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Berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung

©2016 Hausarbeit 28 Seiten

Zusammenfassung

Die vorliegende Arbeit setzt sich in den Grundzügen mit der Frage auseinander, ob und inwieweit Menschen mit Behinderung eine staatliche Förderung zur Selbstbestimmung im Arbeitsleben zu Teil wird. Zudem liegt der Analyseschwerpunkt auf der Umsetzung einer gleichberechtigten Teilhabe im Rahmen der Erwerbsarbeit auf dem ersten und zweiten Arbeitsmarkt. Des Weiteren soll ausgehend von den allseits anerkannten Grund- und Menschenrechten auf der Basis der nationalen sowie internationalen Gesetzgebung im Verlauf dieser Arbeit geklärt werden, welche individuellen und gesellschaftlichen Verpflichtungen sowohl die Arbeitgeber als auch den Sozialstaat treffen und wie bzw. ob beeinträchtigte Menschen dadurch eine Aufwertung erfahren.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


3
B. Definitionen
Um in weiterer Folge ein einheitliches Verständnis der verwendeten Begriffe zu bekommen,
werden die wichtigsten Definitionen angeführt. Zuallererst gilt es den Begriff der Diskriminierung
näher zu erläutern, da diesem im Lichte der Teilhabe von Menschen mit Behinderung eine aus-
schlaggebende Rolle zukommt. Im Anschluss werden der omnipräsente Begriff der Behinderung,
sowie die Teilhabe, als auch die Erwerbsarbeit näher beleuchtet.
I. Diskriminierung
,,Das Wort >diskriminieren< bedeutet seinem lateinischen Ursprung entsprechend zunächst nichts
anderes als unterscheiden. In politischen und rechtlichen Kontexten ist der Begriff Diskriminierung
jedoch untrennbar mit Benachteiligung, Ungleichbehandlung und Herabwürdigung verbunden."
7
Dem lateinisch verorteten Ursprung kann das Wort ,,Diskriminieren" in Bezug auf das Thema: Men-
schen mit Behinderung, als universell verstanden werden. Denn unter einer Behinderung wird zu-
nächst laut Legaldefinition in § 2 SGB
eine Normabweichung vom ,,für das Lebensalter typischen
Zustand" verstanden. Zudem setzt der Gesetzgeber in dem benannten Paragraphen voraus, dass
diese Abweichung untrennbar mit der Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft
verbunden sein muss. Daraus folgt, dass eine Behinderung stets mit einer Benachteiligung bzw. Un-
gleichbehandlung verbunden ist. Somit ist Diskriminierung nur schwer trennbar vom Begriff der
Behinderung. Das kann als Grund dafür gesehen werden, dass der Gesetzgeber den Artikel 3 des
Grundgesetztes am 30. Juni 1994 wie folgt erweiterte: ,,Niemand darf wegen seiner Behinderung
benachteiligt werden."
8
Im Grundgesetz wurde damit erstmalig die besondere Situation von Menschen mit Behinde-
rungen in den Blick genommen und ihnen somit ein eindeutiger Schutz vor Diskriminierung gewährt.
Folgerichtig fand das Verbot der Benachteiligung von Menschen mit Behinderung auch im Rahmen
der internationalen Antidiskriminerungsgesetzgebung im neugeschaffenen Allgemeinen Gleichbe-
handlungsgesetz eine national formell gesetzliche Verortung.
,,Sinn und Zweck dieser geschaffenen Spezialgesetzgebung ist vor allem die Prävention von Diskriminierung durch
Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, hin zu einem toleranten von gegenseitigem Respekt und Chan-
cengleichheit geprägten Miteinander."
9
Auf relevante Einzelnormen und Bestimmungen des AGG, in Zusammenhang mit der Teilhabe für
Menschen mit Behinderung, wird im Verlauf der Arbeit noch näher Bezug genommen.
7
Graumann, Assistierte Freiheit, S. 11
8
Detterbeck, Basistexte Öffentliches Recht, S. 5
9
Nollert-Borasio & Perreng, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, S. 7

4
II. Behinderung
Was eine Behinderung im Sinne des Sozialgesetzes darstellt ist in § 2 Abs.1 Satz 1 SGB
legal defi-
niert und wurde bereits unter dem Gesichtspunkt der Erläuterung zum Begriff Diskriminierung kurz
angerissen. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit
oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das
Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft be-
einträchtig ist.
Der Ausdruck der Behinderung, stellt dabei nicht nur primär auf geistige oder körperliche
Hemmnisse als persönliche Eigenschaften ab, sondern wird vielmehr als ein soziales Verhältnis zwi-
schen behindertem Menschen und Umwelt verstanden. Dabei liegt der Schwerpunkt der Definition
auf der Teilhabestörung, nicht auf der Schwere der gesundheitlichen Beeinträchtigung. Dies wird
unter anderem auch daran deutlich, dass der Gesetzgeber gemäß der Formulierung des § 4 Abs. 1
Nr. 1 SGB
die Behinderung nicht als unaufhebbares Schicksal begreift, sondern grundsätzlich als
zu beseitigende Teilhabebeeinträchtigung ansieht. Auf der Grundlage dieser Annahme stellt die
gleichberechtigte, von Benachteiligungen freie Teilhabeverwirklichung, sowie Selbstbestimmung
auch das grundlegende Ziel des SGB
dar.
III. Teilhabe
Auf die Wendung der Teilhabe von Menschen mit Behinderung, wird sich im Rahmen dieser Hausar-
beit immer wieder allumfassend bezogen, daher Bedarf diese ebenfalls der Definition.
,,Der Teilhabebegriff, den das SGB verwendet, hat den früheren Begriff der Eingliederung abgelöst. Denn
während der Teilhabebegriff indiziert, dass behinderte und nichtbehinderte Menschen gleichwertige Mitglieder
der Gesellschaft darstellen, stellte der Begriff der Eingliederung noch darauf ab, dass sich Menschen mit Behinde-
rung an den nichtbehinderten Teil der Gesellschaft anzupassen haben."
10
Teilhabe umschreibt ein Recht an Beteiligung, an Mitwirkung ohne jegliche Herabwürdigung oder
Ungleichbehandlung im negativen Sinne. Die Teilhabe ist zudem neben der Rehabilitation der zent-
rale Begriff im SGB
, welcher unter anderem entscheidend dazu mitwirkt, dass die internationale
Behindertenrechtskonvention im deutschen Recht Umsetzung findet.
Zudem sei als besonderer Bestandteil der Sozialgesetzgebung das Selbstbestimmungsrecht
zu nennen, welches untrennbar mit dem vorher genannten Begriff der Teilhabe verbunden ist. Dabei
verdienen im Lichte des selbstbestimmten Handelns, die sozialrechtlichen Errungenschaften des
,,persönliche Budget", sowie der ,,persönlichen Assistenz" eine besondere Erwähnung. Aufgrund
dessen, werden diese im Folgenden kurz umrissen.
10
Winkler, Die Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben, S. 20

