dargestellt
werden, um die im Anschluss folgende Beschreibung des
Hörverstehensvorganges mit seinen Verstehensabsichten und
Verstehensstrategien besser nachvollziehen zu können. Grundlegend
wichtig für die im weiteren Verlauf der Arbeit dargestellten Kriterien für
den Umgang mit dem Hörverstehen im Englischunterricht, ist die
Betrachtung der beim Hörverstehensprozess auftretenden Probleme, im
Besonderen bezogen auf das fremdsprachliche Hörverstehen.
4
Die Begriffe Fremdspracherwerb und Fremdsprachenlernen werden in dieser Arbeit nicht
kontrastiv verwendet, denn ,,Die Sprachentwicklung folgt in der Erst- und in der
Zweitsprache demselben Muster. Sie wird durch das Lehren nicht beeinflusst. (Bleyhl
2000: 22)
5
Dies impliziert, dass sich die Begriffe ,,Text" und ,,Textverstehen" hier und im weiteren
Verlauf der Arbeit ausschließlich auf Hörtexte und Hörverstehen beziehen, wenn nicht
anders gekennzeichnet.
10

2.1.1 Charakteristika
gesprochener
Sprache
Gesprochene Sprache, kann entweder spontane, unvorbereitete Sprache sein
(
unscripted
speech
) oder vorbereitete Sprache (
scripted
speech
). Sie kann
einseitig (unidirektional) an den Hörer gerichtet sein, oder in Dialogform
(bidirektional) stattfinden. (vgl. Hedge 2003: 245) Des Weiteren kann sie
entweder durch einen Sprecher oder durch ein anderes Medium (z.B. CD)
vermittelt werden. Gesprochene Sprache, vor allem
unscripted
speech
, ist
kein linear verlaufender Prozess, was bedeutet dass auch die Vorgänge der
Sprachverarbeitung beim Hörverstehen nicht linear sein können. (vgl. Quetz
1981: 113) Gesprochene Sprache basiert zwar auf den gleichen
morphologischen und syntaktischen Prinzipien wie die geschriebene
Sprache, zeichnet sich jedoch durch viele Eigenheiten aus, die das
Verständnis erschweren, es aber auch teilweise erleichtern können, wenn die
angemessene Hörverstehensstrategie (siehe Kapitel 2.1.4) zur Kompensation
angewendet wird. (vgl. Müller-Hartmann/Schocker von Ditfurth 2004: 76 f.;
Hedge 238 ff.; Hermes 1998: 222)
Häufige Unterbrechungen des Sprachflusses, wie zum Beispiel
Sprechpausen, Selbstkorrektur oder das abwechselnde Sprechen von
Dialogpartnern (
turn
-
taking
), können den Hörer einerseits irritieren,
andererseits geben sie dem Hörer mehr Zeit zur Sprachverarbeitung. (vgl.
Harmer 2005: 99; Hedge 2003: 238 f.; Hermes 1998: 222; Müller-
Hartmann/Schocker von Ditfurth 2004: 76 f.)
Den gleichen Effekt hat auch die in hohem Maße vorkommende
Redundanz der Sprache. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich während einer
sprachlichen Äußerung, Worte und Inhalte entweder in identischer oder in
paraphrasierter Form wiederholen. Erkennt der Hörer diese Redundanz
nicht, oder verarbeitet er sie nicht in der angemessenen Art und Weise, kann
dies den Hörverstehensprozess behindern oder sogar zu einem
Fehlverständnis des Textes führen. Wird auf Redundanz kompetent reagiert,
kann diese genauso wie die oben bereits erwähnten Unterbrechungen des
Sprachflusses, dem Hörer mehr Verarbeitungszeit bescheren. (vgl. Quetz
1981: 114 f.) Außerdem kommt es beim Verstehen gesprochener Sprache
öfter als bei geschriebener Sprache vor, dass der Hörer Verstehenslücken
kompensieren muss. Einerseits ist dies so, weil gesprochene Sprache sehr
flüchtig ist und der Hörer ausgleichen muss, was er nicht aufgenommen
11

oder verstanden hat, da er den Text direkt verarbeiten muss (
real
-
time
processing
) und nicht, außer er fragt danach, noch einmal hören kann. (vgl.
