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Französische Schallverben: Psychophonologische Aspekte der Onomatopöie

©2013 Bachelorarbeit 44 Seiten

Zusammenfassung

Der Ursprung des Wortes hat die Menschheit schon unmittelbar mit dem Aufbauder Sprache selbst beschäftigt. Seit der Antike finden sich im Verlauf unserer kulturellen Biographie immer wieder anders ausgerichtete Interessenswellen bezüglich der Onomatopöie und der Frage nach dem Grad der Verbundenheit zwischen Lautgestalt und mentaler Vorstellung.
Zwei äußerst unterschiedliche Herangehensweisen an diese Frage sind de Saussures strukturalistisch-sozialpsychologische Interpretation von der Arbitrarität des Wortes und der aus den 1960er Jahren stammende kognitionswissenschaftliche Ansatz, der auf einer neurowissenschaftlich-nüchternen Ebene an die Erklärung von Symbolhaftigkeit zwischen Wort und Gedanken herangeht.
Konkret lässt sich dies auch im Sprachvergleich untersuchen. Die vorliegende Arbeit nimmt für das Französische und das Deutsche bewusst eine grammatisch fest verankerte, aber gleichzeitig hochmimetische Wortart unter die Lupe – das Verb. Das Ergebnis liefert nicht nur überraschend regelhafte ikonisch abbildende Lautstrukturen im Allgemeinen, sondern auch für beide Sprachen auf ureigene Volksklischees beziehbare Eigenheiten bei der Veräußerung von Gedanken.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2
begegnet, was eine völlig andere Zugangsmöglichkeit zur Onomatopöie bietet.
Der methodische Abgleich von zeichen- und sprachtheoretischer, strukturalistischer (saussurescher)
Tradition und neuropsychischen, naturwissenschaftlichen Ansätzen, sowie psychoakustischen
Erkenntnissen bezüglich des Schallempfindens kann den Schnittstellenstatus des Phänomens
Onomatopoetikum umfassend darstellen, wobei onomatopoetische Verben als feste grammatische,
aber dennoch mimetische und dadurch mit der Sprachgenese verwurzelte Wortart einen sehr
geeigneten Untersuchungsgegenstand für einen kontrastiven Vergleich der französischen und
deutschen Sprache bieten.
Die Onomatopöie ist ein äußerst grenzwertiger linguistischer Fall ­ allein durch den Gegensatz, den
der Begriff in sich darstellt: Ein höchst bildungssprachlicher, stilisierter Begriff bezeichnet das
ursprünglichste, archaischste Sprachschöpfungsphänomen überhaupt. Umso nötiger erscheint es, sie
sowohl aus der Perspektive der theoretischen Sprachsystemik zu beleuchten, als auch eine
materialnähere Untersuchung ihrer real messbaren schallphysikalischen Komponenten
durchzuführen, deren neuropsychische Wirkung auf das Bewusstsein in der Natürlichkeit des
onomatopoetischen Sprachzeichens so greifbar wird.
2. Aufbau und Zielsetzung der Arbeit
Die vorliegende Arbeit soll Onomatopoetika sowohl in ihrer Rolle innerhalb des theoretischen
Sprachsystems erfassen, als auch ihre Bedeutung für den Charakter einer einzelnen Sprache am
Beispiel des Französischen zeigen. Hierzu soll als nüchternes Gegengewicht zur Sprachtheorie die
kognitionswissenschaftliche und psychoakustische Seite der Sprache beleuchtet werden.
Innerhalb des Wortgebiets der Onomatopoetika sollen onomatopoetische Verben, also
schallbezeichnende, einer genaueren Untersuchung unterzogen werden, weil sie bezüglich der zu
betrachtenden Grenzfallbeziehung zwischen Sprach- und Wahrnehmungssystem durch die hier
maximale Parallelisierbarkeit von Phonem- und Schallkategorisierung der menschlichen Kognition
besonders geeignet sind.
1. Zu diesem Zweck soll zunächst die Zeichentheorie von Charles Sanders Peirce als Grundstock
für das Verhältnis des Onomatopoetikums zu allem weiteren Sprachmaterial herangezogen werden.
Insbesondere der Gegensatz von ikonischer und symbolischer Zeichenübertragung dieser
Zeichentheorie soll als Orientierungspunkt dienen für eine anschließende kritische
Auseinandersetzung mit Saussures Arbitraritätshypothese des sprachlichen Zeichens, die das
Onomatopoetikum ernsthaft in Frage stellt.
2. Im Hinblick auf die naturwissenschaftliche Gegebenheiten einbeziehende Vergleichsstudie
deutscher und französischer Schallverben soll die kognitionslinguistische Perspektive auf

3
sprachliche Formgebung mentaler Inhalte der streng formalistischen strukturalistischen Sicht auf
die Wortgenese gegenübergestellt werden. Die neurowissenschaftlichen Einflüsse dieser jungen
Disziplin, die zerebrale Verarbeitungsmechanismen perzeptueller und konzeptueller Elemente
gegeneinanderstellt und darin ihre Forschungshypothese der phonematischen Rasterbildung
einbettet, soll auf die Untersuchung französischer Schallverben hinführen, die sowohl
naturwissenschaftliche, als auch sprachtheoretische Seiten in sich aufnehmen soll, sowie konkrete
phonoartikulatorische Unterschiede zwischen Deutsch und Französisch.
3. Empirisch sollen die sprachtheoretischen und kognitionswissenschaftlichen Darstellungen in der
Anwendung von Christian Lehmanns Analyse deutscher Schallverben auf die französischen
münden, mithilfe derer Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Verhältnissen von Ikonizität und
Symbolik, beziehungsweise Formgebung und Konzeptualität der deutschen und französischen
Sprache freigelegt werden sollen. Da wir uns innerhalb des Wortgebiets der Onomatopoetika
ausschließlich auf die Verben konzentrieren, die ja generell (anders als syntaktisch isolierte
Interjektionen) lexikalisiert sind, sollen Aspekte der syntaktischen Eingliederung bei der
Untersuchung ausgespart bleiben und der Fokus auf der Phonologie und der Morphologie liegen.
Es sei noch darauf hingewiesen, dass das Korpusmaterial zu deutschen und französischen
Schallverben im Anhang aus nicht wissenschaftlich vergleichbaren Quellen stammt und die
deutsche Liste demnach weitaus ausführlicher ausfällt. Für das Französische ließ sich keine
vergleichbar gründliche Aufstellung finden.
Theoretischer Teil
3. Semiotik/ Strukturalismus
3.1. Semiotik
Die in der Linguistik uneinheitlichen terminologischen Bezeichnungen für sprachliche
Formgestaltung und mentale Vorstellung zeigt, wie komplex die Herausforderung ist, die Tiefen
dieses Verhältnisses zu erforschen und wie viele Herangehensweisen dafür möglich sind. In der
strukturalistischen Tradition existiert natürlich das Begriffspaar de Saussures, signifiant und signifié,
wofür die Bezeichnungen Ausdruck und Inhalt nach Louis Hjelmslev als deutsches Pendant
angesehen werden.
3
Dieser abstrakten und isolierenden Vorstellung des sprachlichen Zeichens
stehen Modelle gegenüber, die die außersprachliche Realität einbeziehen, so zum Beispiel das
semiotische Dreieck von Ogden und Richards.
3
Geckeler/Dietrich 43.

4
Sprachtheoretische Modelle sind in der Geschichte der Sprachwissenschaft viele vorgeschlagen
worden, und jedem liegt mehr oder weniger bewusst ein bestimmtes Verständnis von
Zeichenübertragung zugrunde. Um sich der sprachlichen Zeichenübertragung und deren Grenzfall
Onomatopoetikum anzunähern, ist es demnach hilfreich, sich zunächst zeichentheoretische
Grundlagen anzusehen.
Rekurriert man bei der Analyse einer kommunikativen Situation auf das bekannte Organon-Modell
Karl Bühlers, geht von einem aktiven, intentionalen Sender ein Zeichensignal aus, das allein durch
das Angelangen beim Empfänger seine appellative Funktion, also seinen semantischen Gehalt
entwickelt. Volli weist indes darauf hin, dass die eigentliche Bedeutung einer sprachlichen
Äußerung erst dadurch entsteht, dass der Adressat etwas als Botschaft begreift, das heißt, dass er
dem Wirklichkeitseindruck, den er erfährt, Relevanz verleiht.
4
Der Codegehalt des Sprachzeichens
manifestiert sich demgemäß in Jakobsons Erweiterung des Organon-Modells, indem er die konative
Funktion, also die aktive Enkodierung und Bedeutungszuweisung durch den Empfänger mit
einbezieht, die durch die innerhalb des konventionsbasierten Sprachsystem kodierte
Zeichensendung erforderlich wird.
Was jedoch sämtliche theoretische Überlegungen über das sprachliche Zeichen gemeinsam haben,
sowohl das Kommunikationsmodell Bühlers, als auch Jakobsons Erweiterung und nicht zuletzt
Saussures Sprachzeichentheorie, ist seine grundsätzliche Aufteilung in eine phatische und eine
metalinguistische, beziehungsweise eine physikalische und eine symbolisch kodierende
Komponente.
Diese Aufteilung ist maßgeblich für die Untersuchung der verschiedenen Arten von Zeichen, mit
der sich die Disziplin der Semiotik befasst. Der amerikanische Philosoph Charles Sanders Peirce hat
mit seiner Zeichentheorie die Semiotik des 20. Jahrhunderts im Dienste der Logik und
Phänomenologie
5
begründet und soll hier als Ausgangspunkt für eine grundlegende Differenzierung
von Zeichenarten auch innerhalb der Sprache dienen. Peirce nimmt drei Grundarten von Zeichen an:
Ikone, Indexe und Symbole.
,,There are three kinds of signs. Firstly, there are likenesses, or icons; which serve to convey ideas
of the things they represent simply by imitating them. Secondly, there are indications, or indices;
which show something about things, on account of their being physically connected with them. [...]
Thirdly, there are symbols, or general signs, which have become associated with their meanings by
usage."
6
Peirces Klassifikation der Zeichen fußt demnach auf dem jeweiligen Verhältnis zwischen Signifikat
und Signifikant: Ikone verbinden Signifikat und Signifikant über eine substantielle Ähnlichkeit. Sie
4
vgl. Volli, 21.
5
vgl. Volli, 1.
6
Peirce, 5, § 3.

5
bilden ein Signifikat durch Imitation ab, indem sie in einer bestimmten Hinsicht Ähnlichkeit zu
diesem aufweisen. Eine ikonische Zeichenbeziehung entsteht bei jeglicher Art von Illustrationen,
Abbildungen oder Verkehrsschildern, die eine Richtung oder eine gegenwärtige Gefahrenquelle
anzeigen. Volli problematisiert hierbei den Ähnlichkeitsbegriff, der freilich ebenso wie das
ikonische Zeichen selbst auf gesellschaftlicher Konvention beruhen muss, um systematisch zu
funktionieren. Der allgemeine Ähnlichkeitsbegriff fuße nämlich auf einer gewissen Toleranz, die
die Vernachlässigung gewisser Vergleichskomponenten erlauben ­ absolute Ähnlichkeit bildet
insofern eine Ausnahme.
Bei Indexen weist der Signifikant durch eine natürliche Verbindung auf das Signifikat hin. Diese
natürliche Verbindung besteht in Form eines Symptoms, einer Spur oder eines Abdrucks des
bezeichneten Signifikats und setzt es in eine Beziehung physikalischer oder kausaler Nähe zum
Signifikanten
7
. Zu indexikalischen Zeichenrelationen zählen Pronomina, die auf Subjekte verweisen,
ein Fingerabdruck, der auf einen Urheber verweist oder auch ein Blitz, der eine Funkenentladung
anzeigt
8
.
Symbole stellen letztlich eine rein willkürliche Verbindungsschöpfung zwischen Signifikant und
Signifikat dar, sind also arbiträr motiviert, sie werden daher von Peirce auch als allgemeine
Zeichen
9
verstanden und können also gewissermaßen als die zeichenhaftesten Zeichen angesehen
werden. Das symbolische Zeichenverhältnis beruht hierbei allein auf gesellschaftlicher, durch
Gebrauch gefestigter Konvention. Die Sprache ist hierfür das Paradebeispiel, aber auch
Verkehrszeichen, die eine rein konventionelle Bedeutung transportieren oder mathematische
Symbole sind Zeichen mit arbiträrer, konventionalisierter Verbindung zu ihrem Signifikat.
Unabhängig von der Art des Zeichens jedoch besteht die Semiose, also die Bedeutungsentstehung,
erst durch das Zusammenwirken von Signifikat, Signifikant und Interpret: ,,[...] by ,,semiosis" I
mean [...] an action [...] which is [...] a cooperation of three subjects, such as a sign, its object, and
its interpretant"
10
Um die Relevanz der bewussten Interpretation durch den Empfänger für die Differenzierung der
peirceschen Zeichenarten zu verdeutlichen, weist Volli auf eine andere Ebene von
Zeichenunterscheidung hin, wodurch die Wirkungsbezogenheit der 3-Zeichenarten-Definition nach
Peirce deutlich wird: Bei der Unterscheidung beispielsweise zwischen digital und analog wird
dagegen auf die Art von Zeichenherstellung Bezug genommen, entweder mittels Zahlenrechnung
(im ersten Fall) oder physischer Ähnlichkeit (im zweiten Fall), während die Unterscheidung
zwischen ikonisch, indexikal und symbolisch die Aktivierungsart des semantischen Gehalts von
7
vgl. Volli, 36.
8
vgl. Volli, 36.
9
s. Zitat m. Fußnote 16 ,,general signs".
10
Peirce, 411.

6
Zeichen durch den Empfänger bezeichnet.
11
J. O. Askedal weist überdies auf die genauere Differenzierung innerhalb der ikonischen
Zeichenübertragung in bildliche und diagrammatische Ikonizität (B-/ D-Ikonizität) hin. Zur B-
Ikonizität können hierbei eigentlich allein die Onomatopoetika gezählt werden, indem sie eine
,,substantielle akustische Ähnlichkeit mit der zu repräsentierenden Schallquelle"
12
aufweisen. D-
Ikonizität bezeichnet hingegen etwas genereller ,,ontologische oder perzeptorische Primitiva"
13
und
drückt die ,,Beziehung zwischen Ausdruck und inhaltlich-kongnitiver Repräsentation des
Denotats" aus.
14
Für unsere Zwecke ist also vor allem die B-Ikonizität von Interesse, aber sie als
abgegrenzt von einer weiter gefassten Art von Ikonizität sprachlicher Zeichen zu wissen, ist wichtig,
weil dies den Sonderstatus von Onomatopoetika unterstreicht.
3.2. Strukturalismus
,,Psychologiquement, abstraction faite de son expression les mots, notre pensée n'est qu'une masse
amorphe et indistincte. Philosophes et linguistes se sont toujours accordés à reconnaître que, sans
le secours des signes, nous serions incapables de distinguer deux idées d'une façon claire et
constante."
15
Mit der logisch-nüchternen Zeichentheorie nach Peirce im Hinterkopf wenden wir uns nun der auf
einem sozialpsychologischen Zeichenverständnis aufbauenden
16
strukturalistischen Sprachtheorie
Ferdinand de Saussures zu. Saussures Zeichenübertragungsverständnis verbleibt nicht wie bei
Peirce in der Sterilität der theoretischen Folgerung aus der Sache an sich, sondern sieht das Zeichen
als automatisches Erzeugnis sozialer Verständigung an und weniger als abstrahierbares Phänomen.
In der Tat bettet Saussure seine Überlegungen zur Sprache in die Annahme ein, dass für die
menschliche Kommunikation die Art der Zeichenübertragung nicht von Belang ist. Essentiell für ihr
Funktionieren sei allein die gesellschaftliche Übereinkunft: ,,la langue est une convention, et la
nature du signe dont on est convenu est indifférente."
17
,,la substance phonique n'est pas plus fixe ni plus rigide; ce n'est pas un moule dont la pensée doive
nécessairement épouser les formes, mais une matière plastique qui se divise à son tour en parties
distinctes pour fournir les signifiants dont la pensée a besoin."
18
Zeichen sind im saussure'schen Sinne also bloßes Material für konventionalisiertes Kommunizieren,
wodurch sich seine Unterscheidung von ­ in peirce'scher Terminologie ­ ikonischer und
symbolischer Zeichenübertragung auszeichnet und woraus sich sein wichtigstes Prinzip, das der
11
vgl. Volli, 35, 36.
12
Askedal, 14.
13
Askedal, 14.
14
Askedal, 15.
15
de Saussure, 155.
16
vgl. Volli, 1.
17
de Saussure, 26.
18
de Saussure, 155.

7
Arbitrarität, ableitet.
Die Wissenschaft der Semiotik ist zu Saussures Wirkungszeit noch im Begriff, zu entstehen, und
Saussure weist wiederholt darauf hin, dass bestimmte zeichentheoretische Herausforderungen erst
zu bewältigen seien, ,,quand la sémiologie sera organisée"
19
In diesen Rahmen stellt Saussure auch
die Frage, ob 'natürliche' Zeichen überhaupt dieser Disziplin zugerechnet werden können. Mit
'natürlichen Zeichen' meint Saussure im Grunde ikonische Zeichen: ,,comme la pantomime".
20
An
diese Überlegung knüpft Saussures Arbitraritätsprinzip an: Indem nämlich auch die ikonischsten
Zeichen wie Höflichkeitsgesten auf einem Konventionalitätssystem basierten und allein um der
regelhaften Verwurzelung in der Gemeinschaft willen angewandt würden, zeige sich der
Kodierungsgrad, also die Symbolhaftigkeit eines Zeichens als Vollkommenheitsmaßstab: ,,On peut
donc dire que les signes entièrement arbitraires réalisent mieux que les autres l'idéal du procédé
sémiologique"
21
Trotzdem räumt Saussure im gleichen Atemzug ein, dass ein symbolisches Zeichen niemals völlig
arbiträr sein kann: ,, Le symbole a pour caractère de n'être jamais tout à fait arbitraire"
22
, weswegen
er auf seinen Begriff der 'Unmotiviertheit' ausweicht, der die Arbitrarität nur auf die Wahl des
Signifikanten beschränkt, ohne die völlige Verbindungslosigkeit zum Signifikat zu berühren.
Ein 'natürliches Zeichen' nach Saussure zeichnet sich hingegen durch einen hohen Ikonizitätsgrad,
also eine ungewöhnliche Nähe von Signifikant und Signifikat aus. Die Onomatopöie als
sprachlicher Vertreter der 'natürlichen Zeichen' kann gewissermaßen als verbale Entsprechung zur
räumlich-visuellen Pantomime gesehen werden und steht in ihrer Sonderart der Symbolhaftigkeit
der Hauptmasse von Wörtern gegenüber. Zur ikonischen Zeichenspezies zählt Volli neben
sprachlicher Lautmalerei auch Baupläne, Karikaturen oder Landkarten.
23
Anhand dieser Beispiele
wird die Bedingtheit von ikonischer Ähnlichkeit deutlich, die auch durch Saussures behelfsmäßige
Bezeichnung der 'Relativen Motiviertheit' von Onomatopoetika deutlich wird: die Abbildung
gleicher Eigenschaften von Signifikat und Sigifikant findet nämlich unter mehr oder minder
intensiver Vernachlässigung des Ausmaßes statt: Größe, Dimensionalität oder Verhältnismäßigkeit
(bei Karikaturen) sind nach Volli die einzigen Parameter, die bei der ikonischen Zeichenbildung
verändert werden. Demnach gehört zu der Enkodierung eines ikonischen Zeichens das
entsprechende Vorwissen und die Übung darin, die Veränderung des Ausmaßes als Teil der
konventionalisierten Ikonizität zu verstehen.
Dieses bedingende Vorwissen besteht bei sprachlicher Ikonizität in der Konventionalität des
Sprachsystems. Das auf gewohnheitsmäßigem, eingeschliffenem Gebrauch basierende sprachliche
19
de Saussure, 100.
20
de Saussure, 100.
21
de Saussure, 101.
22
de Saussure, 101.
23
vgl. Volli, 33.

8
Zeichensystem setzt ein vereinbartes Grundmuster voraus, also die Ausdrucksweise realer
Eindrücke und Gedanken in Form von Lautfolgen, die in bestimmte morphologische und
syntaktische Regelhaftigkeiten eingepasst werden. Der Arbitraritätsgedanke Saussures beruht auf
eben diesem hohen Formwert von Sprache, denn je höher der Kodegehalt eines Zeichensystems ist,
desto idealer sei der semiotische Prozess (procédé sémiologique) und dieser Kodegehalt steigt
periodisch mit der Symbolhaftigkeit der einzelnen Signifikanten. Man könnte auch sagen, ein
Signifikant ist umso purer, je symbolhafter er gewählt ist, indessen ist er umso ,,minderwertiger", je
ikonischer, also abbildhafter er ist. Hier stößt die Theorie auf die Onomatopoetika. Um sein
sprachtheoretisches Gedankengebäude nicht zu gefährden, versucht Saussure die möglichen
Einwände, die durch Onomatopoetika gegen sein Arbitraritätsprinzip angebracht werden könnten,
zu minimieren. Um dieses Arbitraritätsprinzip, das das völlige Fehlen einer natürlichen Verbindung
zwischen Signifikant und Signifikat beim Sprachzeichen postuliert, aufrechtzuerhalten, teilt
Saussure die Onomatopoetika in zwei Gruppen auf, von denen sich die eine dem Arbitraritätsprinzip
unterordnen lässt und die andere als ,,Rest" hygienisch abgespalten vom ,,richtigen" Sprachsystem
verbleibt. Die erste Gruppe sieht Saussure in Pseudo-Onomatopoetika, die fälschlicherweise als
onomatopoetisch angesehen würden, jedoch getrost den arbiträren Sprachformen des wirklichen
Sprachsystems zugerechnet werden können. Die irrtümliche Zuordnung zu den Onomatopoetika
bestehe darin, dass ihre gegenwärtige Lautung vom signifié motiviert anmutet, wobei die
etymologische Wurzel eine völlig arbiträre Zeichenbildung ist (Bsp.: fouet = 'Peitsche', das nicht
etwa eine lautmalerische Wortbildung ist, sondern aus dem lateinischen fgus = 'Buche' stammt
24
).
Als zweite Gruppe bleiben für Saussure gewissermaßen als Filterrückstand die wirklichen
Onomatopoetika (onomatopées authentiques), denen er aber eine schwache Präsenz in der Sprache
beimisst und die er nicht als dem Sprachsystem organisch inhärent ansieht: ,,[...] elles ne sont jamais
des éléments organiques d'un système linguistique"
25
, was er allerdings nicht näher erläutert. Sollte
diese Ansicht dem schwachen symbolischen Wert (an welchem er ja das sprachzeichentechnische
Ideal misst) von Onomatopoetika entspringen, erscheint Saussures nächster Argumentationspunkt
recht paradox, indem er auf die Unterschiede wirklicher Onomatopoetika in verschiedenen
Sprachen hindeutet, die auf deren jeweiliger Einpassung in das konventionalisierte Sprachsystem
beruhten. Wenn Saussure sich bei den Onomatopoetika auf ihre formale Konventionalisierung in
den verschiedenen Sprachen beruft, verliert gleichzeitig ihre Symbolschwäche an
Argumentationskraft. Bei den Interjektionen sieht Saussure die Unterschiede zwischen Sprachen
sogar als Beweis, dass eine Mehrzahl von ihnen kein ,,lien nécessaire entre le signifié et le
24
de Saussure, 102.
25
de Saussure, 101.

9
signifiant"
26
aufweisen und führt das Beispiel dt. ,,au!" versus frz. ,,aïe!" an. Hierbei jedoch lässt
sich sehr wohl bei beiden Interjektionen eine natürliche Motiviertheit feststellen, da [a], bei beiden
Wörtern Hauptbestandteil, der geöffnetste und somit aus physiobiologischer Sicht der
ausdrucksstärkste Vokal ist, hervorgerufen durch die weite Mundöffnung als natürliche Folge der
Erregung durch einen körperlichen Schmerz. [a] ist der häufigste vokalische Schreilaut bei
Neugeborenen
27
, was auf einen universalen Wert bestimmter Laute über sprachgemeinschaftliche
Grenzen hinaus hindeutet.
28
Hierzu Näheres im folgenden Kapitel über die Psycholinguistik.
In diesem Zusammenhang darf noch der von Edward Sapir geprägte ,,phonetische
Symbolismus" erwähnt werden, nach dem der Klang der einzelnen Vokale und Konsonanten selbst
mit einem symbolischen Assoziationspotential behaftet ist. So konstatiert Sapir anhand eines
Experiments, in dem Probanden phonetisch kontrastive Kunstwörter auf ihre klangliche Assoziation
hin evaluieren und den Kategorien ,,groß" und ,,klein" zuordnen sollten, dass [a] gemäß des
größeren Raumes, den der Mund dem Luftstrom bei der Artikulation bietet, auch ,,größer" klingt,
während Vokale mit höherer Zungenstellung und somit kleinerem Artikulationsraum
,,kleiner" klingen.
,,[...] we are really dealing with a measurably independent psychological factor that for want of a
better term may be called 'phonetic symbolism.'"
29
,,it is difficult to resist the conclusion that in some way a significant proportion of normal people
feel that, other things being equal, a word with the vowel a is likely to symbolize something larger
than a similar word with the vowel i, or e, or , or ä. To put it roughly, certain vowels and certin
consonants 'sound bigger' than others."
30
Das onomatopoetische Sprachzeichen macht Saussures Theorie letztlich insofern zu schaffen, als es
zumindest tendenziell eine direkte Verbindung von der Ausdrucksseite zum außersprachlichen
Referenten schlägt und das konzeptuelle Signifikat mehr oder weniger mit diesem zusammenfällt.
Diesem Problem wollen wir nun mit der jungen Wissenschaft der kognitiven Linguistik begegnen
und der theoretisch-idealistischen eine wissenschaftlich-nüchterne Betrachtungsweise auf die
Sprache und ihrem Verhältnis von ihrem Rohmaterial Schall und kognitiver
Informationsverarbeitung gegenüberstellen.
26
de Saussure, 102.
27
vgl. Tabelle in Rothgänger, 209.
28
vgl. Groß, 130.
29
Sapir, 233.
30
Sapir, 235.

10
4. Kognitive Linguistik und Psychoakustik
4.1. Kognitionswissenschaftliche Grundlagen
Mit der sogenannten ,,kognitiven Wende" ab den 1960er Jahren ist die behavioristische Psychologie
von einem interdisziplinäreren Forschungsansatz abgelöst worden, der die neurobiologischen
Vorgänge des menschlichen Organismus zur Verarbeitung und Speicherung von Informationen in
seine Arbeit einbezieht.
In der Kognitionswissenschaft wird von der grundsätzlichen Annahme ausgegangen, dass das
menschliche Gehirn die perzeptuellen Reize der äußeren Welt mittels klassifizierender Strukturen
speichert und ordnet, um die Informationsflut effizient zu nutzen und damit zu arbeiten
31
. Bezüglich
dieser Kategorisierung von Informationen im Gedächtnis spricht man in der Kognitionswissenschaft
von Konzeptbildung. Als Konzepte (in etwa analog zum saussure'schen Signifikat) werden
kategoriale Einheiten eines mentalen Rasters bezeichnet, mit Hilfe derer konkrete Objekte oder
Sachverhalte aus einer Wahrnehmungssituation heraus direkt in ein kognitives Ordnungssystem
eingefügt werden können. So kann eine akut wahrgenommene Linde in die Baum-Kategorie
eingefügt werden, deren Merkmalskatalog ungefähr aus [Große Pflanze, hat einen Stamm, hat
Blätter/Nadeln] besteht. Hierbei ist zu betonen, dass die Konzepte nicht klar begrenzt sind (wie es
lange in der Kognitionswissenschaft angenommen wurde)
32
, sondern fließende Übergänge zu
Nachbarkonzepten haben. Den Kern eines Konzeptes bildet vielmehr ein Prototyp, umgeben von
einem nach allen Seiten periodisch nach Typikalität abnehmenden Feld von Konzeptmaterial. Die
Konzepte sind abstrakte Knotenpunkte, deren artikulatorische Realisierung und semantischer
Einsatz immer aufs Neue einmalig und individuell ist. Dies verdeutlicht, dass die Konzeptbildung
ein rudimentäres, sich ausbildendes Hilfsmittel der menschlichen Kognition zur
Wahrnehmungsverarbeitung ist, ausgehend von der Reizquelle, und kein per se vorhandenes Raster,
in welches äußere Reize eingefügt werden können.
Die kognitive Verwertung und Katalogisierung von äußeren Perzepten durch das menschliche
Gehirn setzt voraus, dass die einzelnen wahrgenommenen Informationen mit Bedeutung versehen
werden. Die substantielle Relevanz eines äußeren Reizes für den Empfänger stellt also einen Teil
des Kognitionsprozesses dar.
Die Sprache kann als Veräußerung dieser Semantisierung angesehen werden; wie bei Saussure ist
die Teilung in eine mentale und eine phatische Komponente demnach auch in der
Kognitionslinguistik grundlegend.
Die kognitive Semantik befasst sich seit längerem mit der Beziehung zwischen mentalen Konzepten
31
vgl Schwarz, 108/109.
32
vgl. Schwarz, 110.

11
und Sprachbedeutungen
33
, genauer mit dem Grad des Zusammenfallens von Konzept und Wort, was
für die Untersuchung der Onomatopöie von zentraler Bedeutung ist. Hierbei besteht die Annahme,
dass ,,Wortbedeutungen sprachlich relevante Ausschnitte von konzeptuellen Domänen sind".
34
So
gesehen werden also im Sprachbildungsprozess lediglich die mentalen Knotenpunkte, die Kerne
repräsentativer Kategorien, mit einer sprachlichen Form versehen - ,,Bedeutungen sind
versprachlichte Konzepte"
35
, schlussfolgert Schwarz, wobei der Versprachlichungsprozess selbst die
Bündelung der Bedeutung und somit gewissermaßen die Konzentration auf deren prototypischen
Kern repräsentiert. Bei der Semantisierung mentaler Konzepte durch sprachliche Formgebung
findet eine Überschneidung zweier kognitiver Kenntnissysteme - des konzeptuellen und des
sprachlichen ­ statt, die in der Kognitionswissenschaft als Schnittstellenproblematik bezeichnet
wird. ,,Die Semantik bezieht ihre Inhalte aus dem konzeptuellen System, ihre Formen aber aus dem
sprachlichen System"
36
- Das semantische Kenntnissystem wird demnach als Schnittstellenbereich
angesehen, welcher sich aus der Verknüpfung zweier auf Konvention beruhender Kenntnissysteme
ergibt.
Die Herausforderung, neuronale und linguistische Untersuchungsmethoden miteinander zu vereinen,
versucht die Kognitionslinguistik also insbesondere durch die bessere Berücksichtigung der
semantischen Komponente menschlicher Sprachfähigkeit anzunehmen.
Die Bedeutungsschöpfung im Sprachbildungsprozess wird anhand hirnanatomischer Dispositionen
auf dem Gebiet der Neurolinguistik untersucht. Innerhalb dieses Forschungsbereichs wird eine
weitgehende Eigenständigkeit oder annähernde Modularität der Sprache innerhalb der
menschlichen Kognitionsfähigkeit vertreten. Dieser sogenannte modulare Ansatz, nach welchem die
Sprachkompetenz ein weitgehend autonom funktionierendes Kenntnissystem darstellt, besteht
neben einem holistischen Ansatz, der allgemeine kognitive Prinzipien und Regeln auch für die
Sprachfähigkeit annimmt. Diese im Grunde gegensätzlichen Herangehensweisen speisen sich
hauptsächlich aus Beobachtungen der Pathologie. Schon Jakobson wies auf die Unterscheidung der
Verarbeitung sprachlicher und anderer lautlicher Wahrnehmungen hin, die lange Zeit unterschätzt
worden sei
37
und die genau diese Ansichtsbinarität vom Modul- beziehungsweise Teilstatus der
Sprachkompetenz thematisiert. Bestimmte Folgen operativer Durchtrennung der Großhirnhälften
belegen nach Jakobson die ,,engen Bindungen der Sprache (und ebenso wenigstens einiger Arten
des Schreibens und Rechnens) gerade mit der linken Hemisphäre sowie ­ was besonders lehrreich
war - den Zusammenhang zwischen höheren verbalen Prozessen und der linken, dominanten
33
vgl Schwarz, 113.
34
Schwarz, 113.
35
Schwarz, 114.
36
Schwarz, 114.
37
vgl. Jakobson, 19.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2013
ISBN (PDF)
9783958207899
ISBN (Paperback)
9783958202894
Dateigröße
794 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,3
Schlagworte
Onomatopoesie Semiotik Sprachvergleich Arbitrarität Wortgestalt

Autor

Caroline Strauss, B.A., wurde 1987 im münsterländischen Coesfeld geboren. Ihr Studium der französischen Romanistik und der Germanistik schloss sie im Jahre 2014 mit dem akademischen Grad des Bachelor of Arts an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz erfolgreich ab. Ihre familienbedingte Frankophilie und ihre sich schon früh abzeichnende Sprachbegabung brachten sie zu ihrem philologischen Studium und die unzähligen persönlichen und studienbezogenen Frankreichreisen formten in ihr ein vielfältiges kulturelles und sprachliches Wissen und verstärkten ihre Begeisterung für sprachliche Abenteuer. Das vorliegende Buch ist ihre erste größere Studie.
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Titel: Französische Schallverben: Psychophonologische Aspekte der Onomatopöie
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