Theorien des 19. und 20. Jahrhunderts zur Novelle und neue Ansätze in der Novellentheorie
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Novellentheorien des 19. Jahrhunderts
Wie wenig bekannt der Begriff Novelle noch Mitte des 18. Jahrhunderts in Deutschland ist, wird deutlich an dem Übersetzungsfehler des jungen Lessing, der Cervantes „Novelas ejemplares“ 1751 mit „Neue Beispiele“ übersetzt.[1] So sieht sich Wieland – wohl wegen der den Deutschen insgesamt noch relativ fremden Gattungsbezeichnung Novelle – in der zweiten Auflage seines „Don Sylvio von Rosalva!“ (1772) veranlasst, in einer Anmerkung eine Begriffsklärung vorzunehmen.[2] Auch wenn der Definitionsversuch Wielands eine nicht so große Resonanz erfährt, lässt sich etwa an diesem Punkt der Beginn der Reflexion der deutschen Dichter und Denker über die Theorie der Novelle fixieren.
Der erste deutsche Versuch, Wesen und Form der Novelle genau zu erfassen und ihre Theorie zu liefern, stammt von Friedrich Schlegel, der weniger mit seiner dichterischen Produktion hervortritt – auch wenn er mit seinem Roman „Lucinde“[3] eine Art Skandalerfolg erzielt – sondern als Ästhetiker, Literaturtheoretiker und -historiker eine Vorrangstellung in der geistigen Führerschaft der deutschen Frühromantik einnimmt.
1801 erscheint sein Aufsatz „Nachrichten von den poetischen Werken des Johannes Boccacio", in dem er den romanischen Renaissancedichter als „Vater und Stifter“ der Novelle bezeichnet. Friedrich Schlegel entwickelt die charakteristischen Merkmale der Novelle in Betrachtung der dichterischen Werke Boccacios, vor allem an dessen Novellenzyklus „Decamerone“[4] sowie an den Novellen des zeitlich später liegenden spanischen Dichters Cervantes.[5] Seinen Anschauungen stellt er die These voran, dass der „Charakter eines Dichters“ – und demzufolge sein Kunstwerk – nur dann erfasst werden könne, wenn der historische Kontext „der Kreis der Kunstgeschichte“ zu dem der Dichter gehöre, mitberücksichtigt werde.[6]
Schlegel charakterisiert die Novelle als:
„eine Anekdote, eine noch unbekannte Geschichte, so erzählt, wie man sie in Gesellschaft erzählen würde, eine Geschichte, die an und für sich schon interessieren können muß, ohne irgend auf den Zusammenhang der Nationen, oder der Zeiten, oder auch auf die Fortschritte der Menschheit und das Verhältnis zur Bildung derselben zu sehen. Eine Geschichte also, die streng genommen, nicht zur Geschichte gehört, und die Anlage zur Ironie[7] schon in der Geburtsstunde mit auf die Welt bringt.“[8]
In seinen weiteren Ausführungen betont Schlegel, dass diese Anekdote fast ein Nichts sein könne und es allein der Kunst des Dichters obliege, dieses Nichts so auszuschmücken und zu gestalten, dass eine Geschichte entstehe, die interessiere. So werde es dann auch möglich, bereits bekannte Geschichten gleichsam in ein neues Gewand zu kleiden, sodass sie den Zuhörern oder Lesern neu erscheinen würden. Dabei bediene sich die Novelle der symbolischen Verdichtung, die eines ihrer hervorstechendsten Merkmale sei.[9] Durch die „subjektive Aneignung“ dessen, was als etwas „objektiv Merkwürdiges“[10] gelte, präsentiere sich der Dichter in seiner Kunst mittels seiner ureigensten Ansichten und Empfindungen.
Diese frühe Erkenntnis der Doppelbödigkeit der Novelle in der Verschleierung der Subjektivität des Erzählers mit Hilfe der objektiv als wahr erzählten Begebenheit lässt Schlegels Ansatz bis heute von unumstrittener Bedeutung für die Novellentheorie und -forschung bleiben.[11]
Ein weiterer Ästhetiker und Literaturtheoretiker, Friedrich Wilhelm Josef von Schelling, führt in seiner „Philosophie der Kunst“ (1802/03)[12] aus, dass er seine Lehre nur als Lehre von der „Kunst an sich“ begreife, ohne Rücksicht auf die empirischen, vorliegenden Kunstwerke. Zur Novelle sagt er in seiner Kunstlehre nur wenig und streift sie eigentlich nur am Rand, stellt aber fest, sie sei eine Geschichte zur symbolischen Darstellung eines subjektiven Zustandes. Er schließt sich damit Friedrich Schlegel an, ohne allerdings dessen These von der objektivierenden Form zu übernehmen.[13]
Seit Friedrich Schlegel ist es für einen großen Teil der zeitgenössischen Dichter, Ästhetiker, Literaturtheoretiker und -historiker üblich, die Novelle auf Boccacio zurückzuführen, während ein anderer Teil hingegen den Ursprung in Goethes Novellistik sieht, was ein zum Teil sich bis heute fortsetzender Prozess ist. Es sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt, dass auch Versuche existieren, die Ursprünge der deutschen Novelle an der Vers- und Prosaepik des deutschen Mittelalters festzumachen.[14]
Diejenigen, denen Goethe als „Vater“ der deutschen Novelle gilt, verweisen vor allem auf seine „Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten“.[15] Sie sehen dort die „Urform“ der deutschen Novelle in der Wiederaufnahme und Fortführung der Technik Boccacios. Unter Boccacios Novellentechnik wird vor allem das Moment der Gesellschaftlichkeit und die Rahmung durch dieses – die gesellschaftliche Bedingtheit der Gattung also, die auch Friedrich Schlegel hervorhebt – verstanden. Den Rahmen des Novellenzyklus „Decamerone“ bilden sieben Damen und drei Herren der florentiner Gesellschaft, die aus Furcht vor der Pest auf ein ländliches Anwesen geflohen sind. Der „Decamerone“ besteht aus 100 Novellen, die sich die Mitglieder dieser Gesellschaft an zehn Tagen abwechselnd gegenseitig erzählen.
Was nun die „Unterhaltungen“ den Novellentheoretikern als Prototyp der deutschen Novelle in Fortführung Boccacios erscheinen lässt, wird mit der an ihm orientierten Form der Rahmentechnik deutlich. Ist es bei Boccacio die Pest, die die Bedingungen, also den Rahmen, für die in Gesellschaft erzählten Novellen schafft, so ist bei Goethe der Rahmen für die Gesellschaftlichkeit die Französische Revolution. Sie treibt die linksrheinischen Familien ins Exil, wo sie sich zusammenfinden und sich ebenfalls Novellen erzählen.
Von den Dichtern, die im 19. Jahrhundert novellentheoretische Beiträge leisten, erzielen drei von ihnen große Aufmerksamkeit mit ihren Äußerungen. Goethe selbst ist einer dieser drei:
„(…) denn was ist eine Novelle anders als eine sich ereignete unerhörte Begebenheit. Dies ist der eigentliche Begriff und so vieles, was in Deutschland unter dem Titel Novelle geht, ist gar keine Novelle, sondern bloß Erzählung oder was Sie sonst wollen.“[16]
So lautet die knappe novellentheoretische Betrachtung Goethes, die er im Gespräch mit Eckermann äußert.
Die Bemerkung Goethes bleibt nicht nur nicht folgenlos für die Novellentheorie und -forschung, sondern gelangt zu hohem Bekanntheitsgrad. Das Merkmal der „unerhörten Begebenheit“ wird forthin zum festen Kanon der Novellenmerkmale gerechnet.
August Wilhelm Schlegel liefert die Vorlage für den zweiten Dichter, dessen Theorie Berühmtheit erlangen soll. Zunächst schließt er sich in wesentlichen Punkten seinem Bruder Friedrich an, konstruiert aber dann einen Gegensatz zwischen Roman und Novelle, der Friedrich Daniel Ernst Schleiermachers Differenzierung zwischen diesen beiden Gattungen ähnelt. Schleiermacher versucht bereits vor Schlegels Boccacio-Essay in einer Rezension der „Lucinde“ Schlegels (1800)[17] – eigentlich auf der Suche nach der vollkommenen Form des Romans – den Roman zur Novelle abzugrenzen und kommt darüber zu einer Bestimmung der Novelle. So glaubt er, der Roman sei eine reine Bewegung der Seelenkräfte, die Novelle hingegen spiegele die bürgerliche Wirklichkeit wider. Dieses rein inhaltliche Kriterium bleibt lange Zeit sein einziges, erst in seinen Berliner Vorlesungen (1825)[18] überwindet er diese Einseitigkeit, indem er hinzufügt, der eigentliche Charakter der Novelle sei, dass das Unbedeutende, das bloß Private durch die virtuose Handhabung der Sprache erhöht werde.
Auch für August Wilhelm Schlegel zeigt die Novelle die Darstellung der Realität. Der Roman hingegen beleuchte die inneren Verhältnisse der Personen zueinander. Somit verschiebt er die Novelle zur Objektivität und vernachlässigt Friedrich Schlegels Erkenntnis von der Spannung zwischen Subjektivität und Objektivität.
