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Lebensqualität im Alter: Gewichtung subjektiver und objektiver Aspekte

©2014 Bachelorarbeit 78 Seiten

Zusammenfassung

Historisch gesehen ist das Alter ein junges Thema, relevant erst seit dem 20. Jahrhundert. Noch nie war die Lebenserwartung so hoch wie heute. Der qualitative Aspekt – insbesondere die Erhaltung von Lebensqualität – gewinnt an Bedeutung. Was aber bedeutet Lebensqualität und wovon wird sie beeinflusst? Die vorliegende Studie gibt einen Überblick über das komplexe Zusammenspiel der subjektiven und objektiven Faktoren der Lebensqualität im Alter in Verknüpfung mit dem persönlichen Altersbild.
Altersbilder zeigen die Sicht der Gesellschaft auf ältere Mitmenschen. Diese Bilder schaffen eine Realität, die sagt, was Alter ist und wie sich alte Menschen zu verhalten haben. Häufig werden diese Altersbilder der Variabilität des Alterserlebens und der Fähigkeiten im Alter jedoch nicht gerecht. Wenn die gesellschaftliche Einordnung älterer Menschen in von Defiziten bestimmten Kategorien erfolgt, werden die Möglichkeiten, eigene Stärken, Bedürfnisse und Wünsche im Alter auszuleben, erschwert.
In diesem Kontext stellt sich die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen dem eigenen Altersbild und der Lebenszufriedenheit gibt. Beruht die persönliche Einschätzung des Alters auf realen, manifesten Werten, wie zum Beispiel dem Abbau der kognitiven Leistungsfähigkeit und dem Nachlassen der motorischen Fähigkeiten, oder beeinflussen andere Modalitäten die Lebensqualität? Diese empirische Arbeit prüft diesbezügliche Hypothesen. Weitergehend werden daraus statistische Beziehungen in einem linearen Strukturgleichungsmodell theoriegeleitet sinnvoll verknüpft und dargestellt.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


4
Ergebnisse
28
4.1
Beurteilung der Schätzergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
4.1.1
Bewertung der Teilstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
4.1.2
Bewertung der Gesamtstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
4.2
Ausgangsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
4.3
Modifiziertes Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
5
Interpretation der Ergebnisse
32
5.1
Bedeutung der subjektiven Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
5.2
Einfluss der Persönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
5.3
Einfluss von Gesundheit auf die Lebenszufriedenheit . . . . . . . . . . . . . 33
5.4
Fluide und kristalline Intelligenz in Bezug auf motorische Fähigkeiten . . . 34
6
Diskussion
35
7
Fazit und Ausblick
37
Literaturverzeichnis
38
8
Anhang
42
8.1
Emotionstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
8.2
Altersdimensionen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
8.3
Items Lebenszufriedenheit SWLS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
8.4
Item 1 bis 41 der Emotionsskala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
8.4.1
Item 1 bis 11 der Emotionsskala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
8.4.2
Item 12 bis 21 der Emotionsskala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
8.4.3
Item 22 bis 31 der Emotionsskala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
8.4.4
Item 32 bis 41 der Emotionsskala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
8.5
Items Persönlichkeit nach dem NEO FFI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
8.6
Items persönliches Altersbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
8.7
Krankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
8.8
Faktorenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
8.8.1
Lebensqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
8.8.2
Leistungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
8.9
Hypothesen und Korrelationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
8.9.1
statistische Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
8.9.2
Korrelationen/Hypothesentestung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

8.10 Modell 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
8.10.1 Notes of Model . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
8.10.2 Modification Indices . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
8.10.3 Model Fit Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
8.10.4 Estimates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
8.11 Modell 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
8.11.1 Notes of Model . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
8.11.2 Assessment of Normality . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
8.11.3 Model Fit Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
8.11.4 Estimates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65


Abbildungsverzeichnis
1.1
Sozialer Wandel in den eigenen Altersbildern (Bundestag, 2010, S. 497) . .
2
2.1
Lebensqualität als Konstrukt (nach Rietz & Rudinger, 2000, S. 28) . . . . .
5
2.2
Altersbedingte Differenzen im Grad der unterschiedlichen Emotionstypen
(Kessler & Staudinger, 2009, S. 355).
Y-Achse = Selbsteinschätzung nach Frage-
bogen (Mittelwerte).
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
2.3
z-transformierte Mittelwerte der Ausprägung einzelner Dimensionen des
Altersbildes in den Altersbild- Clustern (Huy & Thiel, 2009, S. 126) . . . . 10
3.1
Verlauf fluide/ kristalline Intelligenz über die Lebensspanne modifiziert
nach Kray und Lindenberger (2005, S. 195) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
3.2
Strukturmodell der latenten Variablen (nach Rudolf & Müller, 2012, S. 349) 24
3.3
Messmodell der exogenen, latenten Variablen Leistungsfähigkeit (nach Ru-
dolf & Müller, 2012, S. 349) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
4.1
Ausgangsmodell basierend auf den Theorien von Rietz und Rudinger (2000) 30
4.2
Modifiziertes Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31


Tabellenverzeichnis
3.1
Motorik Tests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
3.2
Komponenten der Cogbat (cognitive test battery) . . . . . . . . . . . . . . 21
3.3
Regressionsmodell, X beeinflusst Y (eigene Tabelle) . . . . . . . . . . . . . 23
3.4
Pfadmodell: direkte und indirekte Zusammenhänge (eigene Tabelle) . . . . 23
3.5
rotierte Komponentenmatrix-Werte der latenten Variablen Leistungsfähigkeit 26
3.6
rotierte Komponentenmatrix-Werte der latenten Variablen Lebensqualität . 26
3.7
Hypothesen über die Zusammenhänge im Strukturmodell . . . . . . . . . . 27
8.1
Hypothesen der manifesten Variablen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
8.2
Ergebnis Hypothesentestung manifeste Variablen
. . . . . . . . . . . . . . 59


1 Einleitung
,,Das Alter ist jung",
so Baltes (1996, S. 35). Historisch gesehen ist das Alter erst ein Thema des 20. Jahrhunderts.
Noch nie war die Lebenserwartung so hoch wie heute. Neugeborene Mädchen haben eine
Lebenserwartung von 82,4 Jahren, 80jährige Frauen dürfen auf ein durchschnittliches Alter
von 88,97 Jahren hoffen. Das bedeutet, dass heutzutage nach dem Ausscheiden aus dem
Erwerbsleben noch viele Jahre folgen, die vergleichsweise frei gestaltet werden können, so
eine Feststellung in der 6. Altersstudie (Bundestag, 2010, S. 22).
Einhergehend damit verändern sich die Bedürfnisse der über 65jährigen. Der qualitative
Aspekt gewinnt an Bedeutung. Es geht unter anderem um die Erhaltung von Lebensqualität.
Was bedeutet aber Lebensqualität? Bowling (2007, S. 296) versucht darauf eine Antwort zu
geben, die sie aus Interviews mit 337 über 65jährigen extrahiert hat: physische Gesundheit
(43 %), Freizeit- und soziale Aktivitäten (34%), geistige Leistungsfähigkeit (18%) und
soziale Beziehungen und Kontakte (15 %).
Die Sicht der Gesellschaft auf ältere Mitmenschen zeigt sich in ihren Altersbildern, deren
Bedeutung in der Studie der Bundesregierung hervorgehoben wird. Diese Bilder vom Alter
schaffen eine Realität, an der sich die Gesellschaft orientiert, die sagt, was Alter ist und
wie sich alte Menschen zu verhalten haben.
Diese Altersbilder werden der Variabilität des Alterserlebens und der Fähigkeiten im Alter
vielfach nicht gerecht. Kein anderer Lebensabschnitt ist als so heterogen zu betrachten. So
weisen Staudinger und Schindler (in Schlag, Bernhard & Megel (Hrsg.), 2002, S. 67) darauf
hin, dass schon die jungen Alten über ein breites Erlebens-Spektrum bezogen auf das
Altern verfügen: vom aktiven, über das kontemplative, bis hin zum unzufriedenen Altern.
Baltes (1996, S. 34) gibt zu bedenken, dass das Altersbild in Deutschland im Kontrast
zum ,,Jugendwahn" , eher negativ gefärbt und zu wenig differenziert sei.
Was geschieht, wenn die gesellschaftliche Einordnungen in von Defiziten bestimmte Kate-
gorien erfolgt? Die Möglichkeiten, die eigenen Stärken, Bedürfnisse und Wünsche im Alter
auszuleben, werden dadurch erschwert, da sich die Angebote eventuell nur an vermeint-
lichen Bedürfnissen orientieren. Unsere Gesellschaft wird älter, die Älteren heutzutage
1

gesünder. Sie besitzen einen höheren Bildungsstand. Daraus resultieren andere Bedürf-
nisse (siehe oben: Bowling, 2007, S. 296) als noch vor Jahren. Wie hat sich das auf die
gesellschaftlichen Altersbilder bis heute ausgewirkt?
Abbildung 1.1: Sozialer Wandel in den eigenen Altersbildern (Bundestag, 2010, S. 497)
Aus Abbildung 1.1 sind zwei Trends zu erkennen. Der erste ist, dass über die drei Erhe-
bungswellen 1996, 2002, 2008 im linken Schaubild eine Tendenz hin zu einem positiveren
Bild des eigenen Älterwerdens zu sehen ist. Es muss allerdings unterschieden werden
zwischen den befragten Altersklassen. Für einen 40jährigen liegt das Alter noch in der
Zukunft, während ein 70jähriger mittendrin steht. Ein 60jähriger der ersten Befragung
1996 (heller Balken) befindet sich 2008 beispielsweise in der Gruppe der 76- 81jährigen
wieder (dunkler Balken). Er scheint also im Mittel das Alter als 76jähriger positiver zu
bewerten als ein 76jähriger 1996. Hier zeigt sich allerdings auch der zweite Trend, dass
das wirkliche Erleben des Alters doch zu einer stärkeren Wirkung des Alters selbst führt
und somit das Altersbild negativer ausfällt als die in jüngeren Jahren gemachte Prognose.
Die Tendenz ist seit 1996 leicht ansteigend. Das rechte Schaubild zeigt ein vergleichbares
Ergebnis mit entgegengesetzter Polung. Über die Zeit ist dennoch ein Wandel hin zu einem
positiveren Altersbild zu erkennen.
Aus der Bewertung des Alters heraus stellt sich die Frage, ob diese Einschätzung auf realen,
manifesten Werten beruht, wie zum Beispiel dem Abbau der kognitiven Leistungsfähigkeit,
dem Nachlassen der motorischen Fähigkeiten oder ob andere Modalitäten die Lebensquali-
tät beeinflussen.
2

So könnten beispielsweise die beschriebenen allgemeinen Altersbilder das persönliche Al-
tersbild färben, implizit auf das Verhalten wirken und dieses, weitgehend unabhängig von
Messwerten, beeinflussen. Oder färbt die eigene Persönlichkeitsstruktur die Sichtweise?
Wo ist der Ansatzpunkt, um die Lebenszufriedenheit im Alter zu erhöhen?
In bisherigen Studien gab es hauptsächlich den Blickwinkel auf den positiven Einfluss
sozialer Kontakte und körperlicher Aktivität (Cooper, Okumara & Gurka, 1991; Herero &
Extremera, 2010; Voelker-Rehage, Godde & Staudinger, 2006).
Welchen Einfluss hat aber die Persönlichkeit auf die Ausrichtung der eigenen Sicht aufs
Alter? Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem eigenen Altersbild und der Lebenszu-
friedenheit?
Im Folgenden sollen Hypothesen geprüft werden. Weitergehend werden daraus statistische
Beziehungen in einem linearen Strukturgleichungsmodell theoriegeleitet sinnvoll verknüpft
und dargestellt.
Grundlage dieser Arbeit sind die Erhebungsdaten des Projektes Seniorentanz vom Jacobs
Center on Lifelong Learning and Institutional Development (2013). N = 91 Probandinnen
im Alter von durchschnittlich 73,5 Jahren (SD 5.33) wurden in unterschiedlichen Settings
getestet (siehe Kapitel 3.2).
Wegen der besonders bei kausalen Modellen wichtigen theoretischen Untermauerung soll
zuerst der theoretische Hintergrund der zentralen Begrifflichkeiten beleuchtet werden, bevor
die Erhebungsinstrumente der einzelnen Variablen beschrieben werden. Daraus erarbeiten
sich die Hypothesen, die im Folgenden in ein Modell eingebaut werden.
Diese Arbeit soll einen Überblick über das komplexe Zusammenspiel der subjektiven
und objektiven Faktoren der Lebensqualität im Alter geben im Zusammenspiel mit dem
persönlichen Altersbild.
3

2 Theoretischer Hintergrund
Um sich dem Konstrukt von Lebensqualität und dem persönlichen Altersbild zu nähern,
sollen die zentralen Begrifflichkeiten dieser Arbeit und der Stand der Forschung in diesem
Kapitel erläutert werden. Da es sich um eine komplexe Thematik handelt, werden verschie-
dene Theorien und Sichtweisen dargestellt. Dabei soll die Heterogenität des Alterserlebens
verdeutlicht werden.
2.1 Definition von Alter
Im Folgenden wird sich auf das chronologische und soziale Altern bezogen. Chronologisch
insofern, als dass eine bestimmte Gruppe von Menschen betrachtet wird, die zwischen
65 und 85 Jahre alt ist. Soziales Altern bedeutet in diesem Zusammenhang, dass im
Vergleich zu jungen Menschen ein Rollen- und Positionswechsel stattgefunden hat. Alle
Teilnehmerinnen der ,,Seniorentanz"-Studie waren zum Testungszeitpunkt nicht mehr
erwerbstätig.
Da es nicht ,,das Altern" gibt, sondern eine sehr individuelle Art des Alterns, eine hohe
querschnittliche Variabilität, erscheint es auch sinnvoll, die betrachtete Lebensaltersspanne
in sinnvolle Abschnitte zu unterteilen. Es würde schließlich auch keinen Sinn machen,
die Spanne von 10 - 30 Jahren als einheitliche Kategorie zu betrachten in Bezug auf
Leistungsfähigkeit, Wünsche und Bedürfnisse. Angelehnt an Staudinger und Schindler (in
Schlag et al. (Hrsg.), 2002, S. 69) kann sinnvollerweise von den jungen Alten (60- 70 Jahre),
den mittleren Alten (70- 85 Jahre) und den Hochaltrigen (>85 Jahre) gesprochen werden.
Diese Studie bedient sich aus methodischen Überlegungen dieser leicht modifizierten
Einteilung.
2.2 Lebensqualität im Alter
Der komplexe Begriff Lebensqualität lässt sich nicht eindeutig über einen Indikator be-
schreiben. Er muss als Konstrukt latenter Variablen verstanden werden und lässt sich laut
4

Rietz und Rudinger (2000, S. 28) am ehesten zerlegen in subjektive und objektive Aspekte.
Dieses Konstrukt wird im Weiteren Grundlage für die Betrachtung qualitativen Alterns
sein.
Anhand der Studiendaten soll zum einen geprüft werden, ob das Modell bestätigt wer-
den kann und zum anderen sollen die Beziehungen und Gewichtungen (Bedeutsamkeit)
untersucht werden, die sie auf das individuelle Altersbild haben.
Kognition
3.3.6
Motorik
3.3.5
Gesundheit
3.3.4
Emotionen
3.3.1
Lebens-
zufriedenheit
3.3.2
objektive Aspekte
subjektive
Aspekte
Lebensqualität
Abbildung 2.1: Lebensqualität als Konstrukt (nach Rietz & Rudinger, 2000, S. 28)
Die subjektiven Aspekte untergliedern sich noch einmal in kognitive und emotionale Kom-
ponenten (Abb. 2.1 ). Hierbei geht es um die gefühlte Lebenszufriedenheit und um
wahrgenommene Emotionen. Es kann eine Person mit gesundheitlichen Einschränkungen
durchaus eine hohe Lebenszufriedenheit empfinden, bedenkt man, dass mit zunehmendem
Alter verstärkt Kompensationsstrategien genutzt werden, um den Effekt des ,,trotzdem" zu
erreichen (Baltes, Lindenberger & Staudinger, 1998, S. 643; Brandstädter & Greve, 1994, S.
57), wie in Kapitel 3.3.3 beschrieben. Die objektiven Aspekte unterteilen sich in kognitive
und motorische Leistungsfähigkeit und den ärztlich beurteilten Gesundheitszustand nach
Rietz und Rudinger (2000). Zur kognitiven Leistungsfähigkeit gehören unter anderem
Wissen, Gedächtnis und Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung, zur Motorik Fer-
tigkeiten wie Balancieren, Schnelligkeit, Ausdauer. Um die latente Variable Lebensqualität
in dieser Studie zu beschreiben, wurde der Punkt ärztlich beurteilter Gesundheitszustand
insofern modifiziert, als das ein definierter Mindestgesundheitszustand überhaupt Voraus-
5

setzung für eine Teilnahme war, belegt durch ein unbedenkliches EKG. Zusätzlich wurde
über eine Selbstauskunft der jetzige Zustand erfragt und über die Anzahl der derzeitigen
chronischen Krankheiten bewertet.
Auf die beschriebenen Komponenten haben auch andere Faktoren Einfluss, wie beispiels-
weise Einkommen, Beziehungen, Gesundheitsversorgung. Dies soll in vorliegender Arbeit
nur am Rande thematisiert werden.
Die Zeit des Alters beinhaltet in einem höheren Maße Verluste und Einschränkungen im
persönlichen, kognitiven und motorischen Bereich als das junge oder mittlere Erwachse-
nenalter (Voelcker-Rehage et al., 2006, S. 558-559). Würde man hier eine Prognose stellen
wollen, so könnte man annehmen, dass die Lebenszufriedenheit über die Zeit abnehmen
würde und negative Emotionen überwiegen oder zumindest im längsschnittlichen Vergleich
zunehmen, da es zu einer steigenden Ist-Soll-Diskrepanz kommt zwischen Fähigkeiten und
Möglichkeiten.
Das diese einfache Sichtweise sich nicht bestätigen lässt, zeigt eine Studie von Kessler und
Staudinger (2009, S. 350), in der ältere Erwachsene (59- 80 Jahre) unter anderem berichten,
dass sie sich kompetenter in der Kontrolle ihrer Emotionen fühlten. Es zeigte sich auch eine
größere Flexibilität im Gebrauch von Strategien der Regulation. Neben diesen Ergebnissen
oder auch gerade auf Grundlage dieser Ergebnisse konnte gezeigt werden, dass besonders
Ältere eine höhere Effizienz zeigten, wenn es darum ging, positive Gefühle in schwierigen
Situationen zu generieren und negative Gefühle zu reduzieren. Die gezeigte Flexibilität
scheint ein Schlüssel zu sein, um zu verstehen, warum insbesondere positive, niedrig erregte
Emotionen im Alter zunehmen (ebd., 2009, S. 355), die mit dem Gefühl von Zufriedenheit
korrespondieren. Zu diesen Emotionen zählen Gelassenheit, Entspanntheit, in sich ruhen
und Ungezwungenheit. In der beschriebenen Studie korrelieren diese Eigenschaften sowohl
mit dem Alter, als auch mit den Big Five (Persönlichkeit), wobei letztere signifikant den
Effekt des Alterns reduzieren (p< .001).
Die Beobachtung eines Zusammenhanges mit der Persönlichkeit deckt sich mit den Ergeb-
nissen einer Studie von Havighurst (1961, S. 8), der die Frage nach erfolgreichem Altern mit
drei Theorien zu beantworten versucht. Demnach ist erfolgreiches Altern zum einen (1) Ac-
tivity, möglichst lange Aufrechterhaltung der Aktivitäten des mittleren Erwachsenenalters,
zum Anderen (2) Disengagement, die Akzeptanz der sukzessiven Loslösung vom aktiven
Leben und (3) mature, eine ,,reife" Haltung, die Zufriedenheit bedeutet, solange Aktivität
im Altersrahmen möglich ist. Havighurst kommt zu dem Ergebnis, dass sich jeder die
Frage selbst beantwortet, was für ihn Zufriedenheit im Alter bedeutet. Somit wird ein Teil
der Älteren der Aktivitätstheorie zugeordnet sein, während ein anderer Teil die Loslösung
6