5
1. ,,persönliches Budget"
Das persönliche Budget ist in § 17 Abs.2 bis 6 SGB
geregelt und umschreibt den Anspruch der
Leistungsberechtigten, Leistungen zur Teilhabe auch durch ein persönliches Budget zu beziehen, um
so in eigener Verantwortung ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen zu können. Dieses er-
scheint grade unter dem Gesichtspunkt der permanenten Bevormundung durch familiäre und pro-
fessionelle Betreuung von eingeschränkt agierenden Individuen als eine unschätzbare Errungen-
schaft auf dem Weg zu eigenmächtigem Handeln. Das persönliche Budget ermöglicht es dem Men-
schen mit Behinderung, sowohl als direkter Kunde gegenüber den Werkstätten für behinderte Men-
schen aufzutreten und ihre Leistungen der Eingliederungshilfe in Anspruch zu nehmen, als auch als
Arbeitgeber von persönlichen Assistenten mit deren Hilfe auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu
agieren. Somit steht es den Menschen mit Behinderung frei, einen beruflichen Weg in Anbetracht
eigener Fertigkeiten und Fähigkeiten zu wählen.
11
2. ,,persönliche Assistenz"
Körperbehinderte Menschen wollen so leben wie es die restliche Gesellschaft tut, was jedoch auf-
grund ihrer Einschränkung oft nur mit Hilfe von Unterstützung möglich ist. Die UN-
Behindertenrechtskonvention besagt im Art. 19, dass alle Menschen mit Behinderung das Recht
haben unter anderem mit Persönlicher Assistenz zu leben.
12
Unter persönlicher Assistenz wird die Hilfestellung zur Bewältigung des alltäglichen Lebens
verstanden. Persönliche Assistenz dient dabei dazu, die Fremdbestimmung möglichst zu reduzieren
und auch schwerbehinderten Menschen ein eigenständiges Leben zu ermöglichen. Ausschlaggebend
ist nach Auffassung von Jasmina Hackl, dass der Assistenznehmer eigenverantwortlich entscheiden
kann, wann, wo und wie Hilfe benötigt wird. Dabei führt Frau Hackl aus, dass sich Art, Umfang und
Inhalt der Hilfeleistung durch einen Assistenten nach dem individuellen Bedarf und der jeweiligen
Lebenssituation der Assistenznehmer richtet. Der Hauptgedanke bei dieser Art der Förderung sei,
dass Persönliche Assistenten die körperliche Beeinträchtigung, zum Beispiel die der Motorik, eines
behinderten Menschen ausgleichen sollen, um diesem somit ein Stückweit mehr Selbstbestimmung
und damit die Chance auf mehr Teilhabe zu ermöglichen. Der Begriff ,,persönlich" solle dabei ver-
deutlichen, dass die Assistenz sich an den Bedürfnissen der behinderten Person auszurichten hat
und an deren Vorstellung vom Leben.
13
11
Vgl.
Schüler, Arbeit für alle?!, S. 21
12
Bundesgesetzblatt, Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung,
http://www.un.org/depts/german/uebereinkommen/ar61106-dbgbl.pdf, zuletzt aufgerufen am 11.03.2016
um 18:28 Uhr
13
Vgl. Hackl, Persönliche Assistenz und Lebensqualität bei körperlicher Behinderung, S. 3

6
Grade persönliche Assistenz trägt dazu bei, dass behinderte Menschen verstärkt in der Öf-
fentlichkeit wahrgenommen werden und zum Erscheinungsbild einer ,,gesunden" Gesellschaft gehö-
ren. Für besonders betroffene schwerbehinderte Menschen ist eine dauerhafte Teilhabe am Arbeits-
leben oft nur erreichbar, wenn ausbildungs- oder berufsbegleitende persönliche Hilfen, eine soge-
nannte Arbeitsassistenz, zur Verfügung stehen. Arbeitsassistenten können beispielsweise Vorlese-
kräfte für sehbehinderte und blinde Menschen sein, aber auch anderweitige Hilfestellungen zur
Ausübung der Beschäftigung geben. In diesem Zusammenhang stellen die Hilfen im Rahmen der
Arbeitsassistenz für die schwerbehinderten Menschen einen wichtigen Schritt dar.
IV.
Erwerbsarbeit
Erwerbsarbeit ist bedeutend für die soziale Anerkennung und somit für die Stellung der eigenen
Rolle in der Gesellschaft.
14
Was Erwerbsarbeit aus macht und wofür Erwerbsarbeit steht, gilt es ihm
Folgenden zu klären.
Die Begriffserklärung, welche der Soziologe Bernd Schäfers entscheidend geprägt hat, defi-
niert Arbeit als eine zielgerichtete, planmäßige, menschliche Tätigkeit, die unter Einsatz physischer,
psychischer und mentaler Fähigkeit und Fertigkeiten erfolgt.
15
Erwerbsarbeit im Speziellen bezeich-
net Arbeit unter vertraglichen Bedingungen, zu welcher eine materielle Entlohnung gehört. Dies
unterscheidet sie von der Reproduktions- und Hausarbeit, welche gesellschaftlich lediglich einen
untergeordneten Status genießt. Gekennzeichnet ist die Erwerbsarbeit als das Mittel, durch das die
große Mehrheit der Menschen ihren Lebensunterhalt verdient. Daher sollte der Begriff Erwerbsar-
beit im Fall der Werkstatt für behinderte Menschen kritisch hinterfragt werden, da diese Form der
,,Arbeit" weder primär diesem Zweck dient, noch dazu im Stande scheint den Lebensunterhalt de-
cken zu können. Dies wird bereits deutlich, wenn man die Höhe des Entgelts betrachtet, welches
Werkstattbeschäftigte erhalten: ,,So betragen im Westen der Bundesrepublik Deutschland die Ent-
gelte in den Werkstätten für behinderte Menschen (im Folgenden mit WfbM abgekürzt) ca. 8,5 %
der durchschnittlichen Nettolöhne und im östlichen Teil der Bundesrepublik nur ca. 7% der Löhne."
16
Zur näheren Aufschlüsselung der Bezüge wird im Verlauf der Arbeit noch Stellung genom-
men. Durch die fehlende ökonomische Möglichkeit kann durch die Beschäftigung in einer WfbM kein
oder nur ein geringer sozialer Status erreicht werden, wodurch diese gesellschaftlich eher auf die
Stufe von Hausarbeit abgewertet wird. Somit ist die Bezeichnung der Erwerbsarbeit für Menschen
mit Behinderung, welche in einer entsprechenden Werkstatt tätig sind, eher inadäquat und sollte
eher mit dem Begriff der Eingliederungshilfe umschrieben werden.
14
Vgl. Schüler, Arbeit für alle?!, S. 1
15
Vgl. Schäfers, Grundbegriffe der Soziologie, S. 22
16
Schüler, Arbeit für alle?!, S. 2

7
C. Arbeitsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung
Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten für Menschen mit geistiger oder körperlicher (Schwer)-
Behinderung. Zum einen haben Menschen, die wegen der Schwere ihrer Behinderung nicht auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können, sofern sie die Voraussetzungen des § 136
Abs. 2 SGB
erfüllen, einen Anspruch auf die Aufnahme in eine Werkstatt für behinderte Men-
schen. Zum anderen können diese sofern ihre Fertigkeiten und Fähigkeiten dies erlauben, bei Bedarf
auch unter Mithilfe von persönlicher (Arbeits-)Assistenz eine Beschäftigung auf dem ersten Arbeits-
markt aufnehmen. Zu beiden Varianten und ihren Besonderheiten bezogen auf die Teilhabemöglich-
keiten für Menschen mit Behinderung wird im Folgenden Stellung genommen.
I.
Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM)
Der Begriff und die Aufgaben der Werkstätten für Menschen mit Behinderung ist in § 136 SGB
gesetzlich normiert.
Darin heißt es die WfbM sei eine Einrichtung zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeits-
leben, welche durch ihre körperlichen oder geistigen Beeinträchtigen gehemmt sind auf dem allge-
meinen Arbeitsmarkt beschäftigt zu werden. Daher sei die WfbM dazu angehalten, den behinderten
Menschen eine angemessene berufliche Bildung, sowie eine ihren Leistungen angemessen entlohnte
Beschäftigung anzubieten und deren Leistungs-/Erwerbstätigkeit zu erhalten, zu entwickeln, zu er-
höhen sowie dabei ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln.
,,Die Förderung der Eingliederung und Teilhabe schwerbehinderter Menschen i.S.d. SGB, berücksichtigt auch
diejenigen, welche wegen der Art oder Schwere ihrer Behinderung trotz aller technischen, personellen und finan-
ziellen Hilfen nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden
können und daher zu ihrer Eingliederung in das Arbeitsleben auf besondere Einrichtungen, wie die Werkstätten
für behinderte Menschen angewiesen sind."
17
In Deutschland ist noch vor dem in Kraft treten des SGB, bereits Anfang der 70er Jahre, ein
Netz von leistungsfähiger Werkstätten für behinderte Menschen geschaffen worden. Heute existie-
ren laut statistischem Bundesamt 2705 amtlich anerkannte Einrichtungen dieser Art mit wiederum
306.216 behinderten Beschäftigten (Stand, Oktober 2015).
18
Dort werden in der Regel schwerbehinderte Menschen beschäftigt, die auf Grund ihrer Be-
hinderung nur mit einem geringen Arbeitsleistungsvermögen ausgestattet sind. Um dieser Gegeben-
heit gerecht zu werden, sieht sich die Gesetzgebung in der Pflicht tätig zu werden. Somit greift die
17
Cramer, Werkstätten für behinderte Menschen, S. 39
18
REHADAT-Statistik, Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen,
http://www.rehadat-statistik.de/de/berufliche-teilhabe/WfbM/BAG_WfbM/index.html, zuletzt aufgerufen am
11.03.2016 um 12:34Uhr

