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Adbusting: Methoden, Techniken und Wirkung der Entstellung von Werbecodes

©2011 Bachelorarbeit 37 Seiten

Zusammenfassung

‚Ist die beste Subversion nicht die, Codes zu entstellen, statt sie zu zerstören?’ Dieser Satz von Roland Barthes bringt auf den Punkt, was Adbusting bzw. Culture Jamming macht: Codes entstellen, speziell die Codes der Werbung.
Werbeanzeigen stellen mittlerweile ‚bildgestützte soziale Handlungsanleitungen im Feld der Lebensstile dar’. Kritiker sprechen von einer Kolonisation des öffentlichen Raums durch den Konsumkapitalismus. Manche lehnen sich dagegen auf, indem sie die Werbung, die ihnen begegnet, verfremden und so ihre Kritik an dieser Kolonisation zum Ausdruck bringen; oder aber ihre Kritik am speziellen Unternehmen, dessen Werbung sie verändern. Diese Technik hat den Namen Adbusting. Und dieser Technik widmet sich diese Arbeit - also dem gezielten Verändern von Werbung und der Kreierung von Antiwerbung.
Es wird auf die Methoden und Techniken des Adbustings (bzw. des Culture Jammings) sowie seine Praxisformen eingegangen. Die Rezeption und Wirkung von Adbusting, bzw. auch die Nebenwirkungen und die Vereinnahmung durch jene, die damit kritisiert werden, werden untersucht. Dadurch wird deutlich, wie Adbusting funktioniert und wirkt, und wie die Aufmerksamkeit und Lenkung, die die Adbusting-Produktion erreichen will, erreicht werden kann oder auch nicht. Erkenntnisse aus dem literaturbasierten Teil werden durch die Analyse von Adbusting-Beispielen ergänzt: Ein von Attac erstelltes Subvertising in Lidl-Prospekt-Werbeaufmachung, das ‚Absolute-End’ Adbusting der Adbusters Media Foundation zu Absolut Vodka, sowie das "Arm-sein-ist-geil" Adbusting zur Agenda 2010 in Deutschland werden unter die Lupe genommen.
Anhand der Beispiele soll beantwortet werden, wie eine solche Art des Culture Jamming wirken kann: Regt sie die Rezipienten dazu an, tatsächlich über die Produktionsbedingungen billiger Produkte stärker nachzudenken und damit zu kritischeren Konsumenten zu werden, oder hat diese Art der Imitation bzw. Abänderung von Werbung letzten Endes vielleicht nur die selbe Wirkung für das Unternehmen wie Werbung selbst - nämlich zusätzliche Aufmerksamkeit der Konsumenten?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1. Einleitung

„Ist die beste Subversion nicht die, Codes zu entstellen, statt sie zu zerstören?“ (Barthes 1980, 141). Dieser Satz von Roland Barthes bringt auf den Punkt, was Adbusting bzw. Culture Jamming macht: Codes entstellen, konkret die Codes der Werbung.

Werbeanzeigen waren ursprünglich vordergründig Gebrauchsanweisungen und Informationen über den Nutzen von Produkten, heute stellen sie vor allem „bildgestützte soziale Handlungsanleitungen im Feld der Lebensstile dar“ (Maier 2006, 146). Sie sind professionell erstellte, durchkonzipierte Appelle an die Zielgruppe. In den 1990’er Jahren begannen Unternehmen verstärkt auf Markenpolitik zu setzen, globale Unternehmen konzentrierten sich in der Folge auf ihr Markenimage und lagerten die Produktion in Billiglohnländer aus (Haslinger 2010, 41). Diese starke Fokus auf das Markenimage erfordert entsprechend intensive Werbung: Kritiker sprechen infolgedessen von einer Kolonisation des öffentlichen Raums durch den Konsumkapitalismus. Manche lehnen sich dagegen auf, indem sie die Werbung, die ihnen begegnet, verfremden und so ihre Kritik an dieser Kolonisation zum Ausdruck bringen oder aber ihre Kritik am speziellen Unternehmen, dessen Werbung sie verfremden. Diese Technik hat den Namen Adbusting. Und dieser Technik will sich diese Arbeit widmen – also des gezielten Veränderns von Werbung und der Kreierung von Antiwerbung.