Buck 2001: 4) Andererseits kommt es auch oft vor, dass gesprochene Sätze
unvollständig sind, da sie unterbrochen und unvollständig wieder
aufgenommen oder einfach komplett abgebrochen werden. Unterstützt
beziehungsweise komplettiert wird gesprochene Sprache oft durch
nonverbale Äußerungen, wie Gestik, Mimik und Körpersprache, sowie
durch die Situation und die Sprecher selbst. (vgl. Quetz 1981, 114) Es ist
also notwendig, diese Zeichen wahrzunehmen und in richtiger Weise zu
deuten, um nicht Gesagtes leichter erschließen zu können. Das Verstehen
kann außerdem durch phonologische Besonderheiten, wie Laut- oder
Wortverschleifungen und/oder Dialekte und Akzente erschwert werden.
(vgl. Müller-Hartmann/Schocker von Ditfurth 2004: 77) Nur durch häufigen
Kontakt mit Sprache in diesen Formen, kann dieser Problemfaktor
verringert werden. Auch im Allgemeinen gilt, je öfter das Hörverstehen
geübt wird, desto kompetenter kann mit diesen Problemfaktoren
umgegangen werden.
2.1.2 Verstehensabsichten beim Hörverstehen
Am Anfang eines jedes Hörverstehensprozesses steht immer eine
Verstehensabsicht. Diese Verstehensabsicht ist das Resultat einer
Hörerwartung, die sich aus individuellen Vorstellungen des Hörers, der
Textart und anderen gesprächssituationsabhängigen Faktoren, wie zum
Beispiel Sprechern und Thema herausbildet. Sie bestimmt in welcher Weise
der Verstehensvorgang verläuft, dass heißt ob und wie der Hörer an den
Text herangeht und welche Strategien wie angewendet werden. (vgl.
Solmecke, 2003: 5) Möchte man jedes Wort bzw. jede Aussage eines Textes
nachvollziehen, wie zum Beispiel beim Hören eines Rezeptes, bei dem jedes
Detail wichtig ist, nennt man dies das totale Textverstehen. (vgl. Solmecke
1993: 26) Beim globalen Verstehen soll der Gesamtsinn des Textes erfasst
werden (
listening
for
gist
), was zum Beispiel beim Smalltalk wichtig ist um
am Gespräch teilzunehmen oder beim lustvollen Hören von Geschichten.
(vgl. Schmid-Schönbein 2001: 65) Beim Detailverstehen sollen
ausschließlich vorher bestimmte Details eines Textes, erfasst werden, wie
das zum Beispiel beim Hören Wetterberichts der Fall ist, bei dem mich
12

wahrscheinlich das Wetter in meiner Stadt und nicht das in jeder erwähnten
Stadt interessiert. (vgl. Solmecke 1993: 26) Alle drei Verstehensabsichten
haben ihre Berechtigung, jedoch ist das
listening
for
gist
, die für die
Kommunikationsfähigkeit wichtigste Art des Verstehens und so sollte
deshalb auch im Englischunterricht eine zentrale Rolle spielen.
Natürlich können bestimmte Verstehensabsichten durch das Schaffen
bestimmter Hörerwartungen beziehungsweise Hörsituationen induziert
werden. Dies ist vor allem in der Schule notwendig und auch essentiell für
das Hörverstehenstraining, da hier die Hörsituation oft nicht in einem
natürlichen Kontext stattfindet. Der Kontext wird also vom Lehrer
geschaffen, dass heißt der Hörtext wird in einen künstlichen Kontext
eingebettet, damit der Schüler eine bestimmte Hörerwartung und so eine
angemessene Verstehensabsicht aufbauen kann. (Siehe Kapitel 4)
2.1.3 Prozesse beim Hörverstehensvorgang
Dass die Annahme der Passivität des Hörers nicht korrekt ist wird deutlich,
wenn man die Rolle des Rezipienten beim Hören genauer untersucht und
feststellt, dass beim Textverständnis im Hörer aktive Prozesse ablaufen. Der
Hörer bekommt den Text nicht ,,eingefüllt" (Solmecke, 1993: 13), sondern
es findet eine Interaktion zwischen Text bzw. Sprecher und Hörer statt.
Diese Interaktion verläuft in zwei Richtungen. Einerseits werden durch den
Text Informationen vom Sprecher zum Hörer getragen, was als
bottom
-
up
Prozess (,,aufwärts gerichteter Prozess") bezeichnet wird. Andererseits
wendet der Hörer sein bereits vorhandenes Wissen auf den Text an, was
man als den
top
-
down
Prozess (,,abwärts gerichteter Prozess") bezeichnet.