8
staatliche Förderung ein, um den schwerbehinderten Menschen eine annähernde Chancengleichheit
zu gewährleisten. Dies erscheint dem Gesetzgeber notwendig, da dieser Personengruppe nicht die
Möglichkeit zuteilwird, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, in Betrieben oder Verwaltungen, wirt-
schaftlich rentabel beschäftigt zu werden. Demzufolge ist daraus der Schluss zu ziehen, dass diese
Personen auf den Erwerb einer ihrer Behinderung angepassten, behinderungsgerechten Beschäfti-
gung angewiesen sind. Die WfbM gewährleistet, dass die Beschäftigung unter Anleitung, Betreuung
und Förderung durch qualifiziertes Fachpersonal in besonders ,,geschützten" Einrichtungen erfolgt.
19
Dabei sind die Arbeitsbereiche in der WfbM vielseitig. Als typisch gelten Tätigkeiten der Montage,
Verpackung, sowie Druck, aber auch Holzverarbeitung und Landschaftspflege. Zudem wird den
Werkstattbeschäftigten der Küchenservice in Großküchen und die Mitarbeit in Wäschereien ermög-
licht.
20
Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass es sich im Regelfall um standardisierte (Mas-
sen)-Fertigung, sowie banale Handreiche handelt, welche sich zumeist im Sinne des Taylorismus
durch die Trennung von Hand- und Kopfarbeit auszeichnen. In den Prinzipien des Scientific Ma-
nagement stellte F.W. Taylor bereits 1919 die These auf, dass sich ,,geistig tiefstehende Arbeiter" am
besten für einförmige Arbeiten eignen würden.
Entgegen der von Taylor vertretenden Position, stellt der Teilhabegedanke des SGB
in
Bezug auf die WfbM eher auf den Fördergedanken ab und lässt den rentableren Rationalitätsansatz
zugunsten der Antidiskriminierung und Menschenwürde in den Hintergrund treten. Daher darf in
die Beurteilung der Werkstattfähigkeit vor Aufnahme eines schwerbehinderten Beschäftigten und
die Berechnung seiner Entlohnung nicht die betriebswirtschaftliche Kalkulation vom Verhältnis des
Arbeitsergebnisses zum Personalaufwand mit einfließen.
Demzufolge sollte auch die Arbeitsplatzbesetzung nicht auf Gewinnerzielung und Effizienz
ausgerichtet werden, sondern je nach Leistungsfähigkeit des Beschäftigten dessen Bedürfnissen
angepasst werden, um dem Entwicklungsauftrag in bestmöglicher Weise nachzukommen.
I.
Rechtliche Rahmenbedingungen der WfbM
Im Volksmund gelten ,,Behindertenwerkstätten" pessimistisch betrachtet als Verwahrungsanstalten,
als Orte der Beschäftigungstherapie für Menschen denen ein Zugang auf den ersten Arbeitsmarkt
durch ein geistiges oder körperliches Defizit verwehrt bleibt. Ohne eigenes Verschulden finden sich
Betroffene und Angehörige ihrer Ansicht nach oft in einer Art gefühlter Ohnmachtsstellung wieder,
die es auf Grund bürokratischer Hürde nicht erlaubt, den vom Gesetzgeber vorgezeichneten Le-
19
Cramer, Werkstätten für behinderte Menschen, Vorwort
20
Cramer, Werkstätten für behinderte Menschen, S. 11

9
bensweg nachhaltig zu beeinflussen. Zu hinterfragen ist daher, ob sich diese gesellschaftliche Wahr-
nehmung anhand von durch den Gesetzgeber geschaffenen Fakten belegen oder entkräften lässt.
Erst einmal sein daher auf § 10 des ersten Buches der Sozialgesetzte verwiesen, welcher den behin-
derten Menschen ein Recht zur Hilfe auf eine gleichberechtigte Teilhabe einräumt, indem der Ge-
setzgeber dazu anhält, ihre Entwicklung zu fördern um ihnen eine selbstständige und selbstbestimm-
te Lebensführung zu ermöglichen. Zudem wird sich dafür ausgesprochen Benachteiligungen auf
Grund der Behinderung entgegenzuwirken.
Der Bezug des §10 Nr.3 SGB welcher den Menschen mit Behinderung einen ihren Neigun-
gen und Fähigkeiten entsprechenden Platz im Arbeitsleben zusichert, verweist mitunter auf die
grundgesetzlich verorteten Rechte aus Art. 3,12,2,1 GG. Dies verdeutlicht, dass das SGB zwar le-
diglich die allgemeinen Rahmenrichtlinien des Sozialrechts aufzeigt und eher überobligatorische
Programmsätze darstellt, dennoch gilt es als ,,konkretisiertes Verfassungsrecht, dessen Umsetzung
als staatliche Aufgabe zu verstehen ist."
21
Für die These der ,,Verwahranstalt" ohne ausreichende Teilhabe spricht die Tatsache, dass
Menschen mit Behinderung, welche in entsprechenden Werkstätten tätig sind, lediglich als Arbeit-
nehmerähnliche Personen gelten.
,,Die Abgrenzung zwischen einem Arbeitnehmer und einem arbeitnehmerähnlich Beschäftigten in einer Werk-
statt für behinderte Menschen wird im Einzelfall daran zu messen sein, ob das wirtschaftliche Ergebnis der Arbeit
oder der therapeutische Effekt im Vordergrund stehen"
22
Zu erwähnen sei aber entgegen dieser negativierten Darstellung, dass der rechtliche Status der An-
stellung eine untergeordnete Rolle spielt, da auch dieser Status als arbeitnehmerähnliche Person
suggeriert, dass nahezu alle arbeitsrechtlichen und arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften und
Grundsätze wie für Arbeitnehmer unmittelbare Anwendung finden.
,,Die Rechtsstellung eines behinderten Menschen wird damit Arbeitnehmern soweit angegli-
chen wie es mit dem Rehabilitationsauftrag der WfbM vereinbar ist."
23
Zudem sei erwähnt das
Rechtsstreitigkeiten mit den WfbM gemäß § 2 Abs.1 Nr. 10 ArbGG in die Zuständigkeit der Arbeits-
gerichtsbarkeit fallen. Dies soll mitunter dazu beitragen eine möglichst gleiche Behandlung von
Menschen mit Behinderung in Werkstätten und Arbeitnehmern des ersten Arbeitsmarktes zu ge-
wehrleisten.
24
Es existiert zwar ein Rechtsanspruch für die Beschäftigung und den Verbleib von Menschen
mit Behinderung in der WfbM aus §§ 136 Abs. 2 i.V.m. 137 Abs. 2 SGB
, dennoch gelten auch
Aufnahmegrenzen, welche in § 136 Abs. 2 SGB
geregelt sind. Danach bleibt Menschen mit Be-
21
Vgl. Winkler, Die Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben, S. 18
22
BeckOK SozR/Jabben SGB IX § 138 Rn. 5-6
23
BeckOK SozR/Jabben SGB IX § 138 Rn. 5-6
24
Vgl. Cramer, Werkstätten für behinderte Menschen, S. 24