Dabei soll vor allem auf die Funktions- und Wirkungsweisen fokussiert werden. Die Frage lautet demnach:

Wie geht Adbusting vor und welche Wirkung kann diese Vorgangsweise zeigen?

Um dieser Frage nach zu gehen, ist es notwendig, zu analysieren, wie Anti-Werbung sowohl prinzipiell als auch in ausgesuchten praktischen Fallbeispielen passiert ist, also auf welche Weise und mit welchen Mitteln dabei gearbeitet wird bzw. wurde. Wie können die Reaktionen auf derlei Aktionen in der Praxis ausfallen, und inwiefern kann das angestrebte Ziel, ein kritisches Bewusstsein zu schaffen, tatsächlich erreicht werden? Dabei kann zwar nicht ermittelt werden, inwiefern sich bei denjenigen, die eine solche Anti-Werbung erhalten haben, tatsächlich Denkprozesse verändert haben, die verschiedenen Wirkungsweisen dieser Technik können aber betrachtet und auf die konkreten Beispiel angewendet werden.

Einleitend sollen die wichtigsten Begriffe, mit denen in dieser Untersuchung gearbeitet wird, geklärt werden. Dies sind Culture Jamming und Adbusting bzw. Subvertising. Culture Jamming meint das Rekodieren oder Umkodieren von Botschaften. Die Neukodierung soll Desorientierung bewirken bzw. auf eine neue Orientierung verweisen (Sutter 2007, 13). Es passiert eine Umcodierung, die Ähnlichkeiten nutzt, um auf die ursprüngliche Codierung zu verweisen. Wesentlich ist dabei, dass bei der Umcodierung das selbe Medium verwendet wird, um diesen Verweis zu ermöglichen. Doppeldeutigkeit entsteht und es lässt zwischen den zwei Ebenen wechseln (Liebl/Düllo/Kiel 2005, 8-29, zitiert nach Sutter 2007).

Lloyd sieht die Begriffe Culture Jamming, Adbusting und Subvertising als austauschbar (Lloyd 2006, 6). Im deutschen Sprachraum wird synonym dazu auch noch das Wort Kommunikationsguerilla verwendet (Völlinger 2010, 85).

An anderen Stellen wird der Begriff Culture Jamming etwas weiter gefasst und schließt neben der Umkodierung von Botschaften andere Techniken mit ein. Was den verschiedenen Ausprägungen von Culture Jamming gemein ist, ist ihre Ablehnung des Konsumkapitalismus (Völlinger 2010, 85). In diesem weiter gefassten Sinn soll der Begriff Culture Jamming auch in dieser Arbeit verwendet werden. Adbusting bzw. Subvertising ist demnach eine Form des Culture Jamming. Sie nutzt das Überraschungsmoment, wenn der Rezipient merkt, dass die Anzeige nicht das zeigt, worauf er eingestellt war (Sutter 2007, 14). Die Einsatzweise und Zielsetzung von Adbusting leiten sich vom Culture Jamming ab bzw. die Adbusting-Methode ist ein sehr wesentlicher Teil des Culture Jammings, allerdings nicht der einzige.

Subvertising und Adbusting werden in dieser also Arbeit synonym verwendet, während Culture Jamming als umfassenderer Begriff gesehen wird, der weitere Techniken umfasst.

