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Förderung des räumlichen Vorstellungsvermögens im Mathematikunterricht der Grundschule: Praktische Umsetzung in einer zweiten Klasse anhand der Unterrichtseinheit "Würfelgebäude"

©2008 Examensarbeit 61 Seiten

Zusammenfassung

In der vorliegenden Arbeit steht die Frage im Mittelpunkt, ob die Schüler der 2. Klasse durch meine Unterrichtseinheit bzw. durch die von mir gewählten Zielintentionen und didaktisch-methodischen Entscheidungen in ihrem räumlichen Vorstellungsvermögen gefördert werden konnten bzw. welchen Lernzuwachs sie im räumlich-visuellen Bereich erzielen konnten.
Um dabei zu aussagekräftigen Ergebnissen zu gelangen, werden vor und nach Durchführung der Unterrichtseinheit „Würfelgebäude“, in der der Schwerpunkt auf dem Bauen von Würfelgebäuden nach Bildvorlage und Bauplan sowie auf dem Schreiben von Bauplänen zu gegebenen Würfelgebäuden liegt, zwei Untertests des Heidelberger Rechentests 1-4 (HRT 1-4; Haffner, Baro, Parzer & Resch, 2005) aus dem räumlich-visuellen Bereich in der Klasse geschrieben, um diesbezügliche Veränderungen festzustellen: Der Untertest „Würfelaufgaben“ und der Untertest „Längenschätzen“. Da bspw. die Fähigkeit, sich das Vorhandensein verdeckter Würfel eines Würfelgebäudes vorstellen zu können, ein wichtiger Aspekt der Raumvorstellung ist, gehe ich zunächst davon aus, dass dies einige Schüler bereits beherrschen, andere dagegen noch nicht. In diesem Zusammenhang wird an dieser Stelle die zentrale These aufgestellt, dass sich das räumliche Vorstellungsvermögen durch die Unterrichtseinheit individuell bei jedem Kind im Vergleich zum Ausgangstest verbessern wird, da es als kognitive Fähigkeit und Teil der menschlichen Intelligenz insbesondere im Grundschulalter trainierbar ist. Ich erwarte, dass sich durch die Unterrichtseinheit Fortschritte in der Entwicklung der Raumvorstellung im Bereich der Mengenerfassung mit einem räumlichen Schwerpunkt (Untertest „Würfelaufgaben“) zeigen werden, weil die Schüler während der Unterrichtseinheit die in der Literatur geforderten zahlreichen Handlungserfahrungen sammeln und bei der Arbeit mit Würfelgebäuden und Bauplänen einen ständigen Wechsel zwischen zwei- und dreidimensionaler Ebene bzw. zwischen enaktiver, ikonischer und symbolischer Ebene vollziehen müssen, wodurch von der konkreten Handlung langsam unabhängige Vorstellungsbilder entstehen. Weitere zu überprüfende Fragen sind, ob sich einerseits positive Korrelationen zwischen den Testwerten beider Untertests zeigen werden und ob sich andererseits beim Vergleich der Ergebnisse des zweiten Untertests „Längenschätzen“ vorher und nachher Synergieeffekte ergeben, das heißt ob sich die Ergebnisse z.B. dann verbessern, wenn dies auch bei den Ergebnissen des […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2 Theoretische Grundlagen zum räumlichen Vorstellungsvermögen

2.1 Das räumliche Vorstellungsvermögen und seine Teilkomponenten

2.1.1 Visuelle Wahrnehmung

Das Sehen durch das Auge ist zwar die Grundlage der visuellen Wahrnehmung, der gesamte Wahrnehmungsprozess ist jedoch darüber hinaus „…eng mit anderen Funktionen (Denken, Gedächtnis, Vorstellungen aber auch Sprache) verbunden“ (Radatz & Rickmeyer, 1991, S. 15). Die Wahrnehmung als ein Erkennen macht dabei von Gegenständen oder Objekten „…aus physikalischen Reizen eine Sache mit ‚Bedeutung’, und dies ist nur möglich, wenn in die Wahrnehmung ein schon vorhandenes ‚Bedeutungswissen’ einfließt“ (Nolting & Paulus, 1999, S. 45). Das heißt, dass das, was wahrgenommen wird, zum einen abhängig ist von individuellen Erwartungen und Motivationen (selektive Wahrnehmung) und zum anderen immer mit schon vorhandenem Wissen in Verbindung gebracht wird, um anschließend in einem kognitiven, äußerst komplexen Prozess verarbeitet zu werden (vgl. ebd., S. 46). Daher bildet die Fähigkeit, seine Umwelt visuell wahrzunehmen, die Grundlage dafür, um sich in dieser zu orientieren, koordiniert zu bewegen und sein alltägliches Leben zu bewältigen. Damit ist es gleichzeitig „…die Voraussetzung für das räumliche Gedächtnis…“ (Franke, 2007, S. 51) und ein räumliches Vorstellungsvermögen (vgl. 2.1.2). Diese Fähigkeit muss bei Kindern bspw. durch das Sammeln von Raumerfahrungen angeregt werden, um Defizite im räumlichen Wahrnehmungsbereich möglichst zu vermeiden. Hierbei sollten vor allem Handlungen bzw. das aktive Hantieren mit konkretem Anschauungsmaterial im Vordergrund stehen, weil dadurch „…die Grundlagen für das Entstehen und langfristige Speichern von Bildern in unserer Vorstellung gebildet“ (Maier, 1999b, S. 13) werden und sich auf diese Weise eine nachhaltige Begriffsbildung vollziehen kann (vgl. 3.3).

In der Literatur werden allgemein fünf Bereiche der visuellen Wahrnehmung unterschieden: Die visumotorische Koordination, die Figur-Grund-Diskriminierung, die Wahrnehmungskonstanz, die Wahrnehmung räumlicher Beziehungen und die Wahrnehmung der Raumlage.[1] Insbesondere die zwei letzteren Komponenten sind bedeutsam in Bezug auf die Themenstellung, da das räumliche Vorstellungsvermögen der Kinder bzw. die Förderung dessen vor und nach Durchführung der Unterrichtseinheit „Würfelgebäude“ durch die Untertests „Längenschätzen“ und „Würfelaufgaben“ des HRT (vgl. Haffner et al., 2005

sowie Anhang 1) überprüft wird. Die Schüler müssen beim „Längenschätzen“ auf der ikonischen Ebene die Längen verschiedener Strecken in einer ihnen vorgegebenen Maßeinheit angeben bzw. bei den „Würfelaufgaben“ die räumliche Lage und die Raum-Lage-Beziehungen der Würfel erkennen, um deren Anzahl korrekt erfassen zu können (vgl. 3.4.1). Um vor allem Letzteres (verbessert) leisten zu können, müssen sie konkret mit Würfeln bzw. Würfelgebäuden im dreidimensionalen Raum Handlungserfahrungen sammeln bzw. damit operieren (vgl. 3.3 und vgl. Kapitel 4). Auch Lorenz & Radatz (1993, S. 108) führen für die Förderung des visuellen Wahrnehmens und des räumlichen Vorstellens das „Bestimmen / Zählen nicht sichtbarer Elemente“ an, wobei es um die Frage geht: „Aus wie vielen Würfeln sind diese Figuren gebaut?“.

2.1.2 Räumliches Vorstellungsvermögen

2.1.2.1 Begriffsbestimmung

Im Unterschied zur visuellen, vorwiegend sinnlichen Wahrnehmung „…versteht man unter dem Räumlichen Vorstellungsvermögen ein mentales Operieren mit räumlichen Objekten“ (Franke, 2006, S. 52; Hervorhebung im Original) bzw. „die Fähigkeit, in der Vorstellung räumlich zu sehen und räumlich zu denken.“ (Maier, 1999b, S. 14; Hervorhebung im Original). Das räumliche Vorstellungsvermögen geht also über die visuelle Wahrnehmung hinaus, weil durch die kognitive Verarbeitung des Wahrgenommenen mentale Vorstellungsbilder entstehen (visuelles Gedächtnis), die schließlich nach zahlreichen Handlungserfahrungen gedanklich abrufbar sind, ohne dass die entsprechenden Objekte in greifbarer Nähe sind. Zudem ist es „…eine zentrale Fähigkeit, die unsere Wahrnehmung und Vorstellung von der Umwelt und damit die Qualität der Interaktion mit ihr nachhaltig beeinflusst“ (Maier, 1999a, S. 4). Der Mensch benötigt es bspw. beim Lesen von Landkarten, Stadtplänen oder Bauanleitungen sowie beim Schneiden mit der Schere oder beim Verhalten im Straßenverkehr und in vielen weiteren alltäglichen oder beruflichen Situationen (vgl. Besuden, 1999, S. 4).

In der Literatur werden für die Bezeichnung räumliches Vorstellungsvermögen die Begriffe Raumvorstellungsvermögen und Raumvorstellung (vgl. Maier, 1999b, S. 14) bzw. räumliches Denken oder Visualisieren (vgl. Franke, 2006, S. 28) synonym verwendet. Trotzdem bemängelt Maier (1999b, S. 70), „…die unbefriedigende Situation, dass innerhalb verschiedener Forschungsgebiete (Psychologie, Psychiatrie, Pädagogik, Neurologie, …) zahlreiche sich überschneidende oder gar widersprechende Definitionen des Begriffs Raumvorstellung existieren“. In dieser Arbeit werden die o.g. Begrifflichkeiten ebenfalls gleichbedeutend verwendet.

2.1.2.2 Räumliches Vorstellungsvermögen als Faktor der menschlichen Intelligenz

Die Raumvorstellung gilt – wie Thurstone 1938 festgestellt hat – als eine bedeutsame und äußerst komplexe Komponente der menschlichen Intelligenz (vgl. Maier, 1999b, S. 18 und vgl. Franke, 2006, S. 52), die darüber hinaus in einem engen Zusammenhang zur mathematischen Leistungsfähigkeit steht (eine ausführliche Zusammenfassung von Studien und deren Kritik zu diesem Bereich findet sich bei Maier (1999b, S. 161ff)). Thurstone stellt sieben wesentliche Primärfaktoren der Intelligenz heraus, die der Vollständigkeit halber an dieser Stelle genannt sind (nähere Erläuterungen zu den einzelnen Faktoren vgl. ebd., S. 18ff oder Franke, 2006, S. 52ff):

1. Sprachverständnis (Faktor V (Verbal))
2. Wortflüssigkeit (Faktor W (Word Fluency))
3. Rechenfertigkeiten (Faktor N (Numbers))
4. Wahrnehmungstempo (Faktor P (Perception))
5. Räumliches Vorstellungsvermögen (Faktor S (Space))
6. Merkfähigkeit (Faktor M (Memory))
7. Logisch-Schlussfolgerndes Denken (Faktor R (Reasoning))

Der Faktor räumliches Vorstellungsvermögen umfasst – wie eingangs des Kapitels 2.1.2.1 bereits erwähnt – die Fähigkeit, mental mit zwei- und dreidimensionalen Objekten operieren zu können und wird aufgrund seiner Komplexität in der Literatur in verschiedene Teilkomponenten untergliedert (vgl. 2.1.2.3).

Die Eigenständigkeit des Intelligenzfaktors Space wurde anschließend durch die Studien vieler Intelligenzforscher bestätigt, wobei die Theorie der multiplen Intelligenzen nach Gardner vermutlich am weit verbreitesten ist. Neben die räumliche Intelligenz, die die Fähigkeit beschreibt, „…die visuell-räumliche Welt zu erfassen und sie sich bildhaft vorzustellen“ (Nolting & Paulus, 1999, S. 81), treten außerdem die linguistische, die musikalische, die mathematisch-logische, die körperlich-kinästhetische, die intrapersonale und die interpersonale Intelligenz (ausführlicher vgl. ebd., S. 81). Nach Maier (1999b, S. 24; Hervorhebung im Original) geht es Gardner darum, „…die Intelligenzleistungen zu beschreiben, die letztlich in allen Kulturen und (bei; Vf.) allen Menschen anzutreffen sind; die räumliche Intelligenz ist dabei von essentieller Bedeutsamkeit“. Denn als eine zentrale menschliche Fähigkeit ist das räumliche Vorstellungsvermögen unabdingbar zur Wahrnehmung der Umwelt und umgekehrt bilden wir es durch unsere unmittelbaren Erfahrungen in der dreidimensionalen Welt weiter aus. Daran wird deutlich, wie wichtig es ist, diesen Bereich der menschlichen Intelligenz bereits in der Grundschule zu fördern, wozu der Mathematikunterricht (bzw. die darin enthaltenen geometrischen Inhalte) einen großen Anteil leisten kann und muss (vgl. 3.1 und vgl. 3.2).

2.1.2.3 Bedeutsame Teilkomponenten des räumlichen Vorstellungsvermögens für die Themenstellung

Um die Bereiche des räumlichen Vorstellungsvermögens herauszufiltern, die in Bezug auf die Themenstellung eine Relevanz besitzen, müssen zunächst die in der Literatur genannten grundlegenden Teilkomponenten erläutert werden. Die erste differenzierte Darstellung des Faktors Raumvorstellung hat Thurstone in seiner Drei-Faktoren-Hypothese vorgenommen (vgl. Maier, 1999b, S. 34), die durch das Kategoriensystem nach Linn & Petersen sinnvoll auf fünf voneinander abhängige Komponenten ergänzt werden kann (vgl. ebd., S. 50). Besuden hat das räumliche Vorstellungsvermögen in den 1970er Jahren in drei zusammenhängende Unterfaktoren eingeteilt (vgl. Besuden, 1999, S. 4ff).

Deshalb werden im Folgenden in Anlehnung an Maier (1999b) – der überdies weitere Ansätze zur Unterteilung des Faktors Raumvorstellung skizziert und kritisiert hat – und Franke (2006) die Zusammenfassung der beiden Strukturkonzepte von Thurstone und Linn & Petersen kurz dargestellt, wobei auf die detaillierte Beschreibung beider Konzepte sowie der Aufgaben zur Messung des jeweiligen Teilbereichs verzichtet werden soll. Zum einen, weil dies den Rahmen der vorliegenden Arbeit deutlich überschreiten würde und zum anderen sind die jeweiligen Konzepte samt Aufgabenbeispielen u.a. bei den genannten Autoren anschaulich erläutert. Anschließend folgt die Untergliederung des Faktors Space nach Besuden.

Die angesprochenen fünf Subkomponenten des räumlichen Vorstellungsvermögens, die sich durch die Zusammenfassung der Strukturkonzepte Thurstones und Linn & Petersens nach Maier (1999b, S. 51) ergeben, werden nun kurz beschrieben. Sie lassen sich einerseits „aufgrund definitorischer Überschneidungen und wegen der Anwendung unterschiedlicher Lösungsstrategien von Testpersonen bei vielen Testaufgaben (…) nicht eindeutig voneinander (abgrenzen; Vf.)“ (Maier, 1999a, S. 10) und unter ihnen existieren andererseits mehr oder weniger starke wechselseitige Beziehungen und Abhängigkeiten: Räumliche Wahrnehmung, Veranschaulichung, Vorstellungskraft von Rotationen, Räumliche Beziehungen und Räumliche Orientierung (Franke (2006, S. 57ff) subsumiert die Vorstellungsfähigkeit von Rotationen in den Bereich der räumlichen Beziehungen und kommt daher nur auf vier Unterbereiche).

Bei der Subkomponente räumliche Wahrnehmung spielt „…die Orientierung des eigenen Körpers, das Körperschema, eine wesentliche Rolle“ (Maier, 1999b, S. 45; Hervorhebung im Original), um die Horizontale und Vertikale erkennen zu können. Der Subfaktor Veranschaulichung, welcher z.T. auch räumliche Visualisierung genannt wird, „…umfasst die gedankliche Vorstellung von räumlichen Bewegungen wie Drehungen, Verschiebungen und Faltungen von Objekten bzw. Teilen von ihnen sowie gedankliches Zerlegen und Zusammensetzen ohne Verwendung anschaulicher Hilfen“ (Franke, 2006, S. 60). Bei der Fähigkeit zur mentalen Rotation geht es darum, sich Rotationen von zwei- und dreidimensionalen Objekten vergegenwärtigen zu können (vgl. Maier, 1999b, S. 47). Um räumliche Beziehungen herstellen zu können, müssen räumliche „…Gruppierungen von Objekten oder Teilen von ihnen und deren Beziehung untereinander“ (Franke, 2006, S. 57) korrekt erfasst werden, wobei starre Objekte als Ganzes mental bewegt werden (drehen oder spiegeln) und sich die Person außerhalb der Aufgabensituation befindet. Sowohl bei der Komponente räumliche Beziehungen als auch bei der Komponente räumliche Orientierung ist zunächst „…die Identifizierung eines Objekts aus verschiedenen Blickwinkeln…“ (Maier, 1999b, S. 38) wichtig. Sich räumlich orientieren zu können beschreibt „…die Fähigkeit, sich real oder mental im Raum zurechtzufinden“ (Franke, 2006, S. 64), wobei sich die Person dabei i.d.R. innerhalb der Aufgabenstellung befindet.

Besuden (1999, S. 4ff) unterteilt die Raumvorstellung in die drei Teilaspekte räumliche Orientierung, räumliches Vorstellungsvermögen und räumliches Denken, die ebenfalls voneinander anhängig sind. Dabei führt er die Subkomponente räumliche Wahrnehmung im Vergleich zu der Zusammenfassung nach Maier (s.o.) nicht extra auf, da er diese und das räumliche Sehen „…mehr als Voraussetzung für die Raumvorstellung“ (ebd., S. 4) ansieht. Die Fähigkeit des räumlichen Orientierens entspricht in diesem Zusammenhang sinngemäß der o.g. Beschreibung, wobei Besuden ergänzend Beispiele aus dem Alltag wie die korrekte Erfassung der Links-rechts-Beziehung anführt (vgl. ebd., S. 5). Das räumliche Vorstellungsvermögen ist die Fähigkeit, „…räumliche Objekte auch bei deren Abwesenheit reproduzieren zu können, sei es durch Sprache oder zeichnerische Wiedergabe“ (ebd., S. 5). Diese Definition spiegelt den eigentlichen Kern der Raumvorstellung bzw. des Begriffs selber wider (vgl. 2.1.2.1) und setzt visuelle Wahrnehmungen durch Handlungserfahrungen mit konkreten Objekten voraus (vgl. 2.1.1 und vgl. 3.3). Beim räumlichen Denken geht es um die Fähigkeit, mit Vorstellungsinhalten gedanklich zu operieren, wobei hierzu bereits Handlungen mit Objekten verinnerlicht worden sein müssen. „Dies ist die höchste Stufe der Raumvorstellung, auf der also nicht nur die Gegenstände anschaulich präsent sind, sondern auch noch Lageveränderungen und Drehungen an ihnen gedanklich vollzogen werden können“ (ebd., S. 5). Ferner gehört die mentale Rotation eines Objektes dazu, wenn es um die Frage geht, wie es von der Seite oder von hinten aussieht. An dieser Stelle wird die enge Verknüpfung zur räumlichen Orientierung deutlich.

Für die Inhalte und Zielintentionen der Unterrichtseinheit (vgl. 4.2) und damit für die Themenstellung der Arbeit sind aufgrund der vielseitigen Wechselwirkungen der einzelnen Subkomponenten der Raumvorstellung zwar mehr oder weniger alle Fähigkeiten von Bedeutung, da sie Voraussetzungen für das Bauen und das Vorstellen der Würfelgebäude sowie letztendlich für das räumliche Vorstellungsvermögen an sich sind. V.a. aber spielen das räumliche Orientieren nach Besuden auch im Sinne des Erfassens und Herstellens räumlicher Beziehungen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle (bspw. sind bei der Abbildung einige Würfel verdeckt und ihre Anzahl soll bestimmt werden, wozu die Würfelanzahl dahinter z.B. durch Zählstrategien ermittelt werden (wie viele befinden sich rechts, links, darunter oder dahinter?) (vlg. 3.4.1)). Des Weiteren ergibt sich diese Zuordnung, weil sich die zur Einheit gehörenden Inhalte in den Bildungsstandards (und damit im Kerncurriculum) im Bereich Raum und Form wieder finden, für den beschrieben wird, dass die Schüler „zwei- und dreidimensionale Darstellungen von Bauwerken (z.B. Würfelgebäuden) zueinander in Beziehung setzen [sollen; Vf.] (nach Vorlage bauen, zu Bauten Baupläne erstellen …)“ (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der BRD, 2004, S. 12) und dies dort dem Unterbereich sich im Raum orientieren zugeordnet wird. Die Teilkomponente räumliches Denken nach Besuden kommt (in Ansätzen) dann zum Tragen, wenn durch den HRT nach Ende der Unterrichtseinheit überprüft wird, inwiefern sich das räumliche Vorstellungsvermögen der Schüler verändert hat. Denn danach sollte es ihnen möglich sein (durch die Verinnerlichung der konkreten Handlungen mit Holzwürfeln), sich verdeckte Würfel vorstellen zu können. Daran wird wiederum die enge Verknüpfung zu den Subkomponenten räumliches Orientieren und erfassen und herstellen räumlicher Beziehungen deutlich. Erreichen einige Schüler tatsächlich bereits die höchste Ebene – das räumliche Denken – dann sind sie in der Lage, die Anzahl der Würfel durch die gedankliche Drehung der Würfelfigur zu bestimmen (mentale Rotation). Welche Strategie Schüler jedoch im Einzelfall anwenden, wird schwer bzw. gar nicht zu erfassen sein, da sich die individuellen Gedankengänge von mir nicht anhand einer Anzahlbestimmung nachvollziehen lassen. Diesbezüglich werde ich mehrere Schüler während Einzelarbeitsphasen auffordern, mir zu beschreiben bzw. zu erklären, wie sie vorgehen, wenn sie auf rein ikonischer Ebene die Anzahl der Würfel eines Würfelgebäudes bestimmen sollen (vgl. 5.2.1).

2.2 Entwicklung des räumlichen Vorstellungsvermögens

Um weder zu hohe noch zu niedrige Anforderungen und Erwartungen an die Leistungen meiner Lerngruppe in Bezug auf ihr räumliches Vorstellungsvermögen bzw. die Entwicklung dessen durch die Unterrichtseinheit zu stellen, sondern sie richtig einschätzen zu können, wird der allgemeine kognitive Entwicklungsstand von Schülern zu Beginn des zweiten Schuljahres kurz dargestellt und erläutert. Dabei werde ich mich exemplarisch auf zwei wesentliche Theorien beschränken, die sich mit der Entwicklung des räumlichen Denkens bzw. mit dem Lernen von Geometrie auseinandersetzen. Das ist zum einen Piagets Erkenntnistheorie zur Repräsentation des Raumes im Vor- und Grundschulalter und zum anderen die Stufentheorie des Ehepaars van Hiele. Auf eine umfassende Darstellung beider Theorien, zugehöriger verschiedener Kritiken sowie eine Diskussion und Skizzierung der Weiterführung der Ansätze wird an dieser Stelle jedoch verzichtet (vgl. dazu u.a. Mietzel (2002) oder Zech (2002)). Für die theoretischen Grundlagen der Arbeit sind nur die Befunde relevant, die etwas über die Entwicklung des räumlichen Denkens bzw. Vorstellungsvermögens von Kindern im Grundschulalter aussagen.

2.2.1 Die Grundzüge der Entwicklung des räumlichen Denkens nach Piaget

Es ist in der Psychologie und in der Pädagogik unumstritten, dass die Untersuchungen Piagets und seiner Mitarbeiter trotz zahlreicher Kritiken „…bis heute die wichtigste Erkenntnisgrundlage für das Verständnis geometrischen Lernens“ (Radatz & Rickmeyer, 1991, S. 11) und der Entwicklung des kindlichen Denkens überhaupt bilden. Piaget ent-wickelte auf der Grundlage seiner Beobachtungen ein Modell der Intelligenzentwicklung, bei dem er die kognitive Entwicklung des Kindes idealtypisch in vier aufeinander aufbauende, in ihrer Denkleistung durch höhere Anforderungen gekennzeichnete Stadien bzw. Phasen einteilt, die teilweise wiederum weitere Unterteilungen aufweisen (Mietzel, 1986, S. 67ff). Eine für die Grundschule wichtige Erkenntnis aus Piagets Untersuchungen ist die Tatsache, dass Handlungen in der Vorstellung erst dann vollzogen werden können, wenn diese zuvor an konkretem Material durchgeführt worden sind (vgl. 3.3). Hinsichtlich der Stufentheorie werden die Altersangaben jedoch heutzutage – vor dem Hintergrund vieler Nachuntersuchungen (vgl. Zech, 2002, S. 93ff) – als Orientierung betrachtet, da die Denkentwicklung nicht starr in Stufen und darüber hinaus bei jedem Individuum unterschiedlich verläuft (vgl. Mietzel, 1986, S. 68ff; die Altersangaben und Bezeichnungen der einzelnen Stufen sind in der Literatur nicht einheitlich):

- sensomotorische Phase (0-2Jahre)
- voroperationale Phase (2-7 Jahre)
- konkret-operationale Phase (7-11 Jahre)
- formal-operationale Phase (ab 11 Jahre)

Daran ist erkennbar, dass sich die Kinder meiner Lerngruppe im Übergang von der vor- zur konkret-operationalen Phase oder sich bereits in der Letztgenannten befinden, da alle sieben bzw. acht Jahre alt sind. Aus diesem Grund wird insbesondere die konkret-operationale Entwicklungsphase bezogen auf die Raumvorstellung näher betrachtet, während die Übrigen der Vollständigkeit halber genannt und ggf. kurz angeschnitten werden.

Das Durchlaufen dieser Entwicklungsstufen ist „…durch verschiedene Geometrien gekennzeichnet (…). Die räumlichen Beziehungen müssen Schritt für Schritt aufgebaut werden, das Kind empfängt sie nicht passiv nur aufgrund von Wahrnehmung, sondern es konstruiert die Beziehungen ausgehend vom konkreten Handeln mit räumlichen Gegen-ständen“ (Franke, 2006, S. 77). Hier wird die unerlässliche Bedeutung der Handlungsorientierung im Geometrieunterricht deutlich, damit das Kind von der konkreten Ebene auf die abstraktere bildliche und schließlich auf eine von Handlungen und Bildern losgelöste Ebene gelangen kann, indem es die Vorstellungsbilder verinnerlicht und mit ihnen mental operieren kann (vlg. 3.3), weil „…sich räumliche Vorstellungen nicht entwickeln können, bevor entsprechende Handlungen selbst durchgeführt wurden…“(Maier, 1999b, S. 88). Kinder sammeln von Geburt an individuelle Erfahrungen im bzw. mit dem Raum, die sich v.a. durch taktile und sinnliche Tätigkeiten mit realen Objekten in der voroperationalen Phase zu räumlichen Vorstellungen entwickeln, die dann mental das wirkliche Handeln ersetzen. Dabei versteht Piaget „unter Operationen (…) Ereignisabläufe, die auf gedanklicher Ebene nach bestimmten logischen Regeln ablaufen“ (Mietzel, 1986, S. 68).

Im Stadium der konkreten Operationen ist das räumliche Denken des Kindes zwar weiterhin „…an konkrete Vorstellungen (d.h. die unmittelbare Anschauung oder zuvor gemachte Erfahrung) gebunden, aber es ist jetzt durch eine größere Beweglichkeit gekennzeichnet. Die Denkhandlungen werden ‚kompositionsfähig’ (zusammensetzbar) und ‚reversibel’ (umkehrbar)“ (Zech, 2002, S. 91). Darüber hinaus geht laut Maier (1999b, S. 116) aus zahlreichen Studien hervor, „…dass das räumliche Vorstellungsvermögen von Personen unterschiedlichen Alters trainierbar ist“ und dass sich diese Fähigkeit insbesondere im Zeitraum vom siebten bis dreizehnten Lebensjahr ausbilden bzw. fördern lässt (vgl. 3.2).

Des Weiteren differenziert Piaget bei der kognitiven Entwicklung räumlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten zwischen drei Bereichen räumlicher Beziehungen, die ebenfalls wie Stufen nacheinander durchlaufen werden. Dabei handelt es sich in der voroperationalen Phase um das Erkennen topologischer Beziehungen bzw. Raumvorstellungen (z.B. innen – außen; offen – geschlossen) und in der konkret-operationalen Phase um zunehmende Fähigkeiten bzgl. projektiver (bspw. ein mentaler Perspektivenwechsel ist möglich) und euklidischer Beziehungen bzw. Raumvorstellungen (z.B. Invarianz und Kongruenz) (vgl. dazu ausführlich u.a. Franke (2006, S. 79ff) oder Maier (1999b, S. 90ff)). Zudem werden „…räumliche Lagen gesehen und Körperformen können nach ihren Eigenschaften unterschieden werden“ (Radatz & Rickmeyer, 1991, S. 12). Insbesondere die beiden letztgenannten Aspekte und der des Perspektivenwechsels sind für die Unterrichtseinheit „Würfelgebäude“ damit für die Überprüfung der eingangs gestellten Thesen zu einer möglichen Förderung der Raumvorstellung von Bedeutung (vgl. Kapitel 1, 4 und 5.2). Dies begründet sich u.a. daraus, dass die Schüler diese als Voraussetzung benötigen, um die gestellten Anforderungen überhaupt leisten zu können, was vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse als gegeben angesehen werden kann. Nur so kann auch von einer gezielten Förderung des räumlichen Vorstellungsvermögens gesprochen werden.

2.2.2 Van Hieles Stufenmodell zum Verständnis geometrischer Begriffe

Im Gegensatz zu Piagets Untersuchungen, die weniger in der Praxis durchgeführt wurden, entwickelte das Ehepaar van Hiele auf der Grundlage vielfältiger und differenzierter Beobachtungen von Schülern im Unterricht ein Stufenmodell, das die Entwicklung des Verständnisses geometrischer Begriffe und des geometrischen Denkens in Form eines Lernprozesses (und nicht wie bei Piaget in Form eines Entwicklungsprozesses) beschreibt. Dabei durchläuft das Kind fünf aufeinander aufbauende Denkebenen im Lernprozess, die ein zunehmenderes Verständnis abstrakterer geometrischer Inhalte und Begrifflichkeiten beinhalten (vgl. Maier, 1999b, S. 98ff). Diese Niveaustufen beziehen sich jedoch hauptsächlich auf den Sekundarstufenbereich und können nur dann erfolgreich bewältigt werden, „…wenn eine Förderung und Anregung durch geeignete unterrichtliche Maßnahmen erfolgt. So sehen die VAN HIELES im Vergleich zu PIAGET nicht so sehr eine Bedeutung in der altersgemäßen Entwicklung als vielmehr in den sinnvollen Methoden und Materialangeboten des Unterrichts“ (Radatz & Rickmeyer, 1991, S. 13). Das heißt, dass auch hier die unerlässliche Bedeutung der Handlungsorientierung – v.a. in der Grundschule – beim Verinnerlichungsprozess mentaler Vorstellungsbilder und damit auch bei der Förderung des räumlichen Vorstellungsvermögens betont wird (vgl. 2.2.1 und vgl. 3.3).

Die fünf Denkebenen van Hieles werden – bis auf die Niveaustufe 0, die von Grundschülern erreicht wird und damit für die theoretischen Grundlagen dieser Arbeit wichtig ist – im Folgenden nicht näher erläutert (dazu sei auf Radatz & Rickmeyer (1991, S. 13ff) oder Franke (2006, S. 115ff) verwiesen). Wie bei Piagets Stufen der Entwicklung existieren auch für die Niveaustufen in der Literatur unterschiedliche und synonym verwendete Bezeichnungen. Ich orientiere mich an Frankes Übersicht (2006, S. 114; Hervorhebung Vf.):

0. Niveaustufe: Räumlich-anschauungsgebundenes Denken
1. Niveaustufe: Geometrisch-analysierendes Denken
2. Niveaustufe: Geometrisch-abstrahierendes Denken
3. Niveaustufe: Geometrisch-schlussfolgerndes Denken
4. Niveaustufe: Strenge, abstrakte Geometrie“

Wie die Bezeichnung der 0. Niveaustufe es schon impliziert, ist hier das geometrische Arbeiten und Denken der Kinder fast ausschließlich an Handlungen mit konkretem Anschauungsmaterial gebunden, um mentale Vorstellungsbilder des Raumes bzw. von räumlichen Objekten aufbauen zu können (s.o.). Aber auch dies geschieht in eingeschränktem Maße: „Räumliche Beziehungen werden nur in der unmittelbaren Umgebung von den Schülern erfaßt [sic], wobei geometrische Figuren als Ganzheiten gesehen werden, nicht jedoch im Hinblick auf Einzelheiten oder Eigenschaften“ (Radatz & Rickmeyer, 1991, S. 13). Des Weiteren ist es den Kindern möglich, verschiedene geometrische Formen und Körper zu unterscheiden, die dazugehörigen Bezeichnungen und Begriffe zu lernen sowie mit den verschiedensten geometrischen Figuren zu hantieren (legen, falten, bauen, zusammensetzen u.v.a.m.) (vgl. ebd., S. 13f).

2.3 Fazit

Sowohl in Bezug auf die Untersuchungen zur menschlichen Intelligenz nach Thurstone, den darauf folgenden zahlreichen Studien als auch auf die Theorie Gardners stellt sich der Faktor der räumlichen Intelligenz deutlich als ein eigenständiger heraus, der nicht nur hochgradig komplex ist, sondern „…der, leistungsfähig ausgebildet, als unschätzbarer Vorteil in unserer Gesellschaft angesehen wird“ (Maier, 1999b, S. 29). Vor diesem Hintergrund muss die Grundschule ihrem Bildungsauftrag gerecht werden und die Fähigkeit des räumlichen Vorstellungsvermögens von Beginn an bei den Schülern fördern (vgl. ebd., S. 116). Dass dies im Leben eines Menschen gerade in diesem Zeitfenster stattfinden sollte, haben viele Studien zur Trainierbarkeit der Raumvorstellung belegt (vgl. 2.2.1). Wie dies im bzw. durch den Mathematikunterricht geschehen kann, wird im Rahmen dieser Arbeit exemplarisch an einer Unterrichtseinheit dargestellt, die einen raumgeometrischen Schwerpunkt hat (vgl. Kapitel 4). Als dafür bedeutsame Subkomponenten der Raumvorstellung wurden in Kapitel 2.1.2.3 die räumliche Orientierung und das Erfassen und Herstellen räumlicher Beziehungen herausgestellt, weil diese durch die Inhalte der Unterrichtseinheit „Würfelgebäude“ angesprochen und gefördert werden sollen. Alle Unterbereiche auf einmal gezielt anzusprechen und weiter auszubilden, würde einerseits mit dem Rückbezug zur Theorie aufgrund des hohen Komplexitätsgrades und andererseits hinsichtlich der Umsetzbarkeit in der Praxis sicher zu weit führen. Dazu wären verschiedene geometrische Inhalte, die im Laufe der Grundschulzeit (auch in Form eines Spiralcurriculums) Gegenstand des Mathematikunterrichtes sind, notwendig.

Wie sich die Entwicklung des Denkens beim Kinde im konkret-operationalen Stadium bzw. im Übergang dorthin vollzieht, wurde in Kapitel 2.2 am Beispiel der Theorien Piagets und van Hieles skizziert. Beide betonen die Bedeutung eines anschauungsgebundenen und gezielt materialintensiven Lernens für den Mathematikunterricht der Grundschule, damit sich die Kinder langsam von der konkreten Ebene lösen, um durch eine Verinnerlichung der Handlungen am Objekt eben diese mental auf der reinen Vorstellungsebene vollziehen zu können (vgl. Maier, 1999b, S. 117). Nur auf diese Weise können sich durch konkrete Handlungserfahrungen räumliche Vorstellungsbilder entwickeln, die im Laufe der Zeit an Komplexität und Flexibilität zunehmen und sich das Denken somit kontinuierlich auf einem abstrakteren Niveau bewegt.

Vor dem Hintergrund der theoretischen Grundlagen werden im folgenden Kapitel daraus die Konsequenzen für die Unterrichtsplanung und -durchführung gezogen. Dabei wird zunächst auf die Prinzipien des Geometrieunterrichts im Allgemeinen sowie auf die Bedeutung des räumlichen Vorstellungsvermögens für diesen eingegangen, wobei Erläuterungen zur Relevanz des schon so oft angesprochenen Bereiches der Handlungsorientierung nicht fehlen dürfen. Diesbezüglich wird in Kapitel 3.3 die Theorie der Darstellungsebenen von Bruner aufgegriffen, die zwar eine Weiterführung Piagets Gedankengänge ist, aber wegen der Betonung der Handlungsorientierung in diesem Zusammenhang aufgegriffen und dargestellt wird. Anschließend folgen Erläuterungen zum HRT, die Auswertung der Vortests und die Darstellung der daraus abgeleiteten Lernausgangslage.

3 Folgerungen für die Unterrichtsplanung

3.1 Allgemeine Anmerkungen zum Geometrieunterricht in der Grundschule

Die Geometrie ist ein wichtiger Lern- und Erfahrungsbereich innerhalb der Grundschulmathematik, neben der Arithmetik und dem Sachrechnen, deren Bedeutung in der Literatur mit zahlreichen Begründungen untermauert wird. Dazu gehören z.B. der Beitrag zur Umwelterschließung, zur Fähigkeits- und Kompetenzentwicklung von Kindern sowie darüber hinaus zur Erreichung der allgemeinen Aufgaben und Ziele der Grundschuldidaktik und nicht zuletzt zur Schulung des räumlichen Denkens und Vorstellens als fundamentale kognitive Fähigkeit (vgl. dazu bspw. Lorenz & Radatz, 1993, S. 104). Zudem sind „…geometrische Erfahrungen und Fähigkeiten (…) notwendige Voraussetzungen, um im Arithmetikunterricht erfolgreich mitarbeiten zu können“ (Radatz, 1989, S. 19 und vgl. 3.2). Zu den grundlegenden Aufgaben des Geometrieunterrichts gehört v.a. die Entwicklung der Raumvorstellung, die dem Schüler helfen soll, sich in seiner von Figuren, Formen und Körpern dominierten Umwelt zurechtzufinden. Ausgangspunkt hierfür ist „…bei Grundschulkindern das Sammeln von Erfahrungen über das Handeln mit konkretem Material“ (Rickmeyer, 1986, S. 44; auf diesen Aspekt wird in Kapitel 3.3 näher eingegangen).

In zahlreichen Lehrwerken und wissenschaftlichen Artikeln wird trotz dieser und weiterer wichtiger Grundlagen, die der Geometrieunterricht mit sich bringt, seit ungefähr 40 Jahren die vernachlässigte Behandlung der Geometrie im Mathematikunterricht der Grundschule beklagt (vgl. bspw. Radatz, 1989, S. 17, Radatz, Schipper, Dröge & Ebeling, 1996, Kroll, 1996, S. 4ff; Maier, 1999b, S. 301ff; S. 114; Franke, 2006, S. 9). Geometrische Inhalte würden von den Lehrkräften nur als Lückenfüller erteilt und bis zu den Sommerferien aufgeschoben werden, um dann vielleicht doch keine Zeit mehr zu haben, sie durchzunehmen und das, obwohl nach Maier (1999b, S. 303ff; Hervorhebung im Original) „ Befragungen zum Mathematikunterricht zeigen, daß [sic] Lehrer die Schulung des räumlichen Vorstellungsvermögens als ein Ziel von erstrangiger Bedeutung ansehen“. Dass die schulpraktische Realität anders aussieht, rühre u.a. daher, dass die Geometrie mehr Vorbereitungsaufwand mit sich bringt, viele Mathematiklehrer selbst Probleme mit geometrischen (und räumlichen) Inhalten haben und dass es der Geometrie im Unterschied zur Arithmetik an „… einer einfachen und durchsichtigen Systematik “ (Bauersfeld, 2000, S. 4; Hervorhebung im Original) fehlt und Letzterer sowohl gesellschaftlich als auch von Lehrerseite eine sehr hohe Bedeutung zugeschrieben wird, die wenig Raum für die Geometrie lässt. Für eine eher leistungsorientierte Gesellschaft kommt hinzu, dass die Ergebnisse geometrischer Aufgaben oder Tätigkeiten bspw. im Vergleich zu dem Ergebnis einer Additionsaufgabe nur schwer überprüfbar sind (vgl. Radatz, 1989, S. 17).

Der Geometrieunterricht weist verschiedene Prinzipien auf, mit denen seinen Ansprüchen Rechnung getragen werden soll. Diese werden im Folgenden kurz genannt: Er soll den Schülern ermöglichen, ihre Erfahrungen mit dem Raum zu erweitern und eine positive Einstellung fördern, sodass sich eine motivierende Haltung bei ihnen manifestiert, sich mit geometrischen Inhalten und Problemstellungen nachhaltig zu beschäftigen (vgl. Radatz & Rickmeyer, 1991, S. 9). „Die Lernmotivation sollte besonders durch entdeckendes und handlungsorientiertes Lernen und durch Spiele gefördert werden. Gerade diese Prinzipien realisiert der Geometrieunterricht“ (Radatz et al., 1996, S. 114). Des Weiteren sollte geometrisches Lernen an die Lebenswelt der Kinder anknüpfen, anwendungsorientiert und konstruktiv gestaltet sein und dabei handelndes, materialintensives und soziales Lernen ermöglichen (vgl. Radatz & Rickmeyer, 1991, S. 18).

Für die Planung der Unterrichtseinheit bedeutet dies, dass ich dabei mehrere didaktische Prinzipien des Geometrieunterrichts berücksichtige und an den entsprechenden Punkten unter Bezugnahme der allgemeinen Ziele sinnvoll anwende. In erster Linie sollen dabei die Handlungsorientierung, mit der ein materialgestütztes, anschauliches Lernen einhergeht, und ein sozial-integratives Lernen im Vordergrund stehen, dass bei den Schülern eine positive Lernhaltung hervorruft und sie auf diese Weise einerseits speziell für die Lerninhalte der Einheit und andererseits im weitesten Sinne für die Geometrie an sich motiviert werden. Dabei ist auch immer ein Rückbezug zur Lebenswirklichkeit der Schüler wichtig, damit die Auseinandersetzung mit einem geometrischen Inhalt nicht innerhalb des Klassenraums isoliert für sich stehen bleibt, sondern ihm auch außerhalb eine Bedeutung zugeschrieben werden kann (als Beispiele aus der Unterrichtseinheit seien hier das Wiedererkennen geometrischer Körper in der Umwelt (1. Stunde) oder das Schreiben eines Bauplans als „Baumeister“, dessen Arbeit kontrolliert wird (4. Stunde), genannt).

3.2 Bedeutung des räumlichen Vorstellungsvermögens für den Geometrieunterricht an Grundschulen

Es soll an dieser Stelle noch einmal betont werden, dass das Primärziel des Geometrieunterrichts die Entwicklung und Förderung des räumlichen Vorstellungsvermögens ist, da es nicht nur eine lebenspraktische Bedeutung aufweist, ohne die wir uns im Alltag nur schwer zurechtfinden könnten (vgl. 2.1.2.1 und vgl. Franke, 2006, S. 27), sondern als ein Teil der menschlichen Intelligenz auch „…als eine Voraussetzung für das Erlernen geometrischer Inhalte und schulischen Lernens im Allgemeinen betrachtet werden (kann; Vf.)“ (Hellmich & Hartmann, 2002, S. 56). Damit ist die hohe Bedeutung der Raumvorstellung bereits hinreichend bezeichnet – sowohl für das Leben außerhalb der Schule als auch für den Geometrieunterricht, der diese Fähigkeit schulen und herausfordern muss.

Dies wird durch die geforderten Inhalte der Bildungsstandards und des Kerncurriculums Mathematik herausgestellt, die u.a. den Kompetenzbereich Raum und Form ausweisen, in dem die Schulung der Raumvorstellung als wichtiges Ziel formuliert wird (vgl. Sekretariat der Ständigen Kultusminister der Länder in der BRD, 2004, S. 12f und vgl. Nds. Kultusministerium, 2006, S. 26). Dieser Kompetenzbereich ist in die vier Inhaltsbezogenen Bereiche Orientierung im Raum, Körper und ebene Figuren, Flächen- und Rauminhalte sowie geometrische Abbildungen untergliedert. All diese Untergebiete von Raum und Form in dieser Arbeit hinsichtlich ihrer Möglichkeiten, das räumliche Vorstellungsvermögen von Schülern zu fördern, umfassend zu untersuchen, würde den Rahmen jedoch deutlich überschreiten und bzgl. der Themenvielfalt auch praktisch gesehen keinen Sinn machen. Daher sind für die Inhalte der Unterrichtseinheit „Würfelgebäude“ die beiden erstgenannten Bereiche Orientierung im Raum und Körper relevant (vgl. Nds. Kultusministerium, 2006, S. 26ff, vgl. 2.1.2.3 und vgl. Kapitel 4). Des Weiteren steht dabei speziell die Raumgeometrie im Mittelpunkt, die – nach Kroll (1994a, S. 22) – „…durch den reflektierten Umgang mit körperlichen Dingen gezielt herbeigeführte Erfahrung der dreidimensionalen Welt, einen hervorragenden Platz im Unterricht einnehmen sollte“. Von vielen Geometriedidaktikern wird weiterhin bemängelt, dass nicht nur die Geometrie an sich zu kurz kommt (vgl. 3.1), sondern dass insbesondere die – eigentlich so bedeutsame (vgl. 2.1.2) – Schulung des räumlichen Vorstellungsvermögens im Mathematikunterricht nur eine untergeordnete Rolle spielt (vgl. Maier, 1999b, S. 234ff). Wenn dann aber doch Inhalte Gegen-stand des Unterrichts sind, die sich zur Förderung des räumlichen Vorstellungsvermögens eignen, liegt „…der unterrichtliche Schwerpunkt meist auf Inhalten der 2-dimensionalen Geometrie, während die räumliche Geometrie im Hintergrund steht“ (Maier, 1999a, S. 8).

Wie in Kapitel 2.2.1 dargestellt, lässt sich gerade in der Altersspanne von sieben bis dreizehn Jahren das räumliche Vorstellungsvermögen gezielt fördern. Daraus und im Hinblick auf die weiteren theoretischen Grundlagen in Kapitel 2 wird der hohe Stellenwert der Förderung der Raumvorstellung von Grundschulkindern im Geometrieunterricht ersichtlich und darf in der Praxis nicht nur nachrangig behandelt werden (s.o.). Radatz & Rickmeyer (1991, S. 7) betonen dies ebenfalls mit der Begründung, dass für die Erschließung der Umwelt, die in vielfältiger Hinsicht eine geometrische Struktur aufweist, „…ohne Kompetenzen einer Raumvorstellung oder der visuellen Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung (diese; Vf.) nur schwer erkannt oder durchdrungen werden kann“, wobei sich eben diese Fähigkeiten nicht ohne gezielte frühzeitige Anregungen und Übungen ausbilden können. Die Entwicklung und Förderung des räumlichen Vorstellungsvermögens lässt sich nach Radatz et al. (1998, S. 115) durch das konkrete Handeln mit Anschauungsmaterial sowie durch die regelmäßige Auseinandersetzung mit geometrischen Inhalten – speziell mittels „…Übungen zur Raumorientierung, zur Erfassung räumlicher Beziehungen und zur Visualisierung“ – erreichen. Rickmeyer (1998a, S. 12) stellt diesbezüglich die bedeutsame Rolle der Arbeit mit Holzwürfeln heraus, deren Zusammensetzungen darüber hinaus vielfach im Bereich der Arithmetik als didaktisches Anschauungsmaterial (Hunderterplatte, Zehnerstange) verwendet werden. Aber auch viele andere Veranschaulichungsmittel, wie z.B. Steckwürfel, Rechenkette, Hundertertafel oder Zahlenstrahl, weisen eine geometrische Grundstruktur auf, die „…ein mehr oder weniger hohes Maß an räumlicher Wahrnehmungs- und Vorstellungskraft erfordern. (…) Zudem erfordern einige Tätigkeiten in arithmetischen Arbeitsbereichen (…) und Arbeiten mit Größen (…) räumlich-visuelle Vorstellungen“ (Maier, 1999b, S. 235). Daran wird die Grundbedeutung des räumlichen Vorstellungsvermögens weit über geometrische Inhalte hinaus sehr deutlich.

3.3 Das Prinzip der Handlungsorientierung und dessen Bedeutung innerhalb der Unterrichtseinheit

„Ausgangspunkt aller Bemühungen um die Entwicklung von Raumvorstellungen bei Grundschulkindern ist das Sammeln von Erfahrungen über das Handeln mit konkretem Material“ (Rickmeyer, 1986, S. 44). Dieses Zitat begründet das Prinzip der Handlungsorientierung im hier gemeinten Sinne und stellt gleichzeitig die unerlässliche Bedeutung der Handlungsorientierung im Mathematikunterricht klar und deutlich heraus. Darüber hinaus greift es die Erläuterungen von Kapitel 2.1 entsprechend auf, dass gedankliche Vorstellungen von Objekten oder Operationen nur über sinnliche Wahrnehmungen und damit auch über konkrete Handlungen aus der Wirklichkeit entstehen (aus der Handlung ent-wickelt sich die Operation). Es geht also darum, das Verstehen raumgeometrischer Inhalte durch konkretes, gegenständliches Handeln zu fördern. Daraus leitet sich als Konsequenz für die Unterrichtspraxis das operative Prinzip ab, „…das die Begründung für die Verwendung von Arbeitsmaterial für die Hand des Schülers gibt“ (Lauter, 2005, S. 20).

