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Ziele und Methoden in der Schwarzen Pädagogik

©2012 Bachelorarbeit 63 Seiten

Zusammenfassung

Die Arbeit fokussiert eine Pädagogik, welche historisch gesehen in der traditionellen Erziehung von Kindern lange verbreitet war und es ist auch immer noch teilweise ist. Charakteristisch für Schwarze Pädagogik ist Zwang, Gewalt und Unterdrückung von Kindern. In der Arbeit werden verschiedene Quellentexte analysiert und zusammengefasst, um die Methoden und Ziele herauszufiltern. Ebenso wird eine definitorische Annäherung an den Begriff vorgenommen und verschiedene Vertreter der Schwarzen Pädagogik beschrieben. Hauptquelle der Arbeit waren die Schriften von Katharina Rutschky und Alice Miller.
Neben der intensiven Beschäftigung mit der Schwarzen Pädagogik wird der Begriff und die Verwendung des Begriffes auch kritisch hinterfragt, im heutigen Kontext betrachtet und mögliche Alternativen diskutiert.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


3.1. Entwicklung

Die Geschichte der Schwarzen Pädagogik ist eng verknüpft mit der Geschichte der Kindheit. Erziehung setzt voraus, dass es eine Unterscheidung zwischen Erzieher und Zögling gibt, in diesem Falle also eine Unterscheidung zwischen Kind und Erwachsenen. Das Verständnis von Kindheit aus historischer Sicht unterscheidet sich von dem Verständnis in der Gegenwart. Zur Entwicklung des Verständnisses von Kindheit gibt es verschiedene Ansichten. In diesem Kapitel werden vorrangig die Theorien von Philippe Aries und Lloyd deMause betrachtet, da sie die ersten Forscher waren, welche sich mit der Geschichte der Kindheit ausführlich beschäftigten. Ihre Theorien wurden teilweise von Konrad und Schultheis kritisch diskutiert, aus diesem Grund fließen ebenfalls ihre Ansichten in die Arbeit ein. Natürlich gibt es noch weitere Historiker, die sich mit dem Thema der Kindheitsgeschichte befasst haben[1], jedoch wurde in dieser Arbeit wurde lediglich eine Auswahl getroffen.

Der Historiker Philippe Aries[2] entwickelte anhand der Betrachtung von Gemälden und Bilden die These, dass die Kindheit erst ab einem bestimmten Zeitpunkt wahrgenommen wurde. Die Kinder auf den Bildern der zeitgenössischen Kunst wurden nicht als Kinder dargestellt, sondern als kleine Erwachsene. Aries zieht daraus folgenden Schluss: „Bis zum 17. Jahrhundert kannte die mittelalterliche Kunst die Kindheit entweder nicht oder unternahm doch jedenfalls keinen Versuch, sie darzustellen“ (Aries, 2011, S. 92). Im Mittelalter wurden Kinder, seiner Meinung nach, noch nicht als Kinder wahrgenommen. Erst im Laufe des 16. bis 18. Jahrhunderts bekamen die dargestellten Kinder kindlichere Züge und waren als solche erkennbar. Dies ist nach Aries auch die Zeit, in der Eltern angefangen haben ihre Kinder als Kinder wahrzunehmen und als diese zu lieben (vgl. Konrad, 2008, S. 13). Aries spricht dabei von einer Entdeckung der Kindheit. Das „moderne Konzept der Kindheit möge zwar tatsächlich erst zu Beginn der Moderne, zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert seinen Durchbruch erlebt haben“ (ebd., S. 14), aber das Wahrnehmen der Kindheit war ein Prozess, der im Mittelalter seinen Ursprung hatte.

Der Historiker Lloyd deMause[3] fasst diesen Prozess noch weiter und beschreibt den „Wandel der Eltern-Kind-Beziehung von einem eher kühl-distanzierten Verhältnis in der Antike bis hin zu einem emotional-liebevollen in der Moderne“ (deMause, 1980, S. 16). Des Weiteren beschreibt er die Geschichte der Kindheit als „ein[en] Alptraum, aus dem wir gerade erst aufwachen“ (ebd., S. 12). Seiner Meinung nach entwickelt sich erst jetzt ein Bewusstsein über die Grausamkeit, in welcher die Kinder in den letzten Jahrhunderten aufwachsen mussten, und welche Auswirkungen dies auf ihre Entwicklung hatte. Die Lebensbedingungen der Kinder wurden lange Zeit als normal und unvermeidlich betrachtet.