Zum Aufbau der Arbeit: Eingehend soll nur kurz auf die Methoden und Techniken des Culture Jammings sowie ihre Praxisformen eingegangen werden, um das Objekt, das in dieser Arbeit behandelt werden soll, klarer herauszuarbeiten. Der größere Teil der Beschäftigung mit der Literatur zum Thema soll sich auf die Rezeption und Wirkung von Adbusting beziehen, bzw. auch auf die Nebenwirkungen und die Vereinnahmung durch diejenigen, die damit kritisiert werden. Dadurch sollte deutlich werden, wie Adbusting funktioniert und wirkt, und wie die Aufmerksamkeit und Lenkung, die die Adbusting-Produktion erreichen will, erreicht wird oder auch nicht. Die Erkenntnisse aus diesem literaturbasierten Teil werden anschließend durch die Analyse von Adbusting-Beispielen ergänzt: Die theoretischen Schlüsse sollen dabei auf die Beispiele rückbezogen und an ihnen überprüft werden können. In der Analyse der praktischen Beispiele werden schließlich ausschließlich Adbusting-Beispiele untersucht.

Die Analyse praktischer Beispiele widmet sich unter anderem einer Aktion der Anti-Globalisierungs-Plattform Attac, die sich der Mittel des Adbusting bedient: Dabei wurde eine Lidl-Werbeaussendung imitiert und mit Informationen bepackt, die die Preisdumping-Politik von Lidl kritisieren. Neben diesem Subvertising in Lidl-Prospekt-Aufmachung werden das "Absolute-End"-Adbusting der Adbusters Media Foundation zu Absolut Vodka, sowie das "Arm-sein-ist-geil"-Adbusting zur Agenda 2010 in Deutschland unter die Lupe genommen. Anhand der dabei verwendeten Praxen wird untersucht, wie eine solche Art des Culture Jamming wirken kann: Regt sie die Rezipienten dazu an, tatsächlich über die Produktionsbedingungen billiger Produkte etwa stärker nachzudenken und damit zu kritischeren Konsumenten zu werden, oder hat diese Art der Imitation bzw. Abänderung von Werbung letzten Endes vielleicht nur die selbe Wirkung für das Unternehmen wie Werbung selbst – nämlich zusätzliche Aufmerksamkeit der Konsumenten?

2. Das Phänomen Culture Jamming

2.1 Die Methodik des Culture Jamming

2.1.1 Grundprinzipien Verfremdung & Überidentifizierung

Die Technik des Culture Jammings greift in die kulturelle Grammatik ein bzw. stellt sich dieser gegenüber quer: Dabei arbeitet sie eben mit zwei Grundtechniken: Der Verfremdung und der Überidentifizierung. Verfremdung und Überidentifizierung sind die beiden grundlegenden Prinzipien, die die Methoden des Culture Jammings zu bieten haben – beide haben die selbe Zielsetzung, funktionieren aber unterschiedlich. Verfremdung meint dabei, „gewohnte Abläufe und Erscheinungen von Ereignissen, Bildern und Vorstellungen zu ändern und den Kommunikationsprozess durch unvorhergesehene Elemente zu stören“ (Völlinger 2010, 86). Bei der Überidentifizierung wird völlig distanzlos eine übertrieben starke Identifizierung mit dem System bzw. der Logik des Systems, der Werbung oä. betrieben und auf die Spitze getrieben: Dadurch soll auf ihre Kehrseite aufmerksam gemacht werden, bzw. „auf Gegenwerte verwiesen (werden), die in den Haltungen und Werten der herrschenden Ideologie stecken.“ (Völlinger 2010, 86).

Was Völlinger als herrschende Ideologie bezeichnet, ist der eingangs zitierten „kulturellen Grammatik“ in anderen Kontexten ähnlich. Diese kulturelle Grammatik kann als ein flexibler sozialer Konsens über Kommunikationsregeln verstanden werden.