Hinzu kommt, dass „…Trainingsprogramme mit handlungsorientierten Aktivitäten an konkreten Modellen stets starke bis sehr starke Zugewinne im räumlichen Vorstellungsvermögen (zeigen; Vf.). Sie sind somit zur Schulung der Raumvorstellung besonders geeignet“ (Maier, 1999b, S. 116). Dies begründet sich wiederum vor dem Hintergrund der Entwicklung des räumlichen Vorstellungsvermögens nach Piaget (vgl. 2.2.1), nach dem „…Denken verinnerlichtes Tun (ist; Vf.), und dieses Tun (an dinglichen Objekten) kann nur über Vorstellungen zu Denkakten verinnerlicht werden“ (Besuden, 1999, S. 4). Insbesondere an dieser Stelle wird deutlich, dass es sich bei Piagets Entwicklungstheorie des Denkens um eine konstruktivistische Theorie handelt, da die Aktivität des Kindes so stark hervorgehoben wird. Des Weiteren wird der enge Bezug zum räumlich-anschauungs-gebundenen Denken im Modell der van Hieles sichtbar, da auf dieser 0. Niveaustufe ebenfalls ausschließlich das aktive Handeln mit Anschauungsmaterial im Zentrum steht, wenn die Schüler von der Handlungs- auf die mentale Vorstellungsebene gelangen sollen (vgl. 2.2.2). Aus diesem Grund gehört nach Besuden zu den Prinzipien eines handlungsorientierten Mathematikunterrichts neben der Bereitstellung von geeignetem Anschauungsmaterial zum selber Bauen, Falten usw. auch ein sinnvoller Wechsel zwischen offener Unterrichtsgestaltung und gezielter Aufgabenstellung (auch Problemlösen) (vgl. Kroll, 1994a, S. 22). Diese Aspekte finden sich in der handlungsorientierten Ausrichtung meines Unterrichts während der Einheit wieder (vgl. Kapitel 4), in dem das aktive Tun der Schüler mit bewusst ausgewähltem didaktischem Anschauungsmaterial im Zentrum steht, um „den dreidimensionalen Raum letztendlich abstrakt begreifen zu können…“ (Radatz et al., 1998, S. 122). Ebenso vor dem Hintergrund der didaktischen Prinzipien des Geometrieunterrichts (vgl. 3.1) arbeiten die Schüler während der Unterrichtseinheit (ab der dritten Stunde) mit dem didaktischen Anschauungsmaterial „naturfarbene Holzwürfel“ mit einer Kantenlänge von zwei Zentimetern, wofür nach Kroll (1996, S. 8) folgende Aspekte sprechen: Die Würfel „… wirken durch die Maserung belebt und sind schön anzusehen; auch das Tastgefühl wird befriedigt; das Material hat einen hohen Aufforderungscharakter; die Kinder gehen sehr gern mit Würfeln um“ und die Raumstruktur der aus mehreren Würfeln gebauten Körper kommt deutlich zum Vorschein.

Wenn es um das Prinzip der Handlungsorientierung geht, muss die Theorie der Darstellungsebenen nach Bruner – die als eine „...Modifikation der Piagetschen Theorie anzusehen (ist; Vf.)“ (Zech, 2002, S. 104) – nicht nur mitberücksichtigt werden, vielmehr müssen die darin benannten Repräsentationsformen enaktiv, ikonisch und symbolisch als didaktisches Prinzip Eingang in den Mathematikunterricht finden. Denn nach Bruner vollzieht sich die Denkentwicklung des Kindes „…nicht auf zeitlich abgestuften Denkniveaus, sondern gleichzeitig auf verschiedenen Darstellungsebenen, die in starker Wechselbeziehung zueinander stehen“ (ebd., S. 104) und durch die sich der Mensch seine Umwelt erschließen kann. Das heißt, dass diese formulierten Ebenen zwar „…prinzipiell mathematisch gleichwertig sind, (…) aber sich an der geistigen Entwicklung des Kindes orientieren“ (Lauter, 2005, S. 76). Demnach ist dabei die enaktive Darstellungsebene die essentiellste, da hier durch konkretes Handeln mit/an Material ein Sachverhalt erschlossen werden kann. Die ikonische Ebene geht über die enaktive hinaus, weil auf ihr ein Sachverhalt bereits aus einer bildlichen Anschauung oder einer Graphik heraus erschließbar wird, während die symbolische Ebene ohne Anschauung auskommt und der entsprechende Sachverhalt dort durch mathematische Zeichen oder die Sprache erfasst werden kann (steigender Abstraktions- und Leistungsgrad) (vgl. Zech, 2002, S. 104 und vgl. ausführlicher Lauter, 2005, S. 76ff)[2]. Daher ist es für die unterrichtliche Praxis in der Grundschule unabdingbar, die Schüler zunächst in Situationen zu bringen, in denen sie sich mit konkretem Material mit Bezug zum Lernstoff auseinander setzen können, weil sie sich altersmäßig im (Übergang zum) Stadium der konkreten Operationen befinden (vgl. 2.2.1). Erst danach kann auf die ikonische oder symbolische Ebene übergegangen werden. Von besonderer Bedeutung ist dabei sowohl der Wechsel als auch Verknüpfungen zwischen den Darstellungsebenen, sodass auf diese Weise Möglichkeiten zur operativen Durcharbeitung geboten werden (vgl. Zech, 2002, S. 106ff). Letzterer Aspekt soll durch ein Zitat von Bauersfeld (2000, S. 8) auf die Thematik der Arbeit eingegrenzt werden: „Handlungserfahrung, Raumanschauung und räumliches Denken sowie die Darstellung in Gestik, Zeichen und Sprache gehen eine flexible, von allen Seiten her abrufbare Beziehung ein“. Das bedeutet, dass die Kinder während der Zeit der Unterrichtseinheit lernen, auf den Ebenen des konkreten, bildlichen symbolischen und sprachlichen Darstellens räumliche Strukturen zu erfassen und letztendlich – im besten Falle – mit ihnen in ihrer Vorstellung zu operieren. Bspw. müssen die Schüler in der vierten, fünften und sechsten Unterrichtsstunde der Einheit die konkreten Würfelgebäude bzw. deren Bilder (ikonische Ebene) in die Form des Bauplanes (ikonisch-symbolische Ebene) übertragen und umgekehrt (vgl. Anhang 4). Durch diese Wechselwirkung der verschiedenen Handlungsebenen im Sinne des EIS-Prinzips sollen die Schüler befähigt werden, sich langsam gedanklich vom konkreten Objekt zu lösen und in ein Vorstellungsbild zu „überführen“, sodass ihr räumliches Vorstellungsvermögen gezielt gefördert wird: „Das Umsetzen der zweidimensionalen Vorlage in eine dreidimensionale Figur schult das räumliche Vorstellungsvermögen der Kinder“ (Radatz et al., 1996, S. 134). Dieser Fortschritt in der räumlichen Denkentwicklung v.a. im Bereich der räumlichen Orientierung und dem Erfassen und Herstellen räumlichen Beziehungen (vgl. 2.1.2.3) – der von mir erwartet wird (vgl. Kapitel 1) – soll sich in einem verbesserten individuellen Ergebnis des HRT nach Durchführung der Einheit zeigen (vgl. 5.2.2).

Aber nicht nur in der psychologischen und mathematikdidaktischen Literatur wird eine handlungsorientierte Ausrichtung des Mathematikunterrichts ausdrücklich gefordert. Auch das Kerncurriculum fordert diese u.a. für den Inhaltsbezogenen Kompetenzbereich Raum und Form, damit die Schüler durch die aktive Auseinandersetzung mit geeignetem Anschauungsmaterial konkrete Erfahrungen sammeln können, um ihr räumliches Vorstellungsvermögen entwickeln zu können (vgl. Nds. Kultusministerium, 2006, S. 26), denn „Handlungen an verschiedenen Materialien sind die Basis für formal-abstrakte Raumvorstellungen…“(Radatz et al., 1998, S. 122). Im Prozessbezogenen Kompetenzbereich Darstellen/Didaktisches Material verwenden wird dessen Verwendung ebenfalls hervorgehoben: „Um tragfähige Vorstellungsbilder von mathematischen Sachverhalten (z.B. Zahlen, Operationen) aufbauen zu können, brauchen Schülerinnen und Schüler zunächst handelnden Umgang mit konkreten Materialien. Nach und nach lernen sie zu abstrahieren und gehen zu anderen Formen der Darstellung über (z.B. Zeichnungen, Gleichungen, Terme“ (Nds. Kultusministerium, 2006, S. 16). In den Bildungsstandards stehen ebenfalls Handlungserfahrungen im Vordergrund: „Zwei- und dreidimensionale Darstellungen von Bauwerken (z.B. Würfelgebäuden) zueinander in Beziehung setzen (nach Vorlage bauen, zu Bauten Baupläne erstellen, Kantenmodelle und Netze untersuchen)“ (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der BRD, 2004, S. 12). Auch Rickmeyer (1998, S. 48) und Steinau (2007, S. 22) betonen die Bedeutung verschiedenster Handlungserfahrungen als Voraussetzung, um von der konkreten auf die Vorstellungsebene (Kopfgeometrie) zu gelangen und somit das räumliche Vorstellungsvermögen zu schulen.

3.4 Überprüfung der vorhandenen Kompetenzen der Schüler im Bereich Raum und Form durch den Heidelberger Rechentest (HRT 1-4)

3.4.1 Erläuterungen zum Einsatz des HRT und den ausgewählten Untertests

Für die aussagekräftige Überprüfung der eingangs aufgestellten Thesen bzw. Fragestellungen muss der individuelle Lernstand jedes einzelnen Schülers im räumlich-visuellen Bereich vor der Durchführung und detaillierten Planung der Unterrichtseinheit „Würfelgebäude“ erhoben werden, um eventuelle Verbesserungen bzw. Entwicklungen des räumlichen Vorstellungsvermögens, die durch die Einheit angestrebt werden, feststellen zu können. Insbesondere im Rahmen einer solchen Hausarbeit eignet sich dafür nicht etwa ein selbst entworfener (informeller), sondern ein standardisierter (formeller) Test[3], da durch diesen einerseits die Testgütekriterien der Objektivität, Validität und Reliabilität erfüllt sind und die Testaufgaben andererseits an einer bundesweiten Stichprobe normiert wurden, sodass entsprechende Vergleichswerte für meine Lerngruppe vorhanden sind (vgl. Haffner et al., 2005, S. 27f; S. 29ff).