10
hinderung, welche nicht im Stande sind ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung
zu erbringen, der Zugang zur Arbeit in der Einrichtung verwehrt.
,,Doch auch diejenigen behinderten Menschen, die diese Anforderungen nicht erfüllen, gelten nicht als Ausge-
stoßene oder von der Teilhabe Ausgeschlossene, sondern sollen gemäß § 136 Abs.3 SGB in Tagesförderstät-
ten betreut werden, die an die Werkstätten angegliedert sind, so dass auch für diese Personen eine gewisse Ar-
beitsnähe im Tagesablauf realisiert wird."
25
Der Würde jedes Einzelnen ist zudem unabdingbar, dass ein Anspruch auf einen leistungsangemes-
senen Lohn besteht welcher in § 138 Abs. 2 SGB
Erwähnung findet.
Die Menschen mit Behinderung erhalten aus ihrem Arbeitsergebnis ein Arbeitsentgelt, dass
sich nach § 138 Abs. 2 SGB
aus dem Betrag des Ausbildungsgeldes nach dem SGB und einem
Steigerungsbetrag zusammensetzt, der sich nach der individuellen Arbeitsleistung bemisst. Da aus
dem Arbeitsergebnis, der nur gering leistungsfähigen behinderten Menschen, allerdings kein Le-
bensunterhalt deckender Lohn zu erwirtschaften ist, muss dieses Entgelt durch ein Arbeitsförder-
geld, welches im § 43 SGB
verankert ist, soweit aufgestockt werden, dass in möglichst vielen
Fällen ohne weitere Hilfen das Existenzminimum erreicht wird.
26
Diese Gegebenheit und die Tatsache, dass die Beschäftigung von schwerbehinderten Men-
schen in Werkstätten als geschlossenes System gilt, welches einer gleichberechtigten Integration in
ihre nicht von Behinderung betroffene Umwelt entgegensteht, legt nahe, dass dies nicht das erstre-
benswerte Ziel zur Teilhabe darstellen kann. Denn Teilhabe bedeutet nicht nur die Deckung von phy-
siologischen und Sicherheitsbedürfnissen, sondern auch gesellschaftliche Integration ohne Aus-
schluss sowie eine Form der Wertschätzung. Wie schon die bekannte Maslowsche Theorie vom Defi-
zitprinzip überzeugend erläutert, streben Menschen generell danach, einen Mangelzustand an unbe-
friedigten Bedürfnissen zu beseitigen. Menschen mit Behinderung stellen dabei keine Ausnahme
dar. Folgt man der Bedürfnistheorie von Maslow, welche fünf Klassen von Bedürfnissen nach ihrer
Dinglichkeit hierarchisch ordnet, stellt man fest, dass sich zwar um die vollständige Deckung selbiger
in den Einrichtungen der WfbM bemüht wird, diese aber nur schwerlich zu erreichen sind. Es ist
dennoch anzuerkennen, dass die Beschäftigung in speziellen Werkstätten es schafft, dem Mitarbei-
ter mit Behinderung sowohl dem elementaren Verlangen nach Essen, Trinken, Kleidung und einer
Wohnung beizukommen, als auch das Schutzverlangen vor unvorhersehbaren Ereignissen des Le-
bens durch die soziale Absicherung zu gewährleisten. Denn behinderte Menschen, welche in aner-
kannten Werkstätten beschäftigt sind, werden in der gesetzlichen Kranken-, der Sozialen Pflege-,
der gesetzlichen Renten- und gesetzlichen Unfallversicherung versichert.
27
25
Welti, Behinderung und Rehabilitation im sozialen Rechtsstaat, S. 714
26
Vgl. Welti, Behinderung und Rehabilitation im sozialen Rechtsstaat, S. 715
27
Vgl. Cramer, Werkstätten für behinderte Menschen, S. 44

11
Dem sozialen Bedürfnis von Menschen mit Behinderung kann nur zum Teil entsprochen
werden, da das Streben nach Gemeinschaft, Zusammengehörigkeit und befriedigenden sozialen
Kontakten lediglich im geschlossenen Kreis ausgelebt werden kann und eine Integration bzw. Inklu-
sion in ein nicht von Behinderungen geprägtes Arbeitsumfeld quasi nicht stattfindet. Hingegen dem
Wertschätzungsbedürfnis kann mitunter durch die Interessenvertretung in Form eines Werkstattra-
tes entsprochen werden. Das Wertschätzungsbedürfnis spiegelt in der Maslowschen Bedürfnispyra-
mide den Wunsch nach Anerkennung und Achtung wieder.
28
Dieser Wunsch bezieht sich sowohl auf
Selbstachtung als auch auf Selbstvertrauen. Es liegt nah, das diesem Bedürfnis in einem geschlosse-
nem System wie dem der WfbM zumindest bezogen auf Selbstwahrnehmung der behinderten Men-
schen eher entsprochen werden kann, als bei der Konfrontationserfahrung unter konkurrierenden
Wettbewerbsverhältnissen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die Anerkennung des Arbeitsergeb-
nisses von Beschäftigten mit Minderleistungsvermögen kann in der auf Rationalität und Effizienz
bedachten Privatwirtschaft nicht so gewährleistet werden, wie in speziell dafür ausgerichteten För-
dereinrichtungen. Daher stellen die Förderbedingungen in der WfbM einen Zugewinn für die Selbst-
achtung und das Selbstvertrauen der Beschäftigten mit Behinderung dar. Demnach spricht auch
gegen die Anfangs erwähnte provokante Behauptung der ,,Verwahranstalten zur Ausübung einer
sinnfreien Beschäftigungstherapie" die Tatsache, dass nach § 139 SGB für den behinderten
Beschäftigten eine Interessenvertretung in Form eines Werkstattrates zu gewährleisten ist. Dieser
gibt den von Behinderung betroffenen Beschäftigten die Möglichkeit, in den ihre Interessen berüh-
renden Angelegenheiten unabhängig von ihrer Geschäftsfähigkeit mitzuwirken. Dies wiederum lässt
der Selbstachtung der behinderten Menschen eine gewisse Anerkennung zuteilwerden und ist zu-
dem für die Gleichstellung mit nicht behinderten Arbeitnehmern sehr förderlich.
Das größte Defizit stellt allerdings im Rahmen des Werkstättenförderprogramms die Reali-
sierung der Selbstverwirklichungsbedürfnisse dar, welche auf das Streben nach Unabhängigkeit und
Entfaltung der eigenen Persönlichkeit abstellt.
29
Dies scheint ohnehin für durch eine Behinderung
beeinträchtigte Menschen ohne Hilfe nur schwerlich realisierbar, doch in den Einrichtungen der
WfbM wirkt es nahezu utopisch und kann allenfalls durch einen Wechsel auf den ersten Arbeits-
markt (auch unter Zuhilfenahme einer Arbeitsassistenz und/oder dem persönlichen Budget) verwirk-
licht werden. Zusammenfassend bleibt daher festzustellen, dass Werkstätten für Menschen mit Be-
hinderung mehr sind als reine Verwahranstalten. Sie stellen vielmehr eine Möglichkeit der Bedarfs-
deckung und Teilhabe am Arbeitsleben dar, welche in den Grundzügen annähernd vergleichbar
scheint mit dem allgemeinen Arbeitsmarkt, auf den sie vorbereiten sollen.
28
Schreyögg, Grundlagen der Organisation S. 120
29
Schreyögg, Grundlagen der Organisation S. 120

12
II.
Zugang zum ersten Arbeitsmarkt
Das neunte Sozialgesetzbuch umfasst explizit auch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, welche
in § 33 Abs. 1 näher als Zielvorstellungen umschrieben werden. Darin heißt es, dass die erforderli-
chen Leistungen erbracht werden, um Erwerbstätigkeit behinderter Menschen möglichst auf Dauer
zu sichern.
,,Schon die Bezugnahme auf die Erwerbsfähigkeit zeigt, dass das SGB
nicht irgendeine Beschäfti-
gung für behinderte Menschen zum Ziel hat, sondern eine, durch die der Betroffene seinen Lebensun-
terhalt verdienen kann. Eingliederung in das Arbeitsleben meint daher primär die Eingliederung in den
ersten Arbeitsmarkt."
30
Der Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt führt unabhängig vom Status der Behinderung wie ge-
wöhnlich über das Einstellungsverfahren. Da in anderen Bereichen des Arbeitsrechts bereits zahlrei-
che Sonderregelungen in Bezug auf das Frage- und Anfechtungsrecht des Arbeitgebers bekannt sind,
sei hierauf ein besonderes Augenmerk gelegt. Dieser Aspekt ist besonders zu berücksichtigen, da
eine Benachteiligung im Auswahlprozess ausschlaggebend für die Teilhabe von Menschen mit Be-
hinderung am Arbeitsleben ist. Aufgrund der zahlreichen Verpflichtungen, welchen den Arbeitgeber
im Rahmen des Schwerbehindertenrechts treffen, wurde beim Fragerecht vormals stets unterschie-
den zwischen dem Status der Behinderung und dem davon abzugrenzenden der Schwerbehinde-
rung.
Nach der Körperbehinderung durfte und darf demnach laut Literatur und Rechtsprechung
nur gefragt werden, wenn das Fehlen der Behinderung eine wesentliche und entscheidende berufli-
che Anforderung ist, vgl. § 8 Abs. 1 AGG. Hingegen durfte nach der Schwerbehinderteneigenschaft
bis dato uneingeschränkt gefragt werden, weil das Schwerbehindertenrecht ( §§ 68ff. SGB
) den
Arbeitgeber anders als bei der Schwangerschaft (welche bekanntlich lediglich einen vorübergehen-
den Zustand der Einschränkung bedeutet) auf Dauer in besonderer Weise verpflichtet, was zu nicht
unerheblichen Belastungen führen kann. Die Autoren Dr. Wilhelm Dütz und Dr. Gregor Thüsing sind
demnach der Ansicht, dass daran wohl angesichts Art. 3 Abs. 3 S.2 GG, § 81 Abs.2 SGB
und vor
allem §§ 7 Abs.1, 1 AGG nicht festgehalten werden kann, da diese das Verbot der Benachteiligung
von Menschen mit Behinderung explizit gesetzlich festschreiben. Zulässig ist die Frage nach der
Schwerbehinderteneigenschaft daher nur noch, wenn deren Fehlen eine wesentliche und entschei-
dende berufliche Anforderung für die Tätigkeit ist (§ 8 Abs.1 AGG).
31
Dies zeigt auch der § 32 Abs.1
Satz 1 BDSG auf, welcher darauf abstellt, dass personenbezogene Daten nur erhoben werden dür-
fen, wenn diese für die Begründung oder Durchführung des Beschäftigungsverhältnis erforderlich
30
Winkler, Die Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben, S. 49
31
Vgl. Dütz Thüsing, Arbeitsrecht, S. 46

13
sind. Angesichts der gesetzlichen Schutzabsicht gegen die Diskriminierung von Minderheiten, wäre
ein ausgedehntes Fragerecht eher suboptimal.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Arbeitnehmer nur dann auf ihre Behinderung hin-
weisen müssen, wenn Sie ihretwegen die Arbeit nicht ausführen können. Denn die vor der Einstel-
lung gestellte Frage des Arbeitgebers, ist nach aktueller Rechtslage unzulässig, wenngleich in der
Literatur konträre Auffassungen vertreten werden.
Der Grund, aus dem die Rechtsprechung diese Auffassung vertritt, liegt in der möglichen Be-
nachteiligung des schwerbehinderten Menschen bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses wegen
seiner Behinderung, welche bekanntlich sowohl der nationalen Antidiskriminierungsrichtlinien in
Form des Allgemeinen Geleichbehandlungsgesetzes wiedersprechen würde, als auch der internatio-
nalen Richtlinie der UN-Behindertenrechtskonvention. Demnach darf der Arbeitgeber erst nachdem
der Arbeitsvertrag abgeschlossen ist, nach einer anerkannten Schwerbehinderung fragen; in diesem
Fall muss die Frage auch wahrheitsgemäß beantwortet werden.
32
Gegen den Willen des Behinderten darf er die Offenbarung der Behinderung prinzipiell nicht
verlangen. Nach Auffassung des BAG, unterliegt der Behinderte ohnehin der Offenbarungspflicht,
wenn er weiß, dass er aufgrund seiner Behinderung zur Ausübung der Tätigkeit nur mit Hilfe zusätz-
licher Maßnahmen geeignet ist.
33
Demnach könnte der Arbeitgeber gemäß der BAG-Rechtsprechung
(
BAG 21.2.1991 AP Nr.35 zu § 123 BGB)
eine freiwillige Auskunft nach Treu und Glauben erwarten.
Ein besonderes Augenmerk ist im Zusammenhang mit der Einstellung gemäß § 81 Abs.2 Satz 2 SGB
auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz zu legen, welches u.a. die Beweislasst zum Schutz
vor Benachteiligung regelt.
Grundlegend trägt die Beweislast in einem Rechtsstreit immer der klagende Betroffene.
Demnach hat der schwerbehinderte Bewerber im Streitfall, um eine missglückte Einstellung, glaub-
hafte Tatsachen für eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung vorzubringen. Gelingt ihm dies,
greift die Beweislasterleichterung nach § 22 AGG und verpflichtet den Arbeitgeber zum Gegenbe-
weis. Dieser trägt somit die Beweislast dafür, dass sein Verhalten in Wirklichkeit nicht diskriminie-
rend war.
,,Begründungsbedürftig wird Diskriminierung daher im Angesicht ihrer Folgen und der Tatsache, dass bei einer
Diskriminierung bereits wichtige moralische Prinzipien, insbesondere die moralische Gleichheit aller Menschen
(was wiederrum auf Art. 3 Abs. 3 GG abstellt), verletzt werden. Die Umkehr der Beweislast bedeutet für den Fall
behinderter Menschen das: Nicht mehr Menschen mit Behinderung (diejenigen, die diskriminiert werden) die Be-
32
Vgl. Schaub Koch, Arbeitsrecht von A ­ Z, S. 543
33
Vgl. Preis, Arbeitsrecht. Individualarbeitsrecht, S. 247

14
gründungslast des Nachweises von Diskriminierung tragen, sondern vielmehr müssen nun Diskriminier zeigen,
dass die Unterschiede in der Behandlung behinderter Menschen gerechtfertigt sind"
34
.
Zum Beispiel durch eine bestimmte gesundheitliche Anforderung an den Bewerber, welche für die
Ausführung der Tätigkeit i.S.d. § 8 Abs. 1 AGG als wesentlich zu erachten ist.
Felix Welti hebt mahnend hervor, dass auch trotz dem vorliegen einer Benachteiligung kein
Anspruch auf Einstellung, des benachteiligten Bewerbers besteht. Dieser kann nach seinen Ausfüh-
rungen jedoch eine angemessene Entschädigung verlangen. Eine Besonderheit auf die Herr Welti
zudem verweist ist, dass auch eine Entschädigung in dem Fall verlangt werden kann, dass der Be-
werber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Dies betreffe etwa
Fälle, in denen ein Bewerber nur wegen seiner Behinderung nicht einmal zum Vorstellungsgespräch
eingeladen wurde. Diese Regelung soll nach seiner Aussage die Bedeutung eines möglichst vorur-
teilsfreien Einstellungsverfahrens für behinderte Menschen unterstreichen.
35
Die zuvor benannten Einstellungskriterien sind deshalb von hochrangiger Bedeutung, weil
Menschen mit Behinderung ohnehin aufgrund von Stigmatisierung eine Herabwürdigung ihrer Leis-
tungsfähigkeit erfahren. Dies legen mitunter schon die historisch verorteten, internationalen Be-
griffsverwendungen zu Personen mit Behinderung nahe, welche aufzeigen, dass ein defizitärer Zu-
sammenhang zwischen biologischer Einschränkung und der Erwerbsbeteiligung auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt existent sei. Schon in der Empfehlung für die berufliche Rehabilitation behinderter
Personen der 38. Allgemeinen Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation vom 21.Juni 1955
hieß es: ,,Als behinderte Person gelte jede Person, deren Aussichten, eine angemessene Beschäfti-
gung zu finden und beizubehalten, durch eine Beeinträchtigung ihrer körperlichen oder psychischen
Fähigkeiten wesentlich herabgesetzt sind."
36
Ein weiteres Beispiel dieser Auffassung gibt die int. Definition der UNO-Resolution Nr.3447
aus dem Jahr 1975. In der es heißt: ,,Behinderte seien alle Personen, die aufgrund einer Schädigung
geistiger oder körperlicher Art nicht in der Lage seien, sich voll oder teilweise aus eigener Kraft wie
Nichtbehinderte die entsprechende Stellung in Arbeit, Beruf und Gesellschaft zu sichern."
37
Aus den eben genannten Ausführungen geht hervor, dass der Gesetzgeber sowohl auf inter-
nationaler, also auch nationaler Ebene dafür Sorge tragen sollte, dieser Stigmatisierung entgegen zu
wirken. Der deutsche Gesetzgeber benennt daher in § 104 Abs. 1 Nr.1 SGB
explizit die Aufgabe
der Agentur für Arbeit, Menschen mit Behinderung zu vermitteln und zudem Beschäftigte aus Werk-
stätten auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu überführen. Zudem regelt die Werkstättenverordnung
in § 5 Abs. 4 WVO, dass der Übergang von Menschen mit Behinderung auf den allgemeinen Arbeits-
34
Vgl. Felder, Inklusion und Gerechtigkeit, S. 250
35
Siehe Welti, Behinderung und Rehabilitation im sozialen Rechtsstaat, S. 698
36
Zitiert nach Welti, Behinderung und Rehabilitation im sozialen Rechtsstaat, S. 63
37
Zitiert nach Welti, Behinderung und Rehabilitation im sozialen Rechtsstaat, S. 63

15
markt durch geeignete Maßnahmen zu fördern sei. Daher wird den Werkstätten auch die Pflicht
auferlegt, die Bundesagentur für Arbeit in die Vorbereitung entsprechender Maßnahmen zur Ver-
mittlung auf den ersten Arbeitsmarkt mit einzubeziehen.
III.
,,Gleiche Arbeit für gleichen Lohn": Realisierung finanzieller Teilhabe
Personen können an der Arbeit teilnehmen oder an ihr teilhaben. Entscheidend ist, ob bzw. dass die
Personen an den Früchten der Arbeit teilhat. Dass Beschäftigte in Einrichtungen der WfbM nur ma-
ximal das Existenzminimum erlangen können, wurde bereits aufgezeigt. Fraglich erscheint aber zu-
dem in welcher Form schwerbehinderte Menschen, die trotz ihrer Behinderung auf dem ersten Ar-
beitsmarkt beschäftigt sind, eine finanzielle Teilhabe genießen. Problematisch erscheint der An-
spruch auf eine gerechte finanzielle Beteiligung bei Menschen mit Behinderung, welche zwar auf
dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sind, aber auf eine persönliche Assistenz zur alltäglichen Le-
bensgestaltung angewiesen sind, denn diese wird vom Staat gezahlt. Materielle Gerechtigkeit wür-
de bedeuten, dass für gleiche Arbeit auch die gleiche Vergütung gezahlt wird, welche wiederum zu
einem monatlichen Vermögenszufluss führen müsste. Was im Umkehrschluss auch heißen würde,
dass keine wirtschaftliche Ungleichbehandlung stattfindet. Dieser Schlussfolgerung ist angesichts der
finanziellen Abgaben, welche der Staat durch das Sozialamt für die unterstützende Lebenshilfe ein-
fordert nicht haltbar. Denn schwerbehinderte Arbeitnehmer erhalten zwar dank der Antidiskriminie-
rungsgesetzgebung (u.a. § 7 AGG) Entgelt in gleicher Höhe, wie ihre nicht behinderten Kollegen,
doch müssen diese für Ihre staatliche Förderung zur Teilhabe einen gewissen Teil an den Staat abtre-
ten. So bleiben dem schwerbehinderten Arbeitnehmer nach §§ 82ff. SGB
lediglich 798 (zweifache
der Regelbedarfsstufe1), welche er zu 100% für seinen eigenen Bedarf verwenden kann. Von jedem
weiteren verdienten Euro bedient sich zum Teil das Sozialamt um bis zu 40% (zusätzlich zu den zu
entrichtenden Steuern). Zudem deckelt das Sozialamt das Vermögen des schwerbehinderten Arbeit-
nehmers, indem es vorschreibt, dass nicht mehr als lediglich 2600 angespart werden dürfen. Jeder
weiter uro muss abermals an das Sozialamt entrichtet werden. Diese Gegebenheit läuft Gefahr dem
behinderten Menschen eine fehlende Wertschätzungsbemühung zu vermitteln, indem jegliche fi-
nanzielle Anreize zur Erwerbsbeteiligung genommen werden.
D. Grundrechte und das Sozialstaatsprinzip als Basis der nationalen Förderung
Die Grundidee der Sozialgesetzgebung ist es unteranderem, allen Menschen in der BRD auf der Basis
sozialer Gerechtigkeit, den Erwerb des Lebensunterhalts, durch eine frei gewählte Tätigkeit zu er-

16
möglichen. Die Zielsetzung des Gesetzgebers liegt dabei in der Schaffung eines Beitrages zur Siche-
rung eines menschenwürdigen Daseins.
Dies gebietet schon ,,die grundrechtlich verbürgte Freiheit, den Beruf sowie Ausbildungs-
und Arbeitsstätte frei wählen zu können und den gewählten Beruf auszuüben. Sämtliche Regelungen
wirtschafts- oder sozialpolitischer Art, die in dieses grundrechtlich gesicherte Freiheitsrecht eingrei-
fen, erweitern oder verkürzen auch die Chancen des Einzelnen auf Freiheitsverwirklichung und somit
auch auf ein menschenwürdiges Dasein durch ein selbstbestimmtes Leben."
38
Wie Björn Winkler in seiner Monographie darstellt geht es im Kern um nichts Geringeres als um die
Verwirklichung von Freiheitsrechten. Dabei sei es Aufgabe des sozialen Rechtsstaates Die tatsächli-
che Möglichkeit der Grundrechtswahrnehmung den formalen anzugleichen. Demnach sei auch das
Sozialstaatsgebot als Optimierungsgebot zu verstehen. Teilhaberegelungen dienen folglich primär
der Realisierung von Freiheitsgrundrechten.
39
Dem Grundrecht auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1
GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG kann daher nur Rechnung getra-
gen werden, wenn es gelingt Menschen mit Behinderung so zu unterstützen und zu fördern, dass
ihre körperlichen und/oder geistigen Defizite möglichst ausgeglichen werden, um diesen eine ge-
rechte Teilhabe und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen.
Dieses soll vor allem dem ,,[...]Gebot materieller Gerechtigkeit Rechnung tragen, d.h. Hilfe bei
Not und Armut sowie Schutz vor typischen Wechselfällen des Lebens gewähren."
40
I.
Sonderregeln für eine gerechte berufliche Teilhabe
Der Begriff soziale Marktwirtschaft indiziert, dass auch der von der Privatautonomie beherrschte
Sektor des Arbeitsrechts nicht frei von sozialrechtlich geprägten Regelungen sein kann. Somit er-
scheint es wenig verwunderlich, dass die Regelungen des SGB
das in Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG veran-
kerte Verbot wegen Behinderung benachteiligt zu werden konkretisiert und dieses somit in das pri-
vatrechtliche Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer überführt.
41
Da Grundrechte in privatrechtlichen Verhältnissen nicht unmittelbar gelten, und nur mit ei-
ner mittelbaren Drittwirkung zur Anwendung kommen, kann sich der Arbeitgeber nicht gegenüber
dem behinderten Arbeitnehmer auf seine Rechte aus Art. 2 und 12 GG berufen, welche durch die
Sozialgesetzgebung zugunsten der Arbeitnehmerrechte von Behinderten Menschen verkürzt wer-
den. So tritt wie Björn Winkler es beispielhaft beschreibt die privatautonome Entscheidung des Ar-
38
Winkler, Die Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben, S. 14
39
Vgl. Winkler, Die Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben, S. 13
40
Detterbeck ,
Basistexte Öffentliches Recht,
Einführung
41
Winkler, Die Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben, S. 74

