Lade Inhalt...

Ist Gewaltfreie Kommunikation alltagstauglich? Eine kritische Auseinandersetzung mit der GfK nach Rosenberg im Vergleich mit anderen Kommunikationsmodellen

©2007 Bachelorarbeit 54 Seiten

Zusammenfassung

Laut ihrem Begründer Marshall B. Rosenberg lässt sich das Modell der Gewaltfreien Kommunikation in den unterschiedlichsten Situationen erfolgreich zur Konfliktbewältigung einsetzen. Dazu werden enge Beziehungen, Familien, Schulen, Institutionen, Beratungen, geschäftliche Verhandlungen und Konflikte aller Art gezählt. Doch ist GfK ein Ansatz, der nicht nur als Theorie besteht, sondern gerade dort, wo Konflikte tatsächlich entstehen, im alltäglichen Umgang mit anderen, seine Wirkung zeigt? Kurz: Ist GfK alltagstauglich? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, werden zunächst die Grundannahmen der GfK, ihre Entstehung und Funktionsweise sowie ihre Besonderheiten herausgestellt. Daraufhin werden vier andere Kommunikationsmodelle – Elemente aus den Arbeiten von Carl Rogers, Virginia Satir und Friedemann Schulz von Thun sowie aus dem Modell des Neurolinguistischen Programmierens (NLP) – zeigen, inwiefern Rosenberg bei der Entwicklung der GfK von diesen Modellen beeinflusst wurde. Anschließend wird die GfK auf Gefahren hin untersucht. Dies geschieht einerseits über die Theorie der kognitiven Dissonanz nach Festinger, andererseits über den Aspekt der Manipulation.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2.2.1 Die vier Komponenten

Damit die GfK von ihren Nutzern erfolgreich angewendet werden kann, gibt Rosenberg einzelne Komponenten vor, die das Gespräch gewaltfrei verlaufen lassen sollen. Diese beziehen sich auf den bereits erwähnten ersten Teil der GfK; es handelt sich dabei im Einzelnen um folgende Bestandteile:

1. Beobachtung
2. Gefühl
3. Bedürfnis
4. Bitte[1]

Diese vier Komponenten können somit als Grundgerüst der GfK verstanden werden.

Im ersten Schritt wird dabei eine Beobachtung, z.B. darüber, was der andere gesagt oder getan hat, was einen selbst stört oder aber was gefällt, geäußert. Dabei kommt es darauf an, diese Beobachtung nicht mit einer Bewertung oder Beurteilung zu vermischen.[2] Eine beobachtende Äußerung wäre z.B.: „Du kommst eine halbe Stunde nach der verabredeten Zeit.“ Wohingegen eine bewertende Pauschalisierung so lauten könnte: „Du kommst immer zu spät!“ Diese Äußerung kann nach Rosenberg schnell zu einer Abwehrhaltung der kritisierten Person führen[3], sodass die Entstehung eines Kommunikationsflusses beeinträchtigen werden kann. Die Beobachtung sollte sich daher immer auf einen bestimmten Zeitrahmen und einen konkreten Zusammenhang beziehen[4], um eine wahre und nicht verallgemeinernde Aussage zu tätigen.

Im nächsten Schritt werden die eigenen Gefühle in Bezug zu dem, was beobachtet wird, ausgedrückt. Hier ist es wichtig zu beachten, dass in der GfK erfüllte oder nicht erfüllte Bedürfnisse die Ursache für die eigenen Gefühle sind. Das Verhalten des anderen kann ein Auslöser sein, der auf die eigenen Bedürfnisse hinweist, nie aber kann das Handeln des Gegenübers verantwortlich sein für diese Gefühle.[5] Besonders wichtig ist es nach Rosenberg, seine eigenen Gefühle statt so genannter „’Nicht’-Gefühle“[6] oder Interpretationen über das Verhalten anderer mitzuteilen. Das ehrliche Ausdrücken der eigenen Gefühle bedeutet letztlich auch Verletzlichkeit, die ein wichtiges Element der GfK darstellt.[7] Um seine Gefühle klar und deutlich beschreiben zu können, kann es demnach hilfreich sein, sich seinen eigenen „Gefühlswortschatz“[8] aufzubauen.[9]

Als Drittes werden die Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen, aus denen bestimmte Gefühle resultieren, ausgesprochen. Der Sprecher legt dar, was er braucht oder was ihm wichtig ist, das die zuvor genannten Gefühle verursacht. Hier zeigt es sich, ob der Sprecher Verantwortung für seine Gefühle übernimmt und seine dahinter stehenden Bedürfnisse erkennt.[10] So wäre an der Aussage „Du machst mich wütend, wenn du überall deine Sachen herumliegen lässt“ zu bemängeln, dass einerseits die Schuld – und damit auch die Verantwortung für die eigenen Gefühle – auf jemand anderes geschoben und andererseits durch „Sachen“ und „überall“ verallgemeinert wird. Ein klarer, konkreter Ausdruck der eigenen Gefühle und Bedürfnisse auf der Grundlage einer beobachteten Situation könnte dagegen lauten: „Ich bin wütend, wenn deine Bücher im Wohnzimmer auf dem Boden liegen, weil mir in gemeinsam genutzten Räumen Ordnung wichtig ist.“

Abschließend wird eine Bitte an den anderen ausgesprochen. Diese soll in positiver Handlungssprache ausgedrückt werden, d.h. zum einen soll dem anderen in einer positiven Formulierung erläutert werden, was gewollt wird und nicht das, was nicht gewollt wird.[11] Zum anderen sollen konkrete Handlungen beschrieben werden, die in die Tat umgesetzt werden sollen. Vage, abstrakte und zweideutige Aussagen sollen vermieden werden.[12] Dabei ist zu beachten, die Bitte nicht mit einer Forderung zu verwechseln. Anhand der Formulierung oder des Tonfalls kann man nicht heraushören, ob es sich um eine Bitte oder eine Forderung handelt.[13] Entscheidend ist die Reaktion des Bittenden, falls der andere nicht bereit ist, die Bitte zu erfüllen. Denn bei einer Bitte soll dem anderen immer die Möglichkeit gegeben werden, sie umzusetzen oder nicht[14], während das Verweigern einer Forderung dagegen oft Konsequenzen wie Bestrafung oder Tadel nach sich zieht.[15]

Statt der Forderung „Ich will nicht, dass du so viel Zeit mit deinen Freunden verbringst“ könnte die Bitte in positiver Handlungssprache etwa so klingen: „Ich möchte, dass wir mindestens drei gemeinsame Abende in der Woche miteinander verbringen.“ Dem anderen steht es nun offen, dieser Bitte nachzugehen oder nicht. Das Ziel, das mit dem Äußern einer Bitte verfolgt wird, sollte allerdings nicht darin bestehen, „andere Leute und ihr Verhalten zu ändern oder unseren Willen durchzusetzen“[16]. Vielmehr soll der Angesprochene darauf vertrauen können, dass es dem Bittenden in erster Linie um eine Verbesserung der Beziehungs- und Lebensqualität geht; es ist ihm vorbehalten, die Bitte ausschließlich auf freiwilliger Basis in die Tat umzusetzen, nämlich wenn er die Bedürfnisse des anderen erfüllen möchte.[17]

Um eine komplette Äußerung im Sinne der GfK zu tätigen, ist eine Orientierung an folgendem Satzschema möglich: „Wenn a, dann fühle ich mich b, weil ich c brauche. Deshalb möchte ich jetzt gerne d.“[18] Diese Äußerung könnte so in etwa aussehen: „Wenn du versprichst, dass du mich besuchst, dann aber doch nicht vorbeikommst, bin ich frustriert, weil mir Zuverlässigkeit wichtig ist und ich mich auf deine Zusagen verlassen möchte. Könntest du mir beim nächsten Mal bitte Bescheid sagen, wenn du den Termin nicht einhalten kannst?“

2.2.2 Empathie

Den zweiten Teil der GfK bildet das empathische Aufnehmen des anderen. „Empathie bedeutet ein respektvolles Verstehen der Erfahrungen anderer Menschen.“[19] Drücken andere Menschen ihre Anliegen aus, auch wenn es sich dabei scheinbar um Beleidigungen, Anschuldigungen, Kritisierungen etc. handelt, soll die Aufmerksamkeit des Zuhörenden jedoch auf die Gefühle und Bedürfnisse des Sprechenden gerichtet werden, anstatt die Vorwürfe persönlich zu nehmen.[20] Hier ist wieder eine Orientierung an den vier Komponenten, am Grundgerüst der GfK, möglich: „Egal was jemand sagt, wir hören nur darauf, was er a) beobachtet, b) fühlt, c) braucht und d) erbittet.“[21]

Die wertvollste Art von Empathie, die man einem anderen Menschen gegenüber aufbringen kann, ist nach Rosenberg aber die Fähigkeit, präsent zu sein.[22] Präsenz ermöglicht das Hören von Gefühlen und Bedürfnissen des anderen, sogar wenn sie schweigend ausgedrückt werden:[23] Im Gegensatz dazu bedeutet Empathie nicht vernunftmäßiges Verstehen[24] oder das Zeigen von Sympathie im Sinne von Zustimmung oder Mitleid.[25] Für den Zuhörer kann es hilfreich sein, das Verstandene zu paraphrasieren und mit seinen eigenen Worten wiederzugeben. Durch das Paraphrasieren können Missverständnisse im Ansatz vermieden werden; somit kann durch diesen zunächst umständlich erscheinenden Vorgang doch Zeit gespart werden.[26] Ziel des Paraphrasierens ist wiederum die empathische Verbindung.[27]

2.3 Die Bedeutung des Gefühlswortschatzes

Ein spezielles Element der GfK, das hauptsächlich in Zusammenhang mit der zweiten Komponente steht, ist der eigene „Gefühlswortschatz“[28]. Dennoch ist dieses Element für die gesamte GfK von großer Bedeutung, da es bei der Konfliktlösung hilfreich sein kann. Denn mit dem Ausdrücken von Gefühlen wird gleichzeitig Verletzlichkeit preisgegeben,[29] wodurch die Kommunikation im Allgemeinen erleichtert werden kann. Doch da das eigene Repertoire an Schimpfwörtern oft umfangreicher ist als der Wortschatz, mit dem der Mensch seine Gefühlszustände beschreiben kann,[30] fällt es den meisten schwer, treffende Begrifflichkeiten für ihren aktuellen Gefühlszustand zu finden und durch passende Formulierungen ihr emotionales Befinden zu beschreiben.

Rosenberg empfiehlt daher die bewusste Auseinandersetzung mit seinen eigenen Gefühlen und die schrittweise Erweiterung eines eigenen Gefühlswortschatzes. Statt vager, allgemeiner Umschreibungen wie ‚gut’ und ‚schlecht’ sollen Wörter benutzt werden, die spezifische Gefühle ausdrücken.[31] Hier wird unterschieden zwischen Gefühlen, die entstehen, wenn bestimmte Bedürfnisse erfüllt sind (z.B. entspannt, erfreut, lebendig, überwältigt, munter etc.)[32] und Gefühlen, die entstehen, wenn bestimmte Bedürfnisse nicht erfüllt sind (z.B. ängstlich, deprimiert, frustriert, lustlos, traurig, unzufrieden etc.)[33].

Vermieden werden sollen jedoch Wörter, die statt eigener Emotionen und Empfindungen Interpretationen über das Verhalten anderer Menschen ausdrücken, wie z.B. angegriffen, ausgenutzt, betrogen, gezwungen, missverstanden, niedergemacht, unterdrückt und vernachlässigt.[34] Zudem besteht die Gefahr, so genannte „’Nicht’-Gefühle“[35] zu äußern, die in ihrem Kern letztlich nur Gedanken und Meinungen äußern, wie z.B. „Ich habe das Gefühl, dass du es besser machen könntest“ oder „Ich habe das Gefühl, meine Tante ist ein sehr fauler Mensch“.

2.4 Die Bedeutung der Symbole von Wolf und Giraffe

Eine weitere Besonderheit stellt Rosenbergs Art und Weise dar, um die Inhalte der GfK zu veranschaulichen. Dazu verwendet er die Motive der Giraffe und des Wolfes. Diese Symbole nutzt er vor allem, um Kindern die GfK verständlich zu machen, doch auch in seinen Büchern und Workshops führt er oftmals dieses Beispiel aus der Tierwelt an.

Er unterscheidet zwischen der einfühlsamen Giraffensprache als Synonym für die GfK und der urteilenden Wolfssprache. Die Sprache des Wolfes steht dabei für die Ausdrucksweise, die die meisten Menschen im Laufe ihres Lebens verinnerlicht haben. Es ist eine Sprache, die Rosenberg als „lebensentfremdende Kommunikation“[36] bezeichnet. Im Gegensatz zur GfK schließt sie Urteile, Kritik, Bewertungen usw. ein. Anderen Menschen werden in der Wolfssprache Vorwürfe gemacht und ihnen wird die Schuld an den eigenen Gefühlen zugewiesen. „Wölfisch“[37] sprechende Menschen denken in Kategorien wie gut/böse, normal/unnormal, richtig/falsch etc. und geben dabei Analysen über das Fehlverhalten ihrer Mitmenschen ab.[38] Sie bestrafen andere Menschen oder versuchen sie mithilfe von Lob oder Komplimenten zu bestimmten Verhaltens- oder Denkweisen zu motivieren.[39]

Die Giraffensprache dagegen zeichnet sich durch ein hohes Maß an Offenheit, Mitgefühl und Ehrlichkeit aus.[40] Im Umgang mit anderen legt die sinnbildliche Giraffe großen Wert auf Rücksichtnahme und Respekt[41] mit dem Ziel einer partnerschaftlichen Kooperation[42] und einer vertrauensvollen Verbundenheit[43]. Von großer Bedeutung sind in der Giraffensprache das einfühlsame Zuhören und das Geben von Empathie[44], damit die Lebensqualität aller verbessert werden kann. Da diese Sprache vom Herzen und nicht vom Kopf aus gesteuert wird, zeigt sich der Sprechende immer verletzlich.[45] Er übernimmt die Verantwortung[46] für seine Bedürfnisse, seine Gefühle und sein Handeln, wobei genauso das Handeln des anderen stets auf Freiwilligkeit[47] basieren soll. Die Intention der Giraffensprache liegt darin, die Bedürfnisse aller Beteiligten zu erfüllen.[48]

Mittlerweile stehen die Giraffe und der Wolf symbolisch für die GfK bzw. für die ‚Nicht-GfK’: Nicht nur in den Trainings und Büchern von Rosenberg selbst, sondern auch andere Autoren und GfK-Trainer bedienen sich weltweit dieser Sinnbilder.[49] Doch warum hat sich Rosenberg gerade für diese beiden Tiere entschieden, um die GfK und eine gegenteilige Sprechweise zu verbildlichen? Rosenberg selbst gibt dazu nur einen knappen Erklärungsansatz:

Warum ich sie Giraffensprache genannt habe? Also, zunächst einmal haben Giraffen das größte Herz aller an Land lebenden Tiere. Ich werde versuchen, Ihnen [...] zu zeigen, dass die Sprache der Gewaltfreien Kommunikation eine Sprache des Herzens ist. [...] Und da nun mal Giraffen das größte Herz aller landlebenden Tiere besitzen: Was für einen besseren Namen könnte ich für eine Sprache des Herzens finden als ‚Giraffensprache’?[50]

Warum er gerade den Wolf als Stellvertreter für einen aggressiven Kommunikationsstil festgelegt hat, bringt er an keiner Stelle zur Sprache.[51] Neben dieser knappen Begründung findet sich bei der Sprecherzieherin und Dozentin Gea Bernard eine ausführlichere Überlegung, wieso Rosenberg gerade diese beiden Tiere ausgewählt haben könnte. In ihrer Geschichte charakterisiert sie den Wolf u. A. als ein kräftiges Rudeltier, das manchmal sehr laut wird, weil es jeden erreichen oder Angreifer abschrecken will. Zudem muss der Wolf als Anführer des Rudels häufig so viele Fragen beantworten, sodass er sich darauf beschränkt, möglichst kurze, einfache Antworten zu geben. Des Weiteren veranschaulicht Bernard hier die Unterschiede zwischen Wolf und Giraffe. Zudem nennt sie mögliche Gründe, wie es dazu kommen könnte, dass das Ausdrücken in GfK mehr Zeit in Anspruch nimmt als in Wolfssprache.[52] Möglicherweise stimmen diese Überlegungen mit Rosenbergs Gründen für die Auswahl dieser Tiere überein.

3. Einflüsse auf die Methode der Gewaltfreien Kommunikation

Nachdem aufgezeigt wurde, wie die GfK entstanden ist und wie sie funktionieren soll, wo ihre Besonderheiten und Intentionen liegen, soll sie im folgenden Teil auf Beeinflussung von außen hin untersucht werden. Denn kann eine völlig neue Kommunikationsform erschaffen werden, ohne sich an bestehenden Modellen zu orientieren? Inwieweit hat Rosenberg sich bei der Entwicklung der GfK beeinflussen lassen? Welche Einflüsse nennt er? Und welche Anlehnungen an ältere Theorien lassen sich erkennen, ohne dass er die Verwendung dieser angibt? Anhand der Art der Einflüsse und deren Ursprünge können so erste kritische Schlüsse über den Grad der Alltagstauglichkeit von GfK gezogen werden.

3.1 Die Beeinflussung der Gewaltfreien Kommunikation laut Rosenberg

Bereits zu Beginn seines Hauptwerks, in der Einleitung zu seinem Buch Gewaltfreie Kommunikation. Aufrichtig und einfühlsam miteinander sprechen, sagt Rosenberg Folgendes über die Zusammensetzung der GfK aus:

Sie beinhaltet nichts Neues; alles was in die GFK [ sic ] integriert wurde, ist schon seit Jahrhunderten bekannt. Es geht also darum, uns an etwas zu erinnern, das wir bereits kennen – nämlich daran, wie unsere zwischenmenschliche Kommunikation ursprünglich gedacht war. Und es geht auch darum, uns gegenseitig bei einer Lebensweise zu helfen, die dieses Wissen wieder lebendig macht.[53]

Schon mit dem ersten Satz dieses Zitats gesteht Rosenberg nicht nur die Beeinflussung der GfK von außen ein, sondern weist sogar darauf hin, dass sein Kommunikationsmodell keine neuen Bestandteile enthält. Der darauf folgende Satz schwächt diese Aussage jedoch wieder ab: Anscheinend spricht Rosenberg nicht über die Methode und die einzelnen Elemente der GfK, die nichts Neues darstellen, sondern über die ursprüngliche Intention zwischenmenschlicher Kommunikation, den Umgang der Menschen miteinander und vielleicht sogar über die dieser Kommunikation zugrunde liegenden Werte, an die sich wieder erinnert werden soll. Dies ist jedoch nur eine Vermutung; denn Rosenberg drückt nicht explizit aus, was eigentlich konkret in die GfK integriert wurde und an welche Grundlagen sich genau erinnert werden soll. An dieser Stelle ist es auffällig, dass Rosenberg sich, entgegen seiner selbst aufgestellten Maxime, hier nur ungenau und abstrakt äußert. Weiterhin ist es bemerkenswert, dass er zwar bereits direkt am Anfang seines Buches hervorhebt, dass die GfK nichts Neues beinhaltet, was die immense Wichtigkeit dieser Aussage deutlich macht. In den Folgesätzen geht er jedoch nicht weiter auf diese gewichtige Aussage ein. Somit stellt sich die Frage, ob Rosenberg an anderer Stelle bestimmte Einflüsse auf die GfK konkret benennt.

Tatsächlich finden sich, verteilt in den Werken Rosenbergs, Bemerkungen über die Beeinflussung von außen. Doch in der Hauptsache handelt es sich hierbei um einzelne Aussprüche, die Philosophen oder Gelehrte über Einstellungen zum menschlichen Miteinander, über Normen und Werte oder über ihr Verständnis von Kommunikation zu einem nicht genannten Zeitpunkt kundgetan haben. Inhaltlich bestätigen diese Zitate lediglich die Ansichten Rosenbergs zu bestimmten Themen der Kommunikation oder zu menschlichem Verhalten; er verwendet sie folglich als Rechtfertigung, Bestätigung und Untermauerung der eigenen Annahmen.

Nur wenige Einflüsse scheinen demnach direkt auf die GfK eingewirkt zu haben. Zum einen geht, wie zuvor schon erwähnt, der Begriff ‚Gewaltfreie Kommunikation’ auf Gandhis Verständnis von Gewaltfreiheit zurück.[54] Zum anderen gibt Rosenberg an, er habe einen Großteil der Ideen für die GfK von Buddha übernommen.[55] Dazu merkt er selbst an, dass viele Buddhisten allerdings die Existenz eigener Bedürfnisse leugnen,[56] sodass die bedeutende Komponente der Bedürfnisse in der GfK folglich nicht dem Buddhismus entstammen kann. Welche von Buddhas Ideen er allerdings letztlich in die GfK integriert hat, spezifiziert Rosenberg nicht näher.

Des Weiteren beruft sich Rosenberg in seinen Werken auf den indischen Philosophen Jiddu Krishnamurti, dessen Lebensweisheit stark die Komponente der Beobachtung beeinflusst hat. Denn laut Krishnamurti sei die höchste Form menschlicher Intelligenz die Fähigkeit, zu beobachten ohne zu bewerten.[57] Es ist allerdings fraglich, ob dieses Prinzip auch auf das heutige Gesellschaftssystem Deutschlands übertragbar ist. Muss der Mensch nicht viel mehr jede alltägliche Situation, der er begegnet, in der heutigen Zeit ebenso schnell bewerten, um einschätzen zu können, wie in der jeweiligen Situation zu handeln ist? Ist der Mensch überhaupt in der Lage, Vorgänge schlicht zu beobachten, ohne dabei zu analysieren oder zu bewerten? Kann das ‚bedenken’ einer Situation einfach abgeschaltet werden? Möglicherweise ist Krishnamurtis hoher, aber theoretischer Anspruch in der Realität gar nicht praktikabel – und auch gar nicht wünschenswert. Vielmehr eröffnet die Fähigkeit zu interpretieren doch auch die Chance zu verstehen, worin das Wesen der jeweiligen Situation im eigentlichen Sinne besteht. Doch Rosenberg baut das System der GfK auf Krishnamurtis Weisheit auf, ohne dabei zumindest den ursprünglichen Kontext dieses einen Satzes zu hinterfragen.

Auf sein gesamtes Werk bezogen, scheint es jedoch der amerikanische Psychologe und Psychotherapeut Prof. Dr. Carl Rogers zu sein, der Rosenberg inspiriert hat. Bereits die Danksagung in den allerersten Zeilen seines Buches Gewaltfreie Kommunikation. Aufrichtig und einfühlsam miteinander sprechen widmet er seinem ehemaligen Lehrer:

Ich bin dankbar, daß [ sic ] ich mit Professor Carl Rogers während der Zeit studieren und arbeiten konnte, als er die Komponenten einer positiven, zwischenmenschlichen Beziehung erforschte. Die Ergebnisse dieser Forschung haben eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung des Kommunikationsprozesses gespielt, den ich in diesem Buch beschreibe.[58]

Weder auf die Schlüsselrolle, noch auf die konkreten Forschungsergebnisse geht er jedoch in Folgenden ein. An anderer Stelle sagt Rosenberg über die Beeinflussung durch Carl Rogers:

Bestimmte Untersuchungen – wie Carl Rogers [ sic ] Studien zu den Charakteristika von heilenden Beziehungen – waren ebenfalls sehr hilfreich für mich.[59]

Wird Rogers an weiteren Stellen zitiert, so wird dort beispielsweise die Kraft der Empathie thematisiert[60], die Bedeutung von Authentizität in der Psychotherapie erörtert[61] oder hervorgehoben, wie wichtig es ist, selbst eigene Lernziele zu bestimmen.[62] Demzufolge scheint Rogers zwar diverse Auffassungen mit seinem ehemaligen Schüler Rosenberg zu teilen, doch nehmen seine Arbeiten wohl keinen Einfluss auf die Methode bzw. das Vorgehen der GfK. Zur Beeinflussung der GfK sagt Rosenberg zudem:

