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Interkulturelle Erziehung

©2003 Studienarbeit 31 Seiten

Zusammenfassung

Interkulturelle Erziehung geht nicht nur von einem Kulturbegriff aus und meint nicht nur die geistige Kultur einer Gesellschaft, sondern auch die Alltagskultur, also den tagtäglichen Umgang der Menschen miteinander. Dabei orientiert sie sich an den universellen Menschenrechten, versucht die Gleichheit aller Menschen und Kulturen anzuerkennen.
Der Terminus entwickelte sich aus der Ausländerpädagogik. Einsicht und Erfahrung zeigten, dass ehrenamtliche Bemühungen in ‘Hausaufgabenhilfen’ keine angemessene Hilfe zur Förderung und Integration ausländischer Kinder darstellte und führte zu Veränderungen in diesem Bereich. Zum einen kam es zu einer Erweiterung des Arbeitsfeldes sowohl im Kindergartensektor als auch im Umgang mit ausländischen Erwachsenen. Zum anderen kam man zu der Erkenntnis, dass Ausländerpädagogik keine Sonderpädagogik für Ausländer sein könne. Vielmehr müsse man sich auch an die ‘Inländer’, also die Deutschen wenden, da viele Aufgaben nur im dialogischen Miteinander zu bewältigen wären. Da der Terminus ‘Ausländerpädagogik’ diese Inhalte nur ungenügend und missverständlich widerspiegelt, werden heute zunehmend die synonymen Begriffe ‘interkulturelle Erziehung’ und ‘interkulturelle Pädagogik’ verwendet.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2. Ziele

2.1. Allgemeine Zielsetzung

Die allgemeine Zielsetzung der interkulturellen Erziehung fasst Wilhelmine Sayler wie folgt zusammen: „auf dem Weg über Begegnung und Dialog, Konfliktbearbeitung und Vorurteilsabbau, über die kritische Beschäftigung mit eigener wie fremder Kultur und Tradition und die Überwindung ethnozentrischer Fixierungen hin zu mehr Chancengerechtigkeit, zu Toleranz, zu verantwortungsbewusstem solidarischem Handeln - und damit zu einer Bereicherung aller Beteiligten wie der Gesellschaft insgesamt“ (Sayler, 1997, S.154).

Spezifische Aufgaben und deren methodische Umsetzung:

a) Interkulturelle Erziehung soll die Integration der Kinder anderer Kulturen ermöglichen, wobei Integration hier als selbstverständliches Dazugehören verstanden wird. Einerseits sollen hierzu die Deutschkenntnisse der Schüler gefördert werden, wenn erforderlich und schulorganisatorisch möglich in Vorbereitungs- bzw. Förderklassen, da eine uneingeschränkte Teilnahme am Unterricht der Regelklasse angestrebt wird. Andererseits sollen die Kinder, wiederum wenn schulorganisatorisch möglich, in ihrer Muttersprache unterrichtet werden, da dieses für die Aufrechterhaltung der Verbindung zur Herkunftskultur und für Gespräche in der Familie von Bedeutung ist (Sayler, 1997, S.155-156). Sandfuchs fordert in diesem Zusammenhang, dass interkulturelle Erziehung sowohl die Herkunftskultur der ausländischen Menschen als auch die im Aufnahmeland sich entwickelnden Migrantenkultur einzubeziehen hat, da „die Stärkung des kulturellen Selbstbewusstseins der Migranten (z.B. durch Pflege der eigenen Sprache und Religion) [die] Voraussetzung ist für eine bruchlose Persönlichkeitsentwicklung, für Schulerfolg und für andere Integrationsprozesse“ (Sandfuchs, 1993, S.106). Zusätzlich wird hier eine Chance für deutsche Schüler gesehen, durch die Teilnahme an jenem Sprachunterricht in eine Begegnungssprache hineinzuwachsen. Wie wichtig Mehrsprachigkeit in der heutigen Gesellschaft besonders in Hinblick auf das spätere Berufsleben ist, scheint allgemein bekannt zu sein. Dennoch weist Wilhelmine Sayler an dieser Stelle auf ein Problem hin. Der muttersprachliche Unterricht wird häufig von aus den Herkunftsländern abgeordneten Lehrern gehalten, deren Erziehungs- und Unterrichtsstil vom deutschen abweichen. Zudem folgt das Lehrmaterial nicht immer demokratischen Prinzipien und oftmals „finden sich in ihm nicht selten nationalistische, letztendlich den schulischen Integrationsbemühungen entgegenlaufende Tendenzen“ (Sayler, 1997, S.156). Was den Unterricht in islamischer Religion angeht, ist es noch zu keiner für das deutsche Schulsystem und die Betroffenen befriedigenden Lösung gekommen. In fünf Bundesländern findet dieser Religionsunterricht im Rahmen des muttersprachlichen Ergänzungsunterrichts statt, in den übrigen Bundesländern sind die diplomatischen und konsularischen Vertretungen der Türkei hierfür verantwortlich. Ein weiterer wichtiger Punkt für die Integration der Kinder ist die Schullaufbahnberatung ausländischer Eltern. Da sich diese dem deutschen Schulsystem oftmals orientierungslos gegenübergestellt fühlen, soll die Schullaufbahnberatung ihnen helfen, „die Leistungsfähigkeit ihres Kindes in Relation zu den Anforderungen von Haupt-, Real- und Gesamtschule sowie von Gymnasien“ einzuschätzen (Sayler, 1997, S.156).
b) Die interkulturelle Erziehung soll deutsche Schüler dazu befähigen, die Integration ihrer Mitschüler zu ermöglichen. Auch wenn keine ausländischen Schüler in der Klasse anwesend sind, sollte dieser Aspekt thematisiert werden und sollte interkulturelle Erziehung im Unterricht stattfinden. Es geht darum, auf beiden Seiten Empathie zu fördern und „soziale Neugier“ zu wecken (Sayler, 1997, S.156). Hierzu gibt es im Unterricht der Grundschule viele kindgerechten Möglichkeiten. Das Rollenspiel, in dessen Mittelpunkt die entscheidende Interaktion steht, bietet sich z.B. an, um das Thema „soziale Vorurteile“ auf kindlicher Ebene zu bearbeiten. Häufiges Arbeiten in gemischten Gruppen fördert die Kommunikation zwischen den Kulturen, was sich auch auf den Freizeitbereich ausweiten kann, wenn z.B. im Unterricht Aufgaben gestellt werden, die ausserunterrichtlich in Gruppen gelöst werden sollen.
c) Im Erleben der Klassengemeinschaft, die für Erstklässler eine neue Erfahrung ist, ist es Aufgabe, „ein soziales Klima zu schaffen, das nicht vom Neben- und Gegen-, sondern vom Miteinander geprägt wird und das es jedem Kind ermöglicht sich zu integrieren.“. „In vielen Klassen ist es angebracht, den Schulanfang interkulturell zu gestalten, wobei (sprachliche) Verständnisschwierigkeiten eher überwunden werden, wenn durch symbolorientierte Formensprache sowie Sozialintegrierende Rituale das gemeinsame Leben und Lernen deutscher und ausländischer Kinder unterstützt und Geborgenheit in der großen Gruppe genossen wird“ (Schorch, 1998, S.101).
d) Die Elternarbeit und der Hausbesuch sind wichtige Bestandteile interkultureller Erziehung. Den ausländischen Eltern soll somit die „Angst“ vor dem deutschen Lehrer genommen werden. Außerdem soll der Lehrer so Einblicke in die häusliche Lebenswelt des Kindes gewinnen, von den Eltern erfahren, welche Ansichten sie über Erziehung haben und was die Migrantensituation für sie bedeutet.
e) Die interkulturelle Erziehung soll das Kind befähigen, die Welt als „Eine Welt“ zu sehen, in der die Menschen und Länder in wechselseitiger Abhängigkeit zu einander stehen. Hierzu bietet sich z.B. das Thema „Dritte Welt - Eine Welt“ an, durch welches das Kind einen ersten Schritt in Richtung sozialen und ökologischen Verantwortungsbewusstseins machen kann. Zu diesem Zweck gibt es diverse kindgerechte Unterrichtsmaterialien in Form von Spielen, Filmen, Diareihen, Hörspielen und Bilderbüchern (Sayler, 1997, S.157).

Letztendlich geht es bei der interkulturellen Erziehung für alle Beteiligten, das heißt „für Schüler, Eltern und Lehrer um eine Erhöhung der Sozial-, Selbst- und Sachkompetenz“ (Sayler, 1997, S.154).

2.2. Zehn Ziele Interkultureller Erziehung und Bildung (nach Nieke)

1. „Erkennen des eigenen, unvermeidlichen Ethnozentrismus“ (Nieke, 2000, S. 204):

Man soll erkennen, dass das eigene Denken immer in die eigene Ethnie und Lebenswelt eingebunden ist. Ein wichtiges Ziel der Interkulturellen Erziehung besteht in der Erkenntnis, dass das eigene Denken und das eigene Werten auf Grund der eigenen Lebenswelt und der eigenen Ethnie erfolgen. Dieser eigene Ethnozentrismus kann nur bei der Konfrontation mit anderen ethnischen Gruppen erkannt werden. Vor allem auch deshalb, weil „Verständnisprobleme dann entstehen, wenn jemand aus der einen Kultur seine Deutungen für jedermann bekannt unterstellt“ (Nieke, 2000, S. 204).

Aufgabe der Interkulturellen Pädagogik ist es, Probleme bewusst zu machen, die auf Grund von unterschiedlichen Deutungsmustern entstanden sind. Missverständnisse sollen aufgedeckt werden, damit deutlich wird, dass ohne die Kenntnisse anderer Perspektiven jeder in seiner eigenen Kultur „befangen und gefangen bleibt“ (Nieke, 2000, S. 204).

Dabei ist eine bloße Information über andere Kulturen nicht ausreichend, da „Misstrauen und Angst gegenüber Angehörigen kultureller Minderheiten durch Unvertrautheit entstehen und [nicht] durch Kontakt und Information abgebaut werden können“ (Nieke, 2000, S. 205). Bei Kontakten ohne die richtige Einordnung in den jeweiligen kulturellen Zusammenhang besteht die Gefahr, dass bestehende Vorurteile noch weiter verstärkt werden können.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass interkulturelle Kontakte nicht unbedingt automatisch zu einer gewünschten Veränderung im Verhalten gegenüber der jeweils anderen Gruppe führen, vielmehr besteht die Möglichkeit, dass positive und negative Vorurteile noch weiter verstärkt werden. Das trifft besonders auf die einseitige Instrumentalisierung kultureller Bereicherung von Vertretern der Mehrheit gegenüber der jeweiligen ethnischen Minderheit zu.

2. „Umgehen mit der Befremdung“ (Nieke, 2000, S. 205):

Das Fremde soll bewusst wahrgenommen und durchdacht werden, anschließend muss damit umgegangen werden. Mit dem Fremden soll auf reflektierte und vernünftige Art umgegangen werden. Das Fremde, das im spielerischen Umgang exotisch wirkt und aus diesem Grunde interessant sein kann, kann im Alltag verunsichern und Irritation und Abwehr erzeugen. Es richtet sich nämlich auf dieselben „Alltagsbereiche wie die eigenen Deutungen und Orientierungen“ (Nieke, 2000, S. 205). Aus dieser Befremdung heraus können Phänomene wie Ausländerfeindlichkeit oder Rassismus entstehen. Um dem zu begegnen ist nicht nur kognitives Lernen erforderlich, sondern es muss ebenso die Möglichkeit zu emotionalen Reaktionen gegeben werden. Nieke benennt ausdrücklich Rollenspiel, darstellendes Spiel, Pantomime und nonverbale Ausdrucksformen. So kann es die Möglichkeit geben, dass Gefühle von „Befremdung gegenüber den als bedrohlich und als Konkurrenz wahrgenommenen Zuwanderern umgebildet werden könnte in Neugier auf das andere, das Exotische“ (Nieke, 2000, S. 206).

3. „Grundlegen von Toleranz“ (Nieke, 2000, S. 207):

Toleranz soll als wichtiger Wert begriffen werden. In diesem Zusammenhang ist es entscheidend, dass die Toleranz gefördert wird. Sie stellt die Basis für ein „gewaltfreies Zusammenleben in einer pluralistischen Demokratie“ (Nieke, 2000, S. 207) und einer Gesellschaft dar, in der Gedanken- und Religionsfreiheit besteht. Toleranz muss „Bestandteil einer elementaren politischen Bildung“ (Nieke, 2000, S. 207) sein.

Im Bereich des interkulturellen Lernens wird Toleranz gegenüber einer anderen Lebenswelt gefordert, auch wenn sie den eigenen Orientierungen und Wertansichten widerspricht. Dies erfordert Toleranz an der Stelle, wo es kein Ausweichen mehr gibt: im öffentlichen Bereich, dieser beginnt in der Schule. Toleranz kann durch Erziehungsmodelle nicht unbedingt verlässlich vermittelt werden, da es sich um ein komplexes Gebiet handelt. Deshalb bezeichnet Nieke Toleranz im Zusammenhang von Interkultureller Erziehung als besonders anspruchsvoll.

4. „Akzeptieren von Ethnizität, Rücksichtnehmen auf die Sprache der Minoritäten“ (Nieke, 2000, S. 207):

Die ethnischen Besonderheiten sollen akzeptiert und die verschiedenen Sprachen nicht verdrängt werden. Unter Ethnizität wird das „Bewusstsein und die Präsentation der Zugehörigkeit zu einer Ethnie“ (Nieke, 2000, S. 207) verstanden. Oft kann diese Zugehörigkeit nicht öffentlich ausgelebt werden, sondern es wird von den Angehörigen ethnischer Minderheiten erwartet, dass diese sich bedingungslos in die bestehende Gesellschaftsstruktur anpassen. Interkulturelle Erziehung verlangt jedoch Akzeptanz von Ethnizität. Dies bedeutet unter anderem, dass die auf der Grundlage unterschiedlicher Kulturen zustande kommende Andersartigkeit präsentiert werden kann. Deshalb ist es nötig, den Umgang mit Fremdheitserlebnissen einzuüben, die durch die Begegnung mit anderen Kulturen ausgelöst werden und die somit das „eigene kulturelle Selbstverständnis in Frage stellen“ (Nieke, 2000, S. 208).

[...]

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2003
ISBN (PDF)
9783958206847
ISBN (Paperback)
9783958201842
Dateigröße
4.8 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Erfurt
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
2
Schlagworte
Grundschulpädagogik Erziehungswissenschaft Auernheimer Nieke Montessori

Autor

Silvana Lehmann (Förderschulpädagogin) wurde 1981 in Thüringen geboren. Ihr Lehramtsstudium an der Universität Erfurt schloss die Autorin 2007 ab. Bereits während des Studiums sammelte die Autorin umfassende praktische Erfahrungen in der Arbeit mit Menschen mit einer geistigen Behinderung. Der Text ‘Interkulturelle Erziehung’ entstand während des Studiums zum Grundschullehrer. Heute arbeitet die Autorin an einem Förderzentrum in Weimar. Außerdem arbeitet sie derzeit an ihrer Dissertation im Bereich Sonderpädagogik.
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