Föderalismus und kein Ausweg? Eine Analyse der Effizienz des föderalen Systems der BRD
Zusammenfassung
Seit der Veröffentlichung dieses Werk sind mehr als 30 Jahre vergangen, die Möglichkeiten der Politikverflechtung sind in dieser Zeit vielseitiger geworden, unter anderem durch den Prozess der deutschen Wiedervereinigung und den der Europäisierung. Mit Einsetzen der ‘Föderalismuskommissionen’ ab dem Jahre 2003 sind die deutschen Probleme der Aufgabenverflechtung gezielt thematisiert und angegangen worden.
Die vorliegende Arbeit widmet sich dieser Problematik, indem sie untersucht, in wie weit die Gefahr einer Politikverflechtungsfalle in der Bundesrepublik Deutschland in Zeiten vor der Föderalismuskommission I bestand und in wie weit die strukturellen Gegebenheiten durch die Reform verbessert wurden.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
2.3 Horizontale Politikverflechtung
Im Bereich der horizontalen Vernetzung auf der „dritten Ebene“ lassen sich ebenfalls zahlreiche Beispiele anführen. Als Erstes die regelmäßigen Treffen der Regierungschefs der einzelnen Bundesländer, die abgehalten werden, um eine gemeinsame Linie der Länder festzulegen und so ggf. den Bund daran zu hindern, Länderkompetenzen auf Grund der Wahrung gleichwertiger Lebensverhältnisse für sich zu beanspruchen.[1]Als prominentestes Beispiel lässt sich als Zweites die Kultusministerkonferenz (KMK) anführen, die bereits vor Bestehen der Bundesrepublik im Jahre 1948 gegründet wurde. Obwohl diese Institution lediglich Empfehlungen an die Länder ausspricht, hat sie doch im System der Politikverflechtung eine besondere Rolle. Durch das gemeinsame Vorgehen der Kultusminister aller Bundesländer wird hier versucht, trotz der Tatsache, dass die Bildung Ländersache ist, eine gemeinsame Linie in der Bildungspolitik formuliert und so auch auf diesem Gebiet versucht, eine grundlegend gleiche Linie zu wahren. Das langjährige Bestehen der KMK bezeugt die Wichtigkeit solcher Organe im kooperativen Föderalismus der Bundesrepublik, ohne eine Aussage über deren Ansehen in der Bevölkerung zu machen. In diesem Zusammenhang lässt sich das Stichwort des „kooperativen Exekutivföderalismus“ anführen. Das Beispiel der KMK macht deutlich, dass horizontale, aber auch vertikale Kooperationen, hauptsächlich auf der exekutiven Ebene stattfinden und Oppositionsparlamentarier ausschließen. Diese, aus der Sicht der nicht beteiligten Abgeordneten, oft als „Ressortkumpanei“ dargestellten Treffen, beschränken die Macht der Landtage, da deren Gestaltungsmöglichkeiten durch die vorangegangenen Absprachen in den einzelnen Ausschüssen und Konferenzen eingeschränkt werden und gleichzeitig die Kontrollfunktion der Parlamente dadurch beschränkt wird.[2]An diesem Punkt setzt auch die oft zu vernehmende öffentliche Kritik an der Bildungspolitik in den Bundesländern an.