2.1.2 Die Techniken des Culture Jamming

Die Umsetzung der Grundrichtungen Verfremdung und Überidentifizierung kann unterschiedlich funktionieren. Ein kurzer Überblick über die Techniken soll hier (gestützt auf die Unterteilung und die Beschreibung der Techniken von Völlinger 2010, 86-94) gegeben werden, um einschätzen zu können, wo Adbusting bzw. Subvertising dabei vorrangig zu verorten ist, und welche Kategorien auf die später analysierten Beispiele zutreffen. Die verschiedenen Bereiche sind dabei nicht immer ganz eindeutig voneinander abgrenzbar bzw. überschneiden sich zum Teil.

- Erfindung falscher Tatsachen zur Schaffung wahrer Ereignisse: Dabei werden Ereignisse in den Medien vorgetäuscht oder eine unwahre Information darüber verbreitet, um in der Öffentlichkeit auf Missstände aufmerksam zu machen: Es kann sich auch um die Erfindung oder Inszenierung „positiver“ Ereignisse handeln – etwa wenn vorgetäuscht wird, dass ein Firmensprecher öffentlich garantiert, dass seine Firma für die von ihr verantworteten Umweltschäden einstehen wird.
- Camouflage : Die Camouflage ist ein „trojanisches Pferd“, die kritische Botschaft wird dabei etwa in einen Popsong verpackt. Menschen die sich normalerweise nicht mit den angesprochenen Themen befassen, sollen hier über die Populärkultur erreicht werden.
- Fake : Bei einem Fake handelt es sich wörtlich um eine Fälschung. Logos werden genommen und auf eigene Produktionen draufgesetzt, gefälschte Briefköpfe, Hinweisschilder, Flugblätter oder Plakate. Ein Fake muss einerseits eine relativ gute Fälschung sein um zu funktionieren, andererseits aber auch aufgedeckt werden können, um im Anschluss für den angestrebten Kommunikationsprozess zu sorgen.
- Subversive Affirmation : Dabei wird Aussagen oder Regeln in klar übertriebener Weise zugestimmt und die Bestätigung somit ins Gegenteil verkehrt. Das Klatschen zu unpassenden Momenten oder eine inszenierte Demonstration in augenscheinlich deutschnationaler Aufmachung, die mit einem Apfel als Logo und der Parole „Südfrüchte raus“ arbeitet, wird von Völlinger als Ausprägung dieser Technik gesehen.
- Collage und Montage : Aus Unzusammenhängendem wird semantisch etwas Neues geformt, Text- und Bildausschnitte werden neu kombiniert. Neben die Beteuerung des Umweltbewusstseins eines Unternehmens kann etwa ein Bild, das das Gegenteil beweist, gesetzt werden.
- Entwendung/Umdeutung: Dinge oder Bilder, aber vor allem auch Sprache werden hier aus ihrem Kontext gerissen, um den Gegner lächerlich zu machen und andere Lesarten der Realität zu verbreiten. Das Unausgesprochene des Ursprungstextes soll in der Parodie im Mittelpunkt stehen.

2.2 Praxis des Culture Jamming

2.2.1 Übersicht Praxisformen

Als Formen des Culture Jammings in der Praxis zählt Völlinger (2010, 94-109) Sniping (vorhandene Werbeplakate werden heimlich verändert – „Billboards“, Firmennamen werden abgeändert, Symbole hinzugefügt etc.), Street Art (Symbole werden auf die Straße gesprüht), Umnutzung des öffentlichen Raums (Straßentheater, unsichtbares Theater etc.), Flashmobs (eine große Menschenmenge versammelt sich, steht gemeinsam minutenlang still, liegt am Boden oä.), Vorübergehende Rückeroberung des öffentlichen Raums (spontane Feste auf Straßenkreuzungen, Autobahnen etc.), Cyberjamming (Culture Jamming im Internet etwa durch fake sites) und Subvertising (synonym mit Adbusting; das Nehmen und Verändern von Werbung) auf.

Die Subvertising-Methode überschneidet sich stark mit der Sniping-Methode, Sniping bezieht sich allerdings auf die direkte Bearbeitung vor Ort von Reