Intergenerationelle Einkommensmobilität und Meritokratie in der Schweiz: Leben wir in einer meritokratischen Gesellschaft?
©2014
Bachelorarbeit
39 Seiten
Zusammenfassung
Die letzten Volksabstimmungen (z.B. Mindestlohn-, 1:12- und Abzocker-Initiative) zeigen die enorme Bedeutung von Gleichheit und Gerechtigkeit fu¨r Schweizer Stimmbu¨rgerinnen und Stimmbu¨rger. Vor allem die Forderung nach Chancengleichheit ist in der Schweizerischen Gesellschaft stark verankert. Aber ob in der Schweiz tatsächlich allen Individuen die gleichen Startchancen gewährleistet werden, ist fraglich. In der vorliegenden Arbeit wird dieser Tatbestand untersucht. Im Kern geht es dabei um die Frage, ob wir in einer meritokratischen Gesellschaft leben. Das heisst, in einer Gesellschaft, in welcher der Erfolg des Einzelnen durch individuelle Fähigkeiten und Leistungen zustande kommt und nicht im Zusammenhang mit leistungsfremden Faktoren wie der sozialen Herkunft. Anhand des Konzepts der intergenerationellen Einkommensmobilität wird in dieser Arbeit aus einer ökonomischen Sicht gezeigt, dass in der Schweiz trotz einem sehr gut ausgelegten öffentlichen Bildungssystem, nicht alle sozialen Gruppen gleich mobil sind bzw. denselben Startchancen gegenu¨berstehen. Aufgrund empirischer Befunde wird geschlussfolgert, dass gewisse leistungsfremde Einflussfaktoren stets von Relevanz sind bei der Determinierung des ökonomischen Erfolgs eines Individuums, was nicht mit dem Konzept einer perfekten Meritokratie vereinbar ist.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
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1.
Einleitung
Der österreichische Wirtschaftswissenschaftler Ernst Fehr plädiert in einem Interview mit der
Pendlerzeitung ,,20 Minuten" für eine effiziente und gerechte Gesellschaft und kommt zum
Schluss, dass wir in einer sogenannten meritokratischen Gesellschaft leben. In seinen eigenen
Worten heisst dies, dass ,,man denen, die eine grosse Leistung erbringen, ein hohes Einkom-
men zugesteht" (Zaug, 2013).
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Fehr ist demnach der Meinung, dass der sozioökonomische
Status eines Individuums lediglich von der selbst erbrachten Leistung und nicht von leistungs-
fremden bzw. askriptiven Merkmalen, abhängig ist. Diese Aussage hat mich dazu inspiriert,
mich im Rahmen meiner Bachelorarbeit mit der Frage zu beschäftigen, ob ökonomische Eli-
tepositionen der Schweizerischen Gesellschaft tatsächlich aufgrund ihrer Verdienste (intellek-
tuellen Leistungen und Fähigkeiten) erworben werden oder ob diese auch von leistungsfrem-
den Faktoren, wie der sozialen Herkunft, dem Geschlecht oder des ökonomischen Status der
Vorfahren abhängig sind.
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Der Begriff ,,Meritokratie" (lateinisch: meritum für ,,Verdienst"; griechisch: kratein für
,,herrschen") wurde erstmals 1958 vom britischen Soziologen Michael Young verwendet, um
eine zukünftige soziale Gesellschaft zu beschreiben, in der die soziale Position eines Men-
schen ausschliesslich durch ,,Intelligenz (gemessen durch den Intelligenzquotienten, IQ) und
Anstrengung (,,effort") bestimmt ist" (Becker und Hadjar, 2011, S. 39), und wonach soziale
Ungleichheiten nicht per se als ungerecht angesehen werden, sondern legitimiert werden, so-
lange sie das Ergebnis individueller Leistungsunterschiede sind (Hillmert, 2007). Eine Privi-
legierung aufgrund sozialer Herkunft, Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Migrationshin-
tergrund oder anderen leistungsfremden Einflüssen, sind entsprechend der Vorstellung der
idealen Meritokratie auszuschliessen. Indessen ist das entscheidende Grundprinzip einer meri-
tokratischen Gesellschaft, die Gewährung totaler Chancengleichheit (nicht Ergebnisgleich-
heit) im Bildungs- bzw. Leistungserwerb für alle Bürgerinnen und Bürger (Young, 1958).