(vgl. Solmecke 1993: 13) Der Sprecher drückt also seine mitzuteilenden
Gedanken in Schriftzeichen bzw. Lautgebilden, sozusagen verschlüsselt aus
(er enkodiert sie), was zur Folge hat, dass der Rezipient die Mitteilung
wieder entschlüsseln (dekodieren) muss um sie zu verstehen.
Betrachtet man die Charakteristika von gesprochener Sprache, wird
deutlich, dass die beim Hörverstehen ablaufenden Prozesse nicht linear oder
getrennt voneinander ablaufen können. Auch wenn diese hier, dem besseren
Verständnis wegen, getrennt voneinander dargestellt werden, und in sich
eine bestimmte Abfolge haben, sei darauf hingewiesen, dass alle diese
13

Vorgänge zwar aufeinander aufbauen, teilweise aber auch simultan
verlaufen können.
Beim
bottom
-
up
Prozess verwendet der Hörer seine bereits vorhandenen
muttersprachlichen und fremdsprachlichen linguistischen Kenntnisse in
Phonologie, Lexik, Syntax und Semantik um das Gehörte zu verstehen.
Der Hörer muss dazu zunächst die relevanten Sprachlaute erkennen, das
heißt, von irrelevanten Nebengeräuschen trennen, indem er die
Hintergrundgeräusche vernachlässigt und sich nur auf den zu verstehenden
Lautstrom konzentriert. (vgl. Poelmans 2003: 12) Voraussetzung dabei ist
natürlich, dass der Hörer die Fähigkeit besitzt, Geräusche beziehungsweise
Laute differenziert wahrzunehmen. Je lauter und störender hierbei die
Hintergrundgeräusche oder je leiser und undeutlicher der aufzunehmende
Sprachfluss, umso schwieriger ist dieser Vorgang zu bewältigen.
Im nächsten Schritt wird dieser Lautstrom segmentiert, also in seine
phonetischen Bestandteile gegliedert. (vgl. Müller-Hartmann/Schocker von
Ditfurth 2004: 73) Das heißt, der Hörer muss verschiedenste in der Sprache
vorkommende Laute wahrnehmen und voneinander unterscheiden. Er muss
auch unvollständig gehörte beziehungsweise geäußerte Laute als solche
wahrnehmen und auf ihre ursprüngliche Form schließen können. Vor allem
im Englischen ist dies keine einfach zu lösende Aufgabe, da die Laute und
Wörter sehr ineinander ,,verschliffen" werden. (vgl. McDonough/Shaw
2003: 133) Dieses Verfahren basiert auf der Wiedererkennung bereits
bekannter Lautstrukturen und impliziert natürlich, dass der Hörer mit der
Phonologie der gesprochenen beziehungsweise gehörten Sprache vertraut
ist. Er kann nur richtig wahrnehmen, was er bereits kennt. (vgl. Solmecke
1993: 27)
Die unterschiedlichen Laute und Lautabfolgen werden nun in sinnvolle
grammatische Einheiten, wie Morpheme, Silben, Wörter, Phrasen oder
Sätze kategorisiert. Hierbei ist es wichtig, dass der Hörer Wort- und
Satzgrenzen erkennt. (vgl. McDonough/Shaw 2003: 133) Eine Vertrautheit
mit Lexik, Syntax, Intonation und Betonung ist dabei unerlässlich, da auch
hier das Wiedererkennungsprinzip fungiert.
Da die Satzstruktur, die Syntax, die nun erarbeitet wurde nur für
Sekunden im Kurzzeitgedächtnis gespeichert wird, muss im nächsten Schritt
die inhaltliche Bedeutung der grammatischen Einheiten erkannt und
zugeordnet werden, da diese länger aus dem Gedächtnis abrufbar ist. (vgl.
14

McDonough/Shaw 2003: 134) Dabei wird die Bedeutung eines Wortes aus
dem Langzeitgedächtnis abgerufen und die Bedeutung einzelner Wörter
innerhalb eines Satzes beziehungsweise die Bedeutung des Satzes werden
mit Hilfe lexikalischer sowie syntaktischer Kenntnisse erfasst. Es können
also auch hier nur die Wörter und Satzstrukturen richtig erkannt und
verarbeitet werden, die bereits bekannt sind.