Aus unterschiedlichen Richtungen kamen Dinge zusammen, die schließlich das ergaben, was ich nun mit Ihnen teilen möchte.[63]

Im Anschluss an diese Textpassage gibt er einen Überblick über diese ‚Dinge’: Er spricht von Studien über Menschen, deren Verhalten in Konfliktsituationen er bewundert, von seinem Studium der Vergleichenden Religionswissenschaften und von den oben genannten ‚bestimmten Untersuchungen’.[64] Nach dieser knappen Übersicht formuliert er weiter:

Aus all diesen Quellen entwickelte ich einen Prozess, der auf meiner Vorstellung basiert, wie sich menschliche Wesen zueinander verhalten können.[65]

Folglich scheint Rosenberg seiner Leserschaft vermitteln zu wollen, dass die Beeinflussung der GfK allein auf den oben genannten Quellen beruht.

3.2 Die Beeinflussung der Gewaltfreien Kommunikation durch andere Kommunikationsmodelle

Entgegen Rosenbergs Angaben zur Beeinflussung der GfK lassen sich jedoch weitere Ähnlichkeiten zwischen der Methode der GfK und anderen Kommunikationsmodellen erkennen. Im Folgenden werden zum einen die Arbeiten von Carl Rogers intensiver untersucht werden, um weitere Parallelen zur GfK hervorzuheben. Zum anderen werden drei weitere Kommunikationsmodelle herangezogen, die bei näherer Betrachtung starke Übereinstimmungen mit Elementen der GfK aufweisen. Bei diesen Modellen handelt es sich um Ausführungen der Familientherapeutin Virginia Satir, um die Grundgedanken des Neurolinguistischen Programmierens (NLP) und um ein Modell des Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun. Diese Arbeiten sollen jeweils nur kurz erläutert werden, um Zusammenhänge mit der GfK kenntlich zu machen; eingehende Analysen des jeweiligen Modells wären im Rahmen dieser Arbeit zu umfassend.

Entscheidend im Rahmen der folgenden Darstellungen ist jedoch die Tatsache, dass Rosenbergs Hauptwerk zur Gewaltfreien Kommunikation im Original erst 1999 erschienen ist. Zwar gibt er an, sich seit den 1960er Jahren mit ihrer Entwicklung zu befassen, doch wie ausgereift sein damaliges Konzept im Vergleich zur jetzigen GfK war, lässt sich nicht nachvollziehen. Fest steht, dass die heutige Form der GfK erst knapp 40 Jahre nach ihren Anfängen veröffentlicht wurde. Somit ist es denkbar, dass Rosenberg sich ebenfalls an Kommunikationstheorien orientiert hat, die nicht nur vor Beginn seiner Tätigkeitsphase geschaffen wurden, sondern die erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden sind.

[...]


[1] Vgl. ebd. S. 21.

[2] Vgl. ebd.

[3] Vgl. ebd. S. 41.

[4] Vgl. ebd. S. 47.

[5] Vgl. ebd. S. 63.

[6] Ebd. S. 54.

[7] Vgl. ebd. S. 59.

[8] Ebd. S. 56.

[9] Näheres dazu unter Kapitel 2.3 (Die Bedeutung des Gefühlswortschatzes ).

[10] Vgl. Rosenberg, M.: Gewaltfreie Kommunikation. S. 75.

[11] Vgl. ebd. S. 81.

[12] Vgl. ebd. S. 82f.

[13] Vgl. ebd. S. 91.

[14] Vgl. ebd.

[15] Vgl. ebd. S. 98.

[16] Ebd. S. 94.

[17] Vgl. ebd.

[18] Ebd. S. 166.

[19] Ebd. S. 103.

[20] Vgl. ebd. S. 106.

[21] Ebd. S. 105.

[22] Vgl. ebd.

[23] Vgl. ebd. S. 133.

[24] Vgl. ebd. S. 105.

[25] Vgl. Rosenberg, M.: Erziehung, die das Leben bereichert. S. 72.

[26] Vgl. Rosenberg, M.: Gewaltfreie Kommunikation. S. 111f.

[27] Vgl. Rosenberg, M.: Erziehung, die das Leben bereichert. S. 77.

[28] Rosenberg, M.: Gewaltfreie Kommunikation. S. 56.

[29] Vgl. ebd. S. 59.

[30] Vgl. ebd. S. 51.

[31] Vgl. ebd. S. 56.

[32] Vgl. ebd. S. 57.

[33] Vgl. ebd.. S. 58.

[34] Vgl. ebd. S. 55f.

[35] Ebd. S. 54.

[36] Ebd.. S. 31.

[37] Rosenberg, M.: Kinder einfühlend unterrichten. S. 9.

[38] Vgl. ebd.

[39] Vgl. Rosenberg, M.: Gewaltfreie Kommunikation. S. 179.

[40] Vgl. Rosenberg, M.: Die Sprache des Friedens sprechen. S. 13.

[41] Vgl. Rosenberg, M.: Gewaltfreie Kommunikation. S. 26.

[42] Vgl. Rosenberg, M.: Kinder einfühlend unterrichten. S. 1.

[43] Vgl. Rosenberg, M.: Erziehung, die das Leben bereichert. S. 137.

[44] Vgl. ebd. S. 71.

[45] Vgl. Rosenberg, M.: Gewaltfreie Kommunikation. S. 123.

[46] Vgl. ebd. S. 74f.

[47] Vgl. Rosenberg, M.: Kinder einfühlend unterrichten. S. 1.

[48] Vgl. Rosenberg, M.: Die Sprache des Friedens sprechen. S. 61.

[49] Vgl. z. B. Hart, Sura, Victoria Kindle Hodson: Empathie im Klassenzimmer. Gewaltfreie Kommunikation im Unterricht. Ein Lehren und Lernen, das zwischenmenschliche Beziehungen in den Mittelpunkt stellt. Paderborn: Junfermann 2006.

[50] Rosenberg, M.: Kinder einfühlend unterrichten. S. 10.

[51] In sämtlichen mir zur Verfügung stehenden Materialien konnte ich keine Erklärung für die Wahl des Wolfes finden.

[52] Vgl. Bernard, Gea: About giraffes and wolfs. 2002 (unveröffentlicht).

[53] Rosenberg, M.: Gewaltfreie Kommunikation. S. 18.

[54] Vgl. Rosenberg, M.: Gewaltfreie Kommunikation. S. 18; vgl. Pásztor, S.: Eine Sprache des Lebens. S. 4.

[55] Vgl. Rosenberg, M.: Konflikte lösen durch Gewaltfreie Kommunikation. S. 34.

[56] Vgl. ebd.

[57] Vgl. Rosenberg, M.: Gewaltfreie Kommunikation. S. 44; vgl. Rosenberg, M.: Die Sprache des Friedens sprechen. S. 26; vgl. ebd. S. 102.

[58] Rosenberg, M.: Gewaltfreie Kommunikation. S. 13.

[59] Rosenberg, M.: Die Sprache des Friedens sprechen. S. 16.

[60] Vgl. Rosenberg, M.: Gewaltfreie Kommunikation. S. 121.

[61] Vgl. ebd. S. 169f.

[62] Vgl. Rosenberg, M.: Erziehung, die das Leben bereichert. S. 98.

[63] Rosenberg, M.: Die Sprache des Friedens sprechen. S. 15.

[64] Vgl. ebd. S. 15f.

[65] Ebd. S. 16.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2007
ISBN (PDF)
9783956849947
ISBN (Paperback)
9783956844942
Dateigröße
1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Bielefeld
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,3
Schlagworte
Kommunikationsanalyse Festinger Dissonanztheorie Gewaltfreien Kommunikation Neurolinguistisches Programmieren Giraffensprache
Zurück

Titel: Ist Gewaltfreie Kommunikation alltagstauglich? Eine kritische Auseinandersetzung mit der GfK nach Rosenberg im Vergleich mit anderen Kommunikationsmodellen
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
54 Seiten
Cookie-Einstellungen