Das meritokratische Prinzip kann anhand der meritokratischen Triade von Bildung, Be-
ruf und Einkommen dargestellt werden (Abbildung 1). ,,Diese meritokratische Triade [...]
stellt einen Mechanismus der leistungsgesellschaftlichen Statuszuteilung und Legitimation
sozialer Ungleichheiten dar, der als typisch für ,,offene", westliche Gesellschaften gelten
kann." (Becker und Hadjar, 2006, S. 44). Solange der ökonomische Erfolg also Folge von
Leistung ist, welche anhand von Bildung und Zertifikaten (Qualifikationen) gemessen wird,
werden ungleich verteilte berufliche und ökonomische Positionen als legitimiert angesehen.
1
Dass solch eine Thematik in einer Pendlerzeitung diskutiert wird, zeigt die grosse Bedeutung der Einkom-
mensverteilung für die Schweizerische Gesellschaft.
2
Als ökonomische Elitepositionen werden hier obere Einkommensklassen bzw. Hochlohnempfänger definiert.
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Abbildung 1: Meritokratische Triade: Legitime und illegitime Ressourcennutzung
(Quelle: Becker und Hadjar, 2009, S. 43)
Um die bereits formulierte Fragestellung, ob wir in der Schweiz in einer meritokratischen
Gesellschaft leben, also ob de facto allen Individuen unabhängig von leistungsfremden Kri-
terien den gleichen Startchancen gegenüberstehen, aus einer ökonomischen Perspektive zu
beantworten, verwende ich das nahverwandte Konzept der intergenerationellen Einkom-
mensmobilität. Dieses Konzept misst anhand ökonometrischer Methoden den Zusammenhang
zwischen dem relativen ökonomischen Status der Elterngeneration und demjenigen der Kin-
dergeneration und wird oft als Gradmesser für Chancengleichheit verwendet. Ist der Zusam-
menhang schwach, gilt eine Gesellschaft als sozial mobil, während eine hohe Korrelation auf
eine sozial immobile Gesellschaft hinweist. Um den ökonomischen Status zu messen, ver-
wenden Ökonomen dabei meist das Einkommen (Bauer, 2007).
Auf den ersten Blick scheint es intuitiv, dass eine solche ,,Leistungsgesellschaft", wel-
che totale Chancengleichheit sichert, eine vollkommen mobile Gesellschaft impliziert. In an-
deren Worten, eine Gesellschaft, in welcher die soziale Position eines Einzelnen völlig unab-
hängig ist vom Status seiner Vorfahren und lediglich durch seine natürlichen Leistungen und
Fähigkeiten bestimmt wird. Im Verlauf meiner Analyse werde ich jedoch aufzeigen, dass die-
se Voraussetzung in einer Meritokratie keinesfalls gegeben sein muss, sondern, dass ein meri-
tokratisches System durchaus mit einer gewisser Immobilität bzw. Persistenz vereinbar ist.
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Die vorliegende Arbeit gliedert sich in zwei Teile, wobei der erste Teil der Arbeit dazu
dient, die wichtigsten theoretischen Grundlagen einzuführen. Im ersten Abschnitt wird zu-
nächst das Konzept der intergenerationellen Mobilität vorgestellt und eine Abgrenzung vor-
genommen. Im zweiten Abschnitt soll geklärt werden, welche Einflussfaktoren und Mecha-
nismen die intergenerationelle Einkommensmobilität einer Gesellschaft determinieren. Im
dritten Abschnitt wird dann der ökonomische Standardansatz zur Messung der intergeneratio-
nellen Einkommensmobilität vorgestellt und dessen Schwierigkeiten aufgezeigt.
Im zweiten Teil der Arbeit werden zuerst gesammelte empirische Ergebnisse präsen-
tiert, gefolgt von empirischen Befunden der intergenerationellen Einkommensmobilität in der
Schweiz, anhand welcher im Anschluss in einem Fazit die Einstiegsfrage beantwortet wird.
Eine Zusammenfassung und ein Ausblick schliessen die Arbeit ab.
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2.
Theoretische Grundlagen
Im Rahmen dieses Kapitels soll zunächst das theoretische Konzept der intergenerationellen
Einkommensmobilität erläutert werden, um dann im empirischen Teil anhand dieses Kon-
zepts zu analysieren, ob wir in einer meritokratischen Gesellschaft leben. Daran anschliessend
werden die Hauptdeterminanten der intergenerationellen Einkommensmobilität zusammenge-
tragen und der ökonomische Standardansatz zur Schätzung der intergenerationellen Einkom-
mensmobilität vorgestellt, gefolgt von potenziellen Schätzproblemen.
2.1
Das Konzept der intergenerationellen Mobilität
,,Soziale Mobilität" ist ein sehr umfangreiches Konzept, welches von vielen theoretischen
Perspektiven betrachtet werden kann, weshalb eine Eingrenzung des Untersuchungsgegen-
standes unabdingbar ist. Zu unterscheiden ist zunächst eine generationenübergreifende, soge-
nannte intergenerationelle, von einer intragenerationellen Mobilität, wobei sich letztere auf
den Wechsel der sozialen Position oder Schichtzugehörigkeit (soziale Mobilität) eines Indivi-
duums im Lebenslauf bezieht (Berger, 2000, S.1).
In der vorliegenden Arbeit geht es um die erste Perspektive, die der intergenerationellen
Mobilität. Der Begriff bezieht sich auf die Veränderung der Schichtzugehörigkeit eines Indi-
viduums über Generationen hinweg bzw. auf die Durchlässigkeit einer Gesellschaft. In ande-
ren Worten: auf das Ausmass mit welchem der soziale Status der Eltern auf die Kinder über-
tragen wird. Dabei kann diese intergenerationelle Transmission (Übertragung) verschiedene
Aspekte umfassen, wie z.B. die Transmission von Einkommen, Vermögen, Bildung oder Be-
schäftigung. Ökonomen legen bei der Messung intergenerationeller Mobilität jedoch meist
den Schwerpunkt auf die intergenerationelle Transmission von Einkommen oder Vermögen
(ebd.). Da im Rahmen der vorliegenden Bachelorarbeit der Untersuchungsgegenstand aus
einer ökonomischen Perspektive analysiert werden sollte, werde ich mich in der folgenden
Analyse primär auf die intergenerationelle Transmission von Einkommen beschränken.
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Die
Rate der intergenerationellen Einkommensmobilität misst dann, inwiefern der relative öko-
nomische Status von einer Generation auf die nächste übertragen wird. Diese Rate ermöglicht
es, dynamische Prozesse, wie den relativen Auf- oder Abstieg von Familien oder anderen
sozialen Gruppierungen innerhalb der Einkommensverteilung im Zeitverlauf zu erfassen,
3
Im letzten Teil wird noch die Transmission von Bildung untersucht, da Bildung gemäss dem meritokratischen
Prinzip als Leistungsindikator dient und somit von grosser Bedeutung ist.
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welche anhand von Ungleichverteilungsindikatoren, wie z.B. dem Gini-Koeffizienten
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, nicht
festgehalten werden können. Das Konzept der intergenerationellen Einkommensmobilität
vermag es also die Natur der Einkommensungleichheit eines Landes näher zu beschreiben.
Sind z.B. Kinder armer Eltern prädestiniert, in Zukunft tiefe Einkommen zu generieren, so ist
die Einkommensungleichheit wahrscheinlich Folge rigider Strukturen unserer Gesellschaft. In
diesem Fall wäre totale Chancengleichheit nicht gewährleistet. Wenn aber Kinder armer El-
tern die Möglichkeit haben, aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit bei gleicher Einkommensun-
gleichheit in eine höhere Einkommensklasse aufzusteigen, so sollte die Chancengleichheit in
einem Land theoretisch nicht in Frage gestellt werden (Zürcher, 2007, S. 9).