Sind einzelne Wörter oder ganze Sätze identifiziert, ist der
Dekodiervorgang abgeschlossen. An dieser Stelle setzt der
top
-
down
Prozess an. Nun nimmt der Hörer nicht mehr die Informationen von außen
auf und entschlüsselt sie, sondern er trägt sein bereits vorhandenes Wissen
an den Text heran und interpretiert diesen in seinem Kontext. (vgl. Hedge
2003: 232) Dieser Vorgang beschränkt sich nun nicht mehr nur auf
linguistisches Wissen und die kognitiven Fähigkeiten des Hörers sondern
auch auf seine Kenntnisse über externe Faktoren, wie Pragmatik,
soziolinguistische und soziokulturelle Zusammenhänge, Überblick über die
Gesprächssituation, die Sprecher, den sprachlichen Kontext und die Art des
Textes ist gefordert. Auch interne Faktoren wie die Charakteristika des
Sprechers, sein emotionaler und motivationaler Zustand und sein
vorhandenes Weltwissen spielen nun eine zentrale Rolle. (vgl. Solmecke
1993: 19; Poelmans: 2003 14 f.) Kennt der Hörer alle soeben genannten
externen Faktoren, teilt ein gemeinsames Hintergrund- oder Weltwissen mit
dem Sprecher und hat vorteilhafte interne Voraussetzungen, hilft dies dem
Hörer eine Erwartungshaltung an den Text aufzubauen. Eine adäquate
Erwartungshaltung dem Text gegenüber ist die Voraussetzung für die
Anwendung einer angemessenen Hörverstehensabsicht sowie hilfreich für
die Anwendung von Hörverstehensstrategien.
2.1.4 Verstehensstrategien beim Hörverstehen
Hörverstehensstrategien erleichtern das Hörverstehen und kompensieren
mögliche Probleme innerhalb des Hörverstehensvorgangs. (siehe Kapitel
2.1.4 und 2.1.5) Sie werden kontinuierlich während des
bottom
-
up
Prozesses
und
top
-
down
Prozesses angewendet. Zu den Verstehensstrategien gehören
das
skillful
guessing
oder Antizipieren wodurch Voraussagen (
predictions
)
getroffen werden und das Inferieren. Dabei gelten immer die Grundsätze
"Things will be as they were before" (Hermes 1998 nach Brown/Yule 1983:
15

222) und "Things are as like as possible as to how they were before."
(Hermes 1998 nach Brown/Yule 1983: 222) gemäß der Analogie und
minimalen Veränderung. Auch der richtige Umgang mit Redundanz ist
unverzichtbar für das kompetente Hörverstehen. (vgl. Solmecke 1993: 14 f.)
Voraussetzung für diese Hörverstehensstrategien sind die Kenntnisse des
Hörers über Sprache, Textart, Thema des Hörtextes, allgemeines
Weltwissen und dem Umgang mit Texten allgemein, und inwieweit er in der
Lage ist, diese Kenntnisse anzuwenden. Je routinierter ein Hörer ist, desto
besser ist er im Umgang mit diesen Strategien.
Bei der Hörverstehensstrategie der Antizipation, kann im Voraus noch
nicht Geäußertes vorausgedeutet werden, was den Verstehensvorgang
erleichtert. (vgl. Solmecke 1993 18 ff.) Einerseits kann auf bestimmte
auftretende Laute, Silben, Wörter oder Phrasen geschlossen werden, z.B.
erwarten wir nach ,,
on
the
one
hand
" im weiteren Verlauf des Textes auch
,,
on
the
other
". Aber auch Schlüsse auf Genre und Inhalt können im Voraus
gezogen werden. Fängt der Sprecher seinen Text z.B. mit der Phrase ,,
O
nce
upon
a
time
" an, antizipiert der Hörer, dass nun ein Märchen folgen muss
und keine Diskussion, auf die er sicherlich ganz anders reagieren würde.
Mit der Hörverstehensstrategie des Inferierens können Verstehenslücken,
wie sie in jedem Text vorkommen, geschlossen werden. (vgl. Solmecke
1993: 18 ff.) So ist es möglich, durch logische Rückschlüsse auf
Verbindungen zwischen verschiedenen Spracheinheiten, wie z.B. Silben
und Wörtern, nicht Verstandenes oder Unbekanntes zu ,,erraten" und so
auch unvollständig wahrgenommene Sätze vollständig zu verstehen. (vgl.
Hedge 2003: 230 f.) Zum Beispiel hören wir ,,
M
r
.
and
--- M
iller
" und
wissen, dass es ,,
M
r
.
and
M
rs
. M
iller
" heißen muss und schließen somit
durch Inferieren die Verstehenslücke. Natürlich wird auch hinsichtlich des
Inhalts inferiert. Das Inferieren ist vor allem bei der Interpretation eines
Textes eine unverzichtbare Strategie, da kein Text inhaltlich zu hundert
Prozent vollständig ist und diese Lückenhaftigkeit nur durch das Inferieren
durch den Rezipienten geschlossen werden kann.