Ab dem 16. Jahrhundert entwickelte sich das Bewusstsein, dass Kinder der Bildung und Erziehung bedürfen (vgl. Konrad, 2008, S. 18). Damit ist vor allem die außerschulische Erziehung innerhalb der Familie gemeint, da es Bildung und Erziehung im Kontext der Schule schon seit der Antike gab (vgl. ebd.). Das 18. Jahrhundert, in dem die Zeit der Aufklärung stattfand, wird auch als das „Pädagogische Jahrhundert“ bezeichnet, da mit einer besonderen Intensität sich mit Fragen der Bildung und Erziehung beschäftigt wurde und die Pädagogik eine besondere Bedeutung erhielt. Im Zeitalter der Aufklärung gab es verschiedene Pädagogen, darunter Jean-Jacques Rousseau und John Locke, welche mit ihren Erziehungsschriften[4] ein neuen Blickwinkel auf die Bedeutung der Erziehung ermöglichten (vgl. Jonach, 1997, S. 7ff.). Dadurch wurde die Phase der Kindheit nicht mehr als ein unumgänglicher Lebensabschnitt gesehen, sondern als eigenständige Zeit im Leben eines Menschen. Die Erziehungsbedürftigkeit des Menschen gewann an Bedeutung. Die Pädagogik wurde aus diesem Grund stärker institutionalisiert und löste sich von der Bevormundung durch die Kirche (vgl. Gudjons, 2008, S. 82f.).

Wichtige Vertreter in der Pädagogik im 18. Jahrhundert waren die Philanthropen. Die Philanthropen „waren eine Gruppe von Pädagogen die zwischen 1750 und 1800 großen Einfluss auf die Entwicklung der pädagogischen Theorie und des Schulwesens hatten“ (ebd., S. 86). Der Begriff Philanthropie leitet sich aus dem griechischen ab und bedeutet Menschenfreundlichkeit. Die Philanthropen wurden stark von den Gedanken der Aufklärung, insbesondere von Rousseau, beeinflusst. Ein wichtiger Punkt in der Pädagogik der Philanthropen war die Erziehung zu den bürgerlichen Tugenden im Zuge der zunehmenden Bedeutung des Bürgertums und eine Ausrichtung der Erziehung auf einen gesellschaftlichen Nutzen. Die Förderung der Selbsttätigkeit und Individualität der Kinder waren ebenfalls sehr wichtig (vgl. Burkard/Weiß, 2008, S. 71). Durch die Vermittlung praktischer Fähigkeiten sollten die Zöglinge auf ihr Leben in der Gesellschaft vorbereitet werden. Dabei wurde die Bedeutung der Kindheit von den Philanthropen immer wieder betont: „Erst müssen die Kinder wieder Kinder werden, wenn die Menschen wieder Menschen werden sollen“ (Basedow/Campe, 1777, S. 62). Wichtige Vertreter, welche ebenfalls häufiger in dieser Arbeit zitiert werden, waren unter anderem Johann Bernhard Basedow, Joachim Heinrich Campe, Christian Gotthilf Salzmann, Friedrich Eberhard von Rochow.

Im Laufe der Geschichte war das Schlagen und Misshandeln von Kindern keine Seltenheit. Bis ins 17. und 18. Jahrhundert wurden Kinder, darunter auch Säuglinge und Neugeborene, häufig ausgepeitscht (vgl. deMause, 1980, S. 17) und bis ins 20. Jahrhundert war es üblich, auch kleine Kinder über mehrere Stunden alleine zu lassen (vgl. ebd., S. 24). Der sexuelle Missbrauch von Kindern zieht sich bis in die Gegenwart. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts war der Glaube verbreitet, dass der Geschlechtsverkehr mit Kindern Geschlechtskrankheiten heilen könnte (vgl. ebd., S. 80). Parallel dazu wurde die Masturbation von Kindern schwer bestraft. Die Kinder wurden festgebunden oder auch in Apparaturen gesteckt, die sie davon abhalten sollten, sich selbst zu berühren. In einigen Fällen wurden die Geschlechtsorgane verstümmelt (vgl. ebd., S. 79).