In formaler Hinsicht jedoch geht er weit über die Ausführungen seines Bruders hinaus, wenn er für die Novelle behauptet, sie sei – ähnlich wie das Drama – durch auffällige Wendepunkte gegliedert. Was für das Drama die Peripetie sei, seien für die Novelle die Wendepunkte.[19] Diese Techniken ermöglichten es, die Absichten der Werke erkennen zu lassen. Ludwig Tieck ist es, der die Vorlage August Wilhelm Schlegels aufgreift und die Theorie von der Novelle begründet, die fortan unter dem Stichwort „Wendepunkt“ firmiert. Er arbeitet den Wendepunkt als bestimmendes Strukturprinzip heraus. So unterscheide sich die Novelle von anderen Erzählungen dadurch,
„daß sie einen großen oder kleineren Vorfall in’s hellste Licht stelle, der so leicht er sich ereignen kann, doch wunderbar, vielleicht einzig ist. Diese Wendung in der Geschichte, dieser Punkt, von welchem aus sie sich unterwartet völlig umkehrt, und doch natürlich, dem Charakter und den Umständen angemessen, die Folge entwickelt, wird sich der Phantasie des Lesers umso fester einprägen, als die Sache, selbst im Wunderbaren, unter anderen Umständen wieder alltäglich sein könnte.“[20]
Dabei gesteht Tieck der Novelle zahlreiche Schattierungen zu:
„Bizarr, eigensinnig, phantastisch, leicht witzig, geschwätzig und sich ganz in Darste llung auch von Nebensächlichkeiten verlierend, tragisch wie komisch, tiefsinnig und neckisch, alle diese Farben und Charaktere läßt die ächte Novelle zu, nur wird sie immer jenen sonderbaren auffallenden Wendepunkt haben, der sie von allen anderen Gattungen der Erzählung unterscheidet.“[21]
Auch Tieck nennt Boccacio und Cervantes als meisterhafte Novellenerzähler, stellt aber Goethe als dritten ausdrücklich dazu.
Der dritte Dichter, dessen Äußerungen berühmt werden sollen, ist Paul Heyse. Von ihm stammen die als „Falkentheorie“ bekannten Thesen zur Novelle. Auch Heyse führt den Ursprung der Novelle auf Boccacio und Cervantes zurück, deren Novellen ihm vorbildlich und meisterhaft sind. Der „Schöpfer“ der modernen deutschen Novelle ist für ihn jedoch Tieck, Goethe habe die Form nur geahnt.
„erst Tieck setzte das von Goethe Angebahnte erfolgreich fort, durch die Hinneigung der Romantik zu den romanischen Literaturen auf das Vorbild des Boccacio und Cervantes geführt“,[22] deren Thematiken er selbstständig erweitert habe. In seiner berühmten Theorie bezieht sich Heyse aber nicht auf Tieck, sondern auf Boccacio, und zwar auf eine Novelle aus seinem „Decamerone“, auf die sogenannte „Falkennovelle“.[23]
Heyse behauptet, um eine gute Novelle erkennen zu können, müsse man sich fragen,
„ob die zu erzählende kleine Geschichte eine starke, deutliche Silhouette habe, deren Umriß, in wenigen Worten vorgetragen, schon einen charakteristischen Eindruck mache, wie der Inhalt jener Geschichte des Decamerone vom „Falken“ in fünf Zeilen berichtet sich dem Gedächtnis tief einprägt.“[24]
Heyse fordert nun für jede Novelle, dass sie ein starkes Spitzenmotiv wie den Falken haben solle:
„Gleichwohl aber könnte es nicht schaden, wenn der Erzähler auch bei dem innerlichsten oder reichsten Stoff sich zuerst fragen wollte, wo der „Falke“ sei, das Specifische, das diese Geschichte von tausend anderen unterscheidet.“[25]
Heyse geschieht mit seinem „Falken“ Ähnliches wie Goethe mit der „Unerhörten Begebenheit“ und Tieck mit dem „Wendepunkt“. Merkmalsfixierte Theoretiker und Kritiker glauben nun ein Kriterium an die Hand bekommen zu haben, nach dem die Novelle als solche überprüfbar wird. Dies beschränkt sich allerdings nicht nur auf das 19. Jahrhundert, sondern setzt sich im 20. Jahrhundert fort.[26] Die Gefahr, in der die Dichter schweben, bei Nichteinhaltung der vorgegebenen Regeln vielleicht als mittelmäßig betrachtet zu werden oder sich solchen Zwängen unterzuordnen, um anerkannt zu werden, ist nicht von der Hand zu weisen. Es gibt aber auch schon im 19. Jahrhundert Zeitgenossen, die erkennen, dass die Fixierung auf Merkmale möglicherweise in eine Sackgasse führt, was die Beurteilung der real existierenden Dichtung betrifft. So sagt Theodor Storm – der gewiss kein radikaler Gegner von formalästhetischen Prinzipien ist – er würde den Heyseschen Falken getrost davonfliegen lassen.[27]
Ein weiterer Ästhetiker, Karl Wilhelm Ferdinand Solger, versucht den Roman zur Novelle abzugrenzen, indem er zunächst den Roman zur Erzählung allgemein abgrenzt. Der Roman zeige die Entwicklung eines Charakters, die Erzählung bestimme diesen nur durch eine Situation. Zwischen Erzählung und Novelle differenziert er nun, indem er der Erzählung das Psychologische des Charakters in einer bestimmten Situation zuweist, der Novelle jedoch das Ereignis, die Situation an sich, sie sei von größerem Interesse als die Personen.[28]
Für Friedrich Spielhagen scheint die Lösung des Problems Novelle ganz einfach zu sein. Er räumt zwar ein, dass es den „Ästhetikern viel Kopfzerbrechen verursacht“ habe, zwischen Novelle und Roman zu unterscheiden, schließlich habe man sich aber doch geeinigt und die Wissenschaft sehe den Unterschied in Folgendem:
„Die Novelle hat es mit fertigen Charakteren zu thun, die, durch eine besondere Verkettung der Umstände und Verhältnisse, in einen interessanten Konflikt gebracht werden, wodurch sie gezwungen sind, sich in ihrer allereigensten Natur zu offenbaren, also, daß der Konflikt, der sonst Gott weiß wie hätte verlaufen können, gerade diesen, durch die Eigentümlichkeit der engagierten Charaktere bedingten und schlechterdings keinen anderen Ausgang nehmen kann und muß.“[29]
Des Weiteren differenziert er in ältere und neuere Novelle. Der älteren ordnet Spielhagen als Merkmal „die besondere Verkettung der Umstände und Verhältnisse“ zu, der neueren die „Eigentümlichkeit der engagierten Charaktere“. Parallelen zu Solgers Novellenbegriff finden sich somit in Spielhagens Auffassung von der älteren Novelle. Er behauptet Allgemeingültigkeit seiner Theorie, bezieht sich aber in seinen Ausführungen explizit nur auf die Novellen Marie von Olfers, anhand derer er den Unterschied zwischen Roman und Novelle geklärt haben will.
Sein Kriterium für die Einstufung eines Werkes als Novelle, die „fertigen“ Charaktere, steht in antagonistischem Widerspruch zu dem Kriterium Friedrich Hebbels. Hebbel behauptet zumindest für Tieck, er lasse in den Romanen die „fertigen Charaktere“ sprechen, in der Novelle aber zeigten sich die „werdenden Charaktere“, die ihre persönliche Katastrophe nur bewältigen könnten, indem sie anders werden müssten, als sei seien.[30]
Oskar Walzel bemerkt in seinem 1915 erscheinenden Aufsatz „Die Kunstform der Novelle“ zu diesen Positionen zu Recht, wie schwierig es aufgrund rein inhaltlicher Merkmale sei, gattungstheoretische Kategorisierungen vorzunehmen, ganz abgesehen von der Schwierigkeit, zu differenzieren, was ein fertiger und was ein werdender Charakter sei.[31]
Der Ästhetiker Theodor Vischer[32], der sich, jedoch nur mit mäßigem Erfolg, auch als Dichter versucht, sieht die Novelle als einen kleinen Ausschnitt des Weltbildes, der jedoch perspektivisch auf das Ganze verweise. Der Roman hingegen vermittele ein umfassendes Weltbild. Die Novelle zeige dementsprechend auch keine vollständige Entwicklung einer Persönlichkeit, sondern beleuchte eine bestimmte Situation, einen kleinen Ausschnitt aus dem Leben eines Menschen, in der der Mensch in eine Krise gerate und diese durch eine stark akzentuierte Gefühlsbewegung transparent mache, die ihn in eine Schicksalswendung hineinführe. Diese Abgrenzung und Bestimmung von Novelle und Roman lässt außer Acht, dass längst nicht alle Romane Vischers Behauptung des umfassenden Weltbildes erfüllen.[33]
Ein weiterer Dichter, der sich zur Theorie der Novelle äußert, ist Theodor Storm. Mit Heyse verlangt es ihn in der Novelle nach einem „im Mittelpunkte stehenden Konflikt, von welchem aus das Ganze sich organisiert“.[34] Seinem oft zitierten Ausspruch von der Novelle als „Schwester des Dramas“ liegt die Einschätzung zugrunde, die Novelle könne ebenso wie das Drama die tiefsten menschlichsten Probleme zeigen und dies bei knapper Darstellung, also in Konzentration auf das Wesentliche. Seiner eigenen Novelle „Auf dem Staatshof“ (1859) stellt er ein paar einleitende Worte voran, mit denen er ihre theoretische Konzeption erläutert.
Gottfried Keller widerspricht jedweder Regelpoetik energisch. In einem Brief an Storm wendet er sich gegen alle klassifizierende Gattungstheorie: „Das Geschwätz der Scholiarchen aber bleibt Schund, sobald sie in die lebendige Produktion eingreifen wollen.“[35] Man dürfe den Autoren keine Regeln auferlegen, dies behindere nur den schöpferischen Akt. Keller fordert, dass die Werke nicht an den Theorien gemessen werden dürften, sondern die Theorien sich den Werken unterordnen müssten. Allein aus beispielhaften, großen Werken dürften Regeln abgeleitet werden.