2.4 Die Verflechtung der Parteien
Einen weiteren Punkt in der Verflechtungsstruktur des kooperativen Föderalismus stellen die zahlreichen Parteiennetzwerke innerhalb der Bundesrepublik dar. Außer der CSU in Bayern und einer dominanten Linkspartei in den neuen Bundesländern existiert in der Bundesrepublik ein bundesweit einheitliches Parteiensystem, welches starke Zentralisierungstendenzen hat.[3]Dies ist dadurch bedingt, dass die Parteien trotz der föderalen Ordnung auf allen politischen Ebenen aktiv sind und grundlegend eine bundeseinheitliche Politik verfolgen. So finden neben den oben erwähnten formellen und informellen Treffen auch Treffen der Landes- mit den Bundespolitikern einer Partei statt, um eine gemeinsame bundeseinheitliche Parteilinie auszuloten. Man spricht hier von den Treffen der A-Länder (SPD-geführt) und denen der B-Länder (CDU-geführt).[4]Diese parteipolitische Vernetzung kommt zu der administrativen Verflechtung auf der vertikalen und horizontalen Ebene hinzu und verstärkt so den Vernetzungsgrad und damit das Problemerzeugungspotential deutlich. Probleme innerhalb der Parteienkonstellation entstehen darüber hinaus auch durch unterschiedliche Koalitionen innerhalb der einzelnen Bundesländer und der dadurch im Vergleich zum Bundestag zum Teil oppositionellen Zusammensetzung des Bundesrats. (siehe dazu 3.2)
2.5 Die Finanzverfassungsreform von 1969
Eine ausufernde, unsystematische Mischfinanzierung gemeinsamer Vorhaben des Bundes und der Länder seit den 50er Jahren, die auf keiner verfassungsrechtlichen Grundlage aufbaute, hatte vor allem bei den Ministerpräsidenten der Bundesländer den Wunsch nach einer grundlegenden Finanzreform entstehen lassen.[5]Im Jahre 1969 wurden daraufhin mit der von einer Großen Koalition aus SPD und CDU/CSU beschlossenen „Großen Finanzverfassungsreform“ zwei zentrale Punkte geändert:
Zum einen wurde die unkoordinierte Mischfinanzierung durch die Schaffung der Gemeinschaftsaufgaben (Art. 91a alt GG) und der Investitionshilfen des Bundes an die Länder (Art. 104a alt GG) auf eine verfassungsrechtliche Grundlage gestellt. Die Gebiete der Mischfinanzierung sind in den beiden Gesetzen nun explizit umrissen. Auf Grundlage der Wahrung einheitlicher[6]Lebensverhältnisse gewährt der Bund dabei den Ländern Finanzhilfen – und sichert sich gleichzeitig ein erhebliches Mitspracherecht bei der genauen Ausgestaltung der jeweiligen Projekte, das er vor der Reform nicht innehatte.[7]Zwar hat der Bund im Vergleich zu den Ländern in den Planungsausschüssen der Gemeinschafsaufgabenfinanzierung keine Vormachtstellung – im Gegenteil findet hier eine gleichberechtigte Zusammenarbeit statt – doch birgt dies neben dem Machtverlust der Länderparlamente ein weiteres Manko: Es besteht die Gefahr, dass Beschlüsse lediglich auf Basis des „kleinsten gemeinsamen Nenners“ getroffen werden. Der Gestaltungsspielraum der jeweiligen Landesregierung ist somit im Vergleich zu einer alleinigen Planung und Finanzierung des Projekts durch das Bundesland eingeschränkt. In diesem Zusammenhang hat sich der Begriff des „goldenen Zügels“ etabliert, an welchem der Bund die Länder auf Grund seiner „finanziellen Übermacht“, hält und so die Macht der Länderparlamente beschneidet.[8]
Zum anderen wurde mit dieser Reform auch die Steuer- und Finanzverteilung mit in das Modell des kooperativen Föderalismus einbezogen und so eine weitere Form der Politikverflechtung geschaffen: Das deutsche Steuersystem, vorher ein reines Trennsystem, wurde durch die Große Finanzverfassungsreform in ein Steuerverbundsystem umgewandelt. Der dadurch entstandene gemeinsame Zugriff von Bund und Ländern auf die wichtigsten Steuern stellt im internationalen Vergleich eine Ausnahme und gleichzeitig eine„Knebelung der Gliedstaaten im Hinblick auf steuerpolitische Initiativen“dar.[9]Der Länderfinanzausgleich sowie der Solidarpakt I und II verstärken die „Knebelung“ der Bundesländer weiter.[10]
Mit der Ausweitung des kooperativen Föderalismus auf das Steuer- und Finanzwesen der Bundesrepublik fand zwar objektiv betrachtet eine„folgerichtige Komplettierung eines zunächstunvollständigen Modells statt“[11], die negativen Folgen dieser Komplettierung blieben jedoch nicht aus. Sie werden im Kapitel drei und vier näher betrachtet.