präferiert oder eine ,,reife" Haltung an den Tag legt, so Havighurst (1961, S. 12). Er sieht
den Grund für die Hinwendung zur einen oder anderen Gruppe in der Persönlichkeit der
Personen. Einen Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Lebenszufriedenheit zeigen
auch Kessler und Staudinger (2009, S. 358).
Abbildung 2.2: Altersbedingte Differenzen im Grad der unterschiedlichen Emotionsty-
pen (Kessler & Staudinger, 2009, S. 355).
Y-Achse = Selbsteinschätzung nach
Fragebogen (Mittelwerte).
In der Abbildung 2.2 zeigt sich insgesamt ab dem mittleren Alter ein Anstieg positiver
Emotionen (gestrichelte Linien) und eine Verminderung der negativen (durchgezogene
Linien). Eine Zuordnung der Eigenschaften zu den unterschiedlichen Kategorien bezüglich
Enervierungsgrad der emotionalen Erfahrung befindet sich im Anhang unter 8.1. Es scheint
entweder der Zuwachs an emotionaler Selbstkompetenz oder die eigene Persönlichkeit ein
tendenziell positiveres Lebensgefühl mit zunehmendem Alter entstehen zu lassen. Aus
der Abbildung ist eine Trennung der möglichen Einflussfaktoren nicht möglich. Andere
mögliche Handlungsstrategien, um die oben beschriebene Ist-Soll-Diskrepanz günstig für
das positive Selbstkonzept ausfallen zu lassen, sind unter 2.4 Persönlichkeit, Identität
und Selbstkonzept im Alter mit (1) Assimilation und (2) Akkommodation beschrieben
(Brandtstädter & Greve, 1994, S. 56-58).
7

Heutzutage wird auch von ,,erfolgreichem Altern" (Wahl, Diehl, Kruse, Lang & Martin,
2008, S. 11) gesprochen, was ein möglichst hohes Maß an kognitiver und motorischer
Leistungsfähigkeit sowie Selbstbestimmtheit im Alltag beinhaltet. Auch ist die erlebte
Handlungsfähigkeit und Veränderbarkeit der Umwelt ein als wichtig wahrgenommener
Punkt, um die Ist-Soll-Diskrepanz günstig für das positive Selbstkonzept ausfallen zu lassen.
Diese Punkte könnten zu der Meinung führen, dass es zu einer höheren Bewertung der
objektiven Aspekte komme.
Die qualitative Veränderung der Ziele (Lang & Carstensen, 2002, S. 125), assimilative
und akkommodative Handlungsstrategien (Brandtdtädter & Greve, 1994, S. 56), eine
kompetentere Emotionsregulation (Kessler & Staudinger, 2009, S. 350) sind somit wichtige
Bausteine in Bezug auf Lebensqualität im Alter und legen wiederum nahe, dass es zu einer
Gewichtung hin zu den subjektive Aspekten geben könne.
2.3 Individuelle und gesellschaftliche Altersbilder
Jeder Mensch bildet im Laufe seines Lebens naive Vorstellungen über den Verlauf des
Alterungsprozesses aus. Diese Konstrukte entstehen in der Auseinandersetzung mit der
Umwelt (Huy & Thiel, 2009, S. 122).
Altersbilder sind nach dem sechsten Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundes-
republik Deutschland (Bundestag, 2010, S. 36) Bestandteil des kulturellen Wissensschatzes
einer Gesellschaft und des individuellen Erfahrungsschatzes der einzelnen Mitglieder dieser
Gesellschaft.
Es gibt unterschiedliche Ebenen der Betrachtung. Zum einen kann eine Gesellschaft ein
Bild vom Altern generieren, das auf der Makro-Ebene das Individuum beeinflusst und
als ,,kollektives Deutungsmuster" einer Gesellschaft gesehen werden kann, zum anderen
kann es in die Struktur von sozialen Organisationen eingehen. Dies geschieht auf der
sozialen Meso-Ebene. Hier bekommen die Vorstellungen, was im Alter gesellschaftlich
angemessen erscheint eine konkrete, handlungswirksame und dauerhafte Form. Als dritten
Punkt geht der Bericht auf die soziale Mikroebene ein. Es kommen bestimmte Verhaltens-
muster unter anderem dann zum Tragen, wenn zum Beispiel das Alter in einer Interaktion
thematisch eine Rolle spielt oder es sich um altersbezogen asymmetrische, soziale Kon-
takte handelt. Die so in den drei Ebenen entstandenen Stereotype bilden vereinfachte
Modelle des Alters und Alterns, die allerdings zu Beurteilungsfehlern in Hinblick auf
individuelle Alterungsprozesse führen können (Hamilton & Gifford, 1976, S. 406). Nach
8

der von ihnen aufgestellten ,,Theorie der illusorischen Korrelation" werden Dinge oder
Argumente in eine Beziehung zueinander gebracht, die faktisch nicht besteht (Howard &
Cortés, 2004, S. 15). Um bei den Altersbildern zu bleiben, wäre eine solche illusorische
Korrelation beispielsweise ,,alte Menschen können nichts Neues mehr lernen". Wird dies als
vermeintliche Wahrheit angenommen, entstehen verzerrte Glaubenssätze über die Gruppe
der Alten. So entstandene negative Rollenbilder können beispielsweise Leistungspotenziale
unterdrücken (Trautmann, Voelcker-Rehage & Godde, 2011, S. 25; Bundestag, 2010, S. 23).
Trotz vorhandener Kompetenzen wird im Sinne eines underachievements agiert. Daraus
lässt sich die Frage ableiten, ob sich überhaupt ein kausaler Zusammenhang finden lässt
zwischen den Variablen Altersbild und den konkret gemessenen Indices für Kognition und
Motorik (siehe 3.3 Variablen)? Korrelieren also die eigenen Potenziale mit dem eigenen
Altersbild oder sollte der Interpretation von Schmitt (2004, S. 290) gefolgt werden, der
im Sinne des Konstruktivismus keinen direkten Zusammenhang zwischen dem subjektive
Erleben und den konkreten Leistungseinbußen (vgl. Motorik/ Kognition) sieht? Es macht
demzufolge nur das Erleben Sinn, dem der Sinn oder die Bedeutung gegeben wird. Mit
anderen Worten könnte man sagen, dass das ausgeblendet wird, was das Selbstkonzept
stört oder es zu demontieren droht. Was mit Bedeutung belegt wird wiederum hängt laut
Schmitt von dem individuellen Altersstereotyp ab. Ist die eigene Prägung negativ, werden
die Vulnerabilitäten verstärkt wahrgenommen, während ein von Kompetenz geprägtes Bild
eine Resilienz bedeutet. So scheint, im Sinne einer self fulfilling prophecy, die eigene Sicht
aufs Alter zu einem impliziten, dem Bewusstsein nicht zugänglichen Modell zu werden, so
eine These von Levy (zitiert nach Schmitt, 2004, S. 290). Wobei auch der Richtung der
Prägung eine Bedeutung zukommt. So fand Meisner (2011, S. 15) in seiner Metaanalyse
heraus, dass Priming durch negative Stereotype 2,6-fach stärkeren Einfluss hat auf das
Verhalten als Priming durch positive.
Eine differenzierte Betrachtung der genutzten Altersbilder liegt von Huy und Thiel (2009)
vor. Mit 2002 Personen zwischen 50 und 70 Jahren wurden computer- assistierte Telefon-
interviews durchgeführt. 31 Aussagen zu Gesundheit, Aussehen, Aktivität und Lebensstil
sollten bewertet werden. Mittels Faktoren- und Clusteranalyse konnten drei unterschied-
liche Altersbild- Cluster identifiziert werden: (1) die fitten Leistungshungrigen, (2) die
klassischen, (3) die unbekümmert Engagierten.
Die verschiedenen Items, die Huy und Thiel (ebd.) verwendet haben, sind, gruppiert nach
den Dimensionen der Hauptkomponentenanalyse, im Anhang unter 8.2 einzusehen.
9

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783958206533
ISBN (Paperback)
9783958201538
Dateigröße
2.4 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Bremen
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,3
Schlagworte
Strukturgleichungsmodell Lebenszufriedenheit Altersstudie Seniorentanz Altersbilder

Autor

Gabriele Hellenthal (B.Sc.) wurde 1963 in Heide/ Holstein geboren. Sie arbeitete viele Jahre als medizinisch-technische Assistentin in der Molekularbiologie. Von 2010 bis 2011 absolvierte die Autorin eine Ausbildung zum Coach (ICO), von 2011 bis 2012 zum NLP-Practitioner. Zudem schloss sie 2014 ein dreijähriges Studium der Psychologie an der Universität Bremen mit dem akademischen Grad des Bachelor of Science ab. Während dieses Studiums begleitete sie eine Altersstudie des Jacobs Center on Lifelong Learning and Institutional Development.
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