Der historische Sokrates: Quellenlage und Lehre
Zusammenfassung
Die Arbeit erhebt den Anspruch, etwas Neues herausgearbeitet zu haben. Sie wirft zunächst ein Licht auf die vier Hauptquellen (Aristophanes, Xenophon, Platon, Aristoteles), um in einem zweiten Schritt die Lehren von Sokrates zu rekonstruieren. Dieser Teil zeigt ihn als Ethiker. Zuletzt wird erstmalig in der Forschung der Versuch unternommen, Sokrates´ innovative Lehre einer Aretologie als Bindeglied zwischen den Spielarten der vorsokratischen Archetologie, Platons Agatologie und der aristotelischen Metaphysik darzustellen. Dadurch erscheint der berühmte Ausspruch von Cicero, Sokrates habe die Philosophie vom Himmel auf die Erde geholt, in einem völlig neuen Licht.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1.2 Die Vorsokratik
Die Vorsokratiker stellen eine breite intellektuelle Bewegung im Griechenland des 6. Jh. v. Chr. dar. Ihren Ausgangspunkt nahm sie in Milet mit der Denkertriade Thales, Anaximander und Anaximenes, bis sie auch auf andere Polei in ganz Griechenland übergriff. Der gemeinsame Grundgedanke aller Vorsokratiker ist den Aufbau der Welt, des Kosmos bzw. des Seins mittels natürlicher letzter Ursachen zu erklären. Während nämlich Homer (ca. 750 v. Chr.) in seiner Ilias und Odyssee und sein Zeitgenosse Hesiod in seiner Theogonie (ca. 730 v. Chr.) die Entstehung der Welt und die Ordnung in ihr mittels eines mythischen Weltbildes, in dem sich Götter lieben, streiten und aufeinander folgen, zu erklären versuchen, geben die Vorsokratiker natürliche Ursachen an. Dabei lässt sich zunächst das mythische Denken wie folgt charakterisieren:
- Es handelt sich um zusammenhängende Geschichten, in denen kosmische Kräfte personifiziert durch Götter handeln;
- Es beantwortet die Fragen nach Ursprung, Entstehung und Ende sowie dem Sinn und Zweck der Welt;
- Der Mensch fühlt sich also in eine übergreifende, von den Göttern geschaffene Ordnung eingebettet;
- Damit wird Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft sowie Stagnation und Wandel erklärt;
- Der Mythos kann nicht rational, sondern nur intuitiv erfasst werden.
Die Vorsokratiker verzichten nicht völlig auf das Mythische,[1] aber sie suchen nach natürlichen Ursachen, bei ihnen natürlich erscheinenden Erscheinungen, wie z.B. der Nilschwämme, die von Thales mit den Passatwinden erklärt und eben nicht auf Götterwirken zurückgeführt wurde.[2] Deshalb ist in chronologischer Hinsicht diesbezüglich das berühmte Wort „vom Mythos zum Logos“[3] durchaus richtig. Der Logos als Erklärungsmodell löst nicht sofort, aber schrittweise den Mythos ab,[4] wobei sich dieser neu in Kult und Religion etabliert. Dabei zeichnet sich das logos-orientierte Denken durch folgende Merkmale aus:
- Der Mensch kann die ihn umgebende Realität mittels der Vernunft erkennen;
- Der Mensch kann Begriffe bilden und Urteile fällen, Zusammenhänge erforschen und er kann zweifeln, argumentieren und beweisen;
- Damit verlässt der Mensch ein Stück weit die göttliche Geborgenheit und wird zurück auf sich selbst geworfen. Es ist zugleich der erste Schritt auf dem Weg zur Entzauberung der Welt.[5]
Alle Vorsokratiker fragen entweder nach den Grundprinzipien des Seins bzw. nach dem Ursprung oder nach der Erkenntnisfähigkeit des Menschen. Dabei wendet sich die Ontologie nicht nur gegen die mythische Welterklärung, sondern auch gegen die sinnliche Gewissheit.[6] Diese wird vor allem durch die beiden Antipoden Heraklit und Parmenides in Frage gestellt.[7] Ethische Prinzipien sind hingegen nur in wenigen Sentenzen überliefert, d.h. Spruchweisheiten und Handlungsempfehlungen: Halte Maß, sei nicht reich auf schimpfliche Weise etc.[8]
Exemplarisch sei Thales von Milet (ca. 580 v. Chr.) vorgestellt, der gemeinhin als der erste Philosoph überhaupt gilt.[9] Er war der Meinung, dass es für alles Seiende nur eine einzige Ursache gibt. Diese galt ihm als stofflich-materiell. Für ihn bestand alles aus Wasser.[10] Dieser Urstoff sei selbst bewegt und belebt und belebe dadurch dasjenige, was aus ihm hervorgeht. Sein Schüler Anaximander setzt einen anderen Akzent: für ihn ist das Apeiron, das Unbegrenzte, also etwas Nicht-stoffliches, dieser Urstoff. Für Anaximenes, den dritten Philosophen aus Milet, war dann die Luft der Urstoff. Verdichtet sie sich, dann entstünden Dinge wie Wasser, Erde und Steine und verdünne sie sich, dann entstehe das Heiße, z.B. Feuer, dehne sie sich aus, dann entstehe das Kalte. Für die Atomisten Demokrit und Leukipp besteht dann jeder Körper aus unendlich vielen kleinsten Teilchen, den Atomen, die sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Eigenschaften zu verschiedenen Körpern, Dingen etc. zusammensetzen. Für Heraklit ist das Urfeuer diese letzte Arche: aus ihm geht mittels des Logos die von Gegensätzen bestimmte Welt hervor. Der Logos ist verantwortlich für Maß und Zahl und für den Ausgleich zwischen den Gegensätzen wie heiß/kalt, hell/dunkel etc. Interessant ist noch Parmenides, der Werden und Veränderung völlig in Frage stellt und dies auf eine Sinnestäuschung zurückführt. Das Sein selbst sei eine „wohlgerundete Kugel“ und ein Nicht-Sein existiere gar nicht. Dass ihm diesen wirkungsmächtigen Gedanken eine Göttin offenbarte, zeigt, dass sich auch die Vorsokratiker noch nicht ganz vom Mythos losgelöst hatten, sondern der Prozess vom „Mythos zum Logos“ in verschiedenen Rationalisierungsschritten sukzessive vor sich ging.[11]
Entscheidend an den vorsokratischen Theorien ist aber, dass die Stellung des Menschen im Kosmos noch weitgehend unbeachtet bleibt; vielmehr wird insbesondere das erste Prinzip als erste Arche, als Ursprung von allem aus dem alles entstanden ist, gesucht, benannt und auf seine Tragweite hin geprüft. Darauf geben die Vorsokratiker zwar inhaltlich verschiedene Antworten, aber die Methode ist die gleiche. Insofern kann man sagen, die Vorsokratiker leisteten die Vorarbeit für ihn: sie sorgten sich um die Prinzipien der Welt, er um den in diesen sinnstiftenden Kosmos eingebetteten Menschen.
Durch den dreifachen historischen Sieg der Griechen über die Perser in Marathon (490 v. Chr.), bei Plataäe und im Sund von Salamis (480 v. Chr.) gab es in Griechenland eine außergewöhnlich lange Friedenszeit von fast 50 Jahren. Damit war die Rahmenbedingung für eine ungeahnte kulturelle Blüte in allen wichtigen Teilgebieten Griechenlands gegeben. Das Bedürfnis nach Bildung nahm rapide zu. Darüber hinaus entwickelten die Griechen durch eine zweifache Reform des Staatsapparates die Demokratie als Staatsform.[12] Diese verlangt von den Bürgern zunehmend die Fähigkeit, sich elegant ausdrücken zu können und stringent Argumente für oder gegen eine Sache zu finden. Die Griechen entwickelten sich nicht zur agonalen Streitkultur,[13] sondern die Philosophie wanderte in die Städte und wandte sich den Menschen zu. Vor Gericht, bei der jährlichen Strategenwahl und vor allem in den neuen Bildungseinrichtungen wurde lautstark diskutiert. Isokrates gründet ca. 395 v. Chr. seine erste Rhetorenschule, Platon zieht 387 v. Chr. mit seiner Akademie nach. Perikles z. B., der langjährige Stratege und Führer der Demokratie, war für seine rhetorisch hochqualifizierten Brandreden berühmt.[14] Es verwundert daher nicht, dass neue Bildungsbedürfnisse erwachten.
1.3 Die Sophisten
So entstand eine neue Gruppe von Lehrern, die durch Griechenland reisten und gegen ein Entgelt ihre Schüler in Rhetorik und Beredsamkeit schulten.[15] Die Jugend lief den berühmtesten unter ihnen wie Protagoras oder Gorgias regelrecht hinterher.[16] Es liegt nahe, dass Sokrates, der ebenfalls öffentlich auf der Agora lehrte, von vielen Bürgern der Polis ebenfalls unter diese Gruppe der Sophisten gerechnet wurde, was aber nur zum Teil richtig ist.[17] Um einer möglichen Abgrenzung den Boden zu bereiten, sei – bei allen Unterschieden im Detail - auf spezifische Merkmale der Gruppe der Sophisten eingegangen:
Kritik an der Rechtsordnung: Aufgrund ihrer Reisen stellten die Sophisten fest, dass überall andere Gesetze herrschen. Sie schlossen daraus: die Gesetze sind von Menschen und nicht von Göttern gemacht. Sind sie aber vom Menschen gemacht, kann man sie auch in Frage stellen, kritisieren und modifizieren. Die Gesetze dürften den Menschen jedenfalls nicht tyrannisieren.[18]
Kritik an den Moralvorstellungen: Auch die moralischen Werte sind nicht von Natur aus, sondern aufgrund von Übereinkunft bzw. Vereinbarung. Daher sind sie auch an verschiedenen Orten und zu verschiedener Zeit unterschiedlich. Werte sind also wandelbar, d.h. nicht objektiv, sondern vielmehr intersubjektiv festgelegt und sozusagen gesellschaftlich bedingt.
Kritik am Mythos, den Göttern und der Religion : Der Mythos dient nicht mehr allein der Welterklärung. Es herrscht ein Agnostizismus vor, d.h. die übersinnliche Welt gilt als unerkennbar. Protagoras bezweifelt z. B., dass die Menschen etwas über die Götter wissen können. Auch die Religion gilt als eine Erfindung des Menschen, z. B. bei Kritias: „Als die Gesetze verhinderten, dass man offen Gewalttaten verübte, und hier nur insgeheim gefrevelt wurde, da scheint mir ein schlauer Kopf die Furcht vor den Göttern für die Menschen erfunden zu haben, damit die Übeltäter sich fürchteten, auch wenn sie insgeheim etwas Böses täten oder sagten oder dachten.“[19] Außerdem argumentierten sie, dass die angeblich göttliche Gerechtigkeit der Erfahrung der Ungerechtigkeit in der Welt widerspräche. Ihre Konsequenz war: die Götter seien nur Projektion menschlicher Gefühle. Für diese Meinung fand Xenophanes beredte Worte, wenn er meint, hätten die Ochsen oder Pferde Götter, dann wären diese ochsen- oder pferdeartig.[20]
Erkenntnisskeptizismus : Auch bezüglich der Möglichkeit von Erkenntnis zweifeln die Sophisten. Über jede Sache, so sagten sie, gäbe es immer zwei verschiedene Ansichten (dissoi logoi).[21] Es gibt also keine objektive Wahrheit, sondern die Menschen bestimmen, was wahr und falsch ist. Der Sophist Gorgias treibt den erkenntnistheoretischen Zweifel mit seinen drei Thesen auf die Spitze: (1) nichts existiert, (2) selbst, wenn etwas existiert, ist es doch nicht erkennbar; (3) selbst wenn es aber erkennbar sein sollte, so ist es doch nicht mitteilbar.[22]
Abkehr von der Naturphilosophie und Wende zum Menschen : Der Mensch steht nunmehr im Zentrum der Spekulationen und nicht mehr die erste Ursache aller Dinge. Der homo-mensura-Satz zeigt klar den radikalen Perspektivenwechsel: „Aller Dinge Maß ist der Mensch, der seienden, dass sie sind, der nichtseienden, dass sie nicht sind.“[23] Das ist eine Art Slogan der aufklärerischen Sophisten.
Die Macht der Rede : Wenn die traditionellen Werte und Vorstellungen kein Recht mehr besitzen, dann rücken an ihre Stelle Argumentation- und Überzeugungskraft. Deshalb etablierten die Sophisten eine neue Art von Rhetorik. Je überzeugender jemand argumentiert, desto eher wird er auch in der Sache siegen.[24]
Tätigkeit in der Gemeinschaft : Wichtig wurde die Redekunst deshalb, weil sie auch für die Angelegenheiten der Polis und vor Gericht Relevanz besaß. Hier geht es vor allem darum, den schwächeren Logos zum stärkeren zu machen, was ihnen neben Lob und Ehrfurcht auch viel Tadel und Missgunst einbrachte.[25]
Bildung: Die Sophisten bildeten neben der Rhetorik noch in Fächern wie Grammatik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie aus.
Bei allen Unterschieden im Detail stimmen die Sophisten also in folgenden Punkten überein:
- Der Mensch wird bei ihnen zum Mittelpunkt der Philosophie;
- Das Denken selbst wird zum Gegenstand der Philosophie;
- Damit thematisieren die Sophisten erstmals die Sprache, ihre Grenzen, ihre Relevanz für die Menschen und die Gesellschaft;[26]
- Aufgrund ihrer Kritik an den klassischen Wertvorstellungen bereiten sie den Weg für eine autonome, vernunftbegründete Moral, die sich nicht auf Religion gründet.[27]
Lange Zeit hatten die Sophisten in der Forschung einen schlechten Ruf als Relativisten und Zerstörer der alten Werte. Verantwortlich für diese überkritische Einstellung zu ihnen war vor allem Platon, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, seinen Lehrer Sokrates aus dem Bannkreis dieser Bewegung zu ziehen. Dabei griff er zu einer überscharfen Kritik. Unter anderem unterstellte er ihnen, Geld für ihr Bildungsangebot zu nehmen; Sokrates hingegen habe dies niemals getan. Erst die jüngere Forschung (s.u.) konnte sich von diesem einseitigen Urteil emanzipieren und zeigen, welch aufklärerische Durchschlagskraft die Sophisten für ganz Griechenland und damit letztlich für das ganze Abendland hatten. Ohne die neue Methodik und Lehren der Sophisten ist weder Sokrates, noch Platon und Aristoteles verständlich. Wir wollen uns in dieser Arbeit allerdings auf Sokrates konzentrieren.
1.4 Die Person Sokrates
Wie haben wir uns nun Sokrates vorzustellen.[28] Auch hier müssen wir uns bereits auf die Quellen stützen, die glücklicherweise ein ähnliches Bild zeichnen. Sein Leben war gelebte Philosophie, und zwar gelebte Askese, Enthaltsamkeit mit einem hohen Maß an Bedürfnislosigkeit.[29] Er wurde 470 v. Chr. geboren und gilt als der Begründer der klassischen Periode der griechischen Philosophie. Sokrates, Sohn eines Steinmetz und einer Hebamme, war äußerlich von kleiner, untersetzter Gestalt, hatte eine breite Stirn, Glupschaugen, trug stets die gleiche Kleidung und einen langen „Philosophenbart“. Diese äußere Häßlichkeit kontrastiert nun aber mit einer inneren, seelischen Erhabenheit, die von allen, die ihn kannten, gespürt wurde und durch zahlreiche Quellen belegt ist. Er galt als provozierender Querdenker, hielt sich einen Großteil des Tages auf den öffentlichen Plätzen Athens und hier vor allem der Agora auf, wo man ihn dann und wann in ein Gespräch mit zwei maximal drei zumeist jungen Leuten vertieft diskutieren sah.
Andererseits ist Sokrates für seine Tapferkeit im Krieg bekannt. Er nahm erfolgreich an drei Schlachten (Potidaia, Delion, Amphipolis) während des großen 27 Jahre währenden Peloponnesischen Krieges teil, an dessen Ende beide Teilnehmer, Athen und Sparta, am Boden zerstört, sich nie wieder zur alten Größe erheben sollten. Sokrates rettete hier zwei Athenern das Leben und schritt auch dann tapfer voran, als die halbe Mannschaft die Flucht ergriff.[30] Dafür wird er nicht nur von seinen militärischen Vorgesetzten, sondern auch von den Polismitbürgern geschätzt.[31]
Außerdem wird Sokrates nachgesagt, er habe eine Art moralisches Gewissen. Dieses äußere sich in einer göttlichen Stimme, dem berühmten Daimonion. Diese innere, göttliche Stimme spricht immer dann zu Sokrates, wenn er etwas nicht tun soll. Sie ist also rein negativ konnotiert. Als Sokrates beispielsweise verurteilt wird, sagt die Stimme nicht zu ihm, er solle fliehen, obwohl er es leicht gekonnt hätte, denn seine Freunde hatten bereits alles für eine Flucht arrangiert.
Bekannt ist auch Sokrates´ Gedankenversunkenheit. Er konnte mehrere Stunden, ja manchmal die ganze Nacht über – bei Wind und Wetter - an einer Stelle stehen und nichts weiter tun als nachdenken.[32] Aristoteles meinte, Sokrates habe eher destruktiv gewirkt, Xenophon meinte, Sokrates habe die Jugend in vorsichtiger Weise ermahnt und Platon ist der Auffassung, Sokrates habe seine Gesprächspartner existentiell erschüttert und zum Guten „bekehrt“. Platon bringt das Bild vom Zitterrochen (Apol.). Damit kommt Platon der Wahrheit wohl am nächsten, denn ansonsten ist die Wirkungsmächtigkeit Sokrates´ nicht nachvollziehbar. Wenden wir uns aber nun der Quellenlage zu, denn diese gibt noch mehr Aufschluss über den Facettenreichtum von Sokrates. Dass Sokrates kein Phantom war, beweist die Rede des Polykrates, wie wir uns aber Sokrates vorzustellen haben, verraten uns nur die Quellen.
2. Quellenlage
2.1 Die Wolken des Aristophanes
Schon 25 Jahre vor seinem Tod war Sokrates Gegenstand der Komödie: Aristophanes, der bekannte Komödiendichter,[33] brachte ihn in seinem Stück die Wolken als Hauptfigur auf die Bühne. Die Handlung paraphrasierend: der Bauer Strepsiades ist verschuldet und muss vor Gericht. Weil er sich nicht zu helfen weiß, möchte er bei Sokrates lernen, wie man den „schwächeren Logos zum stärkeren macht“.[34] Er zeigt sich aber als sehr ungelehrter Schüler und schickt daher seinen Sohn. Dieser ist von rascher Auffassungsgabe und wendet nun die neue Kunst gleich gegen den eigenen Vater an. Sokrates wohnt im Wolkenguckgucksheim und betet – statt Zeus und die übrigen Olympier – die Wolken als höchste Instanz an. Er ist ihr Priester. Am Ende verbrennt er mitsamt der gesamten Schule.
Aristophanes stellt Sokrates demnach als Obersophisten dar. Für ihn waren die Sophisten mitverantwortlich für den um sich greifenden Werteverlust. Er stellt ihn als bedürfnislosen, ungepflegten Mensch dar, der selbst das Ungeziefer an seinem Körper noch der wissenschaftlichen Untersuchung für wert erachtet. Bei dieser Beschreibung des Habitus dürfte der historische Sokrates ganz real getroffen sein, denn immerhin sollte man annehmen dürfen, dass ein vielköpfiges Publikum das stadtbekannte Original als solches sofort erkannt hat, zumal Sokrates wohl selbst sogar anwesend gewesen sein dürfte.[35] Bemerkenswert an diesem ersten Sokrates ist auch das Ende: denn der aristophanische Bühnen-Sokrates stirbt aus den gleichen Gründen wie Sokrates in der Apologie Platons und den Memorabilien Xenophons: er habe die Götter geleugnet und die Jugend verführt.[36] Historisch daran dürfte auch sein, dass Sokrates eine unbändige Lust am philosophischen Debattieren hatte, wodurch er auf Widerstand bei wichtigen Personen des öffentlichen Lebens stieß.
2.2 Die Memorabilien des Xenophon
Daneben haben wir die Zeugnisse von Xenophon. Dieser kannte Sokrates bereits in jungen Jahren sehr gut, hörte seine Gespräche mit vorwiegend aristokratischen Jugendlichen und muss von Sokrates sehr angetan gewesen sein. Nachdem er seine Jugend- und Mannesjahre beim Militär verbracht und seinen Abschied genommen hatte,[37] zog er sich auf sein Landgut zurück und begann sich schriftstellerisch zu betätigen. Dabei entstanden seine Memorabilien, in denen der Hauptgesprächspartner stets Sokrates ist.[38] Er beansprucht in diesem Werk also, wie der Name schon sagt authentische Erinnerungen an Sokrates aufzuzeichnen. Dies ist aber – dies konnte die jüngere Forschung belegen - nach 30 Jahren sehr schlecht möglich. Wer könnte sich schon an Straßengespräche von vor 30 Jahren bis ins Detail erinnern, so dass man sogar sehr komplexe Argumentationsketten wiedergeben könnte?! Richtig dürfte vielmehr sein, das Xenophon in seinem Refugium eine bescheidene, aber gut aufgestellte Privatbibliothek hatte, in der er die wichtigsten Werke der bereits weitläufigen Literatur über Sokrates gesammelt, gesichtet und ausführlich benutzt hatte. Dabei schrieb er zum Großteil von besseren Autoren als er es selbst war ab, vermischte dies mit den noch recht vagen Erinnerungen aus seiner Jugendzeit und dichtete einiges in freier Form um. Auf dieser Folie versteht man auch die hagiographische Grundtendenz der Schrift: Sokrates wird in jeder Hinsicht verklärt dargestellt. Entscheidend ist aber an seinen Werken: sein Sokrates ist so harmlos, bieder moralisierend und durchschnittlich, dass man sich nur sehr schwer die welthistorische Bedeutsamkeit von Sokrates erklären kann. Der Quellenwert von Xenophon darf also nicht überschätzt werden, aber er darf auch nicht gänzlich verneint werden. Xenophon begriff und verstand Sokrates eben so, wie es sein eigener, aufs Militärische ausgerichtete Verstand es ihm erlaubte. Deshalb sah ihn bereits A. Döring als Spediteur der sokratischen Lehre, der um seine Ladung nichts weiß.[39]
Von wem könnte Xenophon aber kopiert haben? An dieser Frage haben sich die Forscher lange Zeit die Zähne ausgebissen. Dies hatte aber seinen Erfolg, denn man eruierte, dass Xenophon vor allem Platons Dialoge - und hier vor allem seine Frühdialoge - benutzt haben muss. Damit rückte also Platon noch mehr ins Zentrum der Forschung, nicht nur bezüglich seiner eigenen Lehre(n), sondern eben als Quelle für den historischen Sokrates.
2.3 Platon über Sokrates in den Frühdialogen
Platon ist der Begründer der Metaphysik und zugleich der institutionellen Weitergabe philosophischer Bildung. Bezüglich des Problems des historischen Sokrates stellte sich die Forschung zunehmend die Frage, was eigentlich von Platon und was von Sokrates stamme, ab wann der Sokrates in Platons Dialogen platonisch wird, an welcher Stelle also Sokrates endet und an welcher Platon beginnt. Um diese Frage überhaupt beantworten zu können, muss man kurz auf die Chronologie und einige Eigenarten der platonischen Werke eingehen.
Wir haben von Platon ausnahmslos alle Werke. Dies ist eine einmalige Ausnahme, die unter den antiken Autoren nur noch auf Plotin zutrifft.[40] Ja, wir haben sogar mehr Werke unter dem Namen Platon, weil viele Autoren in seinem Namen fälschten.[41] Bei den unzweifelhaft echten Werken handelt es sich einmal um Briefe und das andere Mal um 27 Dialoge. Diese teilte man bereits in der Antike in drei (oder vier) Gruppen ein:[42] die Frühdialoge, die mittleren und die Spätdialoge. Diese Gruppeneinteilung ist klar, nur die Reihenfolge innerhalb der Gruppen ist noch strittig[43] und konnte auch von den sprachstatistischen Untersuchungen nicht restlos geklärt werden.
In nahezu allen Dialogen tritt Sokrates als Hauptgesprächspartner auf, wobei die späten Dialoge auch immer längere lehrhafte, monologische Elemente haben und überhaupt die Lebendigkeit dort stark abnimmt. Die mittleren Dialoge hingegen beinhalten bereits ganz typische platonische Lehren, so dass, wenn es um Sokrates geht, diese wohl nicht dienlich sind. Da bereits die mittleren Dialoge typisch platonische Lehren beinhalten, sind bezüglich des historischen Sokrates vor allem die frühen Dialoge interessant. Zu dieser frühen Phase Platons gehören neben der Apologie (s.u.) die Dialoge Protagoras, Euthyphron, Laches usw.[44]
Diese frühen Dialoge sind noch lebendig, interaktiv – kurzum: noch echte Gespräche. In der Regel ist es Sokrates, der einen Gesprächspartner mit seinen Fragen traktiert. Am Anfang schlägt sich der Gesprächspartner in der Regel noch recht gut, wenn es aber dann Sokrates ganz genau wissen will, dann werden die Partner nervös, andere springen für sie ein, aber auch diese werden oftmals widerlegt.[45] Oft verfolgt Sokrates sein Anliegen anhand einer Leitfrage, z.B. fragt er den Soldaten im Laches, was (eigentlich) die Tapferkeit sei? Wenn der Soldat dann Beispiele vorbringt, wird er von Sokrates darüber belehrt, dass dies noch nicht das Wesen der Tapferkeit sei. Dabei kommt es oft dazu, dass Sokrates die vorgebrachten Beispiele entkräftet oder ihre Haltlosigkeit aufzeigt, z.B. ist es gerade nicht tapfer, in jeder denkbaren Situation gegen den Feind anzustürmen.[46] In bestimmten Fällen sei dies nämlich Übermut. Die Gesprächspartner gelangen unweigerlich in die Aporie. Aber: Sokrates macht selber keinen positiven Vorschlag, sondern die Dialoge enden in der Regel aporetisch, d.h. Sokrates definiert nicht das Wesen der entsprechenden Tugend, sondern lässt die Gesprächspartner und damit den Leser in der Ratlosigkeit zurück.
Die platonischen Frühdialoge enden also in der Sackgasse einer logischen Verstrickung. Erst die mittleren Dialoge geben positive, aber eben von Platon kreierte Antworten, so dass sich der Eindruck aufdrängt, hier spreche nicht mehr Sokrates, sondern vielmehr bereits Platon. In der Forschung herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass dem so ist, nur die Demarkationslinie ist noch strittig. In den mittleren Dialoge, spätestens aber ab der Politeia dürfte Platon deutlich über Sokrates hinausgehen und seine eigenen Lehren in den Mund des Sokrates legen. Damit bekommt der Sokrates tatsächlich Fiktionalität, was die Suche nach dem historischen Sokrates nicht gerade erleichtert. Sokrates´ Themenspektrum und seine Diskussionstechnik schimmern also am besten in den aporetisch endenden Frühdialogen durch. Diese waren wohl auch die Dialoge, die Xenophon sich zu Nutze gemacht hat, stammen sie doch auch ungefähr aus dieser Zeit.[47] Hier in den Frühdialogen ist also der historische, genuine Sokrates wohl noch am authentischsten greifbar.
Freilich muss man bezüglich der Aporien hinzufügen, dass es sich hierbei um ein von Platon verwendetes Stilmittel handelt. Dies heißt nichts anderes, als dass beim Schreiben dieser Dialoge die Ideenlehre von Platon bereits konzipiert war und diese hinter diesen Frühdialogen stand.[48] Dies wirft die Frage nach den „Sinn der Aporien“[49] auf. Es lässt sich behaupten, „daß es den reinen Aporetiker Platon ... niemals gegeben hat.“[50] Die Aporien haben den Status eines vom Schriftsteller Platon in Perfektion verwendeten stilistischen Mittels. Er stand folglich beim Schreiben der Dialoge selbst nicht in der Aporie.[51] Bereits Schleiermacher ging in der Einleitung zu seiner Platonübersetzung (1804 – 1828) davon aus, dass die Aporien vom Leser der Dialoge gelöst werden könnten.[52] Bei Beachtung aller von Platon verwendeten Kunstmittel[53] könne der aufmerksame Leser „sich zu einem wahren Hörer des Inneren“ erheben.[54] Insofern die Dialoge zum philosophischen Leben hinführen sollten, was bei Platon immer auf eine „Umwendung der Seele“ (ψυχῆς περιαγωγή, Rep. 521 C 6, 518 C 8 – D 4) abzielt, haben sie aus pädagogischer Sicht einen eher propädeutischen Charakter.[55]
Ein weiterer historischer Beleg: Mit dem Wissen um die Ideen- oder Prinzipienlehre[56] konnten die Schüler jede Aporie auflösen, aus jeder gedanklichen Sackgasse herausfinden, jedes von Platon verwendete literarische Kunstmittel benennen und seine entsprechende Funktion erklären.[57] Hierin liegt die eigentliche Stärke und Funktion gerade der Frühdialoge: Es waren Übungsstücke im philosophischen Denken, die trotz der Möglichkeit des wiederholten Lesens das mündliche Gespräch und die philosophische Dialektik nicht ersetzen konnten. Schon M. Erler erkannte den aporetischen Frühdialogen diese hypomnematische Funktion zu.[58] Vor diesem Hintergrund bleibt die Frage offen, welche Rolle die Apologie als einziges nicht-dialogisches Werk Platons spielt?
2.4 Aristoteles über Sokrates
Des Weiteren haben wir die wichtigen Aussagen vom Platonschüler Aristoteles. Er kannte Sokrates nicht mehr persönlich, sondern nur noch aus dem Munde älterer Philosophen innerhalb und außerhalb von Platons Akademie und durch schriftliche Zeugnisse. Aristoteles sieht bekanntlich alle Philosophie, die seiner voraus geht, als Vorstufen seiner eigenen Philosophie.[59] Dies schließt nicht nur alle Vorsokratiker, Pythagoreer und Sophisten sowie Platon und dessen Akademie ein, sondern eben auch den Lehrer Platons, Sokrates. Laut Aristoteles ist seine Philosophie der (einmalige) Höhepunkt der Philosophie überhaupt. Bei dieser Einstufung seiner ̒Vorgänger̕ benutzt Aristoteles vorzugsweise sein eigenes, von ihm kreiertes Vokabular. Dabei ̒entdeckt̕ er oft, dass seine Vorläufer dies noch nicht kannten und folglich das dahinterstehende Problem noch nicht erfasst hatten. Über Sokrates spricht Aristoteles in drei Zusammenhängen, die jede für sich einen großen Aussagewert haben:
(A) Einmal spricht er davon, dass Sokrates das Allgemeine gesucht habe. Dieses Allgemeine unterscheidet er dezidiert von dem Allgemeinen, das Platon mittels seiner Ideenlehre Platons postuliert habe. Wenn also Sokrates z.B. im Laches das Wesen der Tapferkeit gemeinsam mit seinen Gesprächspartnern sucht, dann muss diese Tapferkeit von der platonischen Idee der Tapferkeit, die sich jenseits der sinnenfälligen Welt, im Reich der Ideen befindet, klar unterschieden werden.
(B) Zum anderen sagt Aristoteles, Sokrates habe sich ausschließlich ums Ethische bemüht. Hier stehen zwei typisch sokratische Thesen im Mittelpunkt: Tugend ist Wissen und die Frage, ob in jedem Fall das richtige Wissen zum richtigen Handeln führt. Interessant ist, dass Aristoteles seinen Lehrer Platon kritisiert, und sich selbst auf die Seite des Sokrates stellt. Nicht umsonst sagt Aristoteles an anderer Stelle: „amicus Plato, sed magis amica veritas“ (EN 1096a15). Hieraus kann man ablesen, dass die Wahrheit und Platons Lehren aus Sicht des Aristoteles nicht in jedem Fall miteinander koinzidieren.
(C) Wichtig ist darüber hinaus die Information, dass es bereits vor und zu Zeiten des Aristoteles so genannte „ sokratikoi logoi “ gab. Damit sind insbesondere die poetischen Dialoge gemeint, die in Nachahmung der von Sokrates real geführten Gespräche von dessen Schülern verfasst worden sind. Darunter sind Platon und Xenophon zu nennen, deren Schriften wir noch einsehen können, aber eben auch die „kleinen“ Sokratiker Phaidon von Elis, Aristippos, Antisthenes u.a. Diese sind deshalb „klein“, weil wir nur wenige Fragmente von ihnen besitzen. Sie zeigen, dass die Wirkungsmächtigkeit des Sokrates bereits kurz nach seinem Ableben soweit ging, dass sich ein ganz neues literarisches Genre gebildet hatte: der sokratische Dialog.[60] Diese Dialoge zeigen einen jeweils ganz anderen, facettenreichen Sokrates, der aber doch Gemeinsamkeiten aufweist. Wichtig ist jedenfalls, dass die „sokratischen Dialoge“ keine reinen Fiktionen sind, sondern auf die Gestalt des Sokrates und dessen Lehren zurückverweisen. Aber eingestanden werden muss auch, dass der jeweilige Sokrates durch die dichterische Freiheit des Autors und dessen subjektive Schwerpunktsetzung mitbestimmt ist.[61]
Festgehalten werden muss also: Für Aristoteles ist nicht Sokrates, sondern allein Platon der Urheber der Ideenlehre, was philosophiehistorisch seine Richtigkeit haben dürfte. Dabei kannte laut Aristoteles Platon die „Teilhabe“ (Methexis), d.h. die Dinge dieser Welt (das Bett) haben teil an der Idee des Bettes bzw. die Mimesis, d.h. die Dinge dieser Welt ahmen die Ideen als deren Urbilder nur nach. Sokrates hat sich aber nicht mit solchen Fragen beschäftigt, sondern sein Fokus lag vielmehr ausschließlich auf den ethischen Grundbegriffen wie der Tapferkeit, der Besonnenheit, der Frömmigkeit etc. Genau dieses Bild bestätigen die Frühdialoge Platon, die jeweils eine Tugend in den Mittelpunkt stellen und diese mit allen Mitteln der Argumentationskunst untersuchen. Dabei ist Sokrates laut Aristoteles induktiv vorgegangen: er suchte nach allgemeinen Definitionen für ethische Begriffe, die in der Alltagswelt eine Rolle spielen. Er fragt also nicht, was ist die Idee der Besonnenheit ist, sondern, was ist das gemeinsame zwischen allen frommen Handlungen, dass man sie fromm nennt, oder kurz: was ist die Frömmigkeit als solche? Diese Substantivierung ist aber noch keine Transzendierung der Ideen aus dem Bereich des Sinnenfälligen. Erst Platon ging mittels der „zweiten Seefahrt“ (Phd. 99 D) den Transzendenzschritt ins Intelligible.[62]
Deshalb können wir an dieser Stelle ein wichtiges Zwischenergebnis festhalten: Die Unterscheidung zwischen dem „Begriff“ der Frömmigkeit (Sokrates) und der welttranszendenten „Idee“ der Frömmigkeit (Platon) ist demnach die Demarkationslinie zwischen beiden. Diese klare Aussage kommt bei Platon nirgends vor; sie muss also im Rahmen der innerakademischen Auseinandersetzung entstanden sein, als Aristoteles gedanklich Platon mit Sokrates verglich. Indem Aristoteles beide miteinander verglich, fielen ihm besonders die Unterschiede auf und er hob sie hervor,[63] zumal diese bei Platon zu verwischen drohten.
Und weiter: Sokrates hat sich darüber hinaus von der Naturphilosophie der Vorsokratiker ab- und der von den Sophisten angestoßenen ethisch-menschlichen Problematik zugewandt. Darin besteht die anthropologische Wende[64] der antiken Philosophie. Cicero fasste das späterhin mit den Worten zusammen: Sokrates habe die Philosophie vom Himmel auf die Erde geholt (s.o.). Wenn diese Leistung ihm auch nicht allein zugestanden werden kann, so hat diese Hinwendung zum Menschen durch Sokrates eine besondere Bewandtnis, die im zweiten Teil näher beleuchtet werden soll. Zunächst sei der Vollständigkeit halber auch noch auf die „kleinen“ Sokratiker eingegangen.
2.5 Die „kleinen“ Sokratiker und andere Komödiendichter
Sokrates hatte neben Platon und Xenophon eine Reihe von Schülern, die ihm zum Teil persönlich sehr nahe standen und die sich gegen die einseitige Vereinnahmung ihres Lehrers durch Platon wehrten.[65] Einige von ihnen folgten ihrem Lehrer nicht nur in dessen asketischer Lebensweise (Antithenes), sondern schrieben ebenfalls Dialoge, welche Sokrates als Hauptgesprächspartner darstellten. Die Unterschiedlichkeit der Darstellungen untermauert nur, wie komplex und facettenreich Sokrates gewesen sein muss. Neben Aristophanes´ Wolken hat auch Ameipsias Sokrates auf die Bühne gebracht, und zwar in seinem Stück Κόννος. Er ist hier ein törichter, ausdauernder Hungerleider, der jede Art von Schmeichelei ablehnt. Ähnlich auch Eupolis, bei dem Sokrates (wohl in Anlehnung an Phd. 70 B, Tht. 195 B) als bettelhafter Schwätzer auftritt.[66]
Wichtig sind auch die Dialoge von Aischines.[67] In seinem Alkibiades wird gesagt, dass man durch „göttliche Schickung“ besser gemacht werden könne, wozu aber die „Liebe des Sokrates“ hinzukommen müsse. Sokrates ist es letztlich, der den Trieb, besser werden zu wollen und nach Tugend zu streben, im Menschen auslöse. Hier deutet sich also die menschliche Größe des Sokrates an. Auch in seinem Dialog Aspasia spielt die Liebe als Helfer zum Besser-werden eine große Rolle. Aspasia, die hier als „weiblicher Sokrates“ fungiert, habe Perikles zu dem großen Staatsmann gemacht. Nach Aischines braucht es zum Besser-werden dreier Dinge: (a) eine vortreffliche Gesinnung, (b) die Fähigkeit, sich von seinen Fehlern zu befreien und (c) vortrefflich sein. Auslöser aber des Besser-Werdens sei Sokrates. Bemerkenswert ist auch, dass bei Aischines keine Rede von einer Wesensschau ist. Damit stehen die Dialoge des Aischines der platonischen Apologie sehr nahe, was im nächsten Kapitel bewiesen werden soll. Allen Sokratikern gemein ist, dass sie sokratikoi logoi verfassten, d. h. Schriften, die Sokrates in Dialogform ins rechte Licht rücken wollten.
Erwähnenswert ist noch der Aristoteles-Schüler Aristoxenos,[68] bei dem wohl neben Polykrates der Ursprung der antisokratischen Tendenzen zu suchen ist. Aristoxenos sagt über Sokrates, dieser sei gehässig, dumm, zügellos und ungebildet gewesen und habe darüber hinaus ein Liebesverhältnis mit Archelaos gehabt. Daneben wirft er ihm noch Zinswucherei vor, was wohl als Antwort auf Platons Spott gegen die Sophisten gelesen werden darf. Dieser Kritik geht aber noch die des Polykrates voran, der in einer öffentlichen Rede Sokrates nach dessen Tod vehement angreift. Die zahlreichen Schriften der Sokrates-Schüler wollten diese Vorwürfe wohl entkräften, wenn nicht ganz aus der Welt schaffen.
2.6 Die Apologie Platons und der Prozess des Sokrates
Innerhalb der Frühdialoge kommt der Apologie des Sokrates eine besondere Bedeutung zu.[69] Zunächst handelt es sich hierbei nicht um einen Dialog, sondern, wie der Titel schon sagt, um eine phasenweise sehr monologische Verteidigungsrede. Jedenfalls ist Sokrates nicht im Gespräch vertieft, sondern er muss sich vor Gericht verantworten. Es ist ein einmaliges literarisches Zeugnis der Grundhaltung des Sokrates und wohl das Fundament für die über 2000-jährige Wirkungsmächtigkeit des Sokrates schlechthin. Ihm wird vorgeworfen, nicht an die Götter (Griechenlands) zu glauben und die Jugend verführt zu haben. Es geht hier nicht darum, die detaillierte Verteidigungsstrategie des Sokrates nachzuzeichnen, sondern nur so viel sei gesagt, dass es Sokrates eindrucksvoll gelingt, beide Punkte zu entkräften. Dass er dennoch zum Tode verurteilt wird, ist den besonderen historischen Umständen zu schulden.[70]
Der Grund, warum man die Apologie als Ausgangspunkt bzw. als Folie benutzen kann, um sich dem historischen Sokrates zu nähern, ist, dass hier eine Debatte um die menschliche Erkenntnisfähigkeit durchschimmert, die uns von anderen Sokratikern aus dieser Zeit aus einzelnen Fragmenten bekannt ist. Die Frage lautete: Kann es gesichertes Wissen geben? Hierbei standen sich – verkürzt gesagt - zwei Grundpositionen gegenüber:[71]
1.) Sokratiker wie Antithenes, Aristipp und Euklid plädierten für die Unerreichbarkeit von sicherem Wissen. Der Mensch könne niemals göttliches Wissen erreichen, schon weil sein Wahrnehmungsapparat dafür nicht geeignet sei. Dem Göttlichen gegenüber ist das menschliche Wissen äußerst defizitär und ephemer.
2.) Platon hingegen vertritt vor allem in den mittleren und späten Dialogen die Auffassung, dass der Mensch durchaus in der Lage ist, göttliches Wissen zu erlangen. Allerdings macht auch Platon diesbezüglich zwei Einschränkungen: nur die wahren Philosophen sind dazu in der Lage und dies auch nur vorübergehend bzw. postmortal.[72] Alle anderen Menschen müssten nach der postmortalen Ideenschau wiedergeboren werden (vgl. Rep. X. Buch).
Entscheidend ist nun, dass der Schriftsteller Platon in der Apologie noch der ersten Auffassung anhängt. Dies revidiert er aber späterhin im Rahmen seiner berühmten Ideenlehre, für die das Höhlengleichnis Symbol geworden ist (Rep. 514 A – 517 A).[73] Das Höhlengleichnis ist eine Metapher dafür, dass die den Sinnen verhaftete Welt nicht die eigentliche Wirklichkeit ist, denn Platon vergleicht unser Leben mit den in der Höhle Angeketteten, die es nicht vermögen, ihre Blickrichtung zu ändern. Nur einer vermochte dies – und dies war Sokrates.[74] Wenn also Platon in der Politeia der Auffassung ist, bestimmte Ausnahmemenschen könnten sich von den Fesseln der Sinnenwelt befreien, dann widerspricht das den Aussagen in der Apologie.
Dies sei noch etwas näher ausgeführt. Die Apologie spiegelt den historischen Sokrates am besten wider. Einschneidende Wende in seinem Leben war der Orakelspruch von Delphi, der ebenfalls nach neueren Forschungen zu urteilen, historischen Tatsachen entspricht. Chairophon, ein Freund des Sokrates, fragte ein wenig vorschnell das Orakel, wer der weiseste Mann Griechenlands sei. Sokrates sei es, so das Urteil der Pythia zu Delphi.[75] Mit diesem Urteilsspruch gab sich Sokrates natürlich nicht zufrieden. Er wollte ihn interpretieren, ja eigentlich sogar entkräften. Deshalb ging er zu denen, die vorgaben, weise und klug zu sein, um so den Orakelspruch zu widerlegen. Zunächst versuchte er es bei den Handwerkern, dann bei den Politikern und schließlich ging er zu den Dichtern. Doch bei allen musste er feststellen, dass sie nur vorgaben etwas zu wissen, in Wirklichkeit aber nicht wirklich etwas wussten. Sie hatten zwar Kenntnisse und Fähigkeiten, aber sie konnten ihr Wissen nicht wirklich reflektieren oder gar begründen. Die Dichter, z. B. schrieben zwar einfühlsame Werke, aber den tieferen Sinn konnten sie nicht erklären. Sokrates, der nicht vorgab, etwas zu wissen, stellte also fest, dass er um diese eine Weisheit weiser sei als diese, nämlich, dass er wisse, dass er nichts wisse. Menschliche Weisheit ist also nicht viel wert – so schon einige der Sieben Weisen und Literaten. Aufgrund dieses reflektierten Nichtwissens kann Sokrates durchaus als der weiseste Mann ganz Griechenlands bezeichnet werden[76] – und er galt es auch lange nach seinem Tod.
Man kann sich gut vorstellen, dass die Dichter, Handwerker und Politiker nicht gut auf Sokrates zu sprechen waren. Und so verwundert es nicht, dass in der Reihe der Hauptankläger jeweils ein Protagonist aus der jeweiligen Gruppe stammt: Meletos vertrat die Dichter, Anytos die Handwerker und Lykon die Politiker. Sokrates wurde dann in zwei Wahlgängen verurteilt. Über diesen Prozess haben wir übereinstimmende Kunde in allen relevanten Quellen, z. T. bis in den Wortlaut hinein.[77] Die Anklagepunkte stimmen genau mit denen von Aristophanes überein. Sokrates vertritt die „undemokratische“ Ansicht, Politik sollte als „Beruf“ und nicht von Laien ausgeführt werden. Damit trifft er einen neuralgischen Punkt der sich bildenden Demokratie, da er damit die pädagogisch-politische Ausbildung der Jugend kritisiert.
Sokrates zeigt sich während des Prozesses sehr geschickt in der Argumentation. Meletos zwingt er z. B. zu der Aussage, wenn er einerseits Atheist sei, könne er andererseits keine neuen Götter eingeführt haben. Sokrates fragt auch, wer die Jugend denn besser mache, worauf Meletos antwortet, alle Athener würden die Jugend besser machen. Meletos kann allerdings keinen nennen, der von Sokrates tatsächlich geschädigt wurde. Dies sind Beispiele dafür, wie Sokrates sich gegen einen schwächeren Logos zur Wehr zu setzen vermochte.
Dass Sokrates ein Gegner der Demokratie sei, kam dagegen erst nach seinem Tod auf. Sein Gegner Polykrates ist hier wohl der Ausgangspunkt. Deshalb hat der Spruch aus der Apologie seine Berechtigung, wenn es hier heißt: „Anytos, Meletos können mich zwar töten, aber schaden können sie mir nicht“ (Ap. 30 C 6 – D 1). Dass dem so ist, zeigt die Wirkungsgeschichte des Sokrates. Nach dieser detaillierten Analyse der Quellenlage können wir uns dem Kerngehalt sokratischer Lehre zuwenden. Es handelt sich hierbei um die Frage nach der Tugend als einem Wissen.
[...]
[1] Dazu F. Ricken, Philosophie der Antike, S. 13 – 47. W. Nestle sprach in dem gleichnamigem Buch vom „Mythos zum Logos“, Stuttgart 1982 und erkannte darin einen Prozess, der mehrere Jahrhunderte dauerte.
[2] G. S. Kirk u.a., Die vorsokratischen Philosophen, S. 89 ff.
[3] „Logos“ meint Wort, Satz, vernünftiger Grund, Vernunft, Denkvermögen und auch Weltgesetz. Siehe dazu W. D. Rehfus, (Hrsg.), Handwörterbuch Philosophie, S. 452 ff.
[4] Vgl. F. Ricken, Philosophie der Antike, S. 14 ff. Ricken zeigt, dass bereits bei Hesiod diese Ablösung zu erkennen ist.
[5] Vgl. M. Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, München 2004.
[6] Parmenides stellte die sinnliche Gewissheit radikal in Frage: Es gibt nur ein Sein (fr. 3), das zugleich Denken und Sein ist, das einer wohlgerundeten Kugel gleicht (fr. 8). Es ist allein mit dem Denken zugänglich. Die sinnliche Wahrnehmung dient hingegen nicht der Wahrheitsfindung. Vgl. G. S. Kirk u.a., Die vorsokratischen Philosophen, S. 269 ff.
[7] Vgl. dazu G. S. Kirk u.a., Die vorsokratischen Philosophen, S. 198 ff. (Heraklit) und S. 263 ff. (Parmenides).
[8] Vgl. dazu D. Gebauer, Philosophische Ethik, S. 13. Die „Sieben Weisen“ gelten als Vorläufer von Sokrates.
[9] G. S. Kirk, Die vorsokratischen Philosophen, S. 109 ff. und R. Ludwig, Vorsokratiker für Anfänger, S. 43 ff.
[10] G. S. Kirk, Die vorsokratischen Philosophen, S. 97: „Die Erde schwimmt auf Wasser, welches auf gewisse Weise die Quelle aller Dinge ist.“ Vgl. dazu Aristoteles, De caelo, 983 b 6.
[11] M. Weber spricht dann in seiner Protestantischen Ethik von der Entzauberung der Welt durch die protestantische Ethik und den Calvinismus mit dessen Prädestinationslehre, die eine methodisch-strenge Lebensführung der Gläubigen zur Folge hatte. Vgl. M. Weber, Die Protestantische Ethik, München 2004.
[12] Diese Demokratie hat zeichnet sich durch folgende Merkmale aus:
(1) Sie wird von der Mehrheit der Vollbürger getragen.
(2) Alle genießen vor den Gesetzen das gleiche Recht.
(3) Allein die persönliche Tüchtigkeit (Arete) zählt.
(4) Ein „freier Geist“ fördert eine freie Entfaltung auf allen Gebieten.
(5) Freiheit entbindet allerdings nicht vor diversen Pflichten.
(6) In allen Fragen der Gesetzgebung sind die Bürger beratend oder handelnd beteiligt.
Vgl. J. Bleicken, Die athenische Demokratie, Paderborn, 1985.
[13] Vgl. Ch. Kniest, Sokrates, S. 19 ff.
[14] Diese Epoche endet mit einem Bruderkrieg zwischen den einstigen beiden Perserbesiegern: in den ca. 50 Jahren hatten sich die Spannungen zwischen Sparta und Athen so vertieft, dass es zu einem 27-jährigen Krieg kam, in dem ganz Griechenland einbezogen war, da jede Insel entweder auf Seiten der Spartaner oder der Athener war. Der Krieg zog sich über 3 mal 9 Jahre und verlief immer Jahr für Jahr nach einem ähnlichen Muster. Am Ende gewann Sparta mit Hilfe der Perser und Athen verlor, aber die Niederlage der Athener war zugleich eine Niederlage ganz Griechenlands, das sich nie wieder von diesem Kräfteverschleiß zu einstiger Größe erhob. In Athen kamen die Dreißig Tyrannen an die Macht, die ca. 402 v. Chr. von den Demokraten abgelöst worden. Eine der ersten Amtshandlungen der neuen Demokratie war die öffentliche Hinrichtung von Sokrates. P. Scholz, Der Prozeß gegen Sokrates. Ein ‹Sündenfall› der athenischen Demokratie? S. 157-173.
Der Keim des Niedergangs begann damit zu fruchten. Vgl. Thukydides, Der Peleponnesische Krieg, Stuttgart 2000, das erste Geschichtswerk der Antike. Vgl. auch R. Zoepffel, Sokrates und Athen, S. 11 – 45.
[15] Zur Sophistik siehe K. Döring, Der Sokrates des Aischines von Sphettos und die Frage nach dem historischen Sokrates, 3 – 27, B. H. F. Taureck, Die Sophisten, Hamburg 1995 und W. Pleger, Sokrates, S. 29 – 46.
[16] Vgl. B. H. F. Taureck, Die Sophisten, S. 98 ff.
[17] Man hat also Sokrates in zwar neue, aber nunmehr durch die Sophisten bekannte Kategorien gepresst, dabei aber die Neuheit seiner Lehre nicht immer verstanden.
[18] Vgl. F. Heinemann, Nomos und Physis. Herkunft und Bedeutung einer Antithese im griechischen Denken des 5. Jahrhunderts, Basel 1945.
[19] W. Oelmüller und R. Dölle-Oelmüller, Grundkurs Religionsphilosophie, S. 21 f. Vgl. auch 134 f., 140 f.
[20] Im Grunde wird damit die berühmte Projektionstheorie von L. Feuerbach vorweggenommen, denn bereits bei Xenophanes heißt es, nachdem der Anthropozentrismus der Homerischen Götterwelt kritisiert wurde: „Doch wenn die Ochsen und Rosse und Löwen Hände hätten oder malen könnten mit ihren Händen und Werke bilden wie die Menschen, so würden die Rosse roßähnliche, die Ochsen ochsenähnliche Göttergestalten malen und solche Körper bilden, wie jede Art gerade selbst ihre Form hätte.“ Anders als Feuerbach, der damit das Wesen der Theologie auf Anthropologie reduziert wissen wollte und Gott als Ausdruck menschlicher Bedürfnisse und folglich als Erfindung ansah, postulierte Xenophanes hinter der Vielheit der Götter den einen Gott. Vgl. W. Oelmüller und R. Dölle-Oelmüller, Grundkurs Religionsphilosophie, S. 21 ff., 134 ff.
[21] Vgl. Dissoi Logoi. Zweierlei Ansichten, Berlin 2004.
[22] Zu Gorgias siehe R. Ludwig, Die Vorsokratiker für Anfänger, S. 44 ff.
[23] R. Ludwig, Die Vorsokratiker für Anfänger, S. 185 f.
[24] Baumhauer, O. A., Sophistische Rhetorik, Stuttgart 1986.
[25] Vgl. dazu B. H. F. Taureck, Die Sophisten, S. 56 ff.
[26] Berühmt war dafür Prodikos von Keos. Vgl. B. H. F. Taureck, Die Sophisten, S. 17.
[27] Insofern nehmen sie das Problem der Moralbegründung im modernen säkularisierten Zeitalter vorweg.
[28] Vgl. dazu D. Gebauer, Philosophische Ethik, S. 17 f.
[29] Bekannt ist folgende Anekdote: Als er einst auf dem Marktplatz die zahlreichen Waren ausliegen sah, sagt er unvermittelt: „Ach, wie zahlreich sind doch die Dinge, deren ich nicht bedarf.“ Vgl. M. Onfray, Der Philosoph als Hund, Frankfurt 1991.
[30] An diese Überlieferung knüpft B. Brecht in seiner Sokrates-Darstellung an. Vgl. B. Brecht, Der verwundete Sokrates, München 1959.
[31] Vgl. W. Pleger, Sokrates, S. 52 ff. Dort auch Folgendes.
[32] Xenophon, Memorablien, II. Bekannt ist dies auch aus dem Beginn des Phaidros.
[33] Vgl. Th. Gelzer, Aristophanes und sein Sokrates, S. 65 – 93 und P. von Möllendorff, Aristophanes und der komische Chor auf der Bühne des 5. Jahrhunderts, S. 143 - 154.
[34] R. Ludwig, Die Vorsokratiker für Anfänger, S. 199 ff.
[35] Man kann davon ausgehen, dass Sokrates selbst anwesend war und sich ebenfalls amüsierte.
[36] Die Vorwürfe gegen den Bühnen-Sokrates in den Wolken sind also dieselben wie die im Prozess gegen Sokrates in der Apologie und bei Diogenes Laertius. Vgl. H. Erbse, Sokrates im Schatten der aristophanischen Wolken, S. 385 – 420 und W. Schmid, Das Sokratesbild der Wolken, S. 209-228 und Th. G. West, Plato´s Apology of Socrates. An Interpretation with a New Translation, London 1979.
[37] Man denke an seinen Zug der 10000 in der Anabasis.
[38] Vgl. A. Döring, Die Memorabilien als Quelle für die Lehre des Sokrates, S. 91 – 108.
[39] Vgl. A. Döring, (Hrsg.), Sokrates, die Sokratiker und die von ihnen begründeten Traditionen, S. 139 – 364; ders., Die Philosophie des Sokrates, S. 1 – 16; ders., Exemplum Socrates, S. 143 – 161 und ders., Die sog. kleinen Sokratiker und ihre Schulen nach Sextus Empiricus, S. 84 – 118.
[40] Von Aristoteles haben wir, obwohl auch er Schulgründer ist, nur die „esoterischen“ Schriften. Siehe dazu O. Höffe, Aristoteles, S. 22 ff.
[41] Vgl. dazu C. W. Müller, Die Kurzdialoge der Appendix Platonica, München 1975.
[42] Vgl. dazu M. Erler, Platon, S. 36 ff.
[43] Zum Ganzen siehe Görgemanns, Platon, S. 44 ff. Görgemanns nimmt eine 7-Teilung vor: Apologie, Sophistendialoge, Definitionsdialoge, Gorgias u.ä., Dialoge des Übergangs (z.B. Menon), mittlere Gruppe (z.B. Politeia) und schließlich die Spätdialoge.
[44] Vgl. dazu die Reihenfolge bei M. Erler, Platon, S. 36 ff. und H. Görgemanns, Platon, S. 44 f.
[45] Vgl. dazu Th. A. Szlezák, Platon und die Schriftlichkeit der Philosophie, Berlin / New York 1985.
[46] Sokrates kann hier auf eigene Kriegserfahrungen zurückgreifen. W. Pleger, Sokrates, S. 51 attestiert Sokrates eine „besondere Tapferkeit“. Er beruft sich hier auf Diogenes Laertius und Platon. Tatsächlich zeichnete sich Sokrates in drei Schlachten aus: in Potidaia (432 v. Chr.), in Delion (424) und in Amphipolis (422).
[47] A. Patzer, Sokrates als Philosoph, S. 434 – 461 und ders., Resignation vor dem historischen Sokrates, S. 145 – 156.
[48] Für den Menon konnte dies K. Gaiser, Menon, S. 329 – 392 zeigen. So erneut M. Baltes, Charmides, S. 317 ff. W. Wieland, Laches, S. 16, sieht hingegen die Gefahr, dass die Aporetik zu einem bloßen „Mittel literarischer Technik“ wird.
[49] So auch der Titel von M. Erler, Der Sinn der Aporien und ders., Charmides, S. 25 – 46.
[50] K. Gaiser, Menon, S. 330 f. A. 3. Siehe auch H. Görgemanns, Sokrates in den platonischen Frühdialogen, S. 139. Erstmals formulierte diese These W. Schulz, Das Problem der Aporie in den Tugenddialogen Platos, S. 261 – 275. Schulz stufte die Aporien als künstlerisches Mittel ein und meinte, wer diese für relevant halte, „ist selbst einer Ironie Platos zum Opfer gefallen“ (S. 262). So auch H. Erbse, Über Platons Methode in den sogenannten Jugenddialogen, S. 38 ff. Zum Ganzen siehe auch B. Waldenfels, Das sokratische Fragen. Aporie, Elenchos, Anamnesis, Meisenheim am Glan 1959.
[51] W. Schulz, Das Problem der Aporie in den Tugenddialogen Platos, S. 268. Nach Schmalzriedt, Der Schriftsteller und die Wahrheit, S. 25 trifft man in den Dialogen „immer nur den Schriftsteller“ Platon.
[52] Geschriebenes diene höchstens der Überredung (πειθώ) von noch Unwissenden, da die Schrift – anders als das lebendige Wort – wesensmäßige Defizite aufweise (Phdr. 274 B – 278 E). Deshalb bezwecke Platon mit dem Schreiben von Dialogen nur „die werbende Selbstdarstellung der Philosophie ‘nach außen’, die zum Philosophieren hinwendende Überredung – kurz: das προτρέπειν zur Philosophie.“
[53] Vgl. K. Gaiser (Hg.), Das Platonbild, S. 1 – 32. Hier nennt Schleiermacher diese „Künste“ (12). Gaiser insistiert darauf, den schriftlichen Dialogen die Möglichkeit der Belehrung (δίδαξις) abzusprechen. Belehrung könne es demnach nur im Unterricht unter Verwendung des mündlichen Logos geben. Folgendes Zitat S. 9.
[54] K. Gaiser, Protreptik und Paränese, S. 9 ff. beruft sich wie Schleiermacher auf die Schriftkritik im Phaidros, deutet diese allerdings im Sinne einer philosophischen Esoterik. Eine philosophische „Lehre“ hat es demnach in den Dialogen gar nicht gegeben.
[55] Cf. Lg. 811 C. Diese protreptisch-propädeutische Funktion ist den frühen und mittleren, weniger aber den späten Dialogen eigen. Vgl. K. Gaiser, Protreptik und Paränese, S. 32. W. Mesch, Platons Dialoge, S. 55 f. meint, Platon schrieb Dialoge, „ weil sie Theorie und Praxis auch in ihrer Darstellungsform verbinden “. Theorie und Praxis verweisen folglich aufeinander – insbesondere, so muss man hinzufügen, bei SOKRATES!
[56] Vgl. dazu H. J. Krämer, Arete bei Platon und Aristoteles, Heidelberg 1959 und M. Erler, Platon, S. 162 ff.
[57] Für die Frühdialoge gilt nach R. Merkelbach, Platons Menon, S. 126 das. S. 128 heißt es: Es war ein Vergnügen für die Schüler „die logischen Fehler am Ende des Dialogs einem nach dem anderen aufzuspießen“.
[58] Vgl. M. Erler, Der Sinn der Aporien, S. 56 ff.
[59] Vgl. H. Cherniss, Aristotle´s Criticism of Presocratic Philosophy, Baltimore 1935.
[60] Vgl. dazu D. Birnbacher und D. Krohn, Das sokratische Gespräch, Stuttgart 2000.
[61] Gegen O. Gigon, Sokrates, Basel 19943. (Vgl. die Ausführungen weiter oben).
[62] Siehe oben: Parmenides war wohl der erste On-tologe und ein Leugner des Nicht-Seins (s.u.).
[63] O. Gigon, Die Erneuerung der Philosophie in der Zeit Ciceros, S. 33 ff. stellte fest, dass Aristoteles oft nur die Unterschiede betone, während er Gemeinsamkeiten unausgesprochen als gegeben voraussetzt – so auch bei eigenen Abhängigkeiten. Darin bestehe eine Eigenart seiner Handhabe mit den Vorgängern.
[64] So schon K. Jaspers, Die Großen Philosophen, S. 106 ff.
[65] Bekannt ist die Feindschaft zwischen Antithenes und Platon sowie Diogenes von Sinope und Platon.
[66] Freilich meint der Neuplatoniker Proklos hinter diesem sokratischen `Geschwätz´ verberge sich in Wahrheit die sokratische Dialektik in der Alten Akademie. Das ist natürlich neuplatonische Ansicht.
[67] Vgl. dazu K. Döring, Die sog. kleinen Sokratiker und ihre Schulen nach Sextus Empiricus, S. 84 – 118 und ders., Sokrates, die Sokratiker und die von ihnen begründete Traditionen, S. 119 ff.
[68] Vgl. dazu P. Moraux, Der Aristotelismus bei den Griechen, Bd. I und II, Berlin 1973 / 1984.
[69] H. Erbse, Zur Entstehungszeit von Platons „Apologie des Sokrates“, S. 22 – 47 und F. Walsdorff, Sokrates in Platons Apologie, S. 5 – 48.
[70] Vgl. dazu W. Pleger, Sokrates, S. 65 ff. Vgl. auch S. Erasmus, Richterzahl und Stimmenverhältnisse im Sokratesprozeß, S. 40 – 42 und H. Gomperz, Sokrates´ Haltung vor seinen Richtern, S. 32 – 43.
[71] Vgl. Ch. Kniest, Sokrates, S. 62 ff. Vgl. Beys, K. E., Der Prozess des Sokrates, Athen 2001.
[72] Vgl. K. Albert, Über Platons Begriff der Philosophie, Sankt Augustin 1989.
[73] Aus der breiten Literatur sei auf H. Blumenberg, Höhlenausgänge, Frankfurt am Main 1996 verwiesen. Die Besonderheit des Sokrates im Höhlengleichnis stellt heraus G. Schmidt, Sokrates in Platons Höhle, S. 9 – 45.
[74] Vgl. dazu Th. Ebert, Meinung und Wissen in der Philosophie Platons, S. 38 ff., 56 ff.
[75] Zum folgenden siehe W. H. Pleger, Sokrates, S. 60 ff. und Ch. Kniest, Sokrates, S. 62 ff.
[76] Vgl. H.-G. Gadamer, Sokrates’ Frömmigkeit des Nichtwissens, S. 83 – 117.
[77] Platon und vor allem Diogenes Laertius.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2013
- ISBN (PDF)
- 9783956849237
- ISBN (Paperback)
- 9783956844232
- Dateigröße
- 918 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
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- 1
- Schlagworte
- Aristoteles Ethik Aretologie Apologie Tugend
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