In der Rezeptionsästhetik spricht man davon, dass der Leser die
,Leerstellen' eines Textes schließt und somit auch als ,Co-Produzent' des
Textes bezeichnet werden kann. (vgl. Iser 1994: 262 f. ) Das kann in diesem
Fall auch uneingeschränkt auf den Hörer bezogen werden. Besonders
hilfreich beim Inferieren, aber auch beim Antizipieren, sind nonverbale
16

visuelle und auditive Elemente wie die Körpersprache, Mimik Gestik oder
Intonation des Sprechers sowie andere Hinweise aus dem Kontext des
Hörtextes, die den Hörtext unterstützen (zum Beispiel Bilder, Realia,
Situation). (vgl. Ur 1984: 28 ff.)
Doch nicht nur das kompetente Erschließen von nicht Geäußertem oder
nicht Verstandenem muss etabliert werden, sondern der Hörer muss
außerdem entscheiden, ob eine Information, je nach Verstehensabsicht,
relevant ist oder nicht, um den Gedächtnisspeicher nicht zu überlasten. Dazu
gehört auch der Umgang mit Redundanzen. (vgl. Solmecke 1993: 14 f.) Da
Sprache redundant ist, das heißt Informationen oft in gleichem oder
anderem Wortlaut wiederholt werden, muss der Hörer wiederholte
Informationen erkennen und aussortieren um sie nicht zweimal zu
verarbeiten. Die dadurch gewonnene Verarbeitungszeit nutzt der geübte
Hörer um andere relevante Informationen zu verarbeiten. (vgl.
McDonough/Shaw 2003: 134 f.)
Der Hörer muss also auf den Kontext des Hörtextes eingehen, in dem er
Rückschlüsse zieht und vorausdeutet, einen Zusammenhang zwischen dem
Gesagten und dem Unausgesprochenen herstellt um einzelne Aussagen in
der Gesamtheit des Gehörten zu verstehen. Es findet eine aktive
Auseinandersetzung des Hörers mit dem Hörtext, bzw. eine Interaktion
zwischen Text und Hörer statt, die auf dem gemeinsamen Wissen von
Sprecher und Hörer, aber auch auf den individuellen Voraussetzungen und
Fähigkeiten des Hörers basiert. Aus dieser Interaktion sollte im Idealfall ein
Verständnis des Hörtextes resultieren, welches individuell verschieden sein
kann. Je größer hierbei der gemeinsame ,,Wissenspool" von Textproduzent
und Rezipient ist, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Hörer den
Text so interpretiert wie er vom Sprecher gemeint war.
Wurde ein Text verstanden und interpretiert, ist der Verstehensprozess
jedoch noch nicht beendet. Die finale Stufe des Textverstehens ist die
Evaluation des Textes, auf die eine persönliche Reaktion auf den Text folgt,
indem die gewonnenen, möglicherweise neuen Erkenntnisse, nun in das
bereits vorhandene Wissen integriert werden können. Dabei werden bereits
vorhandene Schemata verändert, ergänzt oder durch neue Erkenntnisse
verworfen. Der Text wirkt sich also, sofern er zur einer Veränderung der
Wissensbestände des Hörers führt, nachhaltig auf diesen aus und kann als
17

Grundlage für die eigene Text- beziehungsweise Sprachproduktion dienen.
(vgl. Solmecke 1993: 21 f.)
2.1.5 Probleme beim Hörverstehen in der Zweit- und Fremdsprache
Die oben beschriebene Vorgehensweise beim Verstehen eines Textes ist
natürlich der Idealfall und in der Realität je nach Text, Situation und den
individuellen Fähigkeiten des Hörers mehr oder weniger erfolgreich
durchführbar. Da auf die richtige Art von Text und das richtige
Vermittlungsverfahren im weiteren Verlauf der Arbeit noch ausführlich
eingegangen wird, sollen in diesem Kapitel hauptsächlich die Probleme die
vom Hörer ausgehen, dargestellt werden. Dabei ist zu beachten, dass
verschiedene Hörer auch verschiedene Voraussetzungen mitbringen und
hier nur auf durchschnittliche Tendenzen eingegangen werden kann.