Überspitzt zusammengefasst lässt sich der deutsche kooperative Exekutivföderalismus als„ziemlich verkorkstes System“und als„verkappter Einheitsstaat“interpretieren[12], der unter dem„Geburtsfehler“einer„verordneten Bundesstaatlichkeit“leidet und demnach eine„föderale Form ohne föderalen Inhalt“aufweist.[13]Die föderale Ordnung der Bundesrepublik beruht jedoch nicht auf einem„Nullsummen-Kompetenzkonflikt zwischen Bund und Gliedstaaten“[14], sondern auf den Gedanken der Kooperation und der Schaffung einheitlicher Lebensverhältnisse. „Föderalismus mußte wohl sein, aber einen Unterschied sollte er nicht machen.“[15],lautet SCHARPFS knappen Resümee der geschilderten Nachkriegsweichenstellungen. Der kooperative Föderalismus erschien nach Kriegsende (und auch nach der Deutschen Einheit, siehe dazu 3.5) als das am besten geeignete„Mittel der Anpassung der bundesstaatlichen Ordnung an die Erfordernisse des modernen Planungs-, Lenkungs- und Vorsorgestaates“, wie es die Bundesrepublik Deutschland werden sollte und geworden ist.[16]Da eine zentrale Staatslösung von den Alliierten nicht geduldet worden wäre, wurde durch die„institutionalisierte Kooperation zersplitterter Entscheidungsmuster“versucht, die möglichen Nachteile (vor allem in der Kommunikation und Entscheidungsfindung) einer dezentralen Lösung abzumildern.[17]
Die Probleme, die gerade durch diese Kompetenzverschränkungen entstanden sind, hat SCHARPF in seiner Theorie der Politikverflechtung untersucht, benannt und auch mögliche Lösungen aufgezeigt. Sie werden nachfolgend vorgestellt.
3. Die Theorie der Politikverflechtung
SCHARPF beschreibt das politische System der Bundesrepublik Deutschland als ein System,„dessen Handlungspotential zugleich strukturell stärker fragmentiert und prozessual stärker verflochten ist als in vergleichbaren anderen Systemen.“[18]Das hier angesprochene Phänomen der Politikverflechtung, definiert als die„institutionelle Mitwirkung nachgeordneter Gebietskörperschaften an der Willensbildung auf der übergeordneten Entscheidungsebene“[19],wird nachfolgend entsprechend der Theorie der Politikverflechtung nach Fritz W. SCHARPF mit seinem Lähmungs-, aber auch mit seinem Nutzenpotenzial und seinen Rechtsfertigungsgründen, vorgestellt. In diesem Zusammenhang steht auch das theoretische Bild der Politikverflechtungsfalle. Ein kurzer Blick auf zwei der aktuellen Probleme, die deutsche Wiedervereinigung und den immer weiter voranschreitenden Prozess der Europäisierung, verdeutlichen das Problempotenzial des deutschen Föderalismus weiter.
3.1 Die Untersuchungen von 1976 und deren Ergebnisse
SCHARPFs Theorie, in den Anfängen noch als „Theorieversuch“ beschrieben, da speziell zugeschnitten auf den deutschen „Sonderfall“ der Verflechtung, wird heute als Theorie von beträchtlicher Relevanz nicht nur für die (vergleichende) Föderalismusforschung angesehen.[20]Zur Zeit der Veröffentlichung im Jahr 1976 beschränkte sich die Untersuchung darauf, den Einfluß einer spezifischen Struktur der politisch-administrativen Politik-Formulierung auf den Prozeß der Politik-Formulierung und seine Ergebnisse unter den Rahmenbedingungen der Bundesrepublik in den 60er und 70er Jahren und im Bereich der»Gemeinschaftaufgaben«des Bundes und der Länder und der»Investitionshilfen«des Bundes an die Länder zu erklären.[21]
Die Studie ist zweigeteilt; der erste Teil untersucht zunächst in einem normativ-analytischen Schritt das politische System Deutschlands, welches für SCHARPF eine„horizontal und vertikal stark differenzierte […] Entscheidungsstruktur“ aufweist“und die so entstandenen„Dezentralisierungsprobleme“[22]durch Politikverflechtung löst. Das Augenmerk der Untersuchung liegt auf den verschiedenen Steuerungsinstrumenten innerhalb der Politikverflechtung und den daraus entstandenen Problemen. Im zweiten Schritt, einer empirisch-verhaltenswissenschaftlichen Analyse, werden Hypothesen zum Entscheidungsverhalten der Akteure innerhalb der verschiedenen Steuerungselemente aufgestellt, auf deren Grundlage sich das Nutzen- sowie das Lähmungspotenzial der Politikverflechtung und die nicht mehr aufzulösenden Blockaden in Form der Politikverflechtungsfalle ableiten lassen.
Im zweiten Teil der Studie wurden die im ersten Teil entwickelten Hypothesen anhand von zwei Fallanalysen (den „Gemeinschaftsaufgaben“ und den „Investitionshilfen des Bundes an die Länder“ gemäß der Großen Finanzverfassungsreform von 1969) einer empirischen Prüfung unterzogen. Das Credo der Studie von SCHARPF et al. besagt, dass das politische System Deutschlands„einen hohen Preis für das vorherrschende Entscheidungsmuster der Politikverflechtung zu bezahlen hat.“[23]Wie dies genau zu verstehen ist, zeigen die beiden Folgekapitel.