Das Konzept der intergenerationellen Einkommensmobilität kann auch als Instrument
für ökonomische Effizienz verwendet werden. Tiefe Mobilität kann eine Verschwendung in-
dividueller Talente als Folge haben, da Individuen nicht an ihrer ökonomischen Leistung,
sondern an ihrem ökonomischen Status gemessen werden, was folglich zu einer nicht-
optimalen Allokation von Talenten und somit zu Ineffizienzen führen kann. ,,Aus ökonomi-
scher Sicht ist es [daher] sinnvoll, dass die fähigsten und talentiertesten Personen innerhalb
eines gegebenen Einkommensgefüges aufsteigen können und nicht durch ihre familiäre und
soziale Herkunft oder sonstige Faktoren, die mit der Leistungsfähigkeit dieser Personen nichts
zu tun haben, daran gehindert werden. Es geht hier darum, dass unter gegebenen Anreizkons-
tellationen knappe Ressourcen (Talente) gesellschaftlich den gewinnerbringendsten Einsatz
finden" (ebd., S. 10).
2.2
Einflussfaktoren intergenerationeller Einkommenstransmission
Um anhand des Konzepts der intergenerationellen Einkommensmobilität zu beurteilen, ob wir
in einer meritokratischen Gesellschaft leben, ist es zunächst unumgänglich die zugrunde lie-
genden Faktoren und Mechanismen zu verstehen, welche den ökonomischen Status eines In-
dividuums determinieren und die Ressourcen zu erfassen, welche von einer Generation auf
die nächste übertragen werden.
Das Leben eines Individuums wird zum einen durch das Umfeld, in welchem es auf-
wächst und zum anderen durch die Ressourcen, welche es von den Eltern erbt, geformt. Diese
Ressourcen, welche von einer Generation auf die nächste übertragen werden, stellen wichtige
Determinanten des ökonomischen Erfolges dar und umfassen ein breites Spektrum, welches
von der genetischen Ausstattung der Eltern bis hin zur Haushaltsstruktur reicht (OECD, 2007,
4
Der Gini-Koeffizient ist ein statistisches Mass zur Darstellung der Einkommensverteilung (Gabler Wirtschafts-
lexikon).
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S. 13f.). Über welche Kanäle die ,,Vererbung" dieser Ressourcen erfolgt und welche Auswir-
kung sie auf den Outcome zukünftiger Generationen haben, ist jedoch nicht eindeutig.
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Nebst
der Notwendigkeit diese Faktoren zu kennen, ist es somit auch wichtig zu verstehen, wie die-
ser ,,Transmissionsprozess" vor sich geht. Die meisten Ökonomen sind sich einig, dass die
intergenerationelle Transmission über drei verschiedene Kanäle erfolgt: Natur, Umfeld und
elterliche Humankapitalinvestitionen (Clark, S. 126f.). Über jeden dieser Kanäle werden zahl-
reiche Faktoren von einer Generation auf die nächste transferiert. Tabelle 1 stellt die drei
Transmissionsmechanismen in übersichtlicher Weise dar.
Der erste Kanal ist naturgesetzlich bestimmt und umfasst Ressourcen, welche in gewis-
sem Ausmass über die DNA von den Eltern auf die Kinder übertragen werden. Das bedeutet,
dass die Eltern im Gegensatz zum dritten Kanal, wo sie aktiv das zukünftige Einkommen ih-
rer Kinder beeinflussen können (indem sie Investitionen tätigen), keinen direkten Einfluss
darauf haben, welche Eigenschaften vererbt werden. Solche Ressourcen umfassen unter ande-
rem kognitive-Fähigkeiten (IQ), Aussehen, Geschlecht, Verhalten, Rasse und genetisch be-
dingte Krankheiten. Welcher Anteil des Zusammenhangs zwischen dem Einkommen der El-
tern und ihrer Kinder genetisch vererbten Eigenschaften zuzuschreiben ist, ist zwar bis heute
Gegenstand laufender empirischer Untersuchungen, jedoch gibt es bereits empirische Evi-
denz, dass die Genetik einen Einfluss auf die Leistung eines Individuums hat. Um ein Beispiel
zu nennen, behaupten Bowles und Gintis (2002a, 2002b), dass die Genetik zwar nur wenig
zur Intelligenz beiträgt, sie aber einen starken Einfluss auf die ökonomische Position eines
Individuums hat. Nimmt man demzufolge an, dass die Leistung eines Individuums teilweise
genetisch bedingt ist, so impliziert dies, dass der ökonomische Status eines Kindes in gewis-
sem Ausmass von der genetischen Ausstattung seiner Eltern abhängig ist und folglich immer
eine gewisse Korrelation zwischen dem Status der Elter und Kinder bestehen wird.
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Beispielsweise können intergenerationelle Transmissionen privat oder öffentlich (z.B. private vs. staatlich
finanzierte Bildung, Gesundheitssysteme), positiv oder negativ (z.B. Vererbung von Vermögen oder Werten vs.
Übermittlung sozialer Diskriminierung oder mangelnder Gesundheit) erfolgen (OECD, 2007, S. 13f.).
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Tabelle 1: Transmissionsmechanismen und Einflussfaktoren
Kanal
Abhängig von...
Einflussfaktoren
Natur (,,passiv")
Genetik (DNA), Biologie
kognitive Fähigkeiten (IQ),
Aussehen, Geschlecht, Ver-
halten, Rasse, Gesundheit
Umfeld
Soziales, institutionelles und
makroökonomisches Um-
feld, Haushaltsstruktur,
Nachbarschaft
Ethnische Zugehörigkeit,
Kultur, Religion, Werte,
Erziehung, elterliche Bil-
dung, Vermögen, soziales
Netzwerk, Anzahl Kinder,
Familienhierarchie
Elterliche Investitionen
(,,aktiv", ,,nutzenmaximie-
rend")
Investitionsneigung, Makro-
ökonomischem Umfeld (Ka-
pitalmärkten), Bildungsren-
diten, öffentlichen Bildungs-
investitionen, Einkommen,
Vermögen
Humankapital (Bildung),
Gesundheit, Nahrung
(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an OECD, 2007 S.12ff. und Clark, 2014, S. 126)
Das Umfeld, in dem ein Kind aufwächst, stellt den zweiten Kanal dar. Dieses wird durch eine
Grosszahl verschiedener Aspekte und Beziehungen bestimmt. Dabei spielen zum einen das
soziale Umfeld und zum anderen makroökonomische Zusammenhänge und die institutionelle
Landschaft (z.B. Progression eines politischen Systems) eines Landes eine grosse Rolle. Bei-
spielsweise hat Wirtschaftswachstum (als Folge zunehmender Produktivität) einen grossen
Effekt auf die intergenerationelle Mobilität, da es einen fundamentalen Einfluss auf die Löhne
und den Lebensstandard der Bürgerinnen und Bürger eines Landes hat. Wirtschaftswachstum
führt folglich zu steigender Wohlfahrt der Kinder unterster Einkommensschichten, ohne dass
es dabei zu einem sozialen Aufstieg kommen muss (OECD, 2007, S. 13). Ebenso können so-
ziale Indikatoren, wie ethnische Zugehörigkeit, Migrationshintergrund, Religion und soziales
Netzwerk eines Individuums oder die Haushaltsstruktur (z.B. Anzahl Kinder, Familienhierar-
chie, Bildung und Vermögen der Eltern) und Nachbarschaft, einen enormen Einfluss auf die
intergenerationelle Einkommensmobilität haben. Dabei wird in der Literatur meist suggeriert,
dass elterliche Bildung und Vermögen den grössten Beitrag zur intergenerationellen Trans-
mission von Einkommen leisten. Gebildete und vermögende Eltern scheinen mit höherer
Wahrscheinlichkeit Kinder mit hohen Einkommen zu haben als weniger vermögende Eltern
(Bowles und Gintis, 2002a, 2002b; Blanden, 2005).