Ebenso wie Vischer fasst Theodor Mundt die Novelle von der Situation her auf. Er zieht die Abgrenzung zwischen Roman und Novelle, indem er den Roman wesentlich aus dem Charakter des Einzelnen erwachsen lässt, die Novelle aber von den Lebensumständen, in denen sich die Protagonisten befinden. Seine Sichtweise der Novelle als eine Kreislinie, die „die bestimmteste Beziehung auf ein gewisses Centrum hat, um dessentwillen sie da ist und ihren Lauf vollführt“[36], erinnert an Theodor Storms zentralen Konflikt, den er für die Novelle fordert.
Mit seiner Einschätzung der Novelle als Spiegelung der bürgerlichen Welt beziehungsweise der realen gesellschaftlichen Verhältnisse schließt er sich an Schleiermacher und August Wilhelm Schlegel an, fasst deren Sichtweise aber insofern weiter, als er hinzufügt, dass der Spiegel, den die Novelle der Gesellschaft vorhalte, deutlich zeige, dass der Einzelne quasi in einer Art Lähmung gefangen und von den gesellschaftlichen Verhältnissen derart bestimmt sei, dass er in seiner Auseinandersetzung mit diesen nicht mehr handelnd und reflektierend gestalte, sondern ein Ungleichgewicht zugunsten der Reflexion herrsche, das sich in Schlaffheit und Tatenlosigkeit äußere.
Keiner der hier vorgestellten Theoretiker hat großen Einfluss auf die Novellentheorien des 20. Jahrhunderts, mit Ausnahme von Friedrich Schlegel, der bis ins 20. Jahrhundert hinein – gemessen an der Bedeutung seiner Erkenntnisse – nur wenig Beachtung findet, heute aber um so höher geschätzt wird. Der Einfluss der Dichter ist jedoch enorm. Goethe, Tieck und Heyse und deren Novellenmerkmale „unerhörte Begebenheit“, „Wendepunkt“ und „Falke“ werden in geradezu kanonischer Ausprägung von der Forschung übernommen, als Messlatte benutzt und in den Forschungsarbeiten immer wieder zitiert. Vor allem diese Drei und Friedrich Schlegel werden wir also in Kapitel zwei dieser Arbeit wiedertreffen.
2. Novellentheorien des 20. Jahrhunderts
Sind es im 19. Jahrhundert vorwiegend die Dichter selbst, die mit Beiträgen zur Theorie der Novelle aufwarten, so setzt zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine rege Forschungstätigkeit der Wissenschaftler zu diesem Thema ein, die sich bis heute fortsetzt.
Eine erste grobe Einteilungsmöglichkeit der verschiedenartigsten Forschungsarbeiten bietet sich über ihre Haupttendenzen an. So lassen sich zwei Richtungen festhalten: der historische und der normative Ansatz.[37] Dazu kommen Syntheseversuche aus beiden, wobei eine Schwerpunktbildung entweder zum historischen oder zum normativen Ansatz zu beobachten ist. Innerhalb der beiden Hauptansätze normativ oder historisch wie auch innerhalb der Syntheseversuche gibt es dann noch eine ganze Reihe von Arbeiten, die sich offiziell zum historischen Ansatz bekennen, in ihrer Vorgehensweise aber streng normativ sind oder aber normative, die eigentlich historisch sind. Als weiteren Ansatz gibt es dann noch die wiederum unterschiedlich begründete These vom „Tod der Novelle“, die die Existenz der Gattung Novelle an sich nicht bestreitet, die Möglichkeit der Novellenproduktion für das 19. und 20. Jahrhundert aber ablehnt. Außerdem lassen sich innerhalb der gleichen theoretischen Grundausrichtung Positionen feststellen, die sich in ihren Grundannahmen und Ergebnissen antagonistisch gegenüberstehen.
Wie schon in Kapitel eins kurz angeführt, ist es für einen großen Teil der Forscher seit Friedrich Schlegel üblich, die Novelle auf Boccacio zurückzuführen, und zwar unabhängig davon, welcher sonstigen Forschungsrichtung sie zuzurechnen sind.
Der Romanist Walter Pabst legt 1949 einen streng historisch orientierten Forschungsbericht vor, in dem er vor allem den formalkritisch ausgerichteten deutschen Theoretikern daraus einen Vorwurf macht. Eine Vielzahl von ihnen berufe sich völlig zu Unrecht auf Boccacio und sei auf starre Gattungsgesetze fixiert. Dabei näherten sich die Forscher von der immer gleichen Position her der Novelle, nämlich auf der Suche nach eben diesen Gattungsgesetzen, die anhand fester Merkmalskataloge überprüft und an der lebendigen Dichtung durchgemessen werden sollen. Seine abschließende Erkenntnis lautet, dass es nur eine „Individualität der Form“ gebe – auch wenn sich durchaus innerhalb von Epochen Ähnlichkeiten bei den verschiedenen Werken zeigen würden – die letztlich „Freiheit der Form“[38] bedeute. In dem sich an seinen Forschungsbericht anschließenden Buch zur Antinomie von Novellenforschung und Novellendichtung geht er insofern noch einen Schritt weiter, als er die Existenz der „Novelle an sich“ in einer definierbaren Form explizit verneint:
„Denn es gibt weder die romanische Urform der Novelle noch die Novelle überhaupt. Es gibt nur Novellen.“[39]
Dass sich Theorie und Dichtung in antinomischer Weise zueinander verhalten, versucht er anhand zahlreicher Beispiele zu verdeutlichen, auch und gerade anhand von Boccacios Novellistik, die frei von Gattungsgesetzen und poetischen Regeln, häufig sogar im Widerstand gegen diese, entstanden sei. So hätten die Dichter häufig entweder in einer scheinbaren Verbeugung vor der Kritik und ihren Dogmen ihren Werken einleitend ein paar Worte zur theoretischen Konzeption des jeweiligen Werkes vorangestellt, die bestätigen sollten, dass sie sich an die theoretischen Vorgaben hielten, um von der eigentlichen dichterischen Aussage abzulenken oder sie hätten in offener Auflehnung zur Kritik gestanden. Lediglich die mittelmäßigen Dichter hätten sich den formalästhetischen Prinzipien bedenkenlos untergeordnet.
Pabsts Schlussfolgerungen können nicht ohne Weiteres auf die deutschen Dichter des 19. Jahrhunderts übertragen werden, da diese nicht unter dem Zwang einer starren literarischen Doktrin zu sehen sind wie die Dichter der Renaissance oder des Barocks, wohl aber muss berücksichtigt werden, dass, zumindest seit Friedrich Schlegel und Goethe, die Dichter sich an Boccacio und Cervantes – bewusst oder unbewusst – orientieren.[40]
Zur gegenteiligen Auffassung innerhalb der historischen Forschung gelangt Fritz Martini.[41] Er glaubt, dass eine historisch bedingte und für die jeweilige Epoche typische Form der Novelle existiere.
Martini entwickelt seine novellentheoretischen Überlegungen anhand der deutschen Literatur des bürgerlichen Realismus. Er stellt heraus, dass die gemeinsame historische Situation, sei sie nun soziologisch, weltanschaulich, psychologisch oder künstlerisch betrachtet, den Formtypus Novelle im 19. Jahrhundert begünstigt habe. Bei allen existierenden Variationen und Formdifferenzierungen gebe es dennoch einen gemeinsamen Nenner, der die Vorherrschaft der Novelle erklärbar mache. So könne nur in ihr formal und thematisch gezeigt werden, was die Zeitgenossen bewegt habe, nämlich das zunehmende Bewusstsein für eine gesellschaftliche und psychologische Determinierung des Menschen, der in einer immer komplizierter werdenden Welt nach Sinnbezügen suche und der Isolation im Einzelschicksal durch die Verbindung zum Gemeinsamen, Typischen – repräsentiert in der symbolisierenden Form der Novelle – entkommen wolle. So erkläre sich, warum die Novelle in dieser Zeit zu einer solchen Blüte gelangt sei.
In der Variationsbreite der vorliegenden Novellen, deren oft fließende Übergänge zum Roman und zur Erzählung auffallen würden, sieht er die Schwierigkeit, eine verbindliche Formdefinition leisten zu können und wendet sich gegen eine „ästhetische Dogmatik“, die vor allem den großen Novellisten nicht gerecht werden könne. Er betont, dass die Dichter selbst immer eine Abneigung gegen eine Dogmatisierung der Form und formalästhetische Prinzipien gehegt hätten und nur geringere Erzähler wie Heyse und Riehl sich einer formalen Schematik untergeordnet hätten.
Gemeinsamkeiten des Formtypus ließen sich dennoch feststellen, wenn man von einer kanonischen Merkmalsfixierung absehe. Eine wichtige Rolle spiele hierbei die Erzählhaltung. An dieser Stelle greift Martini eine Erkenntnis des 19. Jahrhunderts wieder auf, und zwar die Friedrich Schlegels: Der Erzähler trete als Berichterstatter auf und erwecke so den Anschein der Objektivität, hinter der sich die subjektive Gestaltung und künstlerische Bearbeitung verberge.
Martini führt weiter aus, dass ein zu dieser Zeit wesentliches und typisches Aufbauelement der Novelle der Zufall sei. In einer immer stärker normierten Welt zeige er sich als Möglichkeit des „Wunderbaren“, als Verweis auf Irrationalität. Dabei sei es weniger das „unerhörte Ereignis“, das die Gewöhnlichkeit des Alltags durchbreche und so ein einzigartiges, außergewöhnliches Schicksal zeige, sondern die Reaktion des Menschen auf die Krise sei es, die interessiere. Der konzentrierenden Form der Novelle komme dabei die Aufgabe zu, eine Ordnung herzustellen, die der Auflösung im Chaos entgegenwirke. Sie diene also gleichsam der Bewältigung des Unfassbaren. Dabei verzichte die novellistische Technik auf die Konstruktion einer erklärbaren Welt und bewege sich im Spannungsfeld zwischen Zeigen und Verhüllen. Symbolisierendes Erzählen trete an die Stelle von epischer Breite, was die straffende Form begründe.
Zusammenfassend stellt Martini fest, dass eine feste, für alle Epochen gültige Definition der Novelle unmöglich sei und nur eine jeweils epochenbezogene Betrachtung zu einer adäquaten Definition führen könne.
Ein weiterer Forscher der historischen Richtung ist Josef Kunz, der 1954 den ersten Teil seines dreibändigen Werkes zur Novelle vorlegt.[42] Nach jeweils kurzen theoretischen Einleitungen bespricht er eine Fülle von Novellen, die er unter dem Aspekt ausgewählt haben will, „welche von ihnen das Gesetz der Gattung thematisch und formal in besonderer Reinheit erfüllen.“[43] Es sei ihm dabei weniger wichtig, einen Katalog äußerer Merkmale festzulegen, als zu zeigen, dass bei allem Wandel durch die Jahrhunderte eine gewisse Kontinuität feststellbar sei. Ein Wandel der Thematik durch die Epochen sei zwar gegeben, an den sich die Form anpasse, Kontinuität aber finde sich in den Novellen des 19. und 20. Jahrhunderts im Ereignishaften des novellistischen Geschehens, das sich in Gestalt des Einbruchs des Schicksals zeige. Form bedeute im Wesentlichen Konzentration, und zwar auf die „unerhörte Begebenheit“,
„realisiert durch die auf Reflexionen verzichtende Erzählhaltung, (…) weiter durch die Vorherrschaft des Berichtes, die Bedeutung des Wendepunktes, die finale Fügung der Handlung auf die Pointe hin, die Technik der Vorausdeutung und manches andere.“[44]
Mit seinem relativ unverbindlichen Novellenbegriff vermag es Kunz, eine große Zahl der erzählenden Prosa in seinem Sinne zu interpretieren. Herrscht über angesehene und als Novelle anerkannte Werke des 18. und 19. Jahrhunderts ein hohes Maß an Einigkeit in der Forschung, so erscheint die Auswahl, die Kunz für das 20. Jahrhundert trifft, doch eine sehr subjektive zu sein. Ein Problem, dass er nur insofern thematisiert, als er die Schwierigkeit von Epochenbegrenzungen an sich im 20. Jahrhundert anspricht, keineswegs aber zeigt er eine Unsicherheit bezüglich der Beurteilung, was eine Novelle ist und was nicht. Auch hier ist sein Kriterium das der thematischen und formalen Reinheit.
Ähnlich wie Martini wiederum geht Hellmuth Himmel von einer epochenabhängigen Form der Novelle aus. Seiner historischen Untersuchung stellt er die These voran:
„Wenn Gattungsgeschichte überhaupt möglich sein soll, muß der Idealtyp etwas sein, dem sich die Gattung auf verschiedenen, zeitbedingten Wegen zu nähern vermag. Form ist dann nicht etwas Starres, sondern ein organisch wirkendes Prinzip, das den Umgestaltungen der Gattung zugrunde liegt.“[45]
Somit sieht er nur eine epochenbezogene Betrachtung als vertretbar an, geht aber insofern einen anderen Weg als Martini, als er den Gedanken einer zwar wandelbaren, aber doch allen Novellen ähnlichen Grundform zulässt.
Himmels Darstellung der deutschen Novelle setzt bei Goethes „Unterhaltungen“ an. Mit der Nachahmung der Rahmentechnik Boccacios setze jener die romanische Novellentradition fort. Skeptisch sieht Himmel allerdings die große Wirkung der Äußerung Goethes zur Technik der Novelle. Man könne dessen Bemerkung kaum Theorie nennen, wenn man bedenke, wie wenig Goethe sich zur Novelle äußere und wie umfangreich hingegen zur moralischen Erzählung. Auch Heyse lässt Himmel nicht ungeschoren. Seine „Falkentheorie“ sei die unklarste und unoriginellste Theorie überhaupt und es sei erstaunlich, dass sie einen solchen Ruhm erworben habe. Die Begründer der Theorie der Novelle sind für Himmel die Brüder Schlegel, Tieck und Mundt. Er plädiert ausdrücklich für die Theorie Mundts, der die Novelle als Kreislinie sieht, in deren Mittelpunkt ein zentraler Konflikt steht, ohne sich jedoch im weiteren Verlauf der Untersuchung an dessen Theorie gebunden zu fühlen, was im Übrigen auch für die Theorie Tiecks und die der beiden Schlegel gilt.
Es gelingt ihm, über die Betrachtung der verschiedenen Epochen – von der Klassik über die Romantik zum Biedermeier, vom poetischen Realismus und Spätrealismus bis hin zum Expressionismus – einen umfassenden Überblick über die Novellenproduktion des 19. und zum großen Teil auch des 20. Jahrhunderts zu leisten, ohne allerdings jedoch seine Eingangsthese von der an sich gleich bleibenden Form in irgendeiner Weise zu belegen.
Als eine der vielen vorgeblich historischen Untersuchungen, die sich bei genauerer Betrachtung als normativ erweisen, soll hier exemplarisch der Ansatz von Hermann Pongs betrachtet werden. Auch Pongs folgt Friedrich Schlegel und führt mit ihm die Novelle auf Boccacio zurück. Erst die geschichtliche Lage der Frührenaissance mit ihrem geschlossenen Weltbild und ihrer höfischen Gesellschaft habe es Boccacio ermöglicht, die Gattung Novelle zu begründen. Pongs bezieht sich auf Boccacios Falkennovelle und glaubt mit Heyse, dass die Falkennovelle um den Falken herum gebaut sei. Er geht über Heyse hinaus, wenn er sagt, es gehe nicht um die starke Silhouette, sondern um die Symbolkraft des Falken, in dem sich „die Verwandlung vom Zufälligen der Begebenheit in ein sinnhaftes Geschehen vollzieht.“[46] Er prägt den Ausdruck „Dingsymbol“, durch welches jede Novelle gekennzeichnet sei.
Pongs sieht eine Entwicklung von der Gebundenheit der Gesellschaftsnovelle Boccacios über Goethe, dessen Novellen noch Gesellschaftsnovellen seien, zu Kleist, der ebenfalls noch in der Tradition der romanischen Urform stehe und trotz gravierender Änderungen von Inhalt und Form als Fortführer und Erweiterer der Gattungsform zu sehen sei. Diese Erweiterung ermögliche es ihm, die Symbolkraft noch zu erhöhen. Auch die in Kleists Nachfolge stehende psychologische Novelle betrachtet er unter dem Aspekt der Symbolik. So befasse sich die psychologische Novelle mit der Auseinandersetzung des Einzelnen mit dem Einbruch des Tragischen und Dämonischen in das Leben, die Darstellung eines Einzelschicksals sei aber gerade nicht als singuläres Ereignis zu sehen, das beziehungslos im Raum stehe, sondern symbolischer Ausdruck dessen, woran die Gesellschaft leide, nämlich an der Vereinsamung des Ich.
Die Einteilung der verschiedenen Novellen in viele unterschiedliche Novellentypen (allegorische, lyrische und romantische Stimmungsnovelle, Spuknovelle, Unterhaltungsnovelle, spätromantische psychologische Novelle, um nur einige zu nennen) kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Pongs Ansatz, der zunächst rein historisch orientiert zu sein scheint, ein verdeckt normativer ist. Neben der Diskussion der geschlossenen und offenen Form, die in der Novelle beide anzutreffen seien, wird seine ihm so wichtige Herausstellung des Symbols als quasi einziges Merkmal der Novelle zu einer Art Zwang, wenn er überall sein Symbol sucht und dort, wo er es nicht findet, von Auflösung der Form spricht. So sagt er in aller Deutlichkeit noch einmal in einer späteren Veröffentlichung über die Novelle des 20. Jahrhunderts, dass
„die Zertrümmerung des Symbols folgerecht zur Zertrümmerung der strengen Novellenform und ihrer symbolischen Spitze führt.“[47]
Eine extreme Position innerhalb der normativen Forschungsrichtung bezieht Johannes Klein:
„Die Novelle weist immer dieselben markanten Formgesetze auf“ (…), „ihre Kraft liegt in den Grundlinien, die sich auch bei den verschiedensten Novellentypen ähneln.“[48]
Klein differenziert zunächst in innere und äußere Form der Novelle. Die innere Form sei dadurch charakterisiert, dass ein ungewöhnliches Ereignis dargestellt und leitmotivisch vorausgedeutet werde, wobei eine Grundidee vorherrsche. Zufall und Schicksal stünden dabei in einem schwer durchschaubaren Verhältnis zueinander und der Zufall werde, da er das Schicksal bestimme, als Schicksal angesehen und zum Mittelpunkt. Der Mensch handele zwar, werde aber dennoch von den Ereignissen weggerissen. Als Ergebnis aus der Untersuchung der inneren Form zieht er die Bilanz:
„So ist die Urform der Novelle das Leben selbst.“[49]
Diese Feststellung aber gilt für zahlreiche weitere Gattungen wie den Roman oder die Erzählung ebenfalls. Die festgestellten Merkmale, die dieser These von der Urform zugrunde liegen, sind ebenfalls in Werken anderer Gattungen anzutreffen, wie etwa das Leitmotiv, das bei der Novelle aber sogar gänzlich fehlen kann, wie Klein für Tieck selbst zugesteht.