3.2 Das Lähmungspotenzial der Politikverflechtung
In der Konklusion der Analyse der deutschen Politikverflechtung zieht SCHARPF den Schluss, dass die
Entscheidungsmuster der Politikverflechtung auf der normativ-analytischen Ebene [zwar] eine geeignete Abhilfe für die systematischen Problemerzeugungstendenzen einer dezentralen Entscheidungsstruktur bieten können, daß jedoch die empirisch wahrscheinliche Tendenz zur Konfliktminderung Steuerungsdefizite erwarten läßt und deshalb einer effektiven Problemverarbeitung entgegensteht.[24]
Als Haupt-Steuerungsdefizit hat SCHARPF zwei institutionelle Bedingungen identifiziert, die die Problemlösungsdefizite der deutschen Politikverflechtung bedingen:
1. Entscheidungen auf der höheren Ebene erfordern die Zustimmung von Regierungen der unteren Entscheidungsebenen.[25](„Problem des »joint product«“)[26]
Die Beispiele der Gemeinschaftsaufgaben und der Investitionshilfen verdeutlichen dies in Form der Planungsausschüsse, in denen der Bund mit den betroffenen Ländern das Vorhaben abstimmt. Des Weiteren besteht die Möglichkeit parteipolitischer Blockade durch die notwendige Zustimmung eines oppositionell besetzten Bundesrats bei wichtigen Gesetzesvorhaben der Bundesregierung.
2. Die Zustimmung zu Entscheidungen muss (zumeist) einstimmig erfolgen.[27](„Problem des »common pool«“)[28]
Hier kommt ebenfalls der Bundesrat ins Spiel, dessen verfassungsmäßige Logik als Interessensvertretung der Länder die Möglichkeiten des Parteienwettbewerbs und die einer innerparteilichen Parteienbindung außer Acht lässt und so oftmals zu Enthaltungen von Landesregierungen führt, die sich bezüglich eines zur Abstimmung stehenden Themas uneinig sind. So kommt oftmals der als „Nebenregierung“ oder auch als „Überparlament“ bezeichnete Vermittlungsausschuss ins Spiel, dessen Tagungen der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind.[29]
Die beiden genannten Bedingungen haben weitreichende Konsequenzen. Als Hauptkonsequenz aus den einzelnen Lähmungsbereichen der deutschen Politikverflechtung entstehen nach SCHARPF et al. so genannte„Niveauprobleme“, die eine Leistungssteigerung oder -verminderung der einzelnen beteiligten Institutionen nötig werden lassen.[30]Denn ein hoher Konsensbedarf im Sinne eines „joint products“ und des „common pools“ kann im negativen Sinne schnell zu Minimalkonsensen und, schlimmstenfalls, zu Vertagung von Entscheidungen oder zu Nicht-Einigung führen. Dabei bedeutet eine Nicht-Einigung das Weiterbestehen früherer Beschlüsse und„nicht die Rückkehr in einen Zustand ohne kollektive Regelung“, so dass eine Niveauanpassung nötig wird.[31]
Neben den Niveauproblemen, denen oftmals„Niveaufixierungsprobleme“nachfolgen[32], lassen sich zwei weitere Dezentralisierungsprobleme des kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik ausmachen. So existiert einerseits ein„Verteilungsproblem“, welches sich dann ergibt,
wenn nicht nur das aggregierte Leistungsniveau, sondern auch geographische sektorale, personale oder zeitliche Verteilung dezentraler Aktivitäten […] korrekturbedürftig erscheinen.[33]
So sind durch den langwierigen Entscheidungsfindungsprozess mit der gezwungenen Einbeziehung aller beteiligten Institutionen und den dort oftmals unterschiedlich parteigebundenen Akteuren kaum flexible und kurzfristige Entscheidungen zu erwarten.[34]Das politische System Deutschlands arbeitet dadurch schwerfällig und intransparent.[35]Durch den Unitarisierungsdruck des kooperativen Föderalismus werden zudem, wie bereits zuvor angesprochen (vgl. 2.1), die Funktion der Kontrollinstanz und der Handlungsspielraum der Landesparlamente eingeschränkt. Getroffene Entscheidungen haben dadurch einen undemokratischen Charakter, da sie oftmals hinter verschlossenen Türen erfolgen und den Landesregierungen sowie der Opposition auf Bundesebene eine parlamentarische Kontrolle erschweren.[36]