Nach Alice Miller ziehen sich die Lehren der Schwarzen Pädagogik durch die gesamte Pädagogik (vgl. Miller, 1983, S. 117). Den Höhepunkt erreichte sie um die Jahrhundertwende zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert (vgl. ebd., S. 78). Pädagogik konnte aber erst entstehen, als das Bewusstsein für das Kind und die Entwicklung seiner Bedürfnisse entstand. Katharina Rutschky schränkt den zeitlichen Raum in ihrem Werk ein, und bezeichnet die Schwarze Pädagogik als etwas, dem „Heranwachsende seit dem 18. Jahrhundert ausgesetzt sind“ (Rutschky, 2001, S. XV).

3.2. Vertreter der Schwarzen Pädagogik

In diesem Kapitel wurden exemplarisch zwei Pädagogen gewählt, welche als Vertreter der Schwarzen Pädagogik gelten. Die Auswahl erfolgte, da beide häufig in Quellentexten erwähnt wurden. Die beiden decken sowohl die verschiedenen Geschlechter als auch verschiedene Zeiten ab, da sie in unterschiedlichen Jahrhunderten wirkten.

3.2.1. Dr. Daniel Gottlob Moritz Schreber

Dr. Daniel Gottlob Moritz Schreber[5] war ein deutscher Mediziner, Orthopäde und Pädagoge und gilt laut Katharina Rutschky als einer der Vertreter der Schwarzen Pädagogik. Schreber studierte in Leipzig Medizin und arbeitete nach seiner Promotion als Arzt. Im Jahr 1844 übernahm er die Leitung einer orthopädischen Heilanstalt (vgl. Rethschulte, 1995, S. 16ff.). Aufgrund einer Kopfverletzung im Jahr 1859 konnte er seine Tätigkeit in der Anstalt nicht mehr ausüben und konzentrierte sich auf die Veröffentlichung zunächst medizinischer, aber auch pädagogischer Schriften (vgl. ebd., S. 23), in denen er sich vorrangig an Lehrer und Erzieher wandte und Empfehlungen für das Erziehungs- und Bildungswesen gab (vgl. ebd., S. 41). In einem Erziehungsratgeber richtete er sich ebenfalls an Eltern, die „sich keine besondere pädagogische Bildung aneignen können“ (Schreber zit. nach Rethschulte, 1995, S. 42). Seine Erziehungsratgeber waren in Deutschland sehr populär und wurden teilweise in mehrere Sprachen übersetzt (vgl. Miller, 1983. S. 18).

Schreber begründet seine Erziehungslehre durch die physischen und psychischen Defizite seiner Mitmenschen. Diese Unvollkommenheit macht eine Erziehung notwendig. Die Erziehung ist dabei Aufgabe der Eltern, während Lehrer vorrangig für die Wissensvermittlung zuständig sind. Unter Erziehung versteht er dabei „die gesammte [sic] den Menschen mögliche planmässige [sic] heraufbildende Einwirkung auf das Kind“ (Schreber zit. nach Rethschulte, 1995, S. 61). Schreber geht von der Notwendigkeit der Einwirkung des Erziehers auf den Zögling aus, da dieser sich nicht alleine bilden und erziehen konnte.

Zu Schrebers Erziehungsgrundsätzen gehört unter anderem die Individualisierung. Damit sind die physischen und psychischen Besonderheiten eines jeden Kindes gemeint, welche in der Erziehung beachtet werden müssen (vgl. ebd., S. 65). Ein weiterer Grundsatz ist das „Gesetz der Gewöhnung“, das heißt, dass die Eltern ihrem Kind schlechte Angewohnheiten abgewöhnen sollen und gute Eigenschaften fördern sollen (vgl. ebd.). Schreber legt in seinen Ratgebern auch großen Wert auf die körperliche Erziehung und gibt den Eltern konkrete Anweisungen über Ernährung, Hygiene und Bewegung.

Schreber „war ein überzeugter Anhänger der totalen Kontrolle über Geist und Handlungen eines Kindes“ (Robertson, 1980, S. 576). Diese Kontrolle sollte aber nicht durch Schlagen erlangt werden, sondern durch das kontinuierliche Beobachten der Kinder, welche den Wünschen und Vorstellungen der Eltern entsprechen wollen, und sich deswegen auch nicht schlecht benehmen (vgl. ebd.).

Vertreter der Theorie der Schwarzen Pädagogik, wie Katharina Rutschky und Alice Miller, haben Schreber und seiner Erziehungslehre eine große Bedeutung für die Geschichte der Pädagogik zugestanden. Sie bezeichneten ihn als einen Vertreter der Schwarzen Pädagogik und benannten in ihren Veröffentlichungen verschiedene seiner Texte als Beispiele für diese These, in denen er Strafen als unentbehrlich bezeichnet (vgl. Schreber, 1858, S. 51) oder rät, das Schreien von Kindern zu ignorieren, wenn sie nicht krank sind (vgl. Miller, 1983, S. 19).

