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Ich denke nicht daran, was in zehn Jahren sein wird: Ein Lebenskonzept begrenzter Freiheit - Ablauf einer psychologisch-philosophischen Beratung

©2009 Diplomarbeit 59 Seiten

Zusammenfassung

Die überdurchschnittlich gebildete, einundfünfzigjährige Klientin hat nicht den Weg in ein normales Erwerbsleben gefunden. Aus der Sicht der Schematherapie von Jeffrey Young und Janet Klosko ist sie in die Lebensfalle Berufliches Versagen geraten. Die Folgen sind gravierend: Sie lebt als kinder- und partnerloser Single zumeist auf bescheidenem Konsumniveau und sieht materiell nicht abgesicherten Jahren im Alter entgegen. Die eingeübten Bewältigungsstrategien der langfristig bedrohten Existenz bestehen aus einer Flucht in Form von Themenvermeidung und in einem semantisch gekonnten Relativieren der Situation.
Der Autor untersucht anhand von acht durchgeführten Beratungsgesprächen mit einer Patientin deren persönliche Einstellung und Haltung zu ihrer Lebenssituation. Es zeigen sich dabei nur wenige Hinweise auf eine bewusste Antizipation ihrer zukünftigen Lage, sodass es sich für sie schwierig gestaltet, der Lebensfalle zu entkommen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


3 Theoretische Ansätze

Gründe für die jeweilige Selektion eines bestimmten theoretischen Ansatzes liegen übli­cherweise in der Person des Beraters - siehe die Bedeutung der philosophischen Orien­tierung des Beraters bei Carl Rogers (2005, S. 34 ff und 381). Sie drücken die Emp­findungen und Sichtweise des Beraters für spezifische Gegebenheiten aus. Im vorliegenden Fall wurde von Alicia und mir anfangs vereinbart, den Gesprächen auch einen breiten lebensphilosophischen Ansatz zu Grunde zu legen. Es fließen somit philosophische als auch psychologische Überlegungen ein. Daher werden Theorien für diese Bereiche als hilfreiche Hintergrundinstrumente verwendet. Aus Anknüpfungs- und Handlungspunkten, welche sich im Laufe der Be­ratungssitzungen ergeben hatten, stammen folgende Instrumente:

ein le­bensphilosophischer Ansatz, ein pragmatischer Fragenkatalog zu Übergängen, ein versuchtes Herauslocken aus eingefahrenen Gedankengängen durch Anwenden der Pro­vokativen Therapie sowie die Darstellung eines konkreten Lebensfalle aus der Schema­therapie.

3.1 Methodische Leitidee des Horizontalen

Gegebenes durch theoretische Konzepte zu erhellen versuchen, kann durch zwei Vorgehensweisen erfolgen: Erstens vertikal = durch umfassende und tiefge­hende Anwendung eines einzigen theoretischen Ansatzes. Zweitens horizontal = durch breit gefächerte Anwendung mehrere theoretischer Ansätze. Jede dieser Grundformen hat ihre eigenen Vor- und Nachteile. Zum Erfassen der vielfältigen Aspekte eines Lebens­bildes erscheint mir die horizontale Vorgangsweise als die geeignetere. Sie wurde in dieser Arbeit auch angewandt. In der vorliegenden schriftlichen Darlegung der Beratungsgespräche finden sich daher Anregungen aus insgesamt vier Theorien beziehungsweise Konzepten. Diese werden im Folgenden näher erläutert.

3.2 Lebensphilosophie: Grenzsituationen nach Karl Jaspers

Der thematische Ausgangspunkt der Gespräche war angewandte Lebensphilosophie. Konkret ging es um die Art und Weise, nach dem fünfzigsten Geburtstag zu leben. Die­ser Geburtstag zeigt für alle sichtbar den Beginn des sechsten Lebensjahrzehntes an. Das nahe soziale Umfeld von Alicia wertet runde Gedenktage als nicht unwichtig.

Der Psychiater und Existenzphilosoph Karls Jaspers schrieb von der Existenzer­hellung insbesondere in menschlichen Grenzsituationen. Einen fünfzigsten Geburtstag als Grenzsituation aufzufassen, mag überzogen klingen, die Analyse der Klientensituati­on gemäß der Schematherapie verweist jedoch auf eine langfristig wirkende Lebensfal­le. Insofern kann ein runder Geburtstag unübersehbar und leidbehaftet ein gewissen Zwängen unterworfenes Leben hervortreten lassen. Ein Scheitern aufgrund bisheriger Lebensmuster wird deut­lich.

3.2.1 Begriffsbestimmung

Jaspers definiert die Situation im bisweilen umständlichen Philosophenjargon als eine „Wirklichkeit für ein an ihr als Dasein interessiertes Subjekt“ (1973, S. 202). Situation heißt demnach sinnbezogene Wirklichkeit und gehört seiner Meinung nach zum immanent bleibenden Bewusstsein (ebd., S. 202 f). Im Speziellen sind Grenzsituationen jene Si­tuationen, in welchen nicht ohne Kampf und Leid gelebt werden kann. In diesen Situationen wird nach Jaspers unvermeidlich Schuld aufgeladen (ebd., S. 203). Auf Grenzsituationen reagieren

„wir daher sinnvoll nicht durch Plan und Berechnung, um sie zu überwinden, sondern [...] durch das Werden der in uns möglichen Existenz; wir werden wir selbst, indem wir in die Grenzsituation offenen Auges eintreten. [...] In der Hilflosigkeit des Daseins ist es der Aufschwung des Seins in mir.“ (ebd., S. 204).

Aus Grenzsituationen besteht kein Herauskommen. Wohl aber schafft philosophierendes Denken einen größeren Raum, in welchem die Existenz besser erkennbar wird. Grenzsituationen bieten „eine Perspektive in das Dasein, in der dieses als Ganzes befragt und als möglich oder nicht möglich oder anders möglich gedacht wird.“ (ebd. S. 209). Die Fragwürdigkeit des Seins der Welt und meines Seins in ihr wird so leichter erkenn- und fühlbar.

3.2.2 Beispiele

Einzelne Grenzsituationen nach Jaspers können sein:

- Eigener Tod und Tod eines Nahestehenden: Der eigene Tod ist keine (anhalten­de) Grenzsituation. Man kann ihn nur erleiden. Der Mensch will den Tod vermeiden. Da er aber unvermeidbar ist, kann durch eine Tapferkeitshaltung die Möglichkeit zum Selbstsein vertieft werden. Tapferkeit bedeutet, ohne Selbsttäuschungen zu sterben (ebd. S. 225). Sinnliche Jenseitsvorstellungen he­ben den Tod als Grenze auf – er wird zu einem bloßen Übergang degradiert. Der absolute Schrecken des Nichtseins geht in diesem Fall für den Betroffenen - wahrscheinlich zu dessen anästhesierenden Glück und zum Preis einer verrin­gernden Existenzspürung – verloren.

Der Tod des Nächsten ist aber anders als der eigene eine erfahrbare, reflektierbare, poten­ziell einstellungs- und verhaltensändernde Grenzsituation. Dieser Tod kann – neben den möglichen unmittelbaren Auswirkungen auf die alltägliche Le­bensführung und der sozial bezogenen Situation – zu einem Spiegel der Existenz (ebd. S. 223) werden. Er führt dann zum Befassen mit grundlegenden Lebens­fragen vor allem der eigenen Existenz.

- Leiden: „Leiden ist Einschränkung des Daseins, Teilvernichtung; hinter allem Leiden steht der Tod.“ (ebd., S. 230). Verhält man sich so, als ob Leiden ver­meidbar wäre, so empfindet man keine Grenzsituation. Ebenso wei­chen andere dem Leiden aus, indem sie sich vom Leidenden fernhalten. Erst durch ein Nichtausweichen und Nichtmehrbekämpfen eines (unaufhebbaren) Leidens wird tatsächlich Existenz erweckt. Das Leiden führt im Menschen zu intensiverem Bewusstsein seiner selbst. Dies kann zur Anerkennung durch gereifte andere Menschen führen. Ein existenziell Lebender sieht Fragen nach dem Sinn, Zweck und Recht des Leidens als sinnlos und daher vergeblich an.

- Kampf und Schuld: Alles Lebendige führt einen Kampf ums Dasein. Hierbei geht es um die Weite des Daseinsraums. Kampfloses, an Utopien glaubendes Dasein wird zur Scheinlösung - ebenso der Kampf um des Kampfes willen.

Mein tätig aktives Leben nimmt anderen etwas weg. Durch den verstrickenden Kampf ums Dasein entsteht oft ein Leid anderer. Dies führt zur Schuld. Der Ge­gensatz (= das Unterlassen) bedeutet auch eine Form des Handelns, nämlich Nichthandeln. Nichthandeln führt notwendig rasch in den Untergang. Es geht nur darum, vermeidbare Schuld zu umgehen. Verantwortung heißt, die tiefe, nicht vermeid­bare Schuld auf sich zu nehmen (ebd., S. 249).

In jeder Grenzsituation wird einem der Boden unter den Füßen weggezogen. Dieser gefühlte Sicherheitsverlust führt zur Fragwürdigkeit des meinigen und allen Daseins.

3.2.3 Anmerkungen

Aktuell auftretende, in modernen Gesellschaften mit westlichem Lebensstil als Grenzsi­tuation empfundene Konstellationen können sein: Übergänge von einer Lebensphase in die andere wie Antritt des Erwerbslebens, Eingehen langfristiger Partnerschaften, biologische Reproduktion etwa in Form einer Familiengründung, Austritt aus dem Erwerbsleben etc. Jährliche persönliche Gedenktage wie Geburtstage sind in der Regel weniger dramatisch.

So erfreulich zumeist der jährliche Geburtstag für den Einzelnen sein kann, so unter­schiedlich kann ein runder Geburtstag wie der 40., 50. oder 60. Geburtstag erlebt wer­den. Der Eintritt in ein neues Lebensjahrzehnt wird häufig als stigmatisierend aufge­fasst. Ein solcher Geburtstag wird zum Gedenktag – wo stehe ich, wie bin ich hierher gekommen, wo gehe ich hin? Durch ein solches Gedenken werden neue spezifische Lebensaufgaben oder – umgekehrt - ein be­stimmtes Nichtmehrvermögen verbunden. Folgen können sein: Ein unerwünschtes In­fragestellen der bisherigen Identität oder eine Erschütterung der bisherigen Lebens­konzeption. Beide Folgen können Krisen auslösen, die zur empfundenen Einschränkung des Daseins, also zu Leid gemäß der Auffassung des Philosophen Jaspers führen[1]. Eine solche Krise kann jedoch auch positiv wirken, indem sie den Leidenden zum Lösen bisher vermiedener Aufgaben zwingt.

Meiner persönlichen Erfahrung nach muss diese Krise nicht unmittelbar mit dem runden Geburtstag zusammenhängen oder direkt anschließend eintreten. Oft vergehen ein oder zwei Jahre bis die Bedeutung und Auswirkung des neuen Jahrzehntes – und oft damit des neuen Lebensabschnittes – spürbar wird. Siehe den vorliegenden Beratungsfall, zu dem sich die Klientin mit 51 Jahren gemeldet hat.

3.3 Übergang von einer Lebensphase in eine andere nach Tobias Brocher

Der deutsche Sozialpsychologe und Psychotherapeut Tobias Brocher postulierte in den siebziger Jahren des 20. Jhdts. sechs Fragen, die im Übergang zu einer neuen Le­bensphase beantwortet werden sollten (1978, S. 135 ff).

3.3.1 Fragenkatalog

1) Wie bin ich an diese Stelle meines Lebens gekommen?
2) Stimmt mein jetziges Leben mit dem überein, was ich ursprünglich einmal woll­te?
3) Was müsste ich heute tun oder verändern, um das erweiterte oder veränderte Ziel später auf anderem Wege zu erreichen?
4) Welchen Preis muss ich zahlen, wenn ich meine augenblickliche Lebensweise unverändert fortsetze?
5) Was brauche ich für die nächsten fünf bis zehn Jahre?
6) Welche Einsicht ist für mich am schmerzlichsten zu ertragen? Was würde ich heute anders machen und wie finde ich Frieden für unwiederbringlich Versäum­tes?

Der Fragenkatalog basiert auf kumulierten, therapeutischen Erfahrungen. Er dürfte nütz­lich sein, mittels strukturierter Fragen zum bisherigen Lebensweg Ansatzpunkte für Ver­änderungen zu erarbeiten. Niedergeschriebene Antworten können nach Brocher auch stabilisierend in späteren Übergangsstufen wirken (ebd., S. 135).

3.3.2 Anmerkungen

Dieser Fragenkatalog ist eine Zusammenstellung aufgrund praktischer therapeutischer Erfahrungen. Er ent­behrt daher eines übergreifenden, theoretischen Hintergrundes. Jedoch wird dies für viele Anwendungen kein Nachteil zu sein, denn zu jeder Frage wären mehrere theoreti­sche Konstrukte anwendbar. So erscheint das Inkongruenzmodell nach Biermann-Ratjen (2006, S. 457 ff) für spätere Anknüpfungen an der vorliegenden Problematik brauchbar. Hierbei wird unterstellt, dass Lebenspläne und Bewertungsschemata als Folge von Lebensereig­nissen und bestimmten Situationen in das Selbst eingefügt, aber nicht vollständig inte­griert wurden. In der Folge können sie als Inkongruenzquellen störend wirken (ebd., S. 459). Der Fragenkatalog für Übergänge wäre daher auch verwendbar, um Unstimmigkeiten in der Lebensführung im Verhältnis zum Lebenskonzept herauszuarbeiten.

3.4 Therapie: Provokationen nach Frank Farrelly

Die Provokative Therapie stellt eine lösungsorientierte Therapieform dar. Sie soll den Widerspruchsgeist des Patienten wecken und will ihn dadurch rasch in die Eigenständigkeit und Selbstverantwortung führen. Durch Provokation oder Persiflage im Sinne einer emotionalen Ehrlichkeit des Therapeuten erhält der Patient spontane und zentrale Einblicke in seine Überzeugungs- und Handlungs­welt.

3.4.1 Annahmen

Einige Annahmen der Provokativen Therapie nach Frank Farrelly und Jeffrey Brandsma (2005, S. 45 ff) sind:

- Menschen wachsen innerlich, wenn sie auf Herausforderungen reagieren: „Die Aufgabe des Therapeuten ist es, den Patienten genügend, aber nicht maßlos her­auszufordern, (..) um ihn zu provozieren, neue Verhaltensmuster zu benutzen“ (ebd., S. 46). Die Folge: Menschen können sich ändern, wenn sie wollen – der Patient ist für sein Verhalten verantwortlich (ebd., S. 48 ff).

- Der Umgang des Patienten mit dem Therapeuten spiegelt sein normales Verhal­ten in zwischenmenschlichen Beziehungen wider (ebd., S. 61 f). Hierbei ist ei­nes wichtig: Die bedeutendsten Botschaften zwischen Menschen sind nicht­sprachlicher Natur: Im Zusammenhang mit der Provokativen Therapie gilt, dass der Therapeut „mit den Augen lächeln lernen und humorvolle Gegenschwingun­gen aussenden muss“ (ebd., S. 68).

- Fröhlicher Sadismus gegen den Patienten kann für jenen wohltuend sein. Die Sozialisation in jeder Kultur enthält sowohl Liebe / Zärtlichkeit als auch das Gegenteil hiervon in Form von Grausamkeit, Bestrafung oder erzwungener so­zialer Isolation (sinngemäß ebd., S. 67). Durch Provokation tendiert der Patient dazu, sich in die entgegengesetzte Richtung der parodierenden Therapeutendefi­nition zu begeben. Wird hingegen das Verhalten des Patienten laufend durch den Berater entschuldigt, so wird der Patient dies dankbar annehmen und sich nicht verändern.

3.4.2 Ziel und Instrumente

Instrumentelles Ziel der Provokativen Therapie ist, unmittelbare affektive Erfahrungen beim Klienten herbeizuführen in Form von Ärger, Ekel, aber auch Lachen und empfunder Wärme. Oft schlüpft der Therapeut in die Rolle eines Lügners und Blödmanns (ebd., S. 76), um das Krumme des Patientendenkens herauszuschälen. Das Kommunikationsverhalten im Rahmen der Provokativen Therapie besteht aus abwechselnden, schnellen und ge­fühlsbetonten Interaktionen zwischen Patienten und Therapeuten, einem „Geben und Nehmen“ (ebd., S. 81). Es geht darum, den Patienten aus einer überkontrollierten Hal­tung zu locken und zu einer spontanen Reaktion zu veranlassen.

An spezifischen Techniken sind folgende zu nennen (ebd., S. 89 ff): (#) Alles eine Nummer größer machen als es im Leben ist; (#) Verstärkung der subjektiven Reaktion des Therapeuten auf Aussagen des Patienten; (#) Konsequente Weiterführung unrealer Aussagen des Patienten ins Absurde; (#) Harte sprachliche Konfrontation im Rahmen der Alltagsreali­tät anstelle eines moralisierenden sollte, müsste oder könnte; (#) Widersprüchliche Bot­schaften aussenden, sodass der Patient aus der häufig vorhandenen Doppelbindung schlüpft; (#) Anwendung von Humor: „wenn der Patient nicht mindestens einmal während der Sitzung lacht, wird Provokative Therapie nicht praktiziert“ (ebd., S. 127), weil eben viele Therapeuten in zu viel Ernsthaftigkeit eingefangen sind, denn durch Pointen geraten die Regeln der Wirklichkeiten für kurze Zeit durcheinander - Pointen ‚durchblasen so den Verstand’; (#) die Anwendung unterschiedlicher Sprachen wie etwa der religiös-moralischen Sprache, Gossensprache, Körpersprache oder Fachsprache.

Einfühlsames Verstehen und warmherziges Sichkümmern nach dem klientenzentrier­ten Ansatz von Carl Rogers ist eine Voraussetzung für Wirksamkeit der Provokativen Therapie. Abgefedert werden semantisch herausfordernd harte Provokationen mittels nonverbaler Kommunikation wie beispielsweise lächelnder Augen. Diese nonverbale Kommunikation hält das warmherzige Sichkümmern um den Klienten aufrecht. Im geglückten Idealfall besteht im Innenverhältnis eine gefühlte Übereinstimmung zwischen dem Therapeuten und dem Pa­tienten, auch wenn im Außenverhältnis der Patient scheinbar beschimpft, schmählich behandelt und verulkt wird.

3.4.3 Stadien des Prozesses

Frank Farrelly beschreibt mehrere Stadien des Therapieprozesses:

1. Der Patient fühlt sich überrascht und wird unsicher, weil er oft fühlt, dass We­sentliches „sofort vom provokativen Therapeuten berührt wird“ (ebd., S. 177). Er verliert die Kontrolle über den Prozess.
2. Die Proteste des Patienten nehmen zu. Er wird trotzig, doch die psychologischen Abwehrmechanismen werden schwächer.
3. Es kommt zu Klärungen. Die Entscheidungen des Patienten werden angemesse­ner, seine Bewegung authentischer.
4. Festigung und Integration bestimmen die letzte Phase.

3.4.4 Anmerkungen

Das Konzept ist nur begrenzt standardisierbar. Es beruht auf der Intuition des Therapeuten/Be­raters in Form unerwarteter Reaktionen auf Klientenaussagen oder –verhalten. Daher stellen die Persönlichkeit des Beraters und die Beziehungsintensität zum Klienten we­sentliche Umsetzungsfaktoren dar. Überdies kommt hinzu, dass Farelly als Psychothera­peut und Sozialarbeiter verstärkt im klinisch-stationären Bereich gearbeitet hat, wo­durch paradoxe Interventionen (als solche können provokative Äußerungen angesehen werden) mit deutlich weniger Risiko behaftet sind als im niedergelassenen Bereich selb­ständiger Psychiater oder psychologischer Psychotherapeuten, in dem der Patient für Tage oder Wochen allein gelassen ist mit herausfordernden Hinweisen, deren Über­zogenheit der Patient in ihrem vollen Umfang nicht immer erkennt, auch gar nicht er­kennen soll (vgl. Dorrmann, 2006, S. 71).

Ebenso dürfte gelten, dass dieses Konzept einer Provokativen Therapie außerhalb des westlichen Kulturkreises auf Unverständnis und Abwehr stoßen wird. Eine notwendige Wahrung des Gesichtes gegenüber der sozialen Umgebung, eine unbedingte Aufrechterhaltung der Familienehre, eine soziale Kultur des Wegschauens, ein schamanistischer Glaube an Ahnen und Geister und ähnliche, tief verwurzelte kulturelle Konzepte werden Anwendungen der Provokativen Therapie selbst innerhalb eines therapeutischen Rahmens rasch an ihre Grenzen stoßen lassen.

3.5 Schematherapie: Lebensfalle nach Young und Klosko

Gemäß den beiden KVT[2] -Experten Jeffrey Young und Janet Klosko ist eine „Lebensfalle ein Muster, das in der Kindheit entsteht und sich während des ganzen Lebens eines Menschen immer wieder manifestiert“ (Young und Klosko, 2008, S. 17). Die Autoren setzen fort:

“sie bestimmen unser Denken, Fühlen und Handeln und die Art, wie wir zu anderen Menschen in Beziehung treten. Sie aktivieren – habitualisiert und nahezu automatisch - starke Gefühle wie Ärger/Wut, Traurigkeit und Angst.“ (ebd., S. 18)

3.5.1 Allgemeine Merkmale

Lebensfallen weisen drei zentrale Merkmale auf: Lebenslänglichkeit, selbstschädigende Wirkung und ein hartnäckiger Trend zum Fortbestand (ebd. S. 41). Die auf diesem Kon­zept aufbauende Therapie wird Schematherapie genannt.

Zwei von diesen Autoren beschriebene Lebensfallen (vgl. Young und Klosko, 2008, S. 35 ff) gehen Hand in Hand mit einem Mangel an Sicherheit, den Kinder in ihren Her­kunftsfamilien erfahren haben: Verlassenheit sowie Misstrauen und Missbrauch. Zwei Fallen kehren insbesondere unzureichende Fähigkeiten auf, unabhängig in der moder­nen Welt zu leben: Abhängigkeit und Verletzbarkeit. Zwei Fallen können aufgrund einer ungeeigneten emotional-sozialen Verbindung zu anderen Menschen auf das gesamte Le­ben eines Menschen durchschlagen: Emotionale Entbehrung und Soziale Isolation. Eng mit der Selbsteinschätzung geht bei zwei Fallen der Selbstausdruck Hand in Hand: Un­terwerfung und Überhöhte Standards. Eine ebenfalls noch beschriebene Falle ist eine (überhöhte) Anspruchshaltung, die auf die Unfähigkeit verweist, realistische Grenzen des eigenen Könnens zu akzeptieren. Weitere zwei Lebensfallen hängen eng mit der Einschätzung der eigenen Person zusammen: Unzulänglichkeit und Versagen. Dieses Versagen bezieht sich auf essentielle Lebensbereiche wie Schule, Familie/Beziehungen oder Beruf. Letzteres wird im Folgenden näher behandelt.

3.5.2 Lebensfalle Berufliches Versagen

Die Lebensfalle Berufliches Versagen manifestiert sich in Vergleichen zu an­deren Tätigen in der gegenwärtigen Gesellschaft. Sie zeigt sich im anhaltenden Gefühl, beruflich weniger kompetent zu sein als andere. Kennzeichnend ist, dass die ausgeübte Erwerbstätigkeit, sofern überhaupt gear­beitet und erworben wird, nicht den Fähigkeiten der betreffenden Person entspricht. Diese Lebensfalle wird zumeist durch den Bewältigungsstil Flucht verstärkt (ebd., S. 282 f). Aktivitäten zur Bewältigung werden keine unternommen, der Verantwortung wird ausgewichen, Chancen auf Erfolg lässt diein dieser Lebensfalle feststeckenden Person verstreichen: “oft liegt diesem Verhalten die Einstellung zugrunde ‚Wozu soll das denn gut sein?’“ (ebd. S. 283).

Das Vermeiden kann auch subtile Formen annehmen: Aufgaben werden aufgeschoben, der betroffene Mensch lässt sich ablenken oder geht „an die übernommene Arbeit falsch heran. All dies sind Formen der Selbstsabotage.“ (ebd. S. 283). Das Fazit: Anstrengungen je­der Art werden als sinnlos angesehen, da die Person ohnehin das Scheitern erwartet.

Als mögliche Ursachen werden genannt (ebd. S. 284): Der Betroffene wurde oft zum Nachteil mit Geschwistern verglichen; die schulischen und sportlichen Leistungen wa­ren nicht so gut wie bei anderen Kindern; die Eltern waren (ärmere und/oder weniger gebildete) Immigranten; die Eltern hatten nie Grenzen gesetzt. Deshalb wurde nicht gelernt, diszipliniert und verantwortungsvoll zu handeln. Siehe – möglicherweise beispielhaft - den Abschnitt 4.2.1 auf Seite 20 dieser Arbeit.

3.5.3 Anmerkungen

Eine wesentliche Wurzel der Schematherapie ist die Verhaltenstherapie. Ein Erbe dieser Vergangenheit stellen erlebnisaktivierende Techniken innerhalb der Therapie dar. Diese Techniken sollen genau jene negativen Emotionen aktivieren, die sonst strikt vermieden werden. Berücksichtigt man jedoch das gesamte Erscheinungsbild der Schematherapie heute, so ist zu sagen, dass sie vor allem auf kognitiv-emotionalen Mustern fußt, die tief in der Vergangenheit des Klienten entwickelt, anschließend gefestigt und bis heute beibehalten wurden. Sie gelten als die Wurzel eines schädigenden Verhaltens und werden in erster Linie mittels einer kognitiv und emotiv orientierten therapeuti­schen Vorgehensweise behandelt (vgl. Batra, 2006, S. 390). Ein behaviora­ler Zugang im Sinne eines funktionaleren Verhaltens des Klienten wird zum erwünschten Ziel einer günstig verlaufenden Therapie. Dem ist aber konzeptionell entgegenzuhalten: Die eingesetzten therapeutischen Mittel während der Schema­therapie haben mit einem behavioralen, also verhaltensorientierten Zugang nur mehr wenig zu tun.

Neue Entwicklungen in der Schematherapie versuchen überdies Elemente der Acht­samkeit und Akzeptanz zu integrieren. Dies im Rahmen der angelsächsischen Konzepte von MBCT[3] und ACT[4] (Roediger, 2009, S. 247 ff.). Aufgrund dieser Entwicklungen bieten sich zwei abschließende Schlussfolgerungen an: Entweder wirken die klassisch-verhaltenstherapeutischen Elemente zunehmend als – den angestrebten therapeutischen Erfolg tendenziell störende – Fremdkörper oder es ändert sich der Inhalt der Verhaltenstherapie von einer klaren Fundierung im Sinne eines äußeren erkennbaren Verhaltens zu einem breiten unscharfen Begriff, der alles und in der Folge nichts mehr aussagt.

Für einige Lebensfallen dürfte die Bindungstheorie des englischen Arztes und Therapeuten John Bowlby (1907-1990) eine hohe Erklärungskraft haben. Nach dieser Theorie werden emotionale Bindungen (Beziehungen) zu frühen Bezugspersonen zu prägenden und sta­bilen inneren Arbeitsmodellen für den Umgang mit anderen Personen (vgl. Bowlby 1969). Sowohl die Bezeichnungen für grundlegende Lebensfallen wie Verlassenheit, Misstrauen, emotionale Entbehrung oder soziale Isolation als auch deren inhaltliche Be­stimmungen deuten auf Spuren in der frühen Kindheit. Siehe – möglicherweise beispielhaft – das Wohnen der sechs- und siebenjährigen Alicia bei 'Freunden' anstelle bei den Eltern im ersten Schuljahr: Abschnitt 4.2.1 ab Seite 20.

4 Beratungstreffen

In diesem Kapitel werden Inhalte, die jeweilige Durchführung der Beratungstreffen so­wie meine Reflexion dieser Treffen beschrieben.

4.1 Arbeitsvereinbarung

Die Klientin selbst bahnte aktiv den Kontakt mittels eines Emails an. Am Ende der ers­ten Beratungssitzung kam es zu folgender Vereinbarung: Wir treffen einander zu tenden­ziell philosophisch orientierten Gesprächen über das Leben und den Lebensstil der Kli­entin. Allgemeines Ziel ist die Reflexion der Art und Weise ihrer Lebenskonzeption und Lebensfüh­rung; das konkrete Ziel ist die Lösung der existenziellen Unsicherheit im heranrückenden Alter.

Erweitert wurde diese Vereinbarung im Rahmen der dritten Sitzung um ein Durchden­ken von Szenarien möglicher zukünftiger Entwicklungen. Dies vor allem unter dem Ge­sichtspunkt der Grundsicherung wesentlicher Lebensbedürfnisse im höheren Alter.

4.2 Erste Beratung

Die Klientin erzählt den ersten Teil ihrer Lebensgeschichte.

4.2.1 Lebensgeschichte I

Alicia wird in einem südosteuropäischen Land geboren. Der Vater ist Maurer, die Mutter Hausfrau. Alicia hatte eine Zwillingsschwester, diese stirbt aber mit 2 Monaten (die Schwester soll schön gewesen sein, „schön wie das strahlende Leben“[5] ). Die katho­lische Familie flieht aus politischen Gründen nach Deutschland, Alicia ist zu diesem Zeitpunkt zwei Jahre alt. Sie wächst nun in einem kleinen Ort in der Nähe einer deut­schen Großstadt auf.

Eine intensive Erinnerung kennzeichnet den ersten Schultag: Sie hatte keine Schultü­te erhalten und musste sich übergeben. Die Lehrerin wischte anschließend alle Schulti­sche ab, nicht nur ihren. Von einer weiteren ungewöhnlichen Erinnerung wird berichtet: Noch im ersten Schuljahr „blieb“ beziehungsweise wohnte sie „bei Freunden“, um das Schuljahr fertigmachen zu können. Das heißt, sie lebte als Sechs- und Siebenjährige nicht bei ihren Eltern.

Die nächste schulische und ungünstige Erinnerung betraf einen ungewollten Wechsel des Gymnasiums. Sie war drei Jahre mit dem Schulbus in ein weit entferntes katholi­sches Gymnasium gefahren. Nach einem (nicht von den Eltern) „angeordneten Wechsel“[6] in das näher gelegene evangelische Gymnasium fühlte sie sich nicht mehr wohl. Sie schwänzte gelegentlich die Schule und musste eine Klasse wiederholen.

Ab nun hieß es: „Sie könnte, wenn sie wollte.“ Alicia erhielt von den Lehrern das Stigma „faul“. Anstrengungen wurden deshalb von den Lehrern - nach Aussagen von Alicia - nicht wahrgenommen. Alicia empfand die Schule als eine Institution, welche die Zeit stiehlt. Sie ging lieber spazieren als beispielsweise unverstandene Geschichte zu lernen.

Ab vierzehn arbeitete sie in den Ferien jeweils drei Wochen in einer nahe gelegenen Fabrik, einem Kunststoffspritzgusswerk. Sie empfand diese Wochen als puren Gefäng­nisaufenthalt. Diese Zeit kam ihr noch schlimmer als die Anwesenheit in der Schule vor. Sie sah nun im „Arbeitengehen“ keine Alternative, also machte sie die Schule fertig: Ir­gendwie schaffte sie das Abitur. In diesen Jahren lernte Alicia, bescheiden in ihren An­sprüchen zu sein.

Weil eine enge Freundin als Aupair-Mädchen nach Frankreich gegangen war, ging sie ebenfalls dorthin. Nach einem halben Jahr jedoch war es ihr dort langweilig geworden. Weil sie überdies aufgrund von Erzählungen vom Uni-Besuch ehemaliger Mitschülerin­nen neidisch geworden war, begann sie ein Dolmetschstudium in Deutschland. Hierbei habe sie aber übersehen, dass dies ein arbeitsintensives Studium war.

4.2.2 Reflexion: Das Setting

Das Beratungssetting war zwar unüblich für Beratungen, aber als Startpunkt für lebens­philosophische Gespräche meiner Meinung nach ideal geeignet: Ein Wiener Kaffeehaus. Das erste persönliche Gespräch fand an einem separaten Tisch, gut abgegrenzt gegen­über den Nachbartischen statt. Es war ein Vormittag. Rundum wurde gefrühstückt, Kaffee getrunken und geplaudert. Jeder war mit sich, dem eventuellen Tischgenossen und dem Frühstück beschäftigt. Die Atmosphäre wurde von mir entspannend und zugleich anre­gend empfunden.

Möglicherweise empfand es Alicia ebenso, denn sie erzählte gelöst und locker von ihrer Kindheit und Schulzeit. Anspannung oder Nervosität, wie sie sich in einer Bera­tungspraxis anfangs gerne einstellt, bemerkte ich an der Klientin nicht. Meine Me­thode in dieser Sitzung war, zu fragen und zuzuhören. Zum Teil protokollierte ich – wie zumeist in der Folge auch - einige Aussagen während der Sitzung.

4.3 Zweite Beratung

Während dieses neuerlichen Treffens erzählt Alicia den zweiten Teil ihrer Lebensgeschichte. In die­se psychosoziale Beratungssitzung fließen Einschübe bezüglich Pensionsversicherung ein. Mei­ne Einschübe waren zwar kurz, kennzeichnen aber einen Methodenwechsel, wenn nicht sogar Methodenbruch.

4.3.1 Lebensgeschichte II

Alicia brach das („zu arbeitsintensive“) Dolmetschstudium nach einem Semester ab und „floh“ zu einem Onkel nach Australien. Hier jedoch überfiel sie Heimweh nach Europa, nach dem Bunten, den vielen Sprachen etc. Ihr neues Ziel war nun, über ihr Herkunftsland, der Heimat ihrer Familie, mehr zu erfahren. Um dem möglichst nahe zu sein, übersiedelte sie nach Wien. Sie studierte hier Slawistik[7] und Osteuropäische Geschichte, denn sie sieht ihr Geburtsland als eine Schnittstelle zwischen Orient und Okzident. Alicia benö­tigte zehn Jahre für das Studium. Weil überdies ein praktischer Berufseintritt „nie interessant“ war, schwenkte sie früh ein auf das – längere – Doktoratsstudium.

Eine ausführlich erzählte Erinnerung an das Ende des Studiums verlief folgendermaßen: Als eine Bewerbung für eine Dozentenstelle an einem deutschsprachigen Institut in einer südosteuropäi­schen Stadt aussichtsreich geworden war, ließ Alicia im abschließenden Gespräch durchblicken, dass sie sich dafür nicht motiviert fühle. Sie hätte sich hierbei selbst beobach­tet und meinte, „sie sei sich selbst treu geblieben“. Die Absage kam prompt und erzeugte in ihr große Erleichterungs- und Glücksgefühle.

Einige Zeit später nahm die Klientin dennoch als Angestellte an einem fünfjährigen historiographischen Projekt teil. Sie war damit zum ersten Mal zur Gänze sozialversichert, also kranken- und pensionsversichert. Der Grund für das Einsteigen ins Berufsleben als Angestellte war ein pragma­tischer: Die Miete für die bisherige, eher kleine Wohnung war erheblich angestiegen. Um der er­höhten Miete aus dem Wege zu gehen, kaufte sie sich eine Eigentumswohnung in der Nähe ihrer bisherigen Mietwohnung. Dies geschah irrtümlich, weil Alicia vorerst glaub­te, es sei eine preiswerte Genossenschaftswohnung. Sie schaffte dies trotz nicht vorhande­ner finanzieller Reserven, weil ihr ein – dem Vater ver­pflichteter – Verwandter Geld für den Eigenkapitalanteil der Wohnung lieh.

Während eines weiteren Projektes in einem südosteuropäischen Land empfand sie die internationale Politik in diesem Raum als verlogene Befriedungspolitik. Sie betrachtete sie im Kern nach wie vor als „Kolonialpolitik“. Die Klientin beendete die Teil­nahme „daher“[8] zum frühest möglichen Zeitpunkt. Nach einer Phase der Arbeitslosig­keit von etwa zwei Jahren zwangen sie noch offene Rückzahlungen für die Wohnung zur Teilnahme an einem neuerlichen Projekt am Balkan.

Ihre jetzige ökonomische Situation: Die Eigentumswohnung sei abbezahlt, sie arbeite vier Stunden pro Woche als Lektorin und sei seit Kurzem sogar krankenversichert. Sie sagt, es sei unwahrscheinlich, dass sie in ihrem Alter noch eine feste Anstellung erhalte. Alicia hofft, im Alter von einer Leibrente gegen den Einsatz ihrer Wohnung leben zu können. Ihre Einstellung zu Geld und Konsum: „Wenn ich Geld kriege, gebe ich es wieder aus. Ich kann aber mit un­heimlich wenig auskommen.“

Ich unterbrach hier ihre Erzählung und verwies darauf, dass man beispielsweise im österreichi­schen Pensionsversicherungssystem mit einer Mindestleistung von 15 Versicherungsjahren eine Alterspen­sion erhalten würde. Möglicherweise sei rund die Hälfte dieser anrechenbare Jahre bereits er­reicht. Aufgrund ihres geringen Verdienstes könne sie meines Wissens nach mittels ei­ner relativ niedrigen monatlichen Eigenleistung von etwas über 50 Euro[9] Anspruchszeiten erwerben. Sie könnte so Monat für Monat von jetzt an ihr späteres Alter absichern.

Die Tatsache, dass sie deutsche Staatsbürgerin sei, verkompliziere zwar die Lage, aber Deutschland habe ein ähnliches Versicherungssystem und die gegenseitigen Anrechnun­gen von österreichischen und deutschen Versicherungszeiten seien nach meiner Erfah­rung inhaltlich umfangreich und fair. Ich nannte ihr Name und Ort der österreichischen Pensionsversicherungsanstalt und beschrieb den einfachen Zugang, dort Auskunft zu erhalten. Sie war überrascht ob dieser ihr nicht bekannten Möglichkeit und versprach, sich im Sommer darüber zu informieren.

4.3.2 Reflexion: Der Methodenwechsel

Um ihr bisheriges Leben zu verstehen, fragte ich nach den wesentlichen Stationen ihres Lebens. Aufgrund der Schilderung ihrer momentanen Lage und der wenig erfreulichen ökonomischen Zukunftsaussichten änderte ich spontan die bisherige Methode einer psy­chologisch orientierten Beratung zu einer konkreten Empfehlung einer bestimmten Vor­gehensweise. Ich gab direkte Hinweise für einen erwerbbaren Pensionsanspruch.

Die oben erwähnte günstige Möglichkeit, unter bestimmten Bedingungen zu geringen Kosten pensionsanrechenbare Zeiten zu erwerben, dürfte von vielen Personen als attraktives Offert angesehen werden. Meinem subjektiven Eindruck nach war sie von dieser Möglichkeit unangenehm (!) überrascht. Ich vermutete bereits zu diesem Zeit­punkt, dass Alicia bei der Pensionsversicherungsanstalt nicht nachfragen würde[10]. Ihre Reaktion war passiv, fast abwehrend gewesen. Sie hatte im Gespräch außerdem Gegen­argumente (etwa mangelndes Vertrauen in soziale Institutionen) genannt, die ich rational nicht nachvollziehen konnte.

4.4 Dritte Beratung

Im dritten Treffen wird die Lebensgeschichte symbolisch in Form einer 'Lebenslinie' aufgelegt und zu interpretieren versucht.

4.4.1 Aussagen

Die Lebensgeschichte wurde gemeinsam erarbeitet und symbolisch als gelegter Wollfa­den mit Ereignisknoten dargestellt[11]. Ihre dargelegte Einstellung gegenüber dem sozia­len Netz ist:

„Als ich nach der Projektzeit Arbeitslosenbezug erhalten hatte, fühlte ich mich wie ein Schmarotzer. Obwohl doch der Beitrag zu Arbeitslosenversi­cherung von mir vorher monatlich bezahlt wurde. Es ist auch eine allgemei­ne innere Einstellung gegenüber sozialen Institutionen: Ich will nicht auf’s Arbeitsamt.“

Sie erklärt ihre Grundsätze:

„Ich hatte nie einen Lebensplan. So etwas nicht zu haben, bedeutet Lebens­qualität. Ich lebe. Planen heißt Nichtleben.“, „Teure Weine und Wochenend­ausflüge nach Istanbul haben für mich keine Qualität“, „Ein spießiges, kleinbürgerliches Leben interessierte mich nie“, „Kinder oder Familie zu ha­ben, war für mich immer ein Spätermal“, „Es war für mich immer ein Hor­ror, in einem Betrieb zu arbeiten und die ganze Zeit dort bleiben zu müssen. Da kriege ich Atemnot“, „dass ich bereits sieben Jahre Pensionszeiten er­worben habe – das wird meine Lebensauffassung nicht stören“ (lacht), „Ich will Neues kennen lernen und nicht altbekannte Muster wiederholen.“

Aber es gilt nach der Auffassung von Alicia ebenso:

„Wirklich Neues gibt es nicht – das hat man in der einen oder anderen Form immer schon mal gesehen. Dies ergibt sich mit zunehmender Lebenserfah­rung“, „Die Zukunft ist ein größer werdender Fluss“, „Ich will keine Zäsur in meinem Leben empfinden“, „Hätte ich Kinder, würde ich nicht so leben. Hab sie aber nicht. Wäre albern, wenn ich so lebte, als hätte ich Kinder“.

4.4.2 Reflexion: Die Symbolarbeit

Ich hatte während dieser Sitzung das immer stärker werdende Gefühl, dass ich zu lange in der Lebensgeschichte geblieben war und schon längst zu aktuellen Themen überge­hen hätte sollen. Weil mir aber mittlerweile dieser Fall als ein aussichtsreicher Fall für eine schriftliche Darstellung als Beratungsfall erschien, legte ich trotzdem Wert auf ausführliches 'Abarbeiten’ und Durchführen der gewählten Methoden.

Zur Fragemethode hatte ich diesmal Symbolarbeit als zusätzliche Methode gewählt. Die Lebensgeschichte wurde an Hand des bereits erwähnten Wollfadens symbolisiert, inklusive wichti­ger Stationen, welche als Post-It-Zettel markiert worden waren. Dieses ausführliche und ’korrekte’ Durchführen samt anschließendem Festhalten durch Fotos war zu langatmig ausgefallen. Hinzu kam das Setting, das sich für diese Methode als nicht geeignet dar­stellte. Der Ort war ein renommiertes Cafe im ersten Wiener Bezirk. Wir hatten zwar viel Platz zur Verfügung, vielleicht aber erschien mein Vorgehen (zum Beispiel ein Aufstehen für das Fotografieren der markierten Lebenslinie) anderen als seltsam. Alicia erschien das auf mein Nachfragen hin als absonderlich und witzig zugleich.

Wesentliche existenzielle Einschnitte oder Brüche wies dieser Lebensfaden nicht auf. Das Ergebnis bestätigt ihre Aussagen in vieler Hinsicht: Es gibt keine durchgehende Li­nie, es gibt kein Ziel, es gibt kaum erzählenswerte Ereignisse. Bisher fehlten das vieles verändernde Groß-Ereignis sowie mehrere dauerwirkende Probleme. Möglicherweise fehlte der akti­vierende Kick. Der Satz, dass die bereits erworbenen Pensionszeiten sie in ihrer Lebens­auffassung nicht stören würden, lässt sich als frühe Rücknahme ihrer Erkundigungszu­sage während der letzten Sitzung interpretieren.

Ich vermute, dass sie als Lektorin nicht so schlecht ist wie sie selbst andeutet. Einige Belege hierfür wären: Alicia erhielt im laufenden Semester eine zusätz­liche Lehrveranstaltung; ihre detaillierte und professionell klingende Schilderung, wie sie diese Lehrveranstaltung gewissenhaft adaptiert habe; ihre konkreten und umgesetzten Ideen, die unterschiedlichen studentischen Zielgruppen adäquat anzusprechen; sie scheint auch zu wissen, wann sie im Unterricht gut ist und wann nicht.

Es entstand eine fast zweimonatige Pause bis zur nächsten Sitzung. Begründet wurde dies erstens mit der stattfindenden Fußball-Europameisterschaft in Wien, zu welcher Alicia Gäste eingeladen hatte, und zweitens mit der Übernahme einer zusätzlichen Lehr­veranstaltung. Festhaltenswert ist, dass sie bisher ähnliche Angebote ausgeschlagen hat­te. Insgesamt hat nun Alicia Lehraufträge für sechs Stunden je Woche. Das entspricht schon fast einem Drittel einer Vollzeitarbeitsstelle im Unterrichtsbereich.

4.5 Vierte Beratung

Das vierte Treffen war durch Vertiefungen und Klärungen des Lebenskonzeptes von Ali­cia gekennzeichnet.

4.5.1 Erinnerungsschwerpunkte

Auf die Frage, welche Episoden in der Kindheit besonders in Erinnerung geblieben seien, erzählte sie:

„Ich gehe mit den Eltern spazieren. Bin müde und will getragen werden, aber niemand trägt mich. Ich plärre und bleib stehen. Die Eltern gehen wei­ter. Der Vater kommt zurück, erschrickt und trägt mich dann. Später erinnere ich mich an Spaziergänge – ich bin ca. drei Jahre alt: der Vater erzählt Ge­schichten. Er hat mich an seiner Hand. Er erzählt: Wir werden ein Auto ha­ben,...“.

„Ich war schrecklich eifersüchtig auf meine jüngere Schwester. Musste ein­mal auf sie aufpassen. Sie lag im Kinderwagen. Wir waren allein gelassen worden. Ich ließ den Kinderwagen rollen, er kippte um. Meine Schwester plärrte fürchterlich. Wir wurden nicht mehr allein gelassen“, „Ich soll schrecklich eitel gewesen sein und wurde aus zwei Gründen viel bewundert: Erstens, weil ich süß ausgesehen hätte und zweitens, weil ich zweisprachig war.“, „Im ersten Schuljahr war ich mir sehr verlassen vorgekommen“.

Die Klientin verteidigt in der Folge ihr bisheriges Leben und ihre spezielle Art zu le­ben. Sie stellt es als einzig wahres und echtes Leben dar. In diesen Momenten vermittelt sie, dass es überhaupt keine Probleme gebe. Dies, obwohl Alicia in der letzten Sitzung klar die materielle Unsicherheit als permanentes Grundproblem genannt hatte.

4.5.2 Reflexion: Die Vertiefung

Alicia deutet das eigene Dasein als authentisches Leben im Hier und Heute. Dies alles mag eine Hilflosigkeit im aktiven Gestalten und Verbessern der Lebenssituation bedeu­ten. Auf jeden Fall mündet es in einer Passivität und einem Weiter-so-tun-wie-Bisher ohne spezielle Pläne und Ziele. Inhaltlich zeigen sich Anhaltspunkte, die auf mit der konkreten Lebensfalle des Beruflichen Versagens assoziierte Fallen hinweisen wie ein Ü berhöhter Anspruch (beispielsweise „Wir werden ein Auto haben“, siehe Abschnitt 3.5.1 auf Seite 16) oder Abhängigkeit (der Vater „erschrickt und trägt mich dann“). Natürlich sollte man bei Kleinkindern vorsichtig bei Interpretationen in diese Richtung sein, Kinder sind schutzbedürftig und damit abhängig. Sie bedürfen des Schutzes und des Kümmerns. Hier handelt es sich aber um Erinnerungen einer Erwachsenen. Die Erinnerungen und Assoziationen des Erwachsenen haben ein besonderes Gewicht in der rückschauenden Beurteilung der eigenen Kindheit. Gerade erinnerte Szenen (Schlüsselszenen?) deuten auf Strukturen, die weit über die frühe Kindheit hinaus gewirkt haben.

Ich hatte das letzte Mal aufgrund einer gefühlsmäßigen Unzufriedenheit mit den bis­herigen Verläufen der Gespräche angedeutet, beim nächsten Male tiefer zu gehen. Ver­mutlich ist das als Fehler einzustufen. Vielleicht war dies auch der Auslöser, dass bei der Terminbestätigung (via E-Mail) als auch im Verlauf der folgenden Sitzung unser Treffen als ‚philosophisches Gespräch’ tituliert wurde. Ich spürte Widerstand.

Die Methode, wichtige Episoden in der Kindheit zu erzählen, kann als Schwerpunkt­bildung und damit indirekt als eine klienteneigene Bewertung der früheren Vergangen­heit interpretiert werden. Insofern stellt diese Methode eine konsequente Vertiefung der Lebensgeschichte dar. Im vorliegenden Fall jedoch dürfte die Schwerpunktbildung von der Klientin als langweilende Wiederholung angesehen worden sein und damit wesent­lich zum Ende der Beratung nach acht Sitzungen beigetragen haben. Rückblickend muss dieses Fragen nach wichtigen Erinnerungen an dieser Stelle der Sitzungsfolgen als fehl am Platz angesehen werden. Dieses Fragen nach Erinnerungen hatte sie wohl als zu psy­chologisch orientiert empfunden.

4.6 Fünfte Beratung

Im fünften Treffen ging es um Themen des Überganges.

4.6.1 Fragen des Überganges

In dieser Sitzung stellte ich die Fragen gemäß dem Katalog von Tobias Brocher (siehe Subkapitel 3.3). Ich stellte diese Fragen – unmittelbar nach der Ankündigung eines Fra­genkataloges – interviewartig rasch und nacheinander, um eher spontane Antworten ohne viel Nachdenken zu erhalten. Dies sollte eventuelles Rationalisie­ren in Grenzen halten.

1) Wie bin ich an diese Stelle meines Lebens gekommen? Diese Frage soll den Weg reflektieren helfen und Zeit geben für eine ruhige Rückbesinnung (1978, S. 135). Ali­cia:

„Mein Leben hat sich aus Nichtigkeiten ergeben. Es gibt keine durchgehende Li­nie. Echtes Leben heißt frei aus der Situation zu leben. Wer mit zwanzig schon weiß, was er will, dem entgeht viel. Kein Leben zu haben, wie es die anderen wollen. Ist man auf einer Schiene, ist man manipulierbar. Wir leben in Zeiten ei­nes Konsumzwanges: Ist Geld da, wird es ausgegeben; ist keines da, kann es nicht ausgegeben werden.“

2) Stimmt mein jetziges Leben mit dem überein, was ich ursprünglich einmal woll­te? Diese Frage konfrontiert mit Gründen für die Abweichung von früheren Zie­len. Hierbei geht es um Ernüchterung und eventuelle neue Visionen (ebd., S. 136). Alicia:

„Ich hatte kein vorrangiges Lebensziel. Vielleicht zu überleben. Ich hatte nie den Traum, mit so und so vielen Jahren so und so viel Einkommen, Kinder und Auto samt Garage zu haben. Selbstverständlich war es für mich klar, später einmal zu heiraten, eben Später (betont). Ich war intuitiv gegen diesen Heiratszwang.“

3) Was müsste ich heute tun oder verändern, um das erweiterte oder veränderte Ziel später auf anderem Wege zu erreichen? Diese Frage soll verhärtete Positionen aufweichen oder Vergessenes für neue Lernprozesse bewusst werden lassen (ebd., S. 137 f). Alicia:

„Nichts bräuchte ich zu ändern, weil ich ja kein ursprüngliches Ziel hatte. Die Vorteile meines bisherigen Lebens überwiegen: Man unterliegt keinen Zwängen, Man hat Freiheiten. Dass man sein eigener Herr ist, das empfinde ich als etwas Schönes.“

4) Welchen Preis muss ich zahlen, wenn ich meine augenblickliche Lebensweise unverändert fortsetze? Diese Frage soll die kritische Überprüfung früher festge­legter Ziele und Konzepte anregen (ebd., S. 139). Alicia:

„Der Preis für mein Leben ist die materielle Unsicherheit, insbesondere die pro­blematische Altersversorgung. Die Suche nach Arbeit war und ist meist ergeb­nislos. Habe allgemein viel Zurückweisung erlebt.“

5) Was brauche ich für die nächsten 5 bis 10 Jahre? Diese nüchterne Frage soll konkretisierende Überlegungen hervorrufen (ebd., S. 141). Alicia:

„Was ich für die nächsten fünf bis zehn Jahre brauche: einen Job, ein neues Fahrrad, einen neuen Computer, genug Flaschen Wein. Für die nächsten zwanzig bis dreißig Jahre brauche ich an erster Stelle Gesundheit.“

6) Welche Einsicht ist für mich am schmerzlichsten zu ertragen? Was würde ich heute anders machen und wie finde ich Frieden für unwiederbringlich Versäum­tes? Diese Frage ehrlich und tiefgründig zu beantworten, ist schwer. Hier können sich innere Zwiespälte oder ein Hadern mit dem Schicksal zeigen (ebd., S. 142). Alicia:

„Werde als Drückeberger angesehen, obwohl ich niemandem auf der Tasche lie­ge. Es wird nicht wahrgenommen, dass auch mein Leben Energien benötigt; hierbei geht es meist um die materielle Sicherheit – ein Sorgen um die finanziel­le Basis. Jeder Alltag ist voller Zwänge.“

4.6.2 Reflexion: Das Dilemma

Klar kommt der Grund für die Beratungsgespräche - das permanente Grundproblem der nicht vorhandenen zukünftigen Versorgung - zum Ausdruck (Antwort zu Frage 4). Zur kritischen Überprüfung des jetzigen Lebenskonzeptes reicht der Druck dieses Grundproblems jedoch nicht aus. Insgesamt zeigen die Antworten viele gegensätzliche Ansatzpunkte, welche zum tieferen Erkunden einladen: Die verhärtete Position laut Frage 3 des „Nichts-bräuchte-ich-zu-Ändern“ im Vergleich zum Konsumbedarf für die nächsten fünf bis zehn Jahre, welcher aus tendenziell hochwertigen Konsumgütern besteht (Antworten zur Frage 5), oder auffallende Unstimmigkeiten wie „Man unterliegt keinen Zwängen, man hat Freiheiten“ (siehe Frage 3) im direkten Vergleich zum später Formulierten: „Jeder Alltag ist voller Zwänge“ (Frage 6).

Die Antworten zur Frage 1 sind überdies eher als eine Rationalisierung des gegenwärtigen Lebenskonzeptes der Nichtverpflichtung einzuschätzen als eine Beschreibung des Lebensweges bisher. Die Antworten zur Frage 2 vertiefen das noch, als sie Nichtziele definieren oder die im vergangenen Jahrhundert für Mädchen üblichen konkreten Ziele wie Heirat strikt verneinen. Was sie wirklich zu stören scheint, sind moralische Bewertungen durch die Umwelt: „Werde als Drückeberger angesehen“. Die anschließenden Begründungen, warum sie das nicht sei, sind rein gegenwarts- und ichbezogen. Das permanente Grundproblem einer Nichtversorgung im Alter, das durch das gesellschaftliche Netz, also durch andere, vermutlich gelöst werden wird müssen, vermeidet sie anzusprechen.

Mein Vorhaben war, auf diese – aus psychologisch-interpretativer Sicht wirklich fruchtbaren - Antworten später ausführlich zurückzukommen. Dazu ist es auf­grund des frühen Beratungsendes leider nicht gekommen. Gesamt gesehen zeigen die Antworten, dass Alicia das eigene Dasein als einzig lebenswertes, authentisches Leben im Hier und Heute empfindet. Ich dagegen deute die Gesamtheit der Antworten als ein Vorgaukeln einer heilen Welt, zumindest als Ausdruck der Hilflosigkeit im aktiven Gestalten und Verbessern der Le­benssituation. Damit einher geht bei Alicia Passivität und ein Weiter-so-tun-wie-Bisher ohne spezielle Pläne und Ziele.

Ich spürte ein Dilemma: Einerseits sah ich mein bisheriges Vorgehen aus psychologi­scher Sicht als zu milde und sanft an. Ein einfühlendes Verstehen (und eventuell Akzep­tieren) gemäß dem klientenzentrierten Ansatz von Carl Rogers könnte von der Klientin als Einverständnis und Bestätigung ihrer Haltungen und Handlungen aufgefasst werden. Andererseits ist es denkbar, dass sie sich mit ihrem – in vieler Hinsicht – entpflichteten Leben bis an ihr Lebensende ‚durchschlagen’ kann. Denn noch ist sowohl das deutsche als auch österreichische Sozialnetz intakt. Aus individueller (und eben nicht gesell­schaftsorientierter) lebensphilosophischer Sicht wäre das eine rationale Strategie.

4.7 Sechste Beratung

Dieses Beratungstreffen kennzeichnete der Versuch, die seit vielen Jahren verhärteten Ein­stellungen von Alicia etwas zu lockern. Das Mittel dazu bestand aus einer provokativen Überzeich­nung.

4.7.1 Überzeichnung

Ich berichte Alicia, dass ich im Rahmen meiner Ausbildung zum psychosozialen Berater meinen Kolleginnen von unseren Beratungssitzungen – natürlich anonymisiert - erzählt hatte. Hochinteres­siert, neugierig und ungläubig hatten meine Studienkolleginnen gefragt, wie Alicia das Konzept zu leben ohne zu arbeiten denn verwirkliche.

Dies entsprach ja den Tatsachen, insofern war es keine Überzeichnung. Mein Versuch der Über­zeichnung bestand darin, erstens davon sehr ausführlich zu erzählen[12] und zweitens das Lebenskonzept der Klientin als singulär darzustellen. Fast als könnte sie uns überzeugen, dass die üblichen Konzepte (in diesem Fall mein Lebenskonzept und das meiner Kollegin­nen) kaum geeignet seien, richtig und zufrieden zu leben. Ali­cia fasst ihre Lebensphilosophie denn auch in folgenden Kernsätzen zusammen:

„Das Leben kann man nicht steuern. Die Kinder werden von den Eltern ge­steuert.“ „Man soll am Leben nichts ändern, es entstehen nur andere Pro­bleme. Dies sind langweilige Gedankenspiele.“ „Ich bin froh über’s Älter­werden, während andere froh sind, wenn sie jung bleiben. Denn ich habe nun bestimmte Probleme hinter mir.“

„So ist es, wie es ist.“ „Ich kann nicht sagen, was ich (a) lebensmäßig ändern will oder (b) nicht ändern will.“ „ Es gibt keinen großen Lebensplan, sondern nur kleine reale Schritte.“ „Ich den­ke nicht, was in 10 Jahren sein wird“.

4.7.2 Reflexion: Der Versuch

Von Anfang an macht Alicia diesmal auf mich einen unsicheren Eindruck. Ihr Auftreten und nonverbale Gestik entsprachen während dieses Versuches der Überzeichnung nicht den selbstbewusst klingenden Aussagen, die sie sonst von sich gegeben hatte. Auffallend an ihren Aussagen war, dass sie die Zukunft nicht mehr interessiert, obwohl es doch Kern unserer Arbeitsvereinbarung war, verschiedene (Zukunfts-) Szenarien durchzuar­beiten, sei es nun psychologisch oder philosophisch. Die psychologischen Gesprächstei­le – und insbesondere ihre Zukunft - schienen ihr unangenehm geworden zu sein. Ihre Abwehr zeigte sich bereits in der völligen Umbenennung unserer Beratungstreffen in 'philosophische Gespräche', worauf sie in dieser Sitzung mehrmals zurückkam.

Einige ihrer Aussagen deuten auf eine grundlegende passive Lebenseinstellung ( „Die Kinder werden von den Eltern gesteuert“) und verweisen auf Bereiche, die in einer eventuellen Beratung beziehungsweise Therapie ausführlich behandelt werden könnten. Die problembezogenen Copingstrategien[13] von Alicia bestanden in ihrem Leben bisher aus Rückgriffen auf familiäre Hilfestellungen, einem Verlassen auf die eigene körperliche Gesundheit und einem niedrigen Lebensstandard.

Die geäußerten Sätze sind durch einige Inkonsistenzen gekennzeichnet. So ist die Aussage „Ich bin froh über’s Älter­werden“ bezogen auf ihr gegenwärtiges Grundproblem der existenziellen Unsicherheit im nahenden Alter schlicht und einfach falsch. Alicia aber sofort auf diese Ungereimtheit hinzuweisen, wäre aus psychologischer Hinsicht falsch gewesen. Echte Einsichten muss die Person selbst gewinnen. Aufgedrückte Einsichten führen eher zu Reaktanz (Jetzt-erst-recht) und Zurückweisung.

Alicia ist nicht bereit, ihre jeweils einzelproblem- und tagesorientierte Bewältigung (vgl. Asanger und Wenninger, 1992, S. 747) auf ein höheres Niveau zu heben und dadurch Gelegenheit zu erhalten, ihre Bewältigung von Problemen den geänderten gesellschaftlichen Umständen[14] anzupassen. Einige ihrer österreichischen Bekannten hätten sie bereits auf die langfristigen Risiken ihrer Lebensweise hingewiesen, so erzählte Ali­cia. Doch ihre gefühlsmäßige Bewältigung basiert auf rationalisierender Negierung sowohl der aktuellen Situation als auch der langfristigen Zukunft. Ihre emotionsbezogenen Co­pingstrategien (ebd.) bestehen aus Ablenkung, Verleugnung und Flucht. Unter anderem kann der häufig verwendete Ausdruck 'philosophische Gespräche' für unsere Treffen sowohl als ein Hinweis auf eine erwünschte Nichtrelevanz der Inhalte unserer Gespräche als auch als Hinweis für ihr Festhalten an den bisherigen Copingstrategien interpretiert werden.

Ich hatte mir daher vor dieser Sitzung vorgenommen, nach der Provokativen Therapie von Frank Farrelly vorzugehen und überzeichnete dementsprechend ihre Lebensauffassung ins Positive: Wie doch die meisten anderen Personen irgendetwas falsch machen müssten; wie wun­derbar und nachahmenswert ihr jetziges Leben sei; was für ein allseits bewundertes Le­ben sie führe; wie sich alle ein Beispiel an ihr nehmen könnten.

Während des Treffens jedoch entdeckte ich, dass dieses geplante Überzeichnen nicht einfach zu realisieren war. Alicia ist intelligent und emotional sensibel auch für Äußerun­gen des Gesprächspartners. Meine Übertreibungen fielen daher deutlich milder und we­niger ausdrucksstark aus als geplant. In der nachträglichen Analyse dieser Vorgehens­weise entstand nun meinerseits die Befürchtung, dass ich sie in ihrer Lebensweise eher bestätigt als verunsichert hatte. In diesem Falle hätte die geplante Provokation das Gegenteil bewirkt.

4.8 Siebente Beratung

Dieses Treffen kreist um Flucht als Bewältigungsstrategie.

4.8.1 Hinausschieben von Arbeitsvorbereitungen

Die Klientin berichtet von ihrem Heimataufenthalt. Alicia hatte schon vor Jahren für den Ankauf einer Eigentumswohnung ein zinsenloses Darlehen aus dem Familienkreis erhalten. Unmittelbar nach ihrer Rückkehr hätte sie mit dem Vorbereiten der neuen Sprachkurse beginnen müssen. Ihr erschien jedoch das Ausmalen der Wohnung, das Umfärben einer einzigen Wand ins Grüne, wichtiger.

Dieses Ausmalen einer Wand mündete in eine Wohnungswiedereinweihungs­feier, welche zeitaufwändig von Alicia vorbereitet wurde. Sie gab zu verstehen, dass sie an ein bal­diges Ende unserer Treffen dachte. Diese Treffen bezeichnete Alicia nun nicht einmal mehr als psychologische Gespräche, sondern als 'Tratscherl' und stufte sie damit in der Wertigkeit deutlich hinunter[15]. Wir vereinbarten daher, einander ein letztes Mal zu treffen. Das kommende Gespräch sollte eine Ergänzung, die Bilanz der bisheri­gen Gespräche und auch Ausblicke auf die Zukunft beinhalten.

4.8.2 Reflexion: Die Flucht

Die berufliche Selbstdisziplinierung der Klientin und entsprechende Sozialisierung sind wenig ausgeprägt. Alicia steht offensichtlich vor der Aufgabe, professionelle Eigen­schaften, welche zur Ausübung einer regelmäßigen Arbeit notwendig sind, nachholend erwerben zu müssen. Habituelles Hinausschieben oder rationalisierende Vermeidungs- und Ersatzaktivitäten (Ausmalen eines unbedeutenden Teiles der Wohnung) zeigen wei­tere Hemmnisse für einen konsequenten beruflichen Eintritt auf. Dies deutet auf den ge­nerellen Bewältigungsstil eines Vor-der-Aufgabe-Fliehens hin. Vielleicht hängt da­mit auch das angekündigte Ende der Beratungssitzungen zusammen. Ich meine, dass die Klientin die Beschäftigung mit ihrem Leben nun als unangenehm empfindet.

Den mehrfach angesprochenen, bescheidenen Lebensstil durchbricht Alicia. Im Laufe der letzten sechs Monate kaufte sie sich einen neuen Laptop und ein Trekkin­grad der preislichen Spitzenklasse. Einen Plasmafernseher erhielt sie geschenkt. Der Weg, kurz- und mittelfristig mentalen Frieden nach Brocher zu finden[16], führt bei ihr augen­scheinlich über den Erwerb oder Erhalt qualitativ hochwertiger Konsumgüter. Auch das könnte der Bewältigungsstrategie Flucht zugeordnet werden. Ganz zu schweigen davon, dass diese nicht gerade billigen Konsumgüter ihren Lebensansatz und ihre Lebensphilosophie finanziell untergraben.

4.9 Achte Beratung

In diesem letzten Treffen wird nüchtern Bilanz gezogen und ein Ausblick gegeben.

4.9.1 Abschluss

Ich bereite Alicia auf die Bilanzierung vor und sage ihr, dass es nicht den Beratungs­richtlinien nach Rogers entspräche, quasi buchhalterisch sachlich alle Aspekte nüchtern auf den Tisch zu legen. Noch dazu, da die Aspekte im Einzelnen nicht ausführlich behandelt worden waren. Als Ausgleich biete ich ihr an, dass sie in Zukunft bei Bedarf ohne Hono­rar meine Dienste als philosophischer Begleiter, psychosozialer Berater oder psychologisch orientierter Coach oder wie auch immer sie das bezeichnen mag, in Anspruch nehmen könne. Alicia antwortet, das sei ok. Ich solle ihr überdies alles, auch die nicht erwähnten Aspekte in diesem letzten Treffen, unterbreiten.

Ich ziehe eine Bilanz des Besprochenen und auch des Nichtbesprochenen, des Ver­miedenen gemäß der Arbeitsvereinbarung. Das ausführlich behandelte Szenario Das Sein lebensphilosophisch im Jetzt zu führen interpretiere ich als eine Bewältigungsstra­tegie von Alicia, um von ihrer wahren, existenziell Jahr für Jahr sich verschlechternden Situation hinsichtlich der Zukunft im Alter abzulenken. Hierfür zitiere ich mitgeschriebene, persönliche Zitate aus den vergangenen Beratungssitzungen.

Ich lege die Auffassung dar, dass diese Form der Bewältigung nicht nur zur gewohn­heitsmäßigen Täuschung anderer, sondern häufig auch der eigenen Person führt. Ich versuche, mittels einiger Investitionsbeträge und deren plausibler Renditen darzustellen, dass ihre geplante Alterssicherung[17] ökonomisch den Lebensunterhalt nicht gewährleis­ten wird können.

Die anfangs erstellte Hypothese einer Lebenshaltung des Weiter-so-wie-Bisher trifft in den Monaten der Beratungsgespräche zu. Als Beleg hierfür nenne ich die Tatsache, dass sich Alicia im Sommer nicht erkundigt habe, wo und wie sie ihre fehlenden sieben bis acht Pensionsbeitragsjahre erwerben könne. Meine konkreten Tipps im Frühjahr, dass sie diese aufgrund ihres geringen Einkommens mit besonders niedrigen freiwilli­gen Beitragszahlungen (rund fünfzig Euro im Monat) erwerben könne, waren damals mit dem – bereits damals ansatzweise ablehnenden – Versprechen seitens der Klientin be­antwortet worden, im Sommer sich darüber erkundigen zu wollen.

Auf Nachfragen gibt sie zu, dass sie keine konkreten Nachforschungen über eine Realisierung ihrer Alterssicherung angestellt habe. Dazu ist zu sagen: Diese fünfzig Euro sind auch für sie leistbar. Ein erworbener Pen­sionsanspruch würde sie im Alter sowohl materiell als auch moralisch absichern. Ein Weiter-so-wie-Bisher jedoch führe sie mit hoher Wahrschein­lichkeit direkt in das Szenario Sozialfall. Sie solle nur an die beiden zunehmenden Risi­ken Krankheit und immer schwerer werdender Eintritt in den Arbeitsmarkt denken. Das Szenario Sozialfall als Nutznießer des sozialen Netzes, hatte die Klientin bisher moralisch als unakzeptabel von sich gewie­sen. Diesmal gab es diesbezüglich keinen Einspruch seitens der Gesprächspartnerin, dass dies Wirklichkeit werden würde.

Zwischenfazit: Rein von außen gesehen hatte die Ratsuchende frühzeitig einen konkre­ten, für ihre moralischen Überzeugungen passenden und auch finanziell leistbaren Rat für ihr Grundproblem erhalten. Ein Grundproblem, das nach ihrem Bekunden der haupt­sächliche Anlass war, die Beratung aufzusuchen. Objektiv gesehen, hätten diese Gesprä­che daher von Seiten der Klientin als Erfolg betrachtet werden können. Subjektiv jedoch sah die Sache anders aus. Von diesem konkreten Rat wollte Alicia nichts wissen. Als Erfolg kann daher diese Beratungsreihe am Ende des achten Treffens hinsichtlich der ursprünglichen Arbeitsvereinbarung nicht angesehen werden.

4.9.2 Lebensfalle

Zahlreiche Entwicklungspsychologen skizzieren bestimmte Entwicklungsaufgaben, die in verschiedenen Lebensphasen zu bewältigen seien, weil ansonsten eine Weiterent­wicklung nur erschwert möglich sei und Krisen die Folge seien[18]. Ich unter­breite ihr meine Ansicht, dass sie ihre Krise verlängere und damit verstärke. Die mit dieser Krise verbundene Ent­wicklungsaufgabe habe sie nur unzureichend bewältigt.

Jeffrey Young bezeichnet diese Konstellation als Lebensfalle Berufliches Versagen (Young und Klosko, 2008, S.279 ff). Ich bringe Belege aus ihrer Lebensgeschichte. Ebenso bespreche ich ausführlich den Bewältigungsstil der Flucht in seinen konkreten Darstellungen in ihrem Lebens- und Kommunikationsstil. Alicia wünscht eine nähere Erklärung zum Begriff Lebensfalle. Sie assoziiert Lebensfalle (sehr zutreffend, wie ich meine) mit Mausefalle.

Gemäß Jeffrey Young und Janet Klosko sei sie ein geradezu typisches Beispiel: Eine bisweilen hohe Orientierungslosigkeit in Immigrantenfamilien; eine Schwester, die als unerreichbares Vorbild hingestellt wird, wodurch Anstrengungen nicht in Erwägung gezogen werden, da sie ohnehin sinnlos seien; Abbrüche in der schulischen Laufbahn oder überlange Dauer von Ausbildungen und Studium; das subjektive Gefühl, Anstrengungen lohnten sich nicht; Jobangebote, welche trotz ungünstiger finanzieller Situation nicht angenom­men werden.

Das Schema des beruflichen Versagens führt potenziell zu weiteren ungünstigen Fol­gen, weil für die weiteren Entwicklungsaufgaben nach Erikson von Partnerschaft und Generativität (vgl. 1973) kaum Voraussetzungen gegeben sind. Reife- und Entwicklungsmöglichkeiten sind eingeschränkt, da kein Anreiz oder Zwang besteht, am Arbeitsplatz auftauchende Pro­bleme zu lösen. Das Leben verläuft tendenziell kanalisiert und eintönig („alles schon da gewesen“, laut Alicia).

4.9.3 Reflexion: Die Bilanz

Aufgrund der Klientenvorgabe, ein letztes Gespräch zu führen, wurde diese Beratungs­sitzung mit Alicias Zustimmung nüchtern und sachlich geführt. Diese Vorgehens­weise war möglicherweise die einzige Chance, die gesamte Agenda (inklusive Bilanz und Ausblick auf die Zukunft) im Rahmen einer längeren Sitzung durchzubringen. Die Klientin hatte bisher in allen Gesprächen als psychisch stabil und ausgewogen ge­wirkt. Daher wagte ich eine nüchterne Darstellung der erwähnten Lebensfalle innerhalb einer Sitzung.

Ali­cia setzte auch diesmal in den Gesprächsbeiträgen ihr verteidi­gendes Relativieren ein, wie „Das ist eine subjektive Meinung“, „Andere leben auch so“. Diesmal aber überhörte ich ihre relativierenden Einwürfe und ging verbal (möglicherweise auch nonverbal) nicht darauf ein. Da ich für Alicia Sympathie empfinde, gelingt mir eine ausgesprochene Kühle in der Schilderung der Bilanz nicht - ähnlich wie mir eine übertriebene Karikatur ihrer le­bensphilosophischen Ansichten im Juni gemäß der Provokativen Therapie nicht gelun­gen war. Ich bringe die Darstellung in Etappen und verweise auch, dass es anderen ebenso ergeht oder ergangen ist. Die Gesprächsatmosphäre blieb meinem Empfinden nach weiterhin freundlich.

Sie spricht auf hohem sprachlichem Niveau. Sie erzeugt – wie in allen Sitzungen bis­her - durch elegante Begriffe rasch einen volltönenden Klangteppich, welcher meiner Meinun nach die Funktion hat, unangenehme Situationen zuzudecken und Nachden­ken zu vermeiden. Da „nur dasjenige, was wir annehmen, auch in un­seren Einflussbereich gerät“ (Peters 2008, S. 50), bleibt zu hoffen, dass wenigstens nachträglich ein gewisser, wenn auch leiser Widerhall unserer Gespräche Alicia Gele­genheit für ein Annehmen ihrer eigenen Situation und Handlungsweisen als Vorausset­zung für Verbesserungen gibt.

Da Alicia mit ihrem neuen, teuren Rad gekommen war, besichtigte und bewunderte ich das Rad nach dem Abschluss der Sitzung, nicht zuletzt, weil ich selber gerne Rad fah­re. Ich vermute allerdings, dass diese emotional wohl eher positiv besetzte Endsequenz unseres letzten Treffens die Erinnerung der Klientin an den eigentlichen Inhalt unseres Treffens geschwächt hat.

[...]


[1] Die gesteigerte individuelle und soziale Aufmerksamkeit für runde Geburtstage stellen auch An­knüpfungspunkte zur neueren Psychologie der Lebensspanne her. Wie durch ein Brennglas wer­den bereits bewältigte oder in naher Zukunft auftauchende Kernaufgaben der verschiedenen Al­ters- und Lebensbereiche sichtbar (Brandtstätter und Lindenberger, 2007, S. 48 f).

[2] KVT: Kognitive Verhaltenstherapie

[3] MBCT: Mindfulness Based Cognitive Therapy (siehe etwa Crane, 2013)

[4] ACT: Acceptance and Commitment Therapy (siehe etwa Ciarrochi und Bailey, 2010)

[5] Ist in dieser Formulierung bereits eine nicht mehr erreichbare Vorgabe seitens der nahen sozialen Umgebung an Alicia herauszuspüren?

[6] Wird hier bereits das Misstrauen gegenüber gesellschaftlichen Institutionen (welches die Klientin kennzeichnet) gesät?

[7] Slawistik als Wissenschaft von den slawischen Sprachen und Literatur

[8] Ist dies wirklich der Grund oder wirken hier bereits rationalisierende Einschätzungen gemäß der Lebensfalle ‚Berufliches Versagen’?

[9] Unter bestimmten, durch Gesetze oder Verordnung festgelegten Bedingungen (Stand 2008)

[10] Die ‚Zusage', sich zu erkundigen, hat sie in der Folge nicht eingehalten.

[11] Zum Arbeiten mit Symbolen siehe etwa Dorst, 2007

[12] Dadurch wurden einige psycholo­gisch-methodische Hintergründe und Instrumente wie Intervision und Supervision skizziert. Möglicherweise fasst die Klientin das als Hinweis zu mehr Vorsicht und Nachdenken über ihr eigenes Leben auf. Nach dem Motto: „Wenn so viele Fachleute darüber nachdenken, muss ich mich mehr anstrengen und tiefer forschen.“ Vielleicht auch würden Hinweise meinerseits von der Klientin als fundierter aufgefasst.

[13] Bewältigungsstrategien (Kunz et al., 2007, S. 49)

[14] Z. B.: Kleiner werdende Herkunftsfamilie, lockerer sich gestaltende Großfamilienbande, steigen­des Gesundheitsrisiko infolge eines höheren Alters, mögliche Pflegebedürftigkeit, etc.

[15] Tratscherl: Wienerische Verkleinerungsform von Gerede, Rederei oder abwertendem Geschwätz (dummes, inhaltsloses Gerede); Duden Online, Stichwort Tratsch, http://www.duden.de/recht­schreibung/Tratsch (20. 07. 2014)

[16] Siehe Fragen fünf und sechs im Subkapitel 4.6.1 auf Seite 30.

[17] Verkauf der Eigentumswohnung in Form einer Leibrente samt Weiterverbleib in dieser.

[18] Siehe etwa Eriksons psychosoziale Krise ‚Werk­sinn gegen Minderwertigkeitsgefühl’ (Erikson 1973, S. 98 ff), welche im Bewältigungs­falle langfristig zur „konfliktfreien, gewohnheitsmäßigen Beherrschung seiner vornehm­lichen Begabung kommt, die er zu seinem Beruf macht“ (ebd. S. 135).

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2009
ISBN (PDF)
9783958206601
ISBN (Paperback)
9783958201606
Dateigröße
793 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
ARGE Bildungsmanagement Wien
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Schlagworte
Lebensphilosophie Provokative Therapie Lebensfalle Setting

Autor

Dr.Dr.Dr. Reinhard Neumeier wurde 1949 in Niederösterreich geboren. Er studierte Betriebswirtschaft und Philosophie an österreichischen Universitäten in Wien und Sozialpsychologie an der deutschen Universität in Hagen. Er sammelte berufliche Erfahrungen als Produktmanager, Marktforscher und IT-Projektleiter. Als Selbständiger arbeitete er als Seminarleiter und Autor mit Schwerpunkt zu Gesundheit und Lebensführung sowie seit 2009 als Wissenschaftscoach, psychologischer Berater und praktischer Philosoph.
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Titel: Ich denke nicht daran, was in zehn Jahren sein wird: Ein Lebenskonzept begrenzter Freiheit - Ablauf einer psychologisch-philosophischen Beratung
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