Andererseits bestehen„Interaktionsprobleme“, die keine gemeinsamen Lösungen im Sinne eines „common pool“ erfordern, sondern im Gegensatz ein„gerade unterschiedliches, jedoch zeitlich und sachlich aufeinander abgestimmtes Entscheidungsverhalten“der beteiligten Akteure.[37]Das Haupt-Interaktionspro-blem ist dabei die Konsensbildung in Form des „Bargainings.“ In einem solchen Falle verhalten sich alle Beteiligten bezüglich ihrer Vorstellungen egoistisch-rational, so dass eine Einigung zwar möglich wird, der„davon zu erwartende Nutzen[jedoch lediglich]mindestens ebenso groß ist, wie der bei Nicht-Einigung erwartete.“[38]Auf diese Weise können Probleme trotz sich gegenüberstehenden Positionen in einem auf Kooperation angelegten Föderalismus gelöst werden. Es entstehen jedoch Kompromisse auf Basis des „kleinsten gemeinsamen Nenners“, da dieser Modus„einseitige Verzichtsleistungen“ausschließt.[39]
Die Gesamtauswirkungen der deutschen Politikverflechtung wurden von SCHARPF als„Externalitäten“bezeichnet.[40]Als negative Externalitäten aus den Steuerungsdefiziten der deutschen Politikverflechtung lassen sich Frustration bei der Wählerschaft über nicht nachvollziehbare Entscheidungen und daraus folgend eine hohe Politikverdrossenheit in der Bürgerschaft, die sich in Protest- oder Nichtwahl ausdrücken kann, schlussfolgern.[41]Durch den starken Verflechtungsgrad und die informellen Absprachen sowie durch parteipolitische Übereinkünfte entsteht darüber hinaus eine diffuse Verantwortung für die getroffenen Entscheidungen, die von den Bürgerinnen und Bürgern nicht mehr klar einer bestimmten Instanz bzw. einem Akteur zugeordnet werden kann.[42]Aus diesen festgefahrenen Strukturen resultiert eine Unreformierbarkeit des Systems an sich, die zwar einem „lokalen Optimum“[43]für die beteiligten Regierungen gleichkommt, sich in Krisensituationen jedoch als Selbstblockierung und „institutionelle Falle“ erweist.[44]Diese institutionelle Falle hat SCHARPF „Politikverflechtungsfalle“ genannt.
[...]
[1]Ebd. S. 33.
[2]Ebd. S. 33f.
[3]Beyme, Klaus von: Die Asymmetrie des postmodernen Föderalismus. In: Renate Mayntz/Wolfgang Streeck (Hrsg.): Die Reformierbarkeit der Demokratie. Innovationen und Blockaden. Festschrift für Fritz W. Scharpf. In: Schriften aus dem Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung. Band 45. Frankfurt am Main 2003. S. 250.
[4]Münch/Meerwaldt: Politikverflechtung im kooperativen Föderalismus. S. 23f.
[5]Kilper/Lhotta: Föderalismus in der Bundesrepublik. S. 183.
[6]Nach der deutschen Einheit 1990 wurde diese Formulierung in „gleichwertige Lebensverhältnisse“ umgewandelt. Vgl. dazu 3.5.
[7]Scharpf: , Fritz W.: Die Politikverflechtungsfalle. In: Ders. (Hg.): Optionen des Föderalismus in Deutschland und Europa. Frankfurt am Main 1994. S. 15.
[8]Kühne, Hartmut: Auslaufmodell Föderalismus? Den Bundesstaat erneuern – Reformblockaden aufbrechen. Mit einem Vorwort von Klaus von Dohnanyi. München 2005. S. 107: ‚“Gemeinschaft“ steht auf dem Etikett der Flasche, die überwiegend mit „Bund“ gefüllt ist.’ Mit dieser Umschreibung verdeutlicht Kühne die „teilweise Entmachtung der Länder“ durch die Finanzverfassungsreform von 1969.
[9]Sturm/Zimmermann-Steinhart: Föderalismus. S. 72. Hier findet sich auch eine gute Übersicht über die genaue Verteilung der Steuern auf Bund, Länder und Gemeinden von 1949 bis 2002.
[10]Ebd. S. 78. Siehe dazu auch 3.5 und 4.4.