Han Israels[6] hingegen vertritt hingegen die These, dass Schreber keine große Bedeutung für die Geschichte der Pädagogik hat (vgl. Israels, 1989, S. 200). Die große Popularität Schrebers ist vor allem auf den Umstand zurückzuführen, dass sein Sohn[7] als Fall von Sigmund Freud untersucht wurde und durch ihn stark publiziert wurde.

Letztendlich ist die Darstellung Schrebers immer von der Auswahl seiner Texte abhängig und muss von verschiedenen Standpunkten aus betrachtet werden. Zum einen hat er vor allem auch in medizinischer und orthopädischer Sicht viele Erkenntnisse in dieser Zeit erlangt. Dennoch ist die Tatsache, dass sein einer Sohn stark psychisch erkrankte und ein anderer Sohn Suizid beging, nicht außer Acht zu lassen, da dies Zeichen für Folgen der Schwarzen Pädagogik sein können. Bei einer Betrachtung eines Pädagogen ist vor allem die Einbeziehung der gesellschaftlichen und zeitlichen Umstände zu beachten. Dabei ist anzunehmen, dass die Ansichten Schrebers in seiner Zeit kein Einzelfall waren.

3.2.2. Johanna Haarer

Johanna Haarer[8], geborene Barsch, war eine deutsche Ärztin, Autorin verschiedener Erziehungsratgeber und Mitglied der NSDAP. Ihre Bücher „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“, „Unsere kleinen Kinder“ und „Mutter, erzähl von Adolf Hitler!“ galten in der Ausbildung zum Erzieher im dritten Reich als Pflichtlektüre. Die Bücher erreichten eine sehr hohe Auflage und wurden auch nach Ende des Nationalsozialismus noch publiziert. Ihre Erziehungsvorstellungen in ihren Büchern waren stark an Hitlers „Mein Kampf“ und seine Erziehungsvorstellungen angelehnt. Die Bücher sollten „auf das nationalsozialistische System hin erziehen“ (Chamberlain, 1997, S. 8). Ziel war die politische Indoktrination der Kinder (vgl. ebd.). In den Büchern sind genaue Anweisungen zu finden, wie die Mütter mit den Kindern umgehen sollten und welche Voraussetzungen sie für die richtige Erziehung schaffen sollten. Der Wahl des Partners wurde dabei eine große Bedeutung zugemessen, da dies darüber entscheide, inwiefern der Nachwuchs erbkrank sein könnte oder nicht[9]. „Im Augenblick der Befruchtung seien nämlich schon alle körperlichen und charakterlichen Eigenschaften des Kindes festgelegt“ (Chamberlain, 1997, S. 16).

Zu den Grundsätzen der Erziehungsratgeber gehörte ebenfalls die Erziehung zur Härte. Die Mütter wurden angehalten, von Anfang an zu erziehen und hart zu ihrem Kind zu sein. Dazu gehörte unter anderem die Aufforderung, in den ersten 24 Stunden nach der Geburt das Kind alleine zu lassen und es erst dann zu Stillen (vgl. ebd., S. 23). Das Kind sollte auch in der weiteren Entwicklung viel alleine gelassen werden. „Von vorneherein machen sich die ganze Familie zum Grundsatz, sich nie ohne Anlaß [sic] mit dem Kinde abzugeben“ (Haarer zit. nach Chamberlain, 1997, S. 25). Die Mutter sollte vor allem beim Weinen des Kindes hart bleiben und es ignorieren. Dies wird damit begründet, dass das Kind schnell verwöhnt wird. „Das Kind gewöhnt sich an die ständige Nähe und Fürsorge eines Erwachsenen und gibt bald keine Ruhe mehr, wenn es nicht Gesellschaft hat und beachtet wird“ (Haarer zit. nach Chamberlain, 1997, S. 32). Aus diesem Grund sollte das Kind auch nur wenig getragen werden und beim Stillen nicht angeschaut werden. Jegliche Abweichungen oder Fehler des Kindes sollten bestraft werden. Dies geschah oft durch Demütigung (vgl. ebd., S. 36).

Johanna Haarer beschreibt in ihren Büchern viele Methoden und Grundsätze[10], die typisch für die damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse, aber auch für die Schwarze Pädagogik sind. Dazu gehören unter anderem das Bestrafen, die Demütigung und die klaren Herrschaftsverteilungen innerhalb der Familie.

Aus heutiger Sicht sind ihre Praktiken abzulehnen, da sie unter anderem den Erkenntnissen in der Entwicklungspsychologie wiedersprechen. Die Bindungstheorie von Bowlby besagt, dass ein Kontakt zwischen Mutter und Kind sehr wichtig für die weitere Entwicklung des Kindes ist. Die Erziehung im Nationalsozialismus hat starke Auswirkungen auf die physische und psychische Entwicklung der Kinder gehabt. Die Erziehungsprinzipien wirkten auch noch nach Ende des Nationalsozialismus weiter.

3.3. Grundlagen der Schwarzen Pädagogik

Alle Erziehungsideale haben ihren Ursprung. Die Methoden und Ziele der Schwarzen Pädagogik lassen sich größtenteils durch die damalige Auslegung der Bibel und die Werte der katholischen Kirche begründen[11]. In der Bibel steht im Buch Sirach[12]: „Wer seinen Sohn liebhat, der hält für ihn die Rute bereit, damit er später Freude an ihm erlebe“ (Bibel, Sirach 30, 1). Wenige Absätze später heißt es: „Verhätschelst du dein Kind, so mußt [sic] du dich vor ihm fürchten; spielst du mit ihm, so wird es dich betrüben“ (Bibel, Sirach 30, 9). Die Bibel schrieb eine Erziehung zur Härte vor und warnte vor möglichen Konsequenzen bei der Nichteinhaltung. In den 10 Geboten heißt es: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren“ (Bibel, 2. Mose 20, 12). Durch die Auslegung des Gebotes[13] wurden die Herrschaftsverhältnisse zwischen Kindern und Eltern festgelegt. Die Eltern konnten sich auf dieses Gebot berufen und nutzten diese Macht aus, um mit ihren Kindern zu tun, was immer sie wollten.

Auch die politischen Verhältnisse legten diese fest. Die Wurzeln des elterlichen Züchtigungsgesetzes lassen sich bis in die Anfänge der römischen Rechtsentwicklung zurückverfolgen (vgl. Brinkmann, 1912, S. 3). Im deutschen Kaiserreich wurde im Jahr 1896 der §1631 Absatz 2 im Bürgerlichen Gesetzbuch erlassen, welches dem Vater das Recht gab sein Kind zu züchtigen: „Der Vater kann kraft [sic] des Erziehungsrechtes angemessene Zuchtmittel gegen das Kind anwenden“ (ebd.). Nur das Erziehungsrecht, welches lediglich den Eltern zugesprochen wurde, berechtigte zu dem Züchtigungsrecht. Jemand, der nicht das Erziehungsrecht besaß, war also auch nicht berechtigt ein Kind zu züchtigen. Das Züchtigungsrecht[14] galt also meist nur für die Eltern. Die Kinder durften nur begründet gezüchtigt werden. Besonders wichtige Züchtigungsgründe waren „Ungehorsam, Achtungsverletzung gegen Eltern, Vorgesetzte, Verwandte und ältere […], Trägheit und ähnliche Handlungen“ (ebd.).

4. Menschenbild

Der Mensch wurde als ein unvollkommenes Wesen gesehen, welcher die Anlage zum Bösen in sich trug. Die Bosheit des Menschen wurde durch die Erbsünde begründet. Da Adam und Eva, welche als Vorfahren des Menschen gelten, im Paradies gesündigt haben, sind auch ihre Nachfahren sündig. Dadurch wurde Erziehung notwendig. Des Weiteren galt der Mensch als ein verdorbenes und unzufriedenes Wesen (vgl. Rutschky, 2001, S. 61). Nur durch Erziehung konnte der Mensch geformt werden und zu einem guten Menschen werden. „Der Mensch kann nur werden durch Erziehung. Er ist nichts, als was die Erziehung aus ihm macht“ (Kant, 1803, S. 59).

Frauen und Männer waren weder politisch noch gesellschaftlich gleichgestellt. Aus diesem Grund waren Männer und Jungen mehr wert und genossen mehr Ansehen und Privilegien. Frauen waren vorrangig für den Haushalt zuständig und Männer für die Arbeit. Die Erziehung der Jungen und Mädchen gestaltete sich entsprechend dieses Menschenbildes.

Das vorherrschende Menschenbild in der Schwarzen Pädagogik ist einem behavioristischen Verständnis zuzuordnen. Im Behaviorismus wird davon ausgegangen, dass der Mensch die Reize der Umwelt aufnimmt und darauf mit Handlungen reagiert (vgl. Tenorth/Tippelt, 2007, S. 59). Dabei werden jegliche Emotionen und innere Vorgänge außer Acht gelassen. Behavioristen gehen davon aus, dass der Zögling mit seinen Lernvorgängen von außen gesteuert werden muss und durch Nachahmung und Konditionierung lernt. Der Mensch wird als kontrollierbar angesehen, der durch die Einwirkung von Erziehern geformt werden kann. Die Bildung und Erziehung ist durch klare Zielformulierungen festgelegt (vgl. ebd.).

4.1. Das Bild vom Erwachsenen

Die erwachsenen Eltern standen in der Rangordnung oben und waren der Herr über die Kinder (vgl. Miller, 1983, S. 30). Die Autorität, die Weisheit und die Unfehlbarkeit der Eltern durften ebenso wenig in Frage gestellt werden wie ihre Befehle und Anweisungen. Des Weiteren waren sie „große, selbstständige, tüchtige Wesen“ (ebd., S. 77) und verdienten Achtung und Respekt. Die Eltern waren zur Erziehung der Kinder verpflichtet. Diese Aufgabe war obligatorisch und musste unter jeden Umständen erfüllt werden.

Frauen und Männer waren nicht gleichgestellt. Der Mann war der dominierende Patriarch in der Familie und Herr über Frau und Kinder. Er verdiente mehr Ehrfurcht als die Mutter (vgl. Miller, 1983, S. 57). Der Mann bekam die Macht von seinem eigenen Vater und von Gott übertragen und sollte vorrangig für die Kindererziehung zuständig sein, da zu der Zeit die Meinung vertreten wurde, dass Frauen die Kinder nicht gut kontrollieren konnten (ebd., S. 46). Die Mütter verzogen ihre Kinder angeblich mit einer sogenannten ‚Affenliebe[15]. Damit die Kinder nicht verwöhnt wurden, sollte der Mann, welcher unnachgiebiger, härter, strenger und disziplinierter war, die Erziehung übernehmen. „Die Erfahrung bezeugt es, daß [sic] Kinder den Vater, der Ernst mit Liebe paart und auf Gehorsam besteht, mehr lieben, als die Mutter, die durch Nachgiebigkeit in ihnen nur neue Begierden anregt“ (Sailer, 1809b, S. 189).

Rangordnung und Macht waren entscheidend über richtig und falsch (vgl. Miller, 1983, S. 83). Um den Kindern die richtigen Werte beizubringen, war den Eltern die Wahl der Methoden freigestellt[16]. Um ihre Kinder ‚richtig‘ zu erziehen, durften sie sie ihre Kinder anlügen oder ihnen Tatsachen verheimlichen. So konnten sie ihre Kinder unter anderem anlügen, um sie zu ehrlichen Menschen zu erziehen oder sie konnten „ Gewalt mit Gewalt “ (ebd., S. 30, Hervorhebung im Original) vertreiben. Bei den Eltern galt es nicht als falsch, da sie bereits erzogen waren (vgl. ebd., S. 82).

4.2. Das Bild vom Kind

Kinder wurden als schwache, hilflose, abhängige Wesen gesehen (vgl. Miller, 1983, S. 77). Sie waren von Natur aus selbstsüchtig und böse. „Auf eine ganz natürliche Weise entwickelt sich in ihm die Bosheit“ (ebd., S. 46). Durch ihre Selbstsucht wurde die Erziehung durch den Erwachsenen behindert.

Kinder waren biegsam und konnten durch den Erzieher geformt werden. John Locke „stellte sich die die menschliche Seele am Beginn des Lebens als ein unbeschriebenes Blatt oder eine leere Tafel (tabula rasa) vor. Auf dieser leeren Tafel, so meinte er, sollte der Erzieher nun diejenigen Eindrücke hinterlassen, die seiner Meinung nach das Wesen des Kindes bestimmen sollten“ (Jonach, 1997, S. 62). In weiteren Texten wurde das Kind als Pflanze bezeichnet, welche durch die Erziehung des Erwachsenen gedeiht (vgl. Sailer, 1809a, S. 107) oder die Erziehung wird mit der Baumzucht verglichen (vgl. Weisse, 1791c, S. 125).

Die schlechten Angewohnheiten und Charakterfehler der Kinder waren als eine Art Krankheit zu behandeln (vgl. Miller, 1983, S. 51), welche sich nicht von alleine verflüchtigten (vgl. ebd., S. 111). Der Erwachsene hatte die Pflicht, das Böse und die Fehler der Kinder durch Erziehung aus ihnen heraus zutreiben.

Kinder benötigten die ständige Kontrolle und Überwachung, da sie kaum Selbstbeherrschung besaßen (vgl. Ziller, 1857, S. 136) und sich leicht verführen und zerstreuen ließen. „Der Erzieher muß [sic] im Kind den potentiellen Feind sehen, dessen Aktivität er dauernd überwachen, am besten vollständig unterbinden muß [sic]“ (Rutschky, 2001, S. 148). Die Eltern und Erzieher vertrauten den Kindern nicht und rechtfertigten damit die Notwendigkeit zur Kontrolle. Die Gehorsamkeit gegenüber den Eltern war dabei eines der wichtigsten Gebote für die Kinder. Ungehorsam hätte das Prinzip der Unterordnung in Frage gestellt.

Die Herrschaft der Eltern über das Kind wurde damit begründet, dass jedes Kind ein potenzieller Muttermörder[17] ist und den Eltern aus diesem Grund zu Dank verpflichtet war. Des Weiteren standen die Kinder durch die Versorgung und Pflege der Eltern in deren Schuld (vgl. Rutschky, 2001, S. 3). Kinder sollten immer Respekt vor ihren Eltern haben und diesen auch im Alltag praktizieren.

In der Erziehung der Kinder wurde vorausgesetzt, dass sie sich später nicht mehr an Elemente ihrer Erziehung erinnern können. „Die Kinder vergessen mit den Jahren alles, was ihnen in der ersten Kindheit begegnet ist“ (Sulzer, 1748b, S. 173f.). Aus diesem Grund hatte die Erziehung keine negativen Auswirkungen für die Eltern, da die Kinder sich nicht rächen konnten.

4.3. Das Bild vom Erzieher

Der Erzieher[18] spielte eine wichtige Rolle im Leben der Kinder, da er einen großen Teil des Alltages, meist in Form von Unterricht oder Aufsicht, gestaltete. „Den Lehrern, welche Stellvertreter der Väter, und nächst Gott die größten Wohltäter sind, sollen die Schüler Liebe und Hochachtung bezeigen und ihnen mit kindlicher Anhänglichkeit und Offenheit begegnen“ (Anonym, 1796/1808, S. 223). Der Lehrer hatte mehr Erfahrung und Kenntnisse als seine Zöglinge und konnte aus diesem Grund besser beurteilen, was am besten für sie war (vgl. ebd.).

Der Erzieher hatte eine wichtige Funktion in der Gesellschaft und war sehr angesehen. Die Funktion des Lehrers wurde manchmal sogar mit der Funktion eines Priesters verglichen. „Ein Erzieher von wahrer Bildung kann sich mit Recht seiner hohen Bestimmung erfreuen, ein unmittelbares Organ der Gottheit, als der höchsten erziehenden Kraft, zu sein“ (Blasche, 1828, S. 66). Der Unterricht nahm einen wichtigen Teil für die Erziehung der Kinder ein. Um ein wichtiges Ziel in der Erziehung, der Gehorsam, zu erreichen, war der Lehrer befugt, seine Macht auszuüben.

Das gottähnliche Ansehen des Erziehers zog sich vor allem durch das 18. Jahrhundert, wurde aber Ende des 19. Jahrhunderts abgeschwächt. Dennoch hatte der Erzieher viel Macht und nutzte diese in der Erziehung des Kindes aus (vgl. Rutschky, 2001, S. 57).

4.4. Zusammenfassung und Fazit

Das vorherrschende Menschenbild unterschied stark zwischen Kindern und Erwachsenen. Die Erwachsenen hatten die Herrschaft über das Kind. Ihre Weisheit, ihr Macht und ihre Kompetenzen durften dabei nicht in Frage gestellt werden. Kinder wurden als unvollkommene und schwache Wesen gesehen. Da von einer allgemeinen Formbarkeit des Menschen ausgegangen wurde, konnten die Eltern die Kinder nach ihren Wünschen erziehen. Durch die Erziehung sollten die Eltern alles Schlechte und Böse aus den Kindern heraus erziehen, damit sie zu guten Menschen würden. Die Lehrer hatten ebenfalls eine große Bedeutung, da sie in der Schule für die Erziehung des Kindes zuständig waren.