Grundlegend ist erst einmal festzuhalten, dass je öfter sich ein Empfänger
eines Textes mit dem Textverstehen beschäftigt, das heißt umso routinierter
er im Umgang mit Texten ist (egal ob in der Muttersprache, Zweit- oder
Fremdsprache), umso leichter fällt ihm das Textverstehen. (vgl. Solmecke
1993: 13;16) Insofern ist es sinnvoll, das Hörverstehen sowohl in
Muttersprache, als auch im Besonderen in der Zweit- und Fremdsprache, so
häufig wie möglich zu trainieren. Der eigentliche Dekodiervorgang bzw. die
Inhaltsentnahme des Textes, sowie die Hörverstehensstrategien sind beim
routinierten Hörer automatisiert und für ihn mit weniger Aufwand und
Anstrengung sowie mit größerer Richtigkeit zu bewältigen, wodurch
Analyse und Evaluation des Textes auf einem höheren Niveau stattfinden
können.
Daraus lässt sich schließen, dass aufgrund fehlender Routine, das
fremdsprachliche Hörverstehen im Allgemeinen viel anstrengender ist, da
mehr Konzentration nötig ist, und wahrscheinlich auch weniger etabliert ist
als das muttersprachliche Hörverstehen. Diese Probleme beginnen bei der
Segmentierung des Lautstroms, setzen sich fort bei der Kategorisierung und
Bedeutungszuordnung der grammatikalischen Einheiten und können
schließlich in einer Fehlinterpretation des Textes resultieren. Das liegt
meist, dass der Hörer nicht genügend linguistische Kenntnisse der
Fremdsprache hat, was seinen Dekodiervorgang beeinträchtigt.
18

Aus phonologischer Sicht bedeutet das, dass der Fremdsprachenlerner
Laute oder Lautsequenzen nicht korrekt wahrnimmt, da sie in seiner
Muttersprache nicht existieren und er sie in der Fremdsprache noch nicht
erworben hat beziehungsweise aufgrund von Dialekten oder Akzenten, oder
im Englischen häufig vorkommenden Verschleifungen von Lauten und
Lautfolgen, nicht wieder erkennt. ( vgl. Ur 1984: 11 f.) Auch die mangelnde
Vertrautheit mit der fremdsprachlichen Betonung und Intonation sowie dem
Sprachrhythmus, sprachliche Eigenschaften, die im Englischen sehr
variieren, können einerseits das Erfassen bestimmter Phoneme und
andererseits das Verstehen des Gemeinten erschweren. (vgl. Ur 1984: 12 f.)
Ein weiteres linguistisches Problem ist, dass der Lautstrom aufgrund seines
schnellen Tempos, nicht korrekt segmentiert werden kann, da Wortgrenzen
nicht deutlich herausgehört werden können. Dies ist einerseits wieder ein
phonologisches Problem, andererseits aber auch das Resultat fehlender
lexikalischer und syntaktischer Kenntnisse, wodurch schließlich auch bei
der Bedeutungszuordnung der Wörter Probleme entstehen. (vgl. Poelmans
2003: 21). Häufig konzentrieren sich Fremdsprachenlerner unter diesen
Umständen darauf, jedes einzelne Wort zu verstehen, anstatt die allgemeine
Aussage des Textes zu erfassen, was die Schwierigkeiten noch gravierender
macht. Der
bottom
-
up
Prozess beansprucht dabei die Kapazität des Hörers
so stark, dass der
top
-
down
Prozess fast überhaupt nicht mehr stattfinden
kann, was in diesem Moment zu einem totalen Zusammenbruch des
Hörverstehensprozesses führen kann. (vgl. Poelmans 2003: 22) Aus diesem
Grund ist es der Kommunikationsabsicht wegen wichtig, auch im Unterricht
besonders das globale Textverstehen (
listening
for
gist
) zu trainieren.
Bei diesem
listening
for
gist
ist es vor allem wichtig, dass die oben
genannten Verstehensstrategien geübt werden, welche dafür sorgen, dass
mögliche Lücken im Verstehensprozess geschlossen werden können. Dazu
müssen die Lernern den Umgang mit den das Verstehen erschwerenden
Charakteristika der Sprache (z.B. Redundanz, Lückenhaftigkeit) lernen,
ihnen müssen Redemittel in der Fremdsprache zur Verfügung stehen, um
sich zum Verständnis äußern zu können, und ihnen müssen sowohl
inhaltsbezogene als auch soziokulturelle Grundlagen vermittelt werden.
Denn auch wenn die Segmentierung des Lautstroms und die
Bedeutungszuordnung der Wörter erfolgreich und korrekt verlaufen, besteht
die Gefahr einer Fehlinterpretation des Gesagten, wenn soziokulturelle
19

Unterschiede nicht berücksichtigt werden oder ein zu kleiner gemeinsamer
,,Wissenspool" vorhanden ist. (vgl. Elsner 2007: 194 f.) Das bedeutet, dass
die Themen vom Lehrer nach den Kenntnissen der Kinder gewählt werden
müssen und dass bereits vorhandenes Wissen aktiviert werden muss.