17
beitgebers, sich seine Mitarbeiter frei zu wählen, in Konkurrenz zu dem Recht behinderter Men-
schen, bei der Besetzung von Arbeitsplätzen bei gleicher Eignung bevorzugt berücksichtigt zu wer-
den.
42
Als Grundlage dieser Verfahrensweise dienen dabei neben dem verfassungsrechtlich verorteten
Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG vor allem die Antidiskriminierungsvorschriften des europäischen
Gemeinschaftsrechts, welche am 14.August 2006 im AGG ihre nationale Umsetzung erfuhren.
43
,,Festzuhalten sei an dieser Stelle, dass die Benachteiligung schwerbehinderter Beschäftigter sowohl
nach AGG als auch nach dem SGB
verboten ist. Dort wo das AGG keine Anwendung findet, ist zu-
nächst zu prüfen, ob die den Schutz ausschließende Norm im Lichte der RL 2000/78/EG europarechts-
konform auszulegen oder unanwendbar ist"
44
Zudem bürdet der Gesetzgeber wie schon vormals erwähnt gemäß § 71 SGB
den Arbeitgebern,
welche Jahresdurchschnitt monatlich mindestens 20 Arbeitsplätze haben, die Pflicht zur Beschäfti-
gung schwerbehinderter Menschen auf. Dies soll mitunter der Verwirklichung der Teilhabe von
schwerbehinderten Menschen am Arbeitsleben dienen. Daher hält sich das Integrationsamt vor, die
Umsetzung zu überwachen und Arbeitgeber, die der Beschäftigungspflicht nicht nachkommen, in
Form einer Ausgleichsabgabe nach §77 SGB
zu sanktionieren. Der Ausgleichszahlung kommt
allerdings keine Ersatzfunktion zu, welche den sanktionierten Arbeitgeber von der Beschäftigungs-
pflicht befreit, sondern dient ausschließlich der Schaffung eines Anreizes zu gesetzeskonformen
Handeln.
45
Laut FAZ beschäftigten im Jahr 2013 rund 37.000 Unternehmen trotz der Pflicht zur Be-
schäftigung keine Menschen mit Behinderung.
46
Das mag mitunter daran liegen, dass Arbeitgebern,
die ihre Beschäftigungspflicht nicht oder nicht im vorgeschriebenen Umfang erfüllen, ein Anreiz er-
öffnet wird, welches es rentabler macht, diese Aufgabe durch Aufträge an ,,Behindertenwerkstätten
zu vergeben. Diese Auftragsbeschaffungshilfen sehen gemäß § 140 Abs. 1 SGB vor, Unterneh-
men zu begünstigen, welche Aufträge an Werkstätten vergeben. Diesen wird gestattet 50% des
Rechnungsbetrages eines solchen Auftrages abzüglich der Materialkosten auf die Zahlung der von
ihnen zu entrichtenden Ausgleichsabgabe anzurechnen.
Zudem greift der Gesetzgeber in die inhaltliche Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse ein,
indem er dem schwerbehinderten Arbeitnehmer weitreichende Rechte u.a. nach § 81 Abs. 4, 5 SGB
zugesteht und im Gegenzug dem Arbeitgeber weitere Pflichten auferlegt. Beispielhaft zu nen-
nen sind an dieser Stelle der Anspruch auf behindertengerechte Ausgestaltung des Arbeitsplatzes,
42
Vgl. Winkler, Die Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben, S. 83
43
Vgl. Winkler, Die Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben, S. 82
44
Winkler, Die Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben, S. 85
45
Vgl. Winkler, Die Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben, S. 135
46
Siehe Frankfurter Allgemeine, Warum Arbeitgeber sich von der Behinderten-Quote freikaufen,
http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/recht-und-gehalt/arbeitsmarkt-warum-arbeitgeber-sich-von-der-
behinderten-quote-freikaufen-12686091.html, zuletzt aufgerufen am 11.03.2016 um 13:36 Uhr

18
die Bevorzugung bei Fortbildungsmöglichkeiten, sowie ein Teilzeitbeschäftigungsanspruch, welcher
bei Bedarf ohne Zustimme des AG zustande kommt. Zudem hat der Arbeitgeber gemäß § 81 Abs. 4
SGB
die Beschäftigung so auszugestalten, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer seine Fähig-
keiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln kann. Der Gesetzgeber ge-
steht dem schwerbehinderten Arbeitnehmer zudem das Recht zu, auf verlangen von Mehrarbeit
freigestellt zu werden. Dies beschränkt zwar den Arbeitgeber wiederum in seinem Direktions- und
Weisungsrecht im Sinne des §106 GeWo, erscheint aber angesichts der verfolgten Interessen ge-
rechtfertigt und verhältnismäßig.
,,Die Schutzvorschriften zu Gunsten schwerbehinderter Arbeitnehmer sind im Rahmen des
Weisungsrechts des Arbeitgebers zu beachten, binden also das Auswahlermessen des Arbeitgebers
bei jeder einzelnen Entscheidung, von der der schwerbehinderte Mensch betroffen ist."
47
In der unternehmerischen Planung ist des Weiteren zu berücksichtigen, dass schwerbehin-
derte Menschen einen entsprechenden Anspruch auf einen bezahlten Zusatzurlaub von in der Regel
fünf Arbeitstagen vom Gesetzgeber zugestanden wird. Das Arbeitsverhältnis eines schwerbehinder-
ten Menschen genießt zudem einen besonderen Kündigungsschutz, welcher gemäß §85 SGB
gebietet, dass jede Kündigung der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedarf.
Siegrid Graumann fasst es mit den folgenden Worten sehr treffend zusammen: ,,Wenn ge-
fordert ist, eine Politik der Wohltätigkeit und Fürsorge durch eine Politik der Menschenrechte zu
ersetzen, müssen die solidarischen Verpflichtungen gegenüber behinderten Menschen gesell-
schaftspolitisch neu verhandelt werden."
48
Denn die zunehmende Erwerbsbeteiligung von Menschen mit Behinderung, kann nur realisiert
werden, wenn sowohl der rechtliche, als auch gesellschaftspolitische Weg, wie er bereits seit der
Schaffung des AGG beschritten wird, weiter verfolgt und ausgebaut wird.
II.
Wandel von der Fürsorge zur Gleichstellung
International lag das Hauptaugenmerk lange Zeit auf einem Behindertenbegriff, der mit medizinisch-
pädagogischer Bedürftigkeit assoziiert wurde. Dem entsprechend fokussierte sich der internationale
Diskurs auf das Wohltätigkeits- und Fürsorge-Modell, welches darauf abstellte, dass Behinderung ein
individuelles Defizit eines Menschen darstellt, welches der Unterstützung bedarf. In der jüngeren
Vergangenheit löste man sich hingegen von einem rein sozialpolitischen Ansatz in der Behinderten-
politik hin zum Antidiskriminierungsansatz. Man näherte sich dem Thema zusehends unter der Per-
spektive der Menschenrechte an.
47
Winkler, Die Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben, S. 156
48
Graumann, Assistierte Freiheit, S. 11

19
Die Verortung der Behindertenrechte als Menschrecht ermöglicht zudem ,,die verhängnisvol-
le Kette Differenzierung-Diskriminierung-Euthanasie und Völkermord"
49
endgültig zu durchbre-
chen. Die erkämpfte Aufnahme des Diskriminierungsverbotes von Menschen mit Behinderung in die
Verfassung, ist Ausdruck eines gewandelten Bewusstseins. Während Menschen mit Behinderung in
den vergangenen Jahrzehnten überwiegend Objekte staatlicher Fürsorge waren, fordern diese heute
die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und das Recht auf Selbstbestimmung und
Selbstvertretung. Menschen mit Behinderung gelten nun nicht mehr als Bittsteller, die an die Türen
von Behörden klopfen und auf deren Mitgefühl und Wohlwollen angewiesen sind, sondern haben
auf der Grundlage des Grundgesetzes einklagbare Ansprüche erworben.
,,Zudem ist darauf hinzuweisen das schon seit 1965 die Europäische Sozialcharta für die Bundesrepublik Deutsch-
land in Kraft trat, welche diese wiederrum dazu verpflichtet, behinderten Menschen ein Recht auf Eingliederung
ins Berufsleben zu gewähren und entsprechende Voraussetzungen zu schaffen."
50
Der Gleichstellung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuträglich sind im Besonderen die geschaffe-
nen Beschäftigungsmöglichkeiten bei sogenannten Integrationsfirmen.
Anja Schüler umschreibt Integrationsfirmen als Unternehmen, die sich zwar am Markt orien-
tieren, aber trotzdem sozial agieren wollen, zudem verweist sie darauf, dass diese einen hohen An-
teil von Menschen mit Behinderung dauerhaft als vollwertige Arbeitnehmer beschäftigen. Gefördert
werden Integrationsfirmen durch Mittel der Ausgleichsabgabe, welche Betriebe mit mehr als 20
Angestellten leisten müssen, wenn diese nicht mindestens 5% der Arbeitsplätze an Menschen mit
Behinderung vergeben. Mit den Mitteln der Ausgleichsabgabe nach der Schwerbehindertenaus-
gleichsabgabeverordnung sei es in der Folge möglich Betriebe zu fördern, die Menschen mit Behin-
derung eingestellt haben. Die Förderung dient dabei vor allem der Gewährleistung eines behinde-
rungsgerechten Arbeitsplatzes. Oftmals gründen WfbM-Träger selbst eine Integrationsfirma in Form
einer Ausgründung, in der Regel einer GmbH oder gGmbH, um Menschen, die ein höheres Leis-
tungspotenzial als das durchschnittliche Leistungspotenzial in der WfbM haben, eine Möglichkeit zu
geben, sich auch außerhalb der WfbM weiterzuentwickeln bzw. die fehlenden Werkstattplätze zu
kompensieren.
51
E. Fazit
Die Frage nach dem Teilhaberecht von Menschen mit Behinderung ist, wie anfangs bereits erwähnt,
keine einfache Ja/Nein-Frage. Im Verlauf der Arbeit wurde daher herausgearbeitet, welche individu-
49
Graumann, Assistierte Freiheit, S. 33
50
Vgl. Welti, Behinderung und Rehabilitation im sozialen Rechtsstaat, S. 63
51
Vgl.
Schüler, Arbeit für alle?!, S. 16