[11]Scharpf: MPIfG Working Paper 99/3.
[12]Abromeit, Heidrun: Der verkappte Einheitsstaat. Opladen 1992. S. 131.
[13]Ebd. S. 8.
[14]Scharpf: Politikverflechtungsfalle. S. 13.
[15]Scharpf: MPIfG Working Paper 99/3.
[16]Kilper/Lhotta: Föderalismus in der Bundesrepublik. S. 178.
[17]Wachendorfer-Schmidt, Ute: Politikverflechtung im vereinigten Deutschland. 2. Auflage. Wiesbaden 2005. S. 18.
[18]Scharpf, Fritz W.: Theorie der Politikverflechtung. In: Ders., Bernd Reissert, Fritz Schnabel (Hrsg.): Politikverflechtung: Theorie und Empirie des kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik. Kronberg 1976. S. 13.
[19]Scharpf, Fritz W.: Optionen des Föderalismus in Deutschland und Europa. Frankfurt am Main 1994. S. 7.
[20]Benz, Arthur: Konstruktive Vetospieler in Mehrebenensystemen. In: Renate Mayntz/Wolfgang Streeck (Hrsg.): Die Reformierbarkeit der Demokratie. Innovationen und Blockaden. Festschrift für Fritz W. Scharpf. In: Schriften aus dem Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung. Band 45. Frankfurt am Main 2003. S. 233.
[21]Scharpf, Fritz W.: Die Theorie der Politikverflechtung: ein kurzgefaßter Leitfaden. In: Joachim Jens Hesse (Hg.): Politikverflechtung im föderativen Staat. Studien zum Planungs- und Finanzverbund zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Baden-Baden 1978. S. 21.
[22]Ebd. S. 23: Damit sind die Probleme gemeint, „diegeradedurch die Inkongruenz zwischen Entscheidungsstruktur und Problemstrukturerzeugtwerden.“
[23]Scharpf, Fritz W.; Reissert, Bernd, Schnabel, Fritz: Nachwort: Der politisch-bürokratische Nutzen der Politikverflechtung. In: Diess. (Hrsg.): Politikverflechtung: Theorie und Empirie des kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik. Kronberg 1976. S. 236.
[24]Scharpf: Theorie der Politikverflechtung. S. 22.
[25]Scharpf: Politikverflechtungsfalle. S. 25.
[26]Scharpf: Kurzgefasster Leitfaden. S. 25.
[27]Scharpf: Politikverflechtungsfalle. S. 25.
[28]Scharpf: Kurzgefasster Leitfaden. S. 24f.
[29]Sturm/Zimmermann-Steinhart: Föderalismus. S. 60.
[30]Scharpf: Kurzgefasster Leitfaden. S. 25.
[31]Scharpf: Politikverflechtungsfalle. S. 29.
[32]Scharpf: Theorie der Politikverflechtung. S. 26:„Bei umfassender Betrachtung werden sich Niveauprobleme häufiger als Niveaufixierungsprobleme erweisen, bei denen es darauf ankommt, ein bestimmtes Aktivitätenniveau weder zu unterschreiten noch zu überschreiten.“
[33]Ebd.
[34]Dabei kann es auch innerparteilich zu Uneinigkeiten kommen, vgl. hierzu 4.3 und die Beispiele Länderfinanzausgleich („reiche“ gegen „arme“ Länder) sowie Solidarpakt (Einzahler gegen Empfänger).
[35]Scharpf: MPIfG Working Paper 99/3.
[36]Ebd.
[37]Scharpf: Theorie der Politikverflechtung. S. 28.
[38]Scharpf: Politikverflechtungsfalle. S. 32.
[39]Ebd. S. 39.
[40]Scharpf: Kurzgefasster Leitfaden. S. 24: Unter Externalitäten versteht Scharpf die „Wirkung einer Entscheidung über den Zuständigkeitsbereich der Entscheidungseinheit hinaus.“
[41]Scharpf: Politikverflechtungsfalle. S. 25.
[42]Ebd. S. 26.
[43]Ebd. S. 44.
[44]Ebd. S. 41f.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2007
- ISBN (PDF)
- 9783958205338
- ISBN (Paperback)
- 9783958200333
- Dateigröße
- 5.7 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
- Note
- 1,3
- Schlagworte
- Politikverflechtung Politikverdrossenheit Bundesland Politische Theorie Politisches System
- Produktsicherheit
- BACHELOR + MASTER Publishing