Schließlich können auch affektive und motivationale Faktoren,
Schwierigkeiten beim Hörverstehen in der Fremdsprache auslösen oder
verschlimmern. (vgl. Hedge 2003: 237) Desinteresse, zum Beispiel
aufgrund des Themas, kann dazu führen, dass der Schüler aus Demotivation
nicht aufmerksam oder gar nicht zuhört. Viel gravierender ist jedoch
mangelndes Selbstbewusstsein bezüglich der Fremdsprache oder Stress
verursachender Leistungsdruck, welche bereits im Lerner vorhanden sein
oder durch eine unvorteilhafte Lernsituation (Material, Aufgabe, Lehrer
etc.) ausgelöst werden können. Beide emotionalen Zustände können zu einer
Überforderung der Schüler mit der Situation und so zu Demotivation, Angst
und schließlich zu Lernblockaden oder zu hoher Fehlerproduktion beim
Hörverstehen führen. Es sollte deshalb besonders darauf geachtet werden,
dass die Lernsituation so stressfrei wie möglich ist, damit sich die Lerner
nicht überfordert fühlen.
2.2
Die Bedeutung des Hörverstehens beim Mutterspracherwerb,
beim Zweitspracherwerb und beim Fremdspracherwerb
Beim natürlichen Spracherwerb, wie er beim Mutterspracherwerb und
Zweitspracherwerb stattfindet, sowie beim Fremdspracherwerb in der
Schule kommt dem Hörverstehen eine Schlüsselrolle zu, da Sprache wie in
Kapitel 2.1 beschrieben, sowie inhaltlich als auch formal als Sprachsystem
wahrgenommen, verarbeitet und schließlich verstanden werden muss, bevor
eine eigenständige Sprachproduktion stattfinden kann.
Da sich der Fremdsprachenunterricht heutzutage besonders in der
Grundschule am natürlichen Spracherwerb orientiert, sollen nun
Mutterspracherwerb, Zweitspracherwerb sowie Fremdspracherwerb in der
Schule vor allem in Bezug auf das Hörverstehen verglichen werden.
Mögliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sollen hier dargestellt und im
weiteren Verlauf der Arbeit als Ausgangspunkt und Rechtfertigung für
Überlegungen zur Praxis des Englischunterrichts in der Grundschule dienen.
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2.2.1 Mutterspracherwerb
Der Mutterspracherwerb, auch Erstspracherwerb genannt, der sich in
verschiedenen aufeinander aufbauenden Stufen vollzieht, beginnt mit dem
so genannten Geburtsschrei direkt nach der Geburt, welcher die erste Phase
des Mutterspracherwerbs, die Schreiphase einleitet. Der sprachliche
Ausdruck beschränkt sich hier auf alle Schrei- Quietsch- und Kreischlaute,
die vom Kind geäußert werden, um Bedürfnisse auszudrücken. (vgl. Böttger
2005: 36)
Diese Phase wird zwischen der sechsten und der achten Woche abgelöst
von der Lallphase, bei der das Kind damit beginnt ,,spontane, rhythmische
Lautketten" mit dem ,,Charakter von Silben" zu äußern. Ca. ab dem
sechsten Monat, wenn sich der Kehlkopf des Kindes nach unten schiebt und
so die anatomische Voraussetzung der Sprachbildung gegeben ist, wird
dieses ,,Lallen" immer artikulierter, bis schließlich hin zu Phonemen seiner
Muttersprache, oft Konsonant-Vokal-Verbindungen wie ,Mama' oder
,Dada', die immer wieder wiederholt und ,geübt' werden. (vgl. Bleyhl
2000: 20) In dieser Entwicklungsphase lässt sich also, obwohl noch keine
Bedeutung der Wörter erkennbar ist, schon erkennen, dass das Kind in der
Sprache seines Umfeldes ,,lallt", was die Theorie unterstützt, dass das Hören
der Sprache, also der sprachliche
I
nput
des Umfeldes den Spracherwerb
mitbestimmt. Bei tauben Babys ist zu beobachten, dass sie willkürlich
,,Lallen", das heißt nicht in der Phonetik und Intonation ihrer sprachlichen
Umgebung, was obige Hypothese unterstützt. Gleichzeitig jedoch lässt sich
bei ihnen beobachten, dass sie die vielen verschiedenen ihnen vorgemachten
Handbewegungen der Zeichensprache ständig wiederholen. (vgl. Fromkin
2003: 354) Man kann also annehmen, dass Kinder von Natur aus die
Fähigkeit haben das Sprechen zu erlernen, jedoch die Art der Sprache vom
Input des jeweiligen Umfeldes abhängt.