20
ellen und gesellschaftlichen Verpflichtungen sowohl den Arbeitgeber als auch den Sozialstaat betref-
fen.
Über die Begriffsdefinitionen klärten sich zunächst der Analyseschwerpunkt und auch die
Problemlange mit der sich der Gesetzgeber zu befassen hatte. Nach der Benennung des Ist-
Zustandes, wurden mit der knappen Erläuterung der Begriffe des ,,persönlichen Budgets" und dem
der ,,persönlichen Assistenz" erste Wege aufgezeigt, welche einen wichtigen Beitrag zur Teilhabe
von Menschen mit Behinderung zu leisten im Stande sind.
Dass eine berufliche Teilhabe am Arbeitsleben trotz einer geminderten Leistungsfähigkeit zu
realisieren ist, zeigte die Möglichkeit, die Menschen mit Behinderung durch staatliche Förderung in
den Einrichtungen der WfbM gegeben wird. Dennoch blieb nach näherer Betrachtung unter Bezug-
nahme auf die maslowsche Bedürfnistheorie festzuhalten, dass die Beschäftigung in Fördereinrich-
tungen zwar dazu im Stande ist, einen Großteil der Bedürfnisse zu decken, aber dennoch einen Ar-
beitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht zu ersetzen vermag. Da die Werkstattbeschäftigung,
zwar einen ausdrücklichen Rechtsanspruch auf Teilhabe an Arbeit verwirklicht, aber gleichzeitig die
dauerhafte Ausgrenzung von regulären Arbeits- und Lebensbezügen verstärkt, muss es Fokus und
Zielsetzung bleiben, eine Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu erlangen. Um diese zu errei-
chen hat der Gesetzgeber wie aufgeführt zahlreiche Gesetze für ein diskriminierungsfreies Mitei-
nander erlassen.
Auf die arbeitsrechtlichen Sonderregelungen für die berufliche Teilhabe von Menschen
wurde ausführlich Bezug genommen. Es bleibt zusammenfassend festzuhalten, dass die privatauto-
nomen Rechte, sowie Direktions- und Weisungsbefugnisse des Arbeitgebers weitreichende Be-
schränkungen zugunsten der behinderten Arbeitnehmer erfahren. Die gesetzlich verordneten Zuge-
ständnisse an den eingestellten Arbeitnehmer reichen demnach von zusätzlichen Urlaubstagen, über
einen speziellen Anspruch auf Fördermaßnahmen, bis hin zu einem Sonderkündigungsschutz. Den-
noch ist durch die besondere Fördernotwenigkeit im Sinne der Gleichstellung eine Verhältnismäßig-
keit in Anbetracht des Interessenausgleiches zwischen Arbeitgeber und behindertem Arbeitnehmer
stets gegeben. Ein besonderes Augenmerk wurde zudem auf das allgemeine Gleichstellungsrecht
gelegt, welches einen entscheidenden Beitrag zum diskriminierungsfreien Zugang auf den allgemei-
nen Arbeitsmarkt ermöglicht. Dennoch bleibt die Umsetzung dieser Rechte eine gesamtgesellschaft-
liche Aufgabe, die einem langen Prozess der Umwandlung von verfestigten Denkmustern und Stig-
mata bedeutet.
Gerade in einem so von Konkurrenz und Mistrauen geprägtem Umfeld, wie dem allgemeinen
Arbeitsmarkt, erscheint es immer noch als große Hürde für Menschen mit Behinderung eine wirklich
Chance auf eine gerechte Teilhabe zu erlangen. Zudem ist kritisch anzumerken, dass selbst die mit

21
allerlei Hürden verbundene Aufnahme einer Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt,
längst kein Garant für finanzielle Sorglosigkeit ist, da der Anspruch am eigens erwirtschafteten Ar-
beitsentgelt und Vermögen in Abhängigkeit von der Hilfsbedürftigkeit, sowie der Inanspruchnahme
von persönlicher Assistenz zu bewerten ist.
Der Sache nach gehören auch die Leistungen der Integrationsämter, Integrationsfachdienste
und Integrationsprojekte zu den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Auf die nähere Ausfüh-
rungen zu diesen Instrumenten der Sozialgesetzgebung wurde in dieser Hausarbeit allerdings be-
wusst verzichtet, da diese vor allem auf innerbetriebliche Aktivitäten bezogen sind, welche nicht
Gegenstand dieser Arbeit waren. Denn angesichts des Sinns, welchen der Gesetzgeber mit eben
solchen Maßnahmen und Institutionen verfolgt, kann darauf abgestellt werden, dass die Leistung zur
Teilhabe am Arbeitsleben stärker durch ihren Zweck definiert ist, als durch ihre Mittel.
52
Zwar bleibt die Teilhabe am Arbeitsleben ein wesentliches Bindeglied der gesellschaftlichen
Integration des Individuums und seines Bedürfnisses nach sozialer Zugehörigkeit, gleichzeitig bleibt
es essentiell wichtig am gesellschaftlichen Grundverständnis in Bezug auf Inklusion zu arbeiten.
Wie Felix Welti zutreffend zusammenfasste, ist eine Integration behinderter Menschen in
das Arbeitsleben im Wesentlichen nur über private Arbeitgeber zu gewährleisten, da diese den größ-
ten Teil der Arbeitsplätze organisieren. Eine öffentlich-rechtliche Lösung etwa durch Werkstätten
auch für weniger stark behinderte Menschen ist wegen der dadurch entstehenden Kosten und vor
allem wegen des Verzichts auf die Integrationswirkung weniger zielführend.
53
Ratsamer wäre stattdessen die Ausweitung von personenzentrierten Fördermöglichkeiten,
wie sie bereits das persönliche Budget erlaubt: Weg von vorgeschriebenen Lebenswegen, hin zu
mehr Inklusion in die Gesellschaft. Denn Gleichstellung kann nur durch Abbau von Vorurteile und
Berührungsängste anhand von Inklusionsbemühungen vollzogen werden, anstelle einer Politik der
Abschottung aufgrund von Andersartigkeit. Mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechts-
konvention ins nationale Rechte, wurde der Grundstein für das Leben von Menschen mit Behinde-
rung gelegt, um zukünftig an der Entwicklung einer toleranten, gleichberechtigten Gesellschaft teil
zu haben.
Aus diesem Grund unterzeichneten bis zum Abschluss dieser Hausarbeit 291.846 Unterstüt-
zer eine Petition zum Motto ,,Recht auf Sparen und für ein gutes Teilhabegesetz". Somit scheint es,
dass die Utopie einer guten und vor allem gleichberechtigten Gesellschaft in den Überzeugungen der
Menschen verankert ist. Damit ist sie selbst Teil der öffentlichen Debatte und nicht, oder zumindest
nicht mehr ausschließlich, Philosophie. Nun gilt es daher, weiter an der Verwirklichung einer gerech-
ten Teilhabe für Menschen mit Behinderung zu arbeiten.
52
Vgl. Welti, Behinderung und Rehabilitation im sozialen Rechtsstaat, S. 162
53
Welti, Behinderung und Rehabilitation im sozialen Rechtsstaat, S. 698f

22

23
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Winkler, Björn; Igl, Gerhard. Die Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben. Münster, Kiel.
2010.

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Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2016
ISBN (PDF)
9783959935302
ISBN (Paperback)
9783959930307
Dateigröße
1.3 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Hamburg – Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
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2016 (Juli)
Note
1,3
Schlagworte
Teilhabegesetz Behinderung Selbstbestimmung Arbeitsleben Arbeitsmarkt
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