Der dritte und letzte Kanal umfasst elterliche Investitionen in das Humankapital (Bil-
dung), Gesundheit und Ernährung der Kinder und ist umso einflussreicher, je höher die Ren-
diten dieser Investitionen sind. Dabei investieren Eltern in der Theorie so, dass deren eigener
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Nutzen maximiert wird. Sind beispielweise Bildungsrenditen einer Gesellschaft hoch, so wer-
den Eltern mehr Geld in die Ausbildung ihrer Kinder stecken und daher das zukünftige Ein-
kommen ihrer Kinder stark beeinflussen. Herrschen jedoch unvollständige Kapitalmärkte vor,
kann dies dazu führen, dass ,,Arme" nicht optimal investieren, da sie Kreditbeschränkungen
gegenüberstehen und folglich nicht genügend Geld aufnehmen können (Becker und Tomes,
1986).
6
Je stärker der Einfluss des dritten Kanales ist, umso stärker ist der Zusammenhang
zwischen dem Einkommen der Eltern und der Kinder (OECD, 2007, S. 16; Clark, S. 127f.).
Um die Frage zu beantworten, ob in unserem Gesellschaftssystem der ökonomische Er-
folg des Einzelnen auf seine individuellen Leistungen und Fähigkeiten zurückzuführen ist, ist
es in einem nächsten Schritt wichtig, die in Tabelle 1 aufgelisteten Einflussfaktoren in soge-
nannte leistungsrelevante und leistungsfremde Faktoren einzuteilen, da wir herausfinden
möchten, welcher Teil des Zusammenhangs zwischen dem Einkommen zweier Generationen
leistungsfremden Faktoren zuzuschreiben ist und somit nicht mit dem Prinzip der Meritokra-
tie übereinstimmt (Tabelle 2). Während leistungsrelevante Ressourcen (z.B. kognitive Fähig-
keiten) gemäss der Grundidee der Meritokratie soziale Ungleichheiten legitimieren, stellen
leistungsfremde bzw. askriptive Einflussfaktoren (z.B. soziale Herkunft oder Geschlecht) eine
Form von Diskriminierung dar und sind daher illegitim.
Tabelle 2: Leistungsrelevante und leistungsfremde Einflussfaktoren
Leistungsrelevante Fak-
toren (,,legitim")
kognitive Fähigkeiten (IQ), Verhalten, Bildung, Erziehung,
soziales Kapital (z.B. soziales Netzwerk), Gesundheit, Ernäh-
rung
Leistungsfremde Fak-
toren (,,illegitim")
Ethnische Zugehörigkeit, Kultur, Religion, Werte, elterliche
Bildung, Vermögen, soziales Kapital, Aussehen, Rasse
(Quelle: Eigene Darstellung anhand Tabelle 1
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)
Anhand dieser Unterteilung kann gezeigt werden, dass perfekte Chancengleichheit keine per-
fekt mobile Gesellschaft unterstellt, wenn man davon ausgeht, dass gewisse Faktoren angebo-
ren bzw. zugeschrieben sind. Roemer (2004) meint, dass Chancengleichheit kombiniert mit
perfekter Mobilität implizieren würde, dass nicht nur soziale und kulturelle Einflussfaktoren,
sondern auch die Genetik keinen Einfluss auf den ökonomischen Status eines Individuums
haben dürfte. Somit ist eine intergenerationelle Einkommenskorrelation von Null praktisch
undenkbar, da diese einen Eingriff in die menschliche Natur erfordern würde. Ist nämlich die
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Siehe diesbezüglich Abschnitt 2.3.1 ,,Modell von Becker und Tomes".
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Diese Unterteilung ist nicht eindeutig und wurde nach eigenem Ermessen vorgenommen.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2014
- ISBN (eBook)
- 9783958208360
- ISBN (Paperback)
- 9783958203365
- Dateigröße
- 934 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Universität Basel
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Oktober)
- Schlagworte
- intergenerationelle einkommensmobilität meritokratie schweiz leben gesellschaft
- Produktsicherheit
- BACHELOR + MASTER Publishing