Der nächste große Sprung in der Sprachentwicklung ist die
Imitationsphase, bei der das Kind gehörte Wörter nachahmt um sprachliche
oder motorische Reaktionen seines Gegenübers zu erzeugen. Mit der Zeit
kann das Kind die Wörter und Intonation seiner Sprache immer
differenzierter meist situationsabhängig erschließen. Doch auch wenn es die
Wörter phonologisch nicht korrekt aussprechen kann, kennt es sehr wohl die
unterschiedliche Phonologie der Wörter, es kann lediglich die Phoneme
21

aufgrund motorisch-artikulatorischer Schwierigkeiten noch nicht korrekt
äußern. (vgl. Fromkin 2003: 356 ff.) Das Kind erkennt schließlich, dass eine
Verbindung zwischen Lauten, beziehungsweise Wörtern und Bedeutung
existiert. Es erfasst die Bedeutung von bestimmten Wörtern und Sätzen und
reagiert auf diese anfangs meist noch nonverbal motorisch. Auf die Frage
,,Wo ist dein Teddybär?" könnte das Kind in die Richtung zeigen oder auch
den Teddybär holen. Diese nonverbalen Reaktionen resultieren daraus, dass
das Kind erstens einen weitaus größeren passiven als aktiven Wortschatz
hat, und sich zweitens möglicherweise noch zu unsicher fühlt, um zu
sprechen. Schon weitaus früher kann man feststellen, dass Babys bestimmte
Laute üben, nur wenn sie glauben allein zu sein, beziehungsweise sich
weigern zu antworten, wenn Erwachsene ,,mitlallen" und auf eine verbale
Reaktion des Kindes hinarbeiten. (vgl. Bleyhl 2000: 20) In dieser Phase, die
auch als
silent
period
bezeichnet wird, ist es wichtig, dass das Kind nicht
zur Sprachproduktion gezwungen wird, denn dies könnte ein Stressfaktor
sein. (vgl. Böttger 2005: 37) Sobald das Kind sich sicher fühlt, wird es
zunächst Ein- oder Zweiwortsätze von sich geben und schließlich auch
Mehrwortsätze. Die Wörter in diesen Sätzen sind semantisch und
syntaktisch durchdacht, also nicht willkürlich gewählt. Sie sind zwar oft
nicht korrekt, jedoch lässt sich erkennen, dass das Kind ein Verständnis der
Grammatik der jeweiligen Sprache hat und die Fehler meist auf
Übergeneralisierungen oder Unvollständigkeit der grammatikalischen Regel
beruhen. (vgl. Mindt/Schlüter 2007: 30) Das Kind erschließt sich also
selbstständig nach der Phonologie nun auch Stück für Stück in einem
kreativen Prozess der Hypothesenbildung die Semantik, Morphologie,
Syntax und Pragmatik seiner Muttersprache. Dies geschieht nun nicht nur
situationsabhängig, sondern bedeutet eine hohe Abstraktionsleistung der
Kinder. (vgl. Mindt/Schlüter 2007: 29 ff.)
Um diesen Vorgang der Erschließung des Sprachsystems zu unterstützen,
aber hauptsächlich zur erfolgreichen Verständigung mit dem Kind, sprechen
die Erwachsenen im Umfeld des Kindes, vor allem natürlich die Eltern,
meistens in einer sprachlich vereinfachten Art mit dem Kind, welche als
motherese
oder
caretaker
speech
bezeichnet wird. (vgl. Mindt/Schlüter
2007: 24; Schmid-Schönbein 2001: 48) Sie beziehen sich bei ihren
Äußerungen nur auf das Hier und Jetzt, sprechen besonders langsam und
deutlich, verwenden einfache schon bekannte Begriffe und Satzstrukturen
22

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2008
ISBN (PDF)
9783956847875
ISBN (Paperback)
9783956842870
Dateigröße
11.3 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1
Schlagworte
Fremdsprachen Englischunterricht Hören Primarstufe Fertigkeiten
Produktsicherheit
BACHELOR + MASTER Publishing
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Titel: Spracherwerb durch Hörverstehen - Englischunterricht in der Grundschule
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