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Staat vs. Volk: Zum Missverhältnis zwischen Fußballfans und Obrigkeit in der letzten Dekade der DDR am Beispiel des 1. FC Lok Leipzig

©2012 Bachelorarbeit 46 Seiten

Zusammenfassung

Die Bachelorarbeit beschäftigt sich mit dem Thema der Fußballfans und der staatlichen Obrigkeit der DDR in den 1980er Jahren. Sie stellt am Beispiel der Fußballszene des 1. FC Lok Leipzig heraus, welche vermeintlichen Gefahren die polizeilichen und staatlichen Behörden in Fußballfans sahen. Von einer allgemeinen Übersichtsdarstellung der Leipziger Fußball-Fanszene befasst sich die Abschlussarbeit mit einem Fanclub des 1. FC Lok: die Teutonia. Dieser wurde von den DDR-Behörden als "Schwerpunktclub" eingestuft. Ihr Interesse war es, die "Teutonia" zu zersetzen und aufzulösen. Welche Maßnahmen von den Sicherheitsbehörden hierfür entwickelt wurden, stellt die Arbeit heraus. Führten sie zum gewünschten Erfolg?
Nicht zuletzt wegen der immer wieder geführten Diskussionen über Polizeieinsätze bei (Derby-)Fußballspielen verdeutlicht die Arbeit die Brisanz des Themas und veranschaulicht, wie die Obrigkeit mit diesem Thema in der letzten Dekade der DDR umgegangen ist.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1.2. Die Bedeutung der NSAG Jugend

Das MfS, welches per Gesetz am 08. Februar 1950[1] gegründet worden war, entwickelte sich im Laufe der Zeit zu dem Überwachungsorgan des DDR-Staates.[2] Es war in allen 15 Bezirken in Form einer „Bezirksverwaltung für Staatssicherheit“[3] vertreten. Das gesamte Ministerium wies wie die DVP eine militärähnliche Struktur auf, was beispielsweise durch die Bezeichnung des MfS-Vorsitzenden Erich Mielke als „Armeegeneral“[4] deutlich wird. Weiterhin arbeitete das Ministerium nach dem Prinzip der Weisungsbefugnis durch die nächsthöhere Abteilung. Darunter wird das sogenannte Linienprinzip[5] verstanden.

Zur kleinsten strukturellen Organisationseinheit des MfS zählte die sogenannte Arbeitsgruppe.[6] Dabei gab es ordentliche und außerordentliche Arbeitsgruppen.[7]

In den 1970er Jahren wurde im Bezirk Leipzig eine außerordentliche Arbeitsgruppe gegründet, die sich ausschließlich mit der DDR-Jugend beschäftigte. Daher erhielt sie die Bezeichnung „Nichtstrukturelle Arbeitsgruppe Jugend“[8]. Sie war der Hauptabteilung XX des MfS unterstellt, deren Aufgabe unter anderem darin bestand, „an der Durchsetzung der offiziellen Jugendpolitik [mitzuwirken sowie] Vorkommnisse staatsfeindlicher Hetze aufzuklären und zu bearbeiten“[9]. Das Attribut „nichtstrukturell“ weist daraufhin, dass diese Arbeitsgruppe nicht in allen Bezirken der DDR anzutreffen war, sondern dass es eine außer-ordentliche Arbeitsgruppe gewesen ist, die in Leipzig installiert wurde, wie es aus dem Arbeitsplan der NSAG Jugend von 1978 zu entnehmen ist.[10] Zudem sollte sie nur für eine begrenzte Zeit existieren.[11]

Die Akten der BStU[12] sind bis auf den heutigen Tag noch nicht vollständig erschlossen. Speziell die Hauptabteilung XX war im Februar 2011 zu ca. 81% erfasst.[13] Nach mündlichen Aussagen der BStU Leipzig sind derzeit noch keine Unterlagen gefunden worden, aus denen das genaue Gründungsdatum der NSAG Jugend hervorgeht. Jedoch kann festgehalten werden, worin die Aufgaben dieser Arbeitsgruppe lagen und welcher Bedeutung ihr zukommt.

Auf der Grundlage des Jahresarbeitsplanes 1986 des Leiters der Bezirksverwaltung konzentriert sich die NSAG Jugend auf die vorbeugende Aufklärung und rechtzeitige Abwehr von feindlichen An-griffen auf die Jugend der DDR, der Umsetzung der in den Dokumenten des XI. Parteitages der SED gegebenen Orientierungen zur Jugendpolitik sowie auf die Anleitung und Unterstützung der operativen Diensteinheiten und Kreisdienststellen der Bezirksverwaltung zur Qualifizierung der politisch-operativen Abwehrarbeit unter jugendlichen Personenkreisen.[14]

Zunächst hatte die Arbeitsgruppe die Ideologie der SED umzusetzen und die Erziehung der Jugend vorzunehmen.[15] Dies vorausgesetzt, hatte sie einerseits Sorge dafür zu tragen, dass Maßnahmen zur Eindämmung von Jugendprotesten in jeglicher Art durchgeführt und umgesetzt wurden. Andererseits diente sie als Aufklärungsinstrument von bestimmten Jugendgruppen, die im sozialistischen Verständnis als „Rowdys“ bezeichnet wurden. Dabei wird unter dem Begriff „Rowdy“ ein randalierender Jugendlicher verstanden, der sich „vorzugsweise öffentlich und in Gruppen, in Abgrenzung zur Elterngeneration und oftmals im Konflikt mit deren Ordnungsvorstellungen, [zusammenfand]“[16].

Ist von dem Phänomen „Rowdytum“ im Untersuchungszeitraum bei Thomas Lindenberger (1956 bis 1969) in der DDR nur „am Rande die Rede“[17], so entwickelt sich in den 1980er Jahren darüber ein besonderes Interesse bei den Sicherheitsorganen, welches anhand des Bezirkes Leipzig und der gegründeten NSAG Jugend nachvollzogen werden kann.

Das Arbeitsgebiet der NSAG Jugend war vor allem im Bereich von Großveran-staltungen angesiedelt. Darunter zählten unter anderem die Fußballoberligaspiele des 1. FC Lok, da diese laut den Halbjahresberichten der BDVP Leipzig einen stetig ansteigenden Zulauf von Zuschauern und Fußballfans zu verzeichnen hatten, zu denen in erster Linie junge DDR-Bürger im Alter von 16 bis 22 Jahren gehörten, die „negativ“[18] auffällig waren.

In Anlage 1 wird die Entwicklung der Anzahl junger Fußballfans aufgezeigt.

Aus dem Arbeitsplan der NSAG Jugend von 1986 geht weiterhin hervor, dass sich diese Arbeitsgruppe regelmäßig traf und zu jeder Sitzung spezifische Pro-bleme der Jugend analysierte und zu lösen versuchte. Dabei galt es nur „das [zu] notieren, was auch belegbar ist“[19]. Das Thema Fußball stand nicht bei jedem Treffen auf der Tagesordnung.[20]

Nicht außer Acht zu lassen ist die Tatsache, dass diese außerordentliche Arbeitsgruppe als Vermittlungsinstanz zwischen den verschiedenen Sicherheits-Organen fungierte, was anhand der Mitglieder dieser Gruppe nachvollzogen werden kann. Zur Gruppe gehörten ständige und nichtständige Mitglieder.[21] Der Vorsitzende dieser Arbeitsgruppe war gleichzeitig der erste Stellvertreter der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit in Leipzig.[22]

Zu den ständigen Mitgliedern der NSAG Jugend gehörten Vertreter verschiedenster Abteilungen des MfS. Stellvertretend dafür sollen die Leiter der Abteilungen VII, IX, XIX, XX sowie der stellvertretende Leiter der Abteilung XX und der Referatsleiter XX/2 genannt werden. Insgesamt gehörten zu den ständigen Mitgliedern der NSAG Jugend 13 Mitarbeiter. Es ist festzuhalten, dass auch die Bezirkspolizei Leipzig durch deren Vorsitzenden vertreten war. Die nichtständigen Mitglieder waren ausschließlich stellvertretende Leiter der polizeilichen Kreisdienststellen, von denen die KD Leipzig-Land und KD Leipzig-Stadt exemplarisch genannt werden. Insgesamt zählten 13 verschiedene Kreisdienststellen zu den nichtständigen Mitgliedern.[23] Daher kann konstatiert werden, dass die außerordentliche Arbeitsgruppe aus maximal 26 Personen bestand, aus denen ersichtlich wird, dass die beiden staatlichen Sicherheitsorgane vertreten waren und eine Zusammenarbeit ersichtlich wird.

Obwohl bezüglich des Gründungsdatums der NSAG Jugend bisher nur Mut-maßungen bestehen, muss hinzugefügt werden, dass ein gesellschaftliches Ereignis entscheidenden Einfluss auf die Formung dieser Arbeitsgruppe hatte: Das als „Heysel-Katastrophe“ in die Geschichte eingegangene Fußballereignis von Brüssel im Jahre 1985. Unter der „Heysel-Katastrophe“ wird ein Fußballereignis verstanden, bei dem es bis dato zu nicht vorgekommenen Ausschrei-tungen zwischen englischen Hooligans und italienischen Fußballfans gekommen ist. 30 Menschen starben und 376 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.[24] Am 29. Mai 1985 beschossen englische Hooligans italienische FußballFans mit Feuerwerkskörpern. Das hatte zur Folge, dass die Fans versuchten, das Brüsseler Heysel-Stadion panikartig zu verlassen. Als Konsequenz aus diesem Ereignis erließ der Europäische Fußballbund Maßnahmen, die vor allem gegen englische Fußballclubs gerichtet waren.[25] Zudem unternahm die damalige englische Regierung unter Margret Thatcher Bestrebungen, das Phänomen Hooliganismus einzudämmen.[26] Anhand einer Akte der NSAG Jugend kann nachvollzogen werden, dass die NSAG Jugend dieses Ereignis in Brüssel sorgsam beobachtete und für sich Konsequenzen daraus zog, Gewaltausschrei-tungen in den Leipziger Stadien zu verhindern.[27]

Insgesamt kann für die NSAG Jugend festgehalten werden, dass sie als außer-ordentliche Arbeitsgruppe der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit in Leipzig ihre Aufgabe vor allem in der Erfassung von „auffälligen“ Jugendlichen sah und sich als Instanz verstand, die im Bereich der Jugendpolitik agierte. Weiterhin galt sie als Schaltstelle zwischen den verschiedenen Sicherheitsorganen und explizit für die Bezirksverwaltung für Staatssicherheit, was durch die ständigen und nichtständigen Mitglieder ersichtlich wird.

1.3. Die Zusammenarbeit der Sicherheitsorgane in Leipzig

Der SED-Regierung war sehr daran gelegen, dass die Bevölkerung die sozialistische Gesellschaftsordnung akzeptierte und dass immer und zu jeder Zeit Frieden im Land herrschte.[28] Auflehnung oder Protest vonseiten der DDR-Bevölkerung wurde nicht geduldet.[29]

Um die Autorität des DDR-Staates und seiner Regierung zu wahren, liegt es auf der Hand, dass die staatlichen Sicherheitsorgane kooperierten und mögliche Gefahren, die gegen den Staat und gegen eine Bedrohung der Bevölkerung gerichtet waren, zu bekämpfen. Dennoch hatte die SED und ihre verlängerten Arme in Form der Sicherheitsorgane auch Misstrauen gegenüber ihrer eigenen Bevölkerung. Ein Beleg dafür sind die mannigfachen Verflechtungen des MfS:

Das MfS wurde […] im Inneren nicht nur aktiv, wenn – aus seiner Sicht – politisch motivierte, die Sicherheit des Staates gefährdende Strafbestände zu vermuten waren, sondern konnte auch jedes andere Ermittlungsverfahren aus dem Bereich der Kriminalpolizei, etwa bei schwerer Kriminalität oder Betrugsdelikten, an sich ziehen.[30]

Sowohl im Bezirksarbeitsstab Fußball[31] als auch in der NSAG Jugend waren Mitglieder der staatlichen Sicherheitsorgane vertreten; aber auch Mitarbeiter der Leipziger Fußballclubs (1. FC Lok und BSG Chemie) sowie Stadionangestellte[32] und Arbeiter der Deutschen Reichsbahn waren zugleich Mitarbeiter der staatlichen Sicherheitsorgane. In den Fußballberichten der Leipziger BDVP sind auch statistische Erhebungen zu Störungen auf dem Gebiet der Deutschen Reichsbahn zu finden. Um diesen Störungen zukünftig entgegenzuwirken, wurde em-pfohlen, einen Verantwortlichen der Reichsbahn im Bezirksarbeitsstab mitarbeiten zu lassen:

Mit dem Ziel, die in der ZK-Information zur Lage bei Fußballspielen enthaltenen Hinweise vollinhaltlich zu realisieren, wird vorgeschlagen, einen Vertreter der Deutschen Reichsbahn im Bezirksarbeitsstab aufzunehmen.[33]

Weiterhin waren darin auch Beamte der Bezirksverwaltung Leipzig vertreten, die gleichzeitig der NSAG Jugend angehörten.[34] Ergo ist eine enge Verflech-tung zwischen der außerordentlichen Arbeitsgruppe und dem Bezirksarbeitsstab Fußball zu erkennen, um einen regen Austausch von Informationen zu ermöglichen und gemeinsam gegen „Untergrundtätigkeit und staatsfeindliche Hetze“[35] vorzugehen.

2 Die Fanclubszene des 1. FC Lokomotive Leipzig (1983 bis 1988)

In der letzten Dekade der DDR hatten die staatlichen Sicherheitsorgane verstärktes Interesse daran, die Jugend in die politische Verantwortung zu nehmen. Da aufgrund statistischer Erhebungen in den Fußballberichten der BDVP Leipzig vor allem Jugendliche zu Störungen des öffentlichen Lebens neigten, galt ihnen eine besondere Aufmerksamkeit. Die teilweise tätlichen Auseinandersetzungen, die nach Auffassung der staatlichen Sicherheitsorgane primär von Fanclubs ausgingen, waren häufig bei Fußballspielen zu konstatieren. Daher wird in diesem Kapitel die Fanclubszene des 1. FC Lok Leipzig dargestellt.

Im Untersuchungszeitraum (1983-1988) zählte der oben genannte Oberligist zu den erfolgreichsten Fußballclubs des DDR-Fußballs. Durch die siegreiche Geschichte des 1. FC Lok lässt sich ein Anstieg der Fanclubs feststellen, der hier zunächst umrissen wird (2.1.). Anschließend wird einer – in den Augen der staatlichen Sicherheitsorgane als „Schwerpunktclub“[36] bezeichneten Gruppe – genauer untersucht und das Interesse der Sicherheitsorgane an der Erfassung der Clubmitglieder erläutert (2.2.). Daran schließt eine Darstellung des Leipziger Fußballfans an (2.3.). Das Kapitel endet mit einer Analyse häufig aufge-kommener Störungen (2.4.), die als Voraussetzung für das dritte Kapitel dient.

2.1. Überblick der Fanclubs des 1. FC Lok Leipzig

In den Fußballberichten der BDVP Leipzig wurden durch statistische Angaben die Zuschauerzahlen erfasst, die den Spielen der DDR-Mannschaften im Bezirk Leipzig beiwohnten. Dabei galt den ortsansässigen Fußballclubs 1. FC Lok und BSG Chemie eine besondere Aufmerksamkeit. Von 1983 bis 1988 lässt sich ein kontinuierlicher Anstieg der Zuschauer feststellen, besonders bei Spielen des Oberligisten 1. FC Lok.[37] Gleichzeitig haben sich vermehrt Fanclubs gegründet, die zum Teil „Straftaten und Ordnungswidrigkeiten“[38] begingen. In Anlage 1 befindet sich daher eine graphische Darstellung über die Entwicklung der Fanclubszene des 1. FC Lok im Zeitraum von 1983 bis 1988, auf die in den folgenden Ausführungen Bezug genommen wird.

Nach Auffassung der Bezirkspolizei Leipzig sind Personen, die Straftaten und Ordnungswidrigkeiten begehen, in erster Linie in Fanclubs organisiert und gehören zum sogenannten harten Kern der Fußballfans. Diese Fanclubs bilden „lose Gruppierungen, [die] nicht rechtsfähig sind“[39]. Sie werden zwar vom DDR-Staat geduldet, aber nicht als legitime Gruppierungen angesehen. Daher gilt es, – ihrer Meinung nach – die Auflösung der Fanclubs schnellstmöglich durchzusetzen.[40] Es sei denn, sie werden umerzogen und unter die Aufsicht der FDJ oder anderer staatskonformer Organisationen gestellt.[41]

Da dieser Vorgang wegen der stetig steigenden Anzahl der Fanclubs nicht möglich war, hatten die staatlichen Sicherheitsorgane die Prämisse, alle Fan-clubs und deren Mitglieder namentlich zu erfassen.[42]

Die Zielsetzung der BDVP wurde somit in drei Hauptpunkten formuliert:

1. Vollständige Aufklärung der bestehenden Fan-Clubs, besonders zu Aktivitäten, Zielen und Absichten.
2. Die Fan-Clubs werden rechtsfähig gemacht. Das bedeutet sie nach dem Beispiel des FC „Hansa“ Rostock für den DTSB als Mitglieder zu gewinnen, sie durch leitende Funktionäre der Fußballclubs anzuleiten.
3. Die Fan-Clubs werden durch die Fußballclubs rechtsträger-isch nicht gebunden. Das bedeutet Auflösung der Fan-Clubs mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten.[43]

Zur Durchsetzung der Ziele ist die Bezirksverwaltung für Staatssicherheit in Leipzig und insbesondere die NSAG Jugend nicht minder bedeutend.

Die Erfassung der Fanclubs diente somit eindeutig als Mittel, um diese aufzulösen und eine signifikante Senkung der Störungen herbeizuführen. So war die Annahme der Bezirkspolizei.

Das Alter, der in den Fanclubs organisierten Mitglieder, lag insgesamt zwischen 14 und 30 Jahren, wobei die Altersangaben jährlich schwankten: Wird im Saisonbericht 1983/84 noch von einer Altersspanne von 19 und 30 Jahren[44] gesprochen, so liegt sie in der Saison 1985/86 nur noch zwischen 14 und 25 Jah-ren.[45] Es ist jedoch eindeutig festzustellen, dass mehrheitlich die Jugend in den Fanclubs organisiert war.

In der Fußballsaison 1983/84, welche den Anfang des Untersuchungszeitraumes bildet, waren bereits 32 Fanclubs des Oberligisten 1. FC Lok mit zum Teil namentlich erfassten Mitgliedern bei den staatlichen Sicherheitsorganen bekannt.[46] Beispielsweise hatte der Fanclub „Teutonia“ in dieser Saison 15 Mit-glieder, im Alter von 18 bis 22 Jahren.[47] Von den Mitgliedern waren acht namentlich erfasst, von denen wiederum sechs vorbestraft waren,[48] wobei nicht ersichtlich wird, welche Straftaten diese Fans begangen haben.

In der Folgesaison kam es zu einem Anstieg der Fanclubs des 1. FC Lok. Nun waren 54 Fanclubs registriert.[49] Binnen eines Jahres ist somit ein Anstieg von fast 69 Prozent zu verzeichnen. Die Saisons bis 1987/88 blieben hinsichtlich der Fanclub-Anzahl relativ konstant.[50]

Die Hochphase der Fanclubs des 1. FC Lok war in der Spielsaison 1988/89.[51] Zu diesem Zeitpunkt waren über 118 Fanclubs bei den örtlichen Sicherheitsorganen registriert,[52] wobei nur eine verhältnismäßig geringe Zahl der Fanclubs für die Sicherheitsorgane von Interesse war.[53]

Diese Fan-Clubs sind ständigen Veränderungen unterworfen, teils durch Auflösung, teils durch Wechseln von Mitgliedern in einen anderen Fan-Club. Vom überwiegenden Teil der Fan-Clubs gehen keine Störungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit aus.[54]

Jedoch hatten einige Fanclubs bei den Leipziger Sicherheitsorganen eine Sonderstellung. So wurden die Fanclubs „Die Raben“, „Schönefeld“, „Aro Köm“, „Black Angels“ und „Teutonia“ unter dem Status „Schwerpunktclub“[55] geführt, da von ihnen im besonderen Maße Störungen des öffentlichen Lebens ausging-en[56] und sie somit zum „negativen Fußballanhang“[57] gehörten. Das Ziel der staatlichen Sicherheitsorgane war deren Zersetzung und Auflösung. Mit welchen Mitteln die Organe dies provozierten wird im dritten Kapitel dargestellt.

Obwohl die Aktenlage des ehemaligen MfS noch nicht vollständig erschlossen ist, konnte dennoch ein kleiner Einblick in die Entwicklung der Fanclubszene des 1. FC Lok von 1983 bis 1988 gewagt werden. Kritisch muss jedoch angeführt werden, dass die Datenmenge aus einer einseitigen und zudem subjektiven Quelle stammt. Als Datensatzgrundlage dienten die zum überwiegenden Teil zugängigen Aktenbestände der BStU und der BDVP Leipzig, die sich im Sächsischen Staatsarchiv in Leipzig befinden.

[...]


[1] Vgl. ebd. S. 13.

[2] Vgl. ebd. S. 15.

[3] Andersen, Uwe/Wichard, Woyke (Hrsg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, 5. aktualisierte Auflage, Opladen 2003: <www.bpb.de/nachschlagen/lexika/handwoerter buch-politisches-system/40330/ministerium-fuer-staatssicherheit-mfs?p=all> [13.06.2012].

[4] BStU, MfS, BV Berlin 271, S. 32.

[5] Vgl. Leske, Hanns: Erich Mielke, die Stasi und das runde Leder, S. 17.

[6] Vgl. BStU (Hrsg.): Abkürzungsverzeichnis. Häufig verwendete Abkürzungen und Begriffe des Ministeriums für Staatssicherheit, Berlin 2009, S. 9.

[7] Vgl. Engelmann, Roger u. a.: Das MfS-Lexikon. Begriffe, Personen und Strukturen der Staatssicherheit der DDR, 1. Auflage, Berlin 2011, S. 38.

[8] Weiterhin mit NSAG Jugend abgekürzt.

[9] BStU (Hrsg.): MfS – Hauptabteilung XX (Staatsapparat, Kultur, Kirche, Untergrund), Berlin 2011: <www.bstu.bund.de/DE/Archive/Bestandsinformationen/Unterlagen-Struktur/ha_XX.html> [13.06.2012].

[10] Vgl. BStU, MfS, BV Leipzig, Leitung 1017, Band 2, S. 2ff.

[11] Vgl. BStU (Hrsg.): Abkürzungsverzeichnis, S. 61.

[12] Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik.

[13] Vgl. BStU (Hrsg.): MfS – Hauptabteilung XX (Staatsapparat, Kultur, Kirche, Untergrund), Berlin 2011: <www.bstu.bund.de/DE/Archive/Bestandsinformationen/Unterlagen-Struktur/ha_XX.html> [13.06.2012].

[14] BStU, MfS, BV Leipzig, AKG 3116, S. 1.

[15] Vgl. La clé des langues (Hrsg.): Bericht des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands an den XI. Parteitag der SED. Berichterstatter Erich Honecker, Ostberlin 1986, S. 60-64: <http://cle. ens-lyon.fr/allemand/rede-auf-dem-xi-parteitag-der-sed-134716.kjsp?RH=CDL_ALL120600> [12.06.2012].

[16] Lindenberger, Thomas: Volkspolizei, S. 367.

[17] Ebd.

[18] Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, Nr. 20250, BDVP Leipzig, Nr. 1586, Lage zur öffentlichen Ordnung und Sicherheit bei Fußballspielen der ersten Halbserie 1987/88, S. 3.

[19] BStU, MfS, BV Leipzig, AKG 3116, S. 6.

[20] Vgl. ebd. S. 2-4.

[21] Vgl. BStU, MfS, BV Leipzig, Abt. XX 199, Band 3, S. 3.

[22] Vgl. BStU, MfS, BV Leipzig, AKG 3116, S. 4.

[23] Vgl. BStU, MfS, BV Leipzig, Abt. XX 199, Band 3, S. 3.

[24] Vgl. Krahm, Bastian: Polizeiliche Maßnahmen zur Eindämmung von Hooligangewalt. Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung verfassungsrechtlicher und rechtsvergleichender Aspekte, Nehren 2007, S. 33.

[25] Vgl. ebd.

[26] Vgl. ebd.

[27] Vgl. BStU, MfS, BV Leipzig Abt. XX 352, S. 14.

[28] Vgl. Weber, Hermann: Aufbau und Fall einer Diktatur. Kritische Beiträge zur Geschichte der DDR, Köln 1991, S. 131.

[29] Vgl. Leske, Hanns: Erich Mielke, die Stasi und das runde Leder, S. 25.

[30] Leske, Hanns: Erich Mielke, die Stasi und das runde Leder, S. 27.

[31] Vgl. BStU, MfS, BV Leipzig, Abt. XX 352, S. 34.

[32] Vgl. Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, Nr. 20250, BDVP Leipzig, Nr. 1334, Einschätzung der Lage zu Fußballspielen der Saison 1984/85 im Bezirk Leipzig, S. 7-8.

[33] Ebd. S. 7.

[34] Vgl. BStU, MfS, BV Leipzig, Abt. XX 199, Band 3, S. 3.

[35] BStU, MfS, BV Leipzig, HA XXII 1738, Band 5, S. 267.

[36] BStU, MfS, BV Leipzig, Abt. XX 196, Band 4, S. 32.

[37] Siehe Anlage 1 Abb. 1.

[38] Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, Nr. 20250, BDVP Leipzig, Nr. 1550, Lage zur öffentlichen Ordnung und Sicherheit bei Fußballspielen der Saison 1983/84, S. 4.

[39] Ebd.

[40] Vgl. BStU, MfS, BV Leipzig, Abt. IX 65, Band 9, S. 463.

[41] Vgl. Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, Nr. 20250, BDVP Leipzig, Nr. 1550, Lage zur öffentlichen Ordnung und Sicherheit bei Fußballspielen der Saison 1983/84, S. 4f.

[42] Vgl. BStU, MfS, BV Leipzig, Abt. XX 272, S. 38.

[43] Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, Nr. 20250, BDVP Leipzig, Nr. 1550, Lage zur öffentlichen Ordnung und Sicherheit bei Fußballspielen der Saison 1983/84, S. 4.

[44] Vgl. Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, Nr. 20250, BDVP Leipzig, Nr. 1550, Lage zur öffentlichen Ordnung und Sicherheit bei Fußballspielen der Saison 1983/84, S. 4.

[45] Vgl. Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, Nr. 20250, BDVP Leipzig, Nr. 1586, Lage zur öffentlichen Ordnung und Sicherheit bei Fußballspielen der Saison 1985/86, S. 4.

[46] Vgl. ebd.

[47] Vgl. Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, Nr. 20250, BDVP Leipzig, Nr. 1550, Lage zur öffentlichen Ordnung und Sicherheit bei Fußballspielen der Saison 1983/84, S. 4.

[48] Vgl. ebd.

[49] Vgl. Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, Nr. 20250, BDVP Leipzig, Nr. 1334, Einschätzung der Lage zu Fußballspielen der Saison 1984/85 im Bezirk Leipzig, S. 3.

[50] Siehe Anlage 1 Abb. 2.

[51] Die hohe Zahl der Fanclubs ist der Tatsache geschuldet, weil der 1. FC Lok in der oben genannten Saison in der Europaklasse spielte und somit eine Konkurrenz auf internationalem Niveau darstellte (Vgl. Franke, Thomas: Von Athen bis Althen. Die Fanszene von Lok Leipzig zwischen Europacup und Kreisklasse, 1. Auflage, Dresden 2006, S. 140.).

[52] Vgl. Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, Nr. 20250, BDVP Leipzig, Nr. 1586, Lage ist zur öffentlichen Ordnung und Sicherheit bei Fußballspielen der ersten Halbserie 1987/88, S. 5.

[53] Vgl. BStU, MfS, BV Leipzig, Abt. XX 196, Band 4, S. 33.

[54] Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, Nr. 20250, BDVP Leipzig, Nr. 1586, Lage zur öffentlichen Ordnung und Sicherheit bei Fußballspielen der Saison 1986/87, S. 5.

[55] BStU, MfS, BV Leipzig, Abt. XX 196, Band 4, S. 32.

[56] Vgl. Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, Nr. 20250, BDVP Leipzig, Nr. 1550, Lage zur öffentlichen Ordnung und Sicherheit bei Fußballspielen der Saison 1983/84, S. 4.

[57] BStU, MfS, BV Leipzig, Abt. XX 196, Band 4, S. 32.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2012
ISBN (PDF)
9783958207110
ISBN (Paperback)
9783958202115
Dateigröße
713 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Leipzig
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,6
Schlagworte
Fußball Teutonia Stasi DDR Lokomotive Leipzig
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