Der HRT[4] ist ein so genannter Speed-Test, das heißt dass „…die Lösungsgeschwindigkeit und Leistungsmenge bei begrenzter Zeitvorgabe im Vordergrund steht…“ (ebd., S. 13), um die individuelle Schnelligkeit und Sicherheit eines Kindes bei einer Aufgabenart zu überprüfen. Dabei ist es im Regelfall keinem Kind möglich, in der vorgegebenen Zeit alle Testaufgaben zu lösen. „Der HRT prüft unabhängig von curricularen Stoffplänen basale mathematische und kognitive Kompetenzen, die als Grundlagen und Voraussetzungen für die Entwicklung komplexeren mathematischen Wissens erforderlich sind“ (ebd., S. 13). In den dazugehörigen theoretischen Grundlagen weisen die Autoren u.a. auch auf „die besondere Bedeutung räumlich-visueller Fähigkeiten und räumlich-visueller Veranschaulichung für die Entwicklung mathematischer Konzepte und Vorstellungen…“ (ebd., S. 11 und vgl. 3.2) vor allem bei rechenschwachen Kindern hin.

Neben dem inhaltlichen Schwerpunkt der grundlegenden Rechenoperationen mit sechs Untertests gehören fünf Untertests zum Bereich der räumlich-visuellen Funktionen (vgl. ebd., S. 14f). Ich habe mich im Rahmen dieser Arbeit aus letzterem Bereich exemplarisch für zwei Untertests entschieden. Zum einen für den Untertest „Würfelaufgaben“ (vgl. Anhang 1), da dieser durch seinen Messinhalt „Mengenerfassung unter Berücksichtigung räumlicher Vorstellung“ (ebd., S. 14) in einem engen Zusammenhang mit den Inhalten und Zielen der zugrunde liegenden Unterrichtseinheit gebracht werden kann (vgl. 4.2). Auf diese Weise ist die Feststellung einer eventuellen Förderung des räumlichen Vorstellungsvermögens bei jedem Schüler durch einen Vergleich der individuellen Ist-Zustände vor und direkt nach der Durchführung der Einheit möglich (vgl. 5.2). Dieser Untertest umfasst 28 Aufgaben bei einer dreiminütigen Bearbeitungszeit und stetig ansteigendem Schwierigkeitsgrad. Die Schüler müssen anhand des Bildes eines Würfelgebäudes jeweils durch Zählen feststellen, aus wie vielen Würfeln es besteht und dies notieren. Bei der Anzahlbestimmung kommt es darauf an, dass sich die Schüler auch verdeckt stehende Würfel im hinteren Teil der Figur vorstellen können und wissen, dass diese dazuzuzählen sind. Sie müssen sich dabei also sowohl mental räumlich orientieren als auch räumliche Beziehungen zwischen den einzelnen Würfeln eines Gebäudes herstellen können (z.B. müssen sie überlegen, wie viele Würfel sich noch hinter, unter oder rechts/links von einem bestimmten Würfel befinden können (vgl. 2.1.2.3)).

Zum anderen habe ich zusätzlich den Untertest „Längenschätzen“ (vgl. Anhang 1) durchgeführt, um nicht nur einen Aspekt des räumlich-visuellen Bereichs abzutesten und um zu überprüfen, ob sich die Fähigkeiten der Schüler im Bereich „visuelle Größenerfassung“ nach der Unterrichtseinheit (ebd., S. 14) verbessert haben, obwohl diese währenddessen nicht explizit geschult wurden bzw. dazu keine Aufgaben angeboten wurden (Synergieeffekt). Um beim „Längenschätzen“ ein möglichst gutes Ergebnis zu erzielen, müssen die Schüler die Länge einer vorgegebenen Strecke in Einer-Schritten schätzen und schriftlich festhalten. Dabei können sie die jeweiligen Strecken mit oben auf der Seite angegebenen Hilfsstrecken (Einer-, Fünfer- und Zehner-Strecke) in Beziehung setzen oder immer die Einer-Schritte abzählen. Auch dieser Untertest dauert drei Minuten und beinhaltet 24 Aufgaben mit stetig ansteigendem Schwierigkeitsgrad.

3.4.2 Durchführung und Auswertung des HRT

3.4.2.1 Allgemeine Anmerkungen zu den Normwerten

Die beiden im vorangegangenen Kapitel beschriebenen Untertests wurden sechs Tage vor dem Beginn der Unterrichtseinheit „Würfelgebäude“ durchgeführt und ausgewertet. Dabei habe ich mich ausdrücklich an die im Manual des HRT ausgewiesenen Anweisungen gehalten (vgl. Haffner et al., 2005, S. 2ff (Testinstruktion)), damit meine Schüler unter denselben Bedingungen schreiben wie die Schüler der Normstichproben und um die Ergebnisse nicht in eine Richtung zu verfälschen. Da ich nur zwei der elf Untertests (ohne Schreibgeschwindigkeitstest) durchgeführt habe, habe ich nicht für jeden Schüler ein Profilblatt, sondern vielmehr selbst entworfene tabellarische und graphische Übersichten, aus denen der individuelle Entwicklungsstand von jedem Schüler im Bereich „Würfelaufgaben“, „Längenschätzen“ und dem daraus berechneten Mittelwert vor und nach der Unterrichtseinheit hervorgeht, angelegt. Gleichzeitig sind damit eine Übersicht des Gesamtbildes der Klasse in den einzelnen Bereichen sowie ein direkter Vergleich von Ausgangswerten und Nachtestwerten gegeben (Entwicklung).

Der Rohwert gibt jeweils die Anzahl der richtigen Lösungen im Untertest an. Dazu „…können die zugehörigen T-Werte und Prozentrang-Werte in den Normentabellen der entsprechenden Klassenstufe abgelesen und (…) eingetragen werden“ (Haffner et al., 2005, S. 18). Für jedes Quartal der Grundschulzeit ab Ende der ersten Klasse gibt es diese Normenwerte, die aussagen, „…wie die Leistung eines Kindes im Vergleich zur Alters- oder Klassennorm einzuschätzen ist“ (ebd., S. 19), wobei Prozentrang- und T-Werte von 50 (PR = 50 und T = 50) immer dem Durchschnittswert entsprechen. „Der Prozentrang-Wert gibt an, wie viel Prozent der Vergleichsgruppe (Eistichprobe) gleich gut oder schlechter abgeschnitten haben (…). Der T-Wert gibt an, wie weit der erreichte Wert des Kindes vom Mittelwert der Altersnorm entfernt liegt“ (ebd., S. 19). Dadurch, dass die T-Werte die Standardabweichungen angeben, können bspw. Mittelwerte berechnet und die Testleistungen einzelner Schüler direkt miteinander verglichen werden. Weil die Untertests zu Beginn des zweiten Schuljahres durchgeführt wurden, habe ich die Vergleichswerte für das Ende des vierten Quartals der ersten Klasse herangezogen.

Anhand der in den Untertests erreichten PR-Werte jedes Kindes lassen sich dessen Stärken oder Schwächen im Bereich der Mengenerfassung unter Berücksichtigung der räumlichen Vorstellung und im Bereich der visuellen Größenerfassung erkennen. Die Autoren des HRT haben diesbezüglich eine orientierende Einteilung vorgeschlagen, wobei eine exakte Grenze, „…ab der Testwerte als auffällig im Sinne von Stärken oder Schwächen einzustufen sind, (…) schon auf Grund der Messfehler jedes Tests nicht festgelegt werden (kann; Vf.)“ (ebd., S. 20): Kinder, die einen PR-Wert von weniger als 10 erreichen, weisen demnach eine deutliche Schwäche in dem jeweiligen Bereich auf. Bei einem PR-Wert, der zwischen 11 und 25 liegt, sind die Kinder einem Risikobereich zuzuordnen. Bei diesen Ergebnissen sollte eine gezielte Förderungsmaßnahme erfolgen. Die PR-Werte zwischen 26 und 74 sind als unauffällig bzw. normal zu betrachten, bei Werten von 75 bis 89 kann von einer tendenziellen, bei Werten von 90 bis 100 von einer deutlichen Stärke im betreffenden Bereich ausgegangen werden (vgl. ebd., S. 20f).

3.4.2.2 Bestimmung der Lernausgangslage im räumlich-visuellen Bereich

Meine Lerngruppe setzt sich aus insgesamt 19 Schülern zusammen (sieben Jungen und zwölf Mädchen), die sich – wie in Kapitel 2.2.1 bereits genannt und ausführlich hinsichtlich ihrer kognitiven Entwicklung nach Piaget analysiert – gemäß ihres Alters in der konkret-operationalen Phase bzw. im Übergang dorthin befinden. Nach van Hieles Modell ist ihr Denken noch räumlich-anschauungsgebunden (vgl. 2.2.2).

Ich unterrichte in dieser Klasse im Rahmen des eigenverantwortlichen Unterrichts seit dem 4. Februar 2008 wöchentlich fünf Stunden Mathematik. Die Lehrer-Schüler-Beziehung ist als vertrauensvoll zu beschreiben, sodass insgesamt eine angenehme Lernatmosphäre in der Klasse vorherrschend ist.

Die Ergebnisse meiner Schüler in den beiden Untertests des HRT weisen auf eine sehr differenzierte Lernausgangslage im räumlich-visuellen Bereich hin.[5] Im Bereich der räumlichen Mengenerfassung („Würfelaufgaben“) zeigen fünf Schüler (Laetitia, Nico, Manja, Kevin und Jellste) tendenzielle und zwei (Isabell und Nicolai) deutliche Stärken, während sich fünf Schüler mit mehr oder weniger großem Abstand nach oben und unten um den Durchschnittwert bewegen (Tessa, Angelika, Remo, Michelle und Mohamad). In diesem Bereich der Raumvorstellung weist nur Marvin eine deutliche Schwäche auf – bei Linnea, Susanne, Pia, Alanah, Pascal und Lene ist von einer tendenziellen Schwäche auszugehen (Risikobereich).

Im Bereich der visuellen Größenerfassung („Längenschätzen“) zeigen Nico und Angelika eine tendenzielle Stärke, neun Schüler siedeln sich bzgl. dieser Fähigkeit um den Durchschnittswert an. Remo, Tessa, Alanah und Mohamad befinden sich knapp über der Grenze zum Risikobereich, während Marvin, Michelle und Laetitia darunter liegen und Pascal als einziger an dieser Stelle eine deutliche Schwäche aufweist.

Beim Vergleich der individuellen Ergebnisse beider Tests sind nicht durchgängig eindeutige positive Korrelationen erkennbar, das heißt, wenn ein Schüler in einem Untertest hohe/niedrige Werte erzielt hat, bedeutet es nicht automatisch, dass dies auch für das Ergebnis des anderen Untertests gilt. Bei Laetitia liegen die Werte z.B. auffällig weit auseinander („Würfelaufgaben“ tendenzielle Stärke und „Längenschätzen“ Risikobereich), bei Pia, Tessa, Isabell, Manja und Jellste ist noch eine verhältnismäßig weitläufige Differenz erkennbar („Würfelaufgaben“ fällt besser aus als „Längenschätzen“). Jedoch kann bei acht Schülern von einer Korrelation der Ergebnisse gesprochen werden, da sie relativ dicht beieinander liegen (Remo, Kevin, Marvin, Alanah, Mohamad, Angelika, Pascal und Nico). Bei den anderen Schülern besteht immer ein mehr oder weniger großer Abstand zwischen den Testwerten.

Insgesamt ergibt sich – ausgehend von den Mittelwerten beider Tests, wobei ich jedoch die Ergebnisse des Untertests „Würfelaufgaben“ aufgrund des Schwerpunktes der Unterrichtseinheit etwas stärker berücksichtige – eine auf die Leistungsfähigkeit im räumlich-visuellen Bereich bezogene Lernausgangslage, die für den allgemeinen Rahmen ein (leicht gehobenes) mittleres Anforderungsniveau erfordert. Fünf Schüler weisen vor Durchführung der Unterrichtseinheit eine tendenzielle Stärke auf (Isabell, Angelika, Nico, Kevin und Nicolai), ebenfalls fünf Schüler sind in ihrer Entwicklung im räumlich-visuellen Bereich für ihr Alter in etwa durchschnittlich weit (Manja, Susanne, Tessa, Jellste und Laetitia), wiederum fünf Schüler befinden sich zwischen Durchschnittswert und Risikobereich (Remo, Linnea, Mohamad, Michelle und Pia). Pascal, Lene, Marvin und Alanah weisen Fähigkeiten auf, die insgesamt im Risikobereich einzuordnen sind.

Das bedeutet für mich und meine Unterrichtsplanung und -durchführung, dass bei dieser Lernausgangslage im Sinne einer inneren Differenzierung immer eine Förderung bei den Kindern stattfinden muss, die Schwächen in Bezug auf ihr räumliches Vorstellungsvermögen aufweisen und dass Kinder, die sich über dem Durchschnittswert befinden bzw. eine Stärke zeigen, entsprechend gefordert werden müssen. Daraus ergibt sich, dass an gegebenen Stellen zum einen Aufgaben zur Differenzierung herein gegeben werden und zum anderen die Wahl eines Partners oder der Gruppe nicht frei und damit willkürlich von den Schülern selbst vorgenommen, sondern von mir gezielt vorgegeben wird. Dabei können nicht nur sozial-integrative Aspekte ausschlaggebend sein, vielmehr müssen die individuellen Leistungen im räumlich-visuellen Bereich von mir berücksichtigt und die Schüler in kooperativen Arbeitsphasen sinnvoll zusammengestellt werden. Das heißt bspw., dass besonders starke Kinder mit denjenigen zusammenarbeiten sollen, die in diesem Bereich noch Probleme haben, während sich die Zusammenstellung der Kinder, die sich im Durchschnittsbereich bewegen, auch dementsprechend, ob sie eher zu einer Stärke denn zu einer Schwäche neigen, miteinander arbeiten.[6] Auf diese Weise soll der individuelle Lernprozess möglichst wirksam gestaltet werden und die Kinder sollen voneinander profitieren: Dadurch, dass ein leistungsstärkerer Schüler seinem schwächeren Partner einen Sachverhalt kindgemäß erklärt, kann dieser den Lerninhalt u.U. verstehen und nachvollziehen (Lernzuwachs und Verständnis) und der Erklärende durchdringt eben diesen noch tiefer und entwickelt ein nachhaltigeres Verständnis. An dieser Stelle wird die Bedeutung des Prozessbezogenen Kompetenzbereiches des Kerncurriculums Kommunizieren und Argumentieren deutlich (vgl. Nds. Kultusministerium, 2006, S. 15 und vgl. 4.2).

3.5 Fazit

In diesem Kapitel wurde der Rahmen für die Themenstellung im unterrichtspraktischen Sinne kontinuierlich enger gespannt – und zwar ausgehend von den allgemeinen Prinzipien und Problemen des (räumlichen) Geometrieunterrichts in der Grundschule über die Bedeutung des räumlichen Vorstellungsvermögens innerhalb des Geometrieunterrichtes sowie der wichtigen Rolle, die die Handlungsorientierung im Verlaufe der Unterrichtseinheit einnimmt, bevor Erläuterungen zum HRT und den daraus gezogenen Ergebnissen folgten. Dass das räumliche Vorstellungsvermögen in seiner Bedeutung noch weit über den Geometrieunterricht an der Grundschule hinausgeht, erläutert Maier (1999b, S. 123ff) ausführlich, indem er es nicht nur als ein fächerübergreifendes Lernziel aller Fächer beschreibt, sondern dessen Relevanz auch im Zusammenhang mit Lernschwächen (Dyskalkulie und Legasthenie) sowie im (berufs)schulischen, beruflichen und privaten Leben herausarbeitet.

Um den derzeitigen Entwicklungsstand meiner Lerngruppe bzgl. ihrer Fähigkeiten zur Raumvorstellung aussagekräftig feststellen zu können, wurde die Lernausgangslage gemäß der erzielten Ergebnisse in den HRT-Untertests „Würfelaufgaben“ und „Längenschätzen“ von mir bestimmt und Konsequenzen für die Unterrichtsplanung gezogen (qualitative Differenzierung, Wirkung sozialen Lernens), nachdem der HRT an sich vorgestellt und sein Einsatz legitimiert wurde.

Die eingangs zur Klärung aufgestellte Frage nach einer möglicherweise bestehenden positiven Korrelation der beiden Testergebnisse des HRT bei den Schülern kann nicht eindeutig beantwortet werden, weil diese nicht durchgängig, sondern nur bei acht Schülern feststellbar ist und vermehrt negative Korrelationen vorhanden sind (vgl. 3.4.2.2). Daher ergibt sich für meine Lerngruppe ein zweigeteiltes Bild: Bei einigen Schülern korrelieren die Fähigkeiten in beiden räumlich-visuellen Bereichen, bei anderen nicht. Für eine verallgemeinernde Antwort bzgl. möglicher positiver Korrelationen zwischen den Testwerten müsste die Stichprobe wesentlich größer ausfallen.

Im folgenden Kapitel wird das konkrete Unterrichtsvorhaben vorgestellt – immer vor dem Hintergrund des zweiten und dritten Kapitels der Arbeit. Nach der Skizzierung des Aufbaus der Unterrichtseinheit „Würfelgebäude“ und dessen Begründung folgen Erläuterungen zu den verfolgten Zielintentionen, die durch die ausführliche Darstellung zweier ausgewählter Stunden verdeutlicht werden sollen.

[...]


[1] Da dieser Bereich der Raumvorstellung nicht Schwerpunkt dieser Arbeit ist, wird er kurz skizziert und es sei an dieser Stelle u.a. auf folgende ausführlichere Quellen hingewiesen: Radatz & Rickmeyer (1991, S. 15ff), Maier (1999b, S. 11ff) oder Franke (2007, 33ff), wobei Frostig 1972 die Grundlage dieser Unterteilung gelegt hat.

[2] In der Literatur wird in diesem Zusammenhang als Abkürzung häufig der Begriff „EIS-Prinzip“ genannt, der auch im Folgenden synonym verwendet wird.

[3] Detaillierte Ausführungen zum Einsatz und zum Wesen standardisierter Schulleistungstests finden sich bspw. bei Ziegenspeck (1999, S. 358ff; S. 364f) oder Schrader & Helmke (2002, S. 45ff).

[4] Es ist im Rahmen dieser Arbeit nicht angebracht, das gesamte Konzept des HRT ausführlich darzustellen, weswegen nur themenrelevante Aspekte kurz erläutert werden (vgl. dazu Haffner et al., 2005).

[5] Das Ergebnisprofil der Klasse in Zahlen und als Diagramm findet sich unter Anhang 2. Auf genaue Angaben erreichter Roh-, PR- und T-Werte wird daher an dieser Stelle verzichtet. Vielmehr soll die Lernausgangslage mit Worten beschrieben werden. Da ich für die abschließenden Vergleiche in Kapitel 5 aus Gründen der Übersichtlichkeit ausschließlich auf erreichte Roh- und PR-Werte eingehe, sind auch nur diese in Diagrammform im Anhang vorhanden – der Vollständigkeit halber sind die T-Werte jedoch in der Tabelle aufgeführt.

[6] Die Einteilung der Partner- und Arbeitsgruppen während der Unterrichtseinheit finden sich samt Anmerkungen zum Leistungsstand im räumlich-visuellen Bereich unter Anhang 3.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2008
ISBN (PDF)
9783956848483
ISBN (Paperback)
9783956843488
Dateigröße
5.6 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Leuphana Universität Lüneburg
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1
Schlagworte
Geometrie Raumvorstellung 3D sinnliche Wahrnehmung Objektbezogener Unterricht visuelle Wahrnehmung

Autor

Nina Bücker wurde 1982 in Buxtehude geboren. Nach einer zweijährigen Ausbildung zur Bankkauffrau begann sie 2003 ihr Studium für das Lehramt an Grund-, Haupt- und Realschulen an der Leuphana Universität Lüneburg und schloss es im Jahre 2007 mit dem 1. Staatsexamen sehr erfolgreich ab. Bereits während des Studiums sammelte die Autorin umfassende praktische Erfahrungen im schulischen Bereich. Die Bedeutung der Mathematik im Alltag, vor allem aber der umfassende Aspekt der räumlichen Geometrie und dessen Stellung im Mathematikunterricht der Grundschule motivierte sie, sich der Thematik des vorliegenden Buches im Rahmen des 2. Staatsexamens zu widmen. Letzteres konnte die Autorin ebenfalls sehr erfolgreich abschließen.
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Titel: Förderung des räumlichen Vorstellungsvermögens im Mathematikunterricht der Grundschule: Praktische Umsetzung in einer zweiten Klasse anhand der Unterrichtseinheit "Würfelgebäude"
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