Kleins äußere Form unterscheidet sich nicht wesentlich von seiner inneren Form. Auch hier werden wieder die Merkmale „zentrales Geschehnis“ „Leitmotiv“ und „Idee“ bemüht. Diese drei Elemente seien zugleich die „Grundformen“ der Novelle. Im Weiteren führt Klein die „Urtypen“ oder „Strukturtypen“ der Novelle ein. Diese seien die episch gebändigte, die dramatisch gespannte oder aber die lyrische Novelle. Strukturtypen „im Sinn der Haltung zum Leben“ sind nach Klein die tragische und die humoristische Novelle, im „Sinn der Motivierung“ die Charakter- und Schicksalsnovelle. Zu den Strukturtypen stellt Klein noch seine Kategorie der Aufbautypen. Diese sind Rahmennovelle und Einzelnovelle mit ihren verschiedenen Sonderformen (Tagebuchnovelle etc.). Seine unklare Terminologie (seine „Urform“ der Novelle steht neben den „Grundformen“, die gleichzeitig Merkmale sind, wobei offenbleibt, wieso er bei Letzteren zum Plural übergeht, die Hinzunahme der Strukturtypen bzw. Urtypen mit ihren Unterformen und dazu die Aufbautypen) trägt zum einen statt zu einer Klärung eher zur Verwirrung bei, zum anderen wird seine Theorie trotz des starren Merkmalkatalogs in der Anwendung beliebig. So gelingt es ihm durch immer neue Modifizierungen im Hauptteil seines Buches fast die gesamte Erzählkunst des 19. und einen großen Teil des 20. Jahrhunderts in seiner Hinsicht unterzubringen, das heißt, überall seine Grundformen nachzuweisen. Eines Kunstgriffs der besonderen Art bedient er sich in Bezug auf alles, was nicht in sein Schema passt:
„Aber gerade dort liegt oft eine Unzulänglichkeit im Künstlerischen vor.“[50]
Wie Klein aus der normativen Richtung der Forschung kommend, gelangt Emil Staiger jedoch zu einem gegensätzlichen Ergebnis:
„Eine Novelle ist nichts anderes als eine Erzählung mittlerer Länge.“[51]
Diese klare Absage an alle novellentheoretischen Erkenntnisse des 19. und 20. Jahrhunderts – von einigen salomonisch, von anderen resignativ genannt – ist jedoch im Grunde nur die logische Fortsetzung seiner bereits an anderer Stelle geäußerten Gedanken. Staiger sagt bereits in seinen „Grundbegriffen der Poetik“:
„Sinnlos ist es geworden, alle Fächer beschreiben zu wollen, in denen man Dichtungen unterbringen kann.“[52]
Er untermauert seine These am Beispiel des sogenannten Rads von Julius Petersen.[53] Staigers mit der Formel der „Erzählung mittlerer Länge“ offen ausgesprochene Erkenntnis der ungeheuren Problematik der Gattungstheorie an sich, die vielleicht resignativ erscheinen mag, verstellt einigen Forschern jedoch nicht den Blick dafür, dass die Theorie Staigers zur Novelle in ihrer scheinbaren Schlichtheit einiges mehr aussagt, als nur die Sicht auf den Umfang. So erkennt beispielsweise Benno von Wiese, dass aufgrund Staigers Erkenntnis des geringen Umfangs einer Novelle klar werde, dass die episch breite Wiedergabe, wie sie im Roman vorliege, nicht möglich und konzentrierende und pointierende Darstellung zwangsläufig sei.[54]
Der Staiger-Schüler Bernhard von Arx greift dessen Ansatz in seinem Buch über die Novelle wieder auf und stellt ihn als Leitthese über seine Untersuchung. Die „Formel von der Erzählung mittlerer Länge“ habe jedoch den „Urgrund der Novelle“[55] noch nicht aufgedeckt, sondern nur Grenzen umrissen:
„Es ist also offenbar ein Raum vorhanden, bei dessen Überschreitung nach unten oder oben von einer Novelle nicht mehr die Rede sein kann. Innerhalb dieses Raumes aber vermag die Novelle zu „spielen“: deshalb ist dieser Raum auch schon der „Spielraum der Novelle“ genannt worden.“[56]
Von Arx, der ebenfalls der normativen Forschungsrichtung angehört, beschreitet nun einen völlig neuen Weg, um das Phänomen Novelle zu klären. Er sucht die Lösung in der Psychologie beziehungsweise in der psychischen Verfassung der einzelnen Novellisten und in ihren Charakteren. Übereilung kennzeichne die Novellisten schlechthin, wobei die Ursache dafür in der völligen Überschätzung des Einzelfalls liege, der dann zur Weltdeutung herhalten müsse. So
„finden sich bei ihnen doch Spekulation statt Empirie, Neigung zum unbesehenen Glauben statt zum erarbeiteten Wissen, Vermutung statt Erkenntnis, Behauptung statt Untermauerung.“[57]
Er kommt zu dem abschließenden Ergebnis:
„So ist die Novelle der adäquate Ausdruck des Schwachen, dem die Kraft mangelt, eine erfüllte Welt, einen Kosmos aufzubauen.“[58]
Von Arx bezieht sich in seiner Untersuchung ausdrücklich auf die Novellen der Goethezeit und befindet sich jetzt in der schwierigen Lage, Goethe aus seinem Raster ausklammern zu müssen, wenn er nicht auch diesen des „Schwachen“ bezichtigen will. Dies gelingt ihm nur insofern, als er einfach behauptet, Goethe sei „aller Übereilung abhold“ und er stehe den Romantikern als Vertreter der Empirie und der langsam wachsenden Erfahrung gegenüber. Mit seiner aber nur eingeschränkt gültigen These des „Schwachen“ führt er sie gleichzeitig selbst ad absurdum. Von Arx’ theoretischer Ansatz zeigt sich somit als höchst spekulativ, denn die Eigenschaften, die er den Novellisten andichtet, werden, wenn überhaupt bei diesen, dann wohl aber nicht nur bei diesen zu finden sein, sondern auch bei Dichtern, deren Werke anderen Gattungen zugerechnet werden müssen.
Eine Theorie der Novelle, die sich als Synthese zwischen historischer und normativer Forschungsrichtung ausgibt, ist die von Fritz Lockemann. Den meisten bislang erschienenen Gattungsgeschichten macht er den Vorwurf, sie seien ungeeignet, eine Begriffsklärung der von ihnen jeweils untersuchten Gattung zu leisten und nicht in der Lage, zu Nachbargattungen abzugrenzen.[59] Dies versucht er für die Gattung Novelle, und zwar indem er das „Strukturgesetz in jedem Individuum der Gattung“[60] nachweisen will. Mit den historischen Untersuchungen gemeinsam hat er, dass er die Grundlegung seiner Theorie in Goethes „Unterhaltungen“ sucht, natürlich auch mit dem Verweis auf Boccacio. Dort sieht er das Hauptmerkmal der Novelle, den Rahmen beziehungsweise die Rahmensituation als Ordnungsfunktion, zum ersten Mal verwirklicht. Er versucht dann, auch alle anderen gängigen Merkmale unterzubringen: unerhörte Begebenheit, Wendepunkt, Falke beziehungsweise Symbol. Das eigentliche Strukturgesetz der Novelle sieht er aber in der Spannung zwischen Ordnung und Chaos, wobei er gleichzeitig zugesteht, dass diese als Grundlage des menschlichen Lebens überhaupt anzusehen sei und auch in anderen Gattungen vorkomme. Von seinem ursprünglichen Hauptmerkmal, dem Rahmen, geht er ziemlich unvermittelt dazu über, den Wendepunkt als Charakteristikum innerhalb seines Strukturgesetzes von Ordnung und Chaos anzusetzen. Völlig unübersichtlich aber wird er dann an dem Punkt, an dem seine Einzelinterpretationen von zahlreichen Novellen folgen, die zwar alle unter dem Aspekt des Chaos und der Ordnung betrachtet sind, aber so viele Modifikationen durchlaufen, dass von einem klaren Strukturgesetz nicht mehr die Rede sein kann. Dies deutet sich bereits in der Einführung zu den Interpretationen an, wenn er ausführt, dass in vielen Novellen
„der Einbruch des Chaos einen Wendepunkt bezeichnet, zu dem dann der zweite, eigentliche Wendepunkt, der den Einbruch der Ordnungsmacht bezeichnet“, hinzukommt. Es sei aber auch möglich, dass die Novelle „mehrere Wendepunkte zulässt, d.h. die Wende ins Chaos oder zur Ordnung kann durch mehrere Ereignisse markiert sein, (…) ein erster Wendepunkt den Eintritt einer Ordnung gegenüber einem vielleicht noch indifferenten Zustand bezeichnen mag, während dann der zweite, endgültige, ins Chaos führt. Wenn die Mächte des Chaos dabei unumschränkte Sieger bleiben, so können wir von einer gegennovellistischen Haltung sprechen. Oft aber bestätigt der Einbruch des Chaos gleichwohl die Gültigkeit der Mächte der Ordnung, wenn nämlich der Mensch jenes herbeiruft, weil er gegen die Ordnung schuldig geworden ist. Dann handelt es sich um Novellen der Ordnung, nicht des Chaos. Es kann aber auch sein, daß in Gegennovellen die Ordnungswelt überhaupt nicht sichtbar wird, daß das Chaos einbricht und jede Wende tiefer hineinführt.“[61]
Mit diesen zahlreichen Modifikationen seines sogenannten Strukturgesetzes der Spannung zwischen Ordnung und Chaos gelingt es Lockemann zwar, etliche Novellen in sein Interpretationsschema zu zwingen, gleichzeitig wird er nun vollends beliebig, sodass der Vorwurf, den er den Gattungstheoretikern macht, sie leisteten keine Begriffsklärung und Abgrenzung, an ihn zurückgegeben werden muss.