Das Menschenbild unterschied zwar stark zwischen Kindern und Erwachsenen, dennoch wurde kaum innerhalb der Erwachsenen differenziert. Den Eltern wurde unabhängig von ihrem Bildungsstand oder ihren Fähigkeiten und Kompetenzen eine große Weisheit und Macht zugestanden. Der Erwachsene wusste angeblich immer was am besten für das Kind ist und wie es erzogen werden sollte.

Im nachfolgenden Kapitel sollen die Ziele in der Schwarzen Pädagogik beschrieben werden.

[...]


[1] Dazu gehört unter anderem Jan Hendrik van den Berg.

[2] *1914 - †1984

[3] *1931

[4] Dazu gehört „Emile oder über die Erziehung“ (1762) von Jean-Jacques Rousseau und „Gedanken über die Erziehung“ (1693) von John Locke (vgl. Jonach, 1997, S. 7).

[5] *1808 - †1861

[6] Han Israels ist Soziologie beschäftigte sich mit Schreber, seinem Wirken und dem Verhältnis zu seinen Kindern.

[7] Paul Schreber wurde als „geisteskrank“ (Israels, 1989, S. 200) und „paranoid“ (Miller, 1983, S. 18) beschrieben.

[8] *1900 - †1988

[9] In diesen Aufforderungen greift sie die Rassentheorie von Adolf Hitler auf und beurteilt die Menschen aufgrund ihrer Herkunft. Die Paarung einer deutschen Frau mit einem Juden könnte unter anderem zu einem erbranken Kind führen und dies ist zu vermeiden (vgl. Chamberlain, 1997, S. 16).

[10] Diese werden in einem späteren Kapitel beschrieben.

[11] Dabei sind vorrangig die traditionelle Bibelauslegung und konservative Ansichten gemeint. In dieser Arbeit soll weder das Christentum beleidigt, noch soll ihm die Schuld zugeschoben werden. Es geht hier lediglich um eine historische Betrachtung.

[12] Jesus Sirach gehörte zu den Spätschriften des Alten Testamentes (Apokryphen).

[13] Das Gebot hat im ursprünglichen den Sinn, dass die Kinder ihre Eltern im Alter versorgen und sie auch noch im Alter ehren sollten.

[14] Die Prügelstrafe, die vor allem in der Schule durchgeführt wurde, zählte dabei nicht zwingend in das Züchtigungsrecht rein.

[15] Unter Affenliebe wird eine zärtliche, rücksichtsvolle und liebevolle Erziehung der Kinder verstanden (vgl. Miller, 1983, S. 217).

[16] Diese Wahl der Methoden wird ausführlicher im Kapitel über die Methoden in der Schwarzen Pädagogik eingegangen.

[17] Durch die Geburt wird die Mutter einem großen gesundheitlichen Risiko ausgesetzt und könnte sterben.

[18] Unter Erzieher wird in diesem Fall auch Lehrer verstanden. Dabei ging es vorrangig um Männer, da es nach Wissen der Autorin kaum oder keine weiblichen Erzieher oder Lehrer gab.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783958205154
ISBN (Paperback)
9783958200159
Dateigröße
794 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Evangelische Hochschule für Soziale Arbeit Dresden (FH)
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
2,7
Schlagworte
Katharina Rutschky Alice Miller gewaltvolle Erziehung Gewalt Schwarze Pädagogik

Autor

Juliane Kühn, B.A., wurde 1990 in Karl-Marx-Stadt (jetzt Chemnitz) geboren. Sie schloss ihr Studium in ‘Bildung und Erziehung in der Kindheit’ an der Evangelischen Hochschule Dresden 2012 mit der vorliegenden Arbeit ab. Nach dem Abschluss begann sie ein Masterstudium ‘Erziehungswissenschaft – Sozialpädagogik/Sozialmanagement’ an der Friedrich-Schuller- Universität Jena, welches sie 2014 beenden wird. Im Laufe des Bachelorstudiums wurde ihr Interesse geweckt, sich intensiver mit der historischen Entwicklung von Pädagogik zu beschäftigen.
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Titel: Ziele und Methoden in der Schwarzen Pädagogik
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