Extrempositionen in der Novellenforschung nehmen Bernhard Bruch[62] und Adolf von Grolman[63] ein. Beide verfolgen dieselbe Grundthese, dass Tragödie beziehungsweise Drama und Novelle als Gattungen strikt getrennt zu sehen seien, der Novelle niemals tragische oder dramatische Anteile zugerechnet werden dürften. Von Grolman geht dabei sogar so weit, den „Tod“ der Novelle zu postulieren. Beide argumentieren jedoch aus völlig unterschiedlichen Richtungen. Die zentrale These Bruchs lautet:
„Der Novelle (…) ist der Bereich des Tragischen grundsätzlich verschlossen.“[64]
Beide Kunstformen würden verschiedenen Weltanschauungen entspringen, wobei der entscheidende Unterschied zwischen beiden Gattungen darin festzumachen sei:
„Das ist beider Verhältnis zum Tragischen. Denn das Drama in seiner größten Form ist objektiv tragisch, d.h. schon tragisch durch die objektive Unaufhebbarkeit einer zu sittlichen Entscheidungen zwingenden Situation, nicht erst nur durch die bestimmte Artung eines individuellen Charakters (…). Die Novelle ist allemal spezifisch untragisch; das liegt im Wesen jener doppelten Gebundenheit in ihrem Handlungsverlauf, der schicksalhaften Zufälligkeit des äußeren Geschickes, das den Menschen trifft, und der nicht minder schicksalhaften inneren psychologischen Unfreiheit in seinem Erleben und Tun.“[65]
Diese „innerste Gegensätzlichkeit“[66] mache sich vor allem in den formalen Zielpunkten bemerkbar, denen eine für die jeweilige Form allgemeingültige ästhetische Struktur zugrunde liege. Der Zielpunkt der Novelle sei die Pointe, der Zielpunkt der Tragödie sei jedoch die Peripetie.
Die grundsätzlichen Unterschiede im dramatischen und novellistischen Aufbau der Form versucht er, von hier aus zu begründen. So liege im Drama die Grundsituation vor, dass sich eine voraussetzungslose Gegenwart in eine noch unbestimmte Zukunft entfalte, wobei sich die Austragung eines ersten Konflikts in dynamischer und zwingender Folge gestalte. Auch das analytische Drama widerspreche seiner These nicht. Die Novelle hingegen arbeite rückblickend auf ein vergangenes Faktum, dessen Sinndeutung sie leiste.[67]
Die Peripetie wird für Bruch nur unzureichend erfasst, und zwar als Umschlag von Glück in Unglück, als Punkt, an dem die steigende Handlung aufhört und die fallende beginnt. Diese Auffassung von der Peripetie aber sei zu äußerlich. Ihre wirkliche Strukturbedeutung sei: die Ermöglichung der Erkenntnis für den Helden und seine innere Wandlung, die sich in einem einzigen tragischen Augenblick konzentriere, der repräsentativ für das Ganze sei. Die Tragödie beruhe auf der Überzeugung der Willensfreiheit des Helden, sein Handeln sei nur in seinem Charakter begründet, daher werde er zum Urheber seiner Taten und verantwortlich für diese. In der Novelle aber liege keine Hybris des Helden vor, es geschehe einfach etwas, es gebe keine Wahlmöglichkeit und ein schicksalhaftes Ereignis werde nur erklärt und gedeutet. Die Novelle kenne zwar auch den Wendepunkt, der sei jedoch ein Wendepunkt im Glück oder Unglück, aus dem aber keine innere Wandlung des Helden folge. Die Strukturbedeutung der Pointe für die Novelle dagegen sei, alle Spannungen aufzulösen, sie sei der Schlusspunkt.
Mit seiner Theorie befindet sich Bruch im Widerspruch zu etlichen Dichtern wie etwa Storm, der ja die Novelle als Schwester des Dramas bezeichnet und zu den tatsächlich vorhandenen Novellen. Einmal mehr ein Versuch eines Theoretikers, die künstlerisch Schaffenden und die Realität an formalästhetische Vorstellungen anzupassen.
Lässt Bruch noch den Gedanken einer Existenz der Novelle im 19. Jahrhundert zu – wenn auch nicht die der dramatischen Form – geht Adolf von Grolman noch einen Schritt weiter, wenn er behauptet, dass die Novellenform durch Hinzunahme des Problematischen zerstört worden sei. Er diagnostiziert Missbrauch bei der Anwendung des Begriffs Novelle, der beliebig benutzt werde und betrachtet Veränderungen der Novellenform nicht unter historischen Gesichtspunkten – vernachlässigt also mögliche zeitbedingte Wandlungen der Form – sondern postuliert das geschlossene Weltbild der Frührenaissance als Basis für die Möglichkeit einer Novellenproduktion überhaupt. Er folgert, dass die strenge Novellenform wegen der Unerlässlichkeit eines geschlossenen Weltbildes und des Wegfalls des Aspektes der Gesellschaftlichkeit nicht mehr möglich sei.
Von Grolman beharrt auf der sogenannten „Urform“, die ihm unantastbar ist und natürlich ruft auch er Boccacio als Zeugen auf. Veränderungen der Form sind für ihn daher nur Zeichen von Formmischung und Formverwischung, die auch die dichterische Freiheit nicht erlaubt. Es hat den Anschein, als bewerte von Grolman eine strenge Formtreue höher als den ästhetischen Wert eines Kunstwerks. Sein starrer, normativ ausgerichteter Ansatz erfüllt seinen Anspruch jedoch nicht, eine Klärung der Problematik der Novellenform zu leisten. Es scheint, dass sein Widerstand gegen die moderne deutsche Novelle lediglich aus seiner Vorliebe für die romanische Renaissancenovelle entspringt, was jedoch nicht sachlich, sondern gefühlsmäßig begründet wird:
„Die Nordländer sind nicht in der Lage, Novellen zu schreiben.“[68]
Ihre ausnahmslose „Formbehindertheit“ lasse beispielsweise Kleist „die Schwingungen einer strengen Novellenform nur ahnen“[69]. Zu den weiteren Autoren, die für von Grolman keineswegs Novellisten sind, zählen Thomas Mann und Gottfried Keller. Adalbert Stifter habe geahnt, dass er die Form nicht beherrsche und sie deshalb gemieden. An dieser Stelle kann der Vorwurf, den er Bruch im Verlauf seiner Untersuchung macht, dessen Novellentheorie beruhe auf persönlichen Ressentiments gegen die Renaissance mit ihrem Genussstreben, insofern an ihn zurückgegeben werden, als von Grolmans Ansatz sich in der Neigung zur Renaissance begründet.
Andere Wege, um sich dem „Problem“ Novelle zu nähern, beschreitet Benno von Wiese, der 1956 den ersten Band seiner Untersuchungen zur Novelle vorlegt.[70] Für von Wiese steht fest, dass man eine Gattungsdefinition leisten kann und die Gattung Novelle als solche nicht aufgeben muss. Er mahnt aber zur Vorsicht bei der Definition und der Grenzziehung zu anderen Gattungen und warnt vor der Suche nach ständig gleich bleibenden Merkmalen sowie deren Überbewertung. So könnten wohl eher die Dichter selbst mit ihren vorliegenden, konkreten Werken und nicht die Theoretiker mit ästhetischem Dogmatismus darüber Auskunft geben, was eine Novelle sei und was nicht. Er habe bei der Auswahl der nach seinen theoretischen Erläuterungen folgenden Interpretationen von Novellen auch Grenzfälle mit einbezogen, bei denen mancher Kritiker wahrscheinlich sagen werde, dass das besprochene Werk keine Novelle mehr sei, solange aber das Kunstwerk an sich anerkannt werde, berühre ihn dies nicht, denn die Grenzen der Gattungen seien besonders in der modernen Prosa als fließend anzusehen.
Charakteristisch für die Novelle sei die Beschränkung auf eine Begebenheit, ließe man diese Bestimmung weg, löse sich die ganze Gattung auf. Weitere wichtige Gattungsmerkmale seien der Vorrang des Ereignisses vor den Personen, die pointierende Darstellung und die symbolische Konzentration durch Verdichtung im Bildsymbol. Gleichzeitig warnt von Wiese vor der Übergewichtung der immer noch bei vielen Theoretikern beliebten Merkmale Falke und Wendepunkt, die in vielen Fällen zu einer dogmatischen Verengung des Blickwinkels geführt habe.
Er stützt sich vor allem auf Friedrich Schlegels Theorie. Dieser habe schon sehr früh die Doppelbödigkeit der Novelle in der Spannung zwischen Subjektivität und Objektivität erkannt, die vor allem in der poetisch objektiven Wahrheit der Begebenheit und ihrer subjektiven Überformung durch das Indirekte, durch Ironie und Symbolik, liege. Dabei müsse die Symbolik – das Mittel der Novelle zur Verdichtung – viel stärker berücksichtigt werden, als bisher geschehen.
Doch um jeden Dogmatismus zu vermeiden, schlägt von Wiese vor, den Gattungsnamen Novelle durch den Begriff „novellistisches Erzählen“ zu ersetzen, den er dann in Band zwei seiner Theorie wieder aufnimmt.[71] Der Spielraum des novellistischen Erzählens liege dabei weniger im „Was“ des Erzählens, sondern im „Wie“. Dieses „Wie“ zeige sich in der Gestaltung mittels Ironie, Zufall und Zeichen, wobei das Zeichen auch als fortgesetztes Bildsymbol oder Leitmotiv erscheinen könne. Problematisch ist hier, dass von Wiese nicht berücksichtigt, dass diese Elemente anderen Gattungen wie etwa dem Roman auch nicht fremd sind, manchmal sogar wichtige Aufbauelemente darstellen. In seiner 1963 erscheinenden Monographie zur Novelle[72] fasst von Wiese die Gedanken aus vorhergehenden Untersuchungen noch einmal zusammen, berücksichtigt dabei aber Ironie, Zufall und Zeichen nicht mehr. Als Grundzug novellistischen Erzählens stellt er nun den isolierten Einzelfall als Muss innerhalb der Novellengestaltung heraus, der Vorrang vor den Personen habe und als wahr erzählt werde. Hinzu komme das Aufnehmen der sogenannten niederen Lebensbereiche, die der Tragödie und dem Epos verschlossen seien.
Von Wiese vermeidet es, jenen Dogmatismus an den Tag zu legen, den andere Forscher zeigen. Sein Vorschlag, anstatt von Novelle besser von novellistischem Erzählen zu sprechen, scheint jedoch eher eine Art Notlösung zu sein. Eine Gattung nicht mehr mit ihrem Namen zu benennen, sondern den Gattungsnamen als Eigenschaftswort nun dem Erzählen zuzuordnen, ist keine Lösung an sich, auch wenn sich der neue Begriff weniger starr anhört. So kommt es doch auf die inhaltliche Füllung eines Namens an und nicht auf den Namen selbst. Das „Problem“ Novelle wird dadurch nicht kleiner.
Den bislang ausführlichsten und heute noch immer maßgeblichen Forschungsbericht zur Novelle legt 1965 Karl Konrad Polheim vor, der einen umfassenden Einblick in die komplizierte Forschungslage bietet.[73] Seine sehr differenzierte Darstellung und kritische Kommentierung der Forschungsentwicklung begründet keine explizit formulierte eigene Theorie, lässt jedoch seine Schlussfolgerungen begründet erscheinen. So lehnt Polheim die normativ ausgerichteten Forschungen und die immer wieder scheiternden Syntheseversuche ab und kommt zu der Auffassung, dass ein historisch orientierter Ansatz dem Anspruch eher gerecht werden könne, die Novelle von der theoretischen Seite her zu begreifen. Allein bei dieser Vorgehensweise könne der tatsächlich vorliegende geschichtliche Wandel genügend berücksichtigt werden.
Der jüngste – mir bekannte – Beitrag zur Theorie der Novelle stammt von Winfried Freund, der 1998 im Rahmen der Reihe Literaturstudium von Reclam einen Band zur Novelle veröffentlicht. Neben einer Fülle von Besprechungen von Novellisten mit ihren Novellen, denen der Hauptteil des Buches gilt, sagt Freund auch einiges zur Theorie und Forschung, entwickelt dabei aber keinen nennenswerten eigenen Ansatz. Im Theoriekapitel werden gängige Positionen referiert, im Forschungskapitel wird die Entwicklung der Forschung in so stark verkürzter und gestraffter Weise nachgezeichnet, dass die vorgestellten Positionen eigentlich nur dem etwas sagen können, der sie schon kennt. Die zum Teil geäußerte Kritik ist kaum nachvollziehbar. Insbesondere fällt hier auf, dass dem ausgesprochen differenzierten und vorsichtig formulierenden Karl Konrad Polheim der Vorwurf nicht erspart bleibt, er überfordere „mit seinem Exaktheitsanspruch eine Forschungspraxis, der mit naturwissenschaftlich-positivistischen Maßstäben nicht beizukommen ist.“[74] Freund, der seinen eigenen Ansatz als Synthese zwischen historischer und formal-kritischer Richtung versteht, postuliert eine Betrachtungsweise in der Verbindung von „struktureller Konstanz mit historischer Variation“[75], entlarvt sich jedoch an etlichen Stellen als rein normativ. So zum einen, wenn er die normativen Ansätze der Forscher im Laufe der Besprechung verteidigt, zum anderen, wenn er eingangs ohne nähere Erläuterung oder Berücksichtigung anderer Auffassungen behauptet:
„Als Urbild des Genres galt und gilt Giovanni Boccacios Decamerone.“[76]
Es gibt darüber hinaus aber auch Ansätze, die schon früh auf Aspekte gerichtet sind, denen die Forschung zunächst wenig Aufmerksamkeit schenkt, die heute jedoch als umso wichtiger eingestuft werden.
Einer dieser Ansätze ist der von Robert Petsch, der bereits 1934 einen Beitrag zur Theorie der Novelle veröffentlicht, in dem er sich der sprachlichen Form und der Erzählhaltung zuwendet. So halte „der Erzähler mit dem Leser eine merkwürdig-hintersinnige Zwiesprache“, wobei er „zwischen einem Ich und Wir, zwischen Zeigen und Verhüllen“ pendele, woraus der Reiz von Nähe und Distanz entstehe, den die Novelle den anderen Gattungen voraushabe. Die Symbolik in der Novelle „verweist auf Geheimnisse, die in oder hinter der Wirklichkeit verborgen sind, sich aber nicht ohne weiteres zeigen oder aussprechen lassen.“[77]
Ein Ansatz, der gleichfalls sehr viel Wert auf die Erzählhaltung legt und darüber hinaus neue Erkenntnisse zutage fördert, ist der von Manfred Schunicht, der nun im folgenden Kapitel drei betrachtet werden soll.
[...]
[1] Vgl. Walzel, Oskar: Die Kunstform der Novelle. In: ZfddU, 29. Jg. 1915, S. 165 f.
[2] Die – später gestrichene – Anmerkung Christoph Martin Wielands lautet: „Novellen werden vorzüglich eine Art von Erzählungen genannt, welche sich von den großen Romanen durch die Simplizität des Plans und den kleinen Umfang der Fabel unterscheiden, oder sich zu denselben verhalten wie die kleinen Schauspiele zu der großen Tragödie und Komödie.“
[3] Schlegels „Lucinde“ – 1799 veröffentlicht – erregt durch die Idealisierung romantischer Lebenszustände Aufsehen und Widerspruch beim bürgerlichen Publikum, das in dem Werk eine „Idylle des Müßiggangs“ sieht.
[4] Giovanni Boccacio (1313-1375). Sein Hauptwerk ist der Novellenzyklus „Decamerone“, entstanden zwischen 1349 und 1353 unter dem Eindruck des wohl für Boccacio einschneidenden Erlebnisses des Pestjahres 1348.
[5] Neben dem Roman „Don Quijote“ sind es die „Novelas ejemplares“, die den dichterischen Ruhm Miguel de Cervantes (1547-1616) begründen.
[6] Vgl. Schlegel, Friedrich: ebd., S. 390 f.
[7] Erläuterungen zu seinem Ironiebegriff finden sich verstreut in den Äthenäums-Fragmenten (51, 116 und 238) von 1798 und in den Ideen von 1800, Idee 69.
Schlegel setzt mit seinem Ironiebegriff Maßstäbe in der Diskussion der Ironieauffassung. Er begründet eine Umbildung des bis dahin gültigen klassischen Ironiebegriffs der objektiven (tragischen) Ironie zur subjektiven Ironie, die im Ansatz Sokrates folgt. Die romantische Ironie zeigt als stärkste Form der subjektiven Ironie das Durchbrechen des eigenen Ideals in der Erkenntnis des unüberbrückbaren Widerspruchs zwischen Ideal und Wirklichkeit. Ziel dieser Ironie ist es, das Endliche mit dem Unendlichen zu verbinden, wobei der Dichter bestrebt sein soll, den Menschen die Ewigkeit zu erklären. Dabei lässt die durch Ironie hergestellte Distanz des Autors diesen gleichsam über dem Stoff schweben.
[8] Schlegel, Friedrich: ebd. S. 394
[9] Vgl. ebd., S. 395, Für Friedrich Schlegel ist die allegorische (symbolische) Novelle „immer als der Gipfel und die eigentliche Blüte der ganzen Gattung“ zu sehen.
[10] Ebd.
[11] Die Bedeutung dieser wichtigen Erkenntnis Schlegels wird im 19. Jahrhundert und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein verkannt.
[12] Schelling von, Friedrich Wilhelm Josef: Philosophie der Kunst. In: Schellings Werke, hrsg. v. Manfred Schröter, 3. Hauptband (1801-1806), München 1963, S. 377-478
[13] Vgl. Hirsch, Arnold: Der Gattungsbegriff „Novelle“, Berlin 1928, S. 27
[14] Seit Hans Lambel 1872 die kleineren mittelalterlichen Schwänke und Erzählungen unter dem Titel Novelle herausgab, bedenkt ein Teil der Forschung die Möglichkeit, die Ursprünge der deutschen Novelle im deutschen Mittelalter zu suchen.
[15] Goethe, Johann Wolfgang von: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Werke Bd. 12, Tübingen 1808
[16] Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe, I. Teil, 29. Jan. 1827, hrsg. v. Fritz Bergemann, Baden-Baden 1987, S. 207 f.
[17] Die Rezension erscheint zunächst anonym. In: Berlinisches Archiv der Zeit und ihres Geschmacks. Bd. 3, Berlin 1800, S. 37-43
[18] Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Vorlesungen über Ästhetik (1819-1825), hrsg. v. Thomas Lehnerer, Hamburg 1984, S. 142 ff.
[19] Schlegel, August Wilhelm: Kritische Schriften und Briefe. Bd.4: Geschichte der romantischen Literatur, hrsg. v. Edgar Lohner, Stuttgart 1965, S. 216 ff.
[20] Tieck, Ludwig: Schriften. Vorbericht zur dritten Lieferung. Bd. 11, Berlin 1828, S. LXXXVI
[21] A.a.O., S. LXXXVII
[22] Heyse, Paul: Jugenderinnerungen und Bekenntnisse, Berlin 1900, S. 343
[23] Der Inhalt der Falkennovelle lässt sich mit wenigen Worten wiedergeben: Ein Ritter verehrt und liebt eine Dame und verwendet sein ganzes Vermögen darauf, ihre Gunst zu gewinnen, doch sie erhört ihn nicht. Was ihm bleibt, ist sein Falke. Als nun der Sohn dieser Dame erkrankt, überwindet sie ihre Abneigung gegen den abgewiesenen Bewerber zunächst insofern, als sie den Ritter aufsucht, um ihn um den Falken zu bitten, der Spielgefährte ihres Sohnes war, damit er zur Genesung des Sohnes beitrage. Den Falken aber hat der Ritter schlachten lassen, damit er seinen Gast bewirten kann. Als sie dies erfährt, ändert sie ihre Haltung, sie nimmt seinen Antrag an.
[24] Heyse, Paul: a.a.O., S. 348
[25] Deutscher Novellenschatz, hrsg. v. Paul Heyse u. Hermann Kurz, I. Bd., München 1871, S. 20
[26] Dieser Sachverhalt soll hier nur kurz angedeutet werden, da er in Kapitel zwei und drei noch eingehend besprochen wird.
[27] Storm/Keller: Briefwechsel, hrsg. v. A. Köster 1909, Brief an Keller vom 13.9.1883
[28] Solger, Karl Wilhelm Ferdinand: Vorlesungen über Ästhetik, hrsg. v. Heyse, K.W.L., Leipzig 1829, S.297
[29] Spielhagen, Friedrich: Beiträge zur Theorie des Romans, Leipzig 1883, S. 247 f.
[30] Hebbel, Friedrich: Sämtliche Werke, Tagebücher, Bd. I, 1835-1839, Berlin 1905, S. 212
[31] Walzel, Oskar: Die Kunstform der Novelle. In: ZfddU, 29. Jg. 1915, S. 161
[32] Vischer, Theodor: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen, Bd. VI, München 1923, S. 192 ff., § 883
[33] Vgl. Walzel, Oskar: a.a.O., S. 163
[34] Storm, Theodor: Sämtliche Werke, hrsg. v. Dieter Lohmeier, Bd. 4, Frankfurt 1988, S. 409
[35] Keller, Gottfried: Gesammelte Briefe in vier Bänden, hrsg. v. Carl Helbing, Bd. 3, Bern 1952, S. 464
[36] Mundt, Theodor: Ästhetik. Die Idee der Schönheit und des Kunstwerks im Lichte unserer Zeit, Berlin 1845, S. 342 ff.
[37] Mit der Einteilung in normative und historische Forschung als erste grobe Ordnungskategorie folge ich Karl Konrad Polheim. In: Novellenforschung und Novellendichtung. Ein Forschungsbericht, Stuttgart 1965, S. 9 ff.
[38] Pabst, Walter: Die Theorie der Novelle in Deutschland (1920-1940), Romanistisches Jahrbuch, Bd. II, 1949, S. 119 f.
[39] Pabst, Walter: Novellentheorie und Novellendichtung. Zur Geschichte ihrer Antinomie in den romanischen Literaturen, Hamburg 1953, S. 245
[40] Vgl. Polheim, Karl Konrad: a.a.O., S. 18 f.
[41] Martini, Fritz: Die Literatur in der Zeit des bürgerlichen Realismus. In: DVjs, Jg. 34, 1960
[42] Kunz, Josef: Die deutsche Novelle zwischen Klassik und Romantik. In: Grundlagen der Germanistik, Berlin 1954 Kunz, Josef: Die deutsche Novelle im 19. Jahrhundert. In: Grundlagen der Germanistik, Berlin 1970 Kunz, Josef: Die deutsche Novelle im 20. Jahrhundert. In: Grundlagen der Germanistik, Berlin 1977
[43] Kunz, Josef: Die deutsche Novelle im 19. Jahrhundert. In: Grundlagen der Gemanistik, Berlin 1970, S. 12
[44] Kunz, Josef: ebd.
[45] Himmel, Hellmuth: Geschichte der deutschen Novelle, Bern/München 1963, S. 6
[46] Pongs, Hermann: Das Bild in der Dichtung. Bd. 2: Voruntersuchungen zum Symbol, Marburg 1939, S. 99 f.
[47] Pongs, Hermann: Ist die Novelle heute tot? Untersuchungen zur Novellen-Kunst Friedrich Franz von Unruhs, Stuttgart 1961, S. 7
[48] Klein, Johannes: Geschichte der deutschen Novelle. Von Goethe bis zur Gegenwart, Wiesbaden 1954, S. 10
[49] Klein, Johannes: a.a.O., S. 5
[50] Klein, Johannes: a.a.O., S. 11
[51] Zit. nach Arx, Bernhard von: Novellistisches Dasein. Spielraum einer Gattung in der Goethezeit. Zürcher Beiträge zur deutschen Literatur- und Geistesgeschichte, hrsg. v. Emil Staiger, Zürich 1953, S. 8
[52] Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik, Zürich 1946, S. 237
[53] Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung, Berlin 1939, S. 124 Petersen versucht schematisch, die unterschiedlichen Dichtungen zu erfassen und abzugrenzen. Von den Achsen eines Rades lässt er drei Speichen laufen, die er als Epik, Lyrik und Drama bezeichnet. Zwischen den Speichen liegen alle gemischten Gattungen. Staiger bemerkt dazu, dass der „Werther“ demzufolge im ersten Teil als „lyrischer Roman“ gelte, also zwischen Epos und Lyrik gehöre, im zweiten Teil dagegen nähere er sich der „dramatischen Ich-Erzählung“ und schiebe sich zwischen Epos und Drama. Petersens Kombinationsmöglichkeiten seien zwar nicht unbegrenzt, aber doch unüberschaubar und sein Schema besage nur, dass alles mit allem gemischt werden könne, sein Prinzip der Einteilung damit zur Illusion werde und sein Rad getrost durch ein Verzeichnis aller Dichtungsarten ersetzt werden könne.
[54] Wiese, Benno von: Die deutsche Novelle von Goethe bis Kafka. Interpretationen I, Düsseldorf 1956, S. 14
[55] Arx, Bernhard von: a.a.O., S. 9
[56] Ebd.
[57] Arx, Bernhard von: a.a.O., S. 173
[58] A.a.O., S. 175
[59] Lockemann, Fritz: Gestalt und Wandlungen der deutschen Novelle, München 1957, S. 10 f.
Lockemann bezieht sich ausdrücklich auf die Publikationen von Karl Vietor (Geschichte der deutschen Ode, 1923), Günther Müller (Geschichte des deutschen Liedes, 1925), Wolfgang Kayser (Geschichte der deutschen Ballade, 1916) und Friedrich Beissner (Geschichte der deutschen Elegie, 1941).
[60] Lockemann, Fritz: a.a.O., S. 11
[61] Lockemann, Fritz: a.a.O., S. 16 f.
[62] Bruch, Bernhard: Novelle und Tragödie: Zwei Kunstformen und Weltanschauungen (Ein Problem der Geistesgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts). In: Zf. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft, Bd. 22, Stuttgart 1928, S. 292-330
[63] Grolman, Adolf von: Die strenge Novellenform und die Problematik ihrer Zertrümmerung. In: ZfDk, 43 Jg, 1929, S. 606-627
[64] Bruch, Bernhard: a.a.O., S. 329
[65] A.a.O., S. 305
[66] A.a.O., S. 293
[67] An dieser Stelle scheint es angebracht, die Theorie Bruchs durch ein Beispiel infrage zu stellen. Wie verhält es sich mit Sophokles „König Ödipus“? In diesem Paradebeispiel eines analytischen Dramas geht es nicht primär um Handlung, die sich vor den Augen des Publikums zwingend entwickelt, sondern um einen Wissensprozess bzw. einen Erkenntnisprozess. Dabei ist die dargestellte Gegenwart alles andere als voraussetzungslos. Der tragische, gleichsam heillose Konflikt liegt vor Einsetzen des Dramas. An Bruchs Aussage, auch das analytische Drama widerspreche seiner Theorie nicht, kann man sich somit ohne Weiteres nicht anschließen.
[68] Grolman, Adolf von: Die strenge Novellenform und die Problematik ihrer Zertrümmerung. In: ZfDk, 1929, S. 627
[69] Ebd.
[70] Wiese, Benno von: Die deutsche Novelle von Goethe bis Kafka. Interpretationen I, Düsseldorf 1956
[71] Wiese, Benno von: Die deutsche Novelle von Goethe bis Kafka. Interpretationen II, Düsseldorf 1962
[72] Wiese, Benno von: Novelle, Stuttgart 1963
[73] Polheim, Karl Konrad: Novellentheorie und Novellenforschung. Ein Forschungsbericht, Stuttgart 1965
[74] Freund, Winfried: Novelle. In: Reclam Literaturstudium, Stuttgart 1998, S. 26
[75] A.a.O., S. 30
[76] A.a.O., S. 10
[77] Petsch, Robert: Wesen und Formen der Erzählkunst. In: DVjs, Bd. 20, Halle an der Saale 1942 (1. Aufl. 1934), S. 447
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2000
- ISBN (PDF)
- 9783956849718
- ISBN (Paperback)
- 9783956844713
- Dateigröße
- 1 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Ruhr-Universität Bochum
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
- Note
- 1,7
- Schlagworte
- Gattungsbegriff Falkentheorie bilaterale Struktur teleologische Struktur unerhörte Begebenheit
- Produktsicherheit
- BACHELOR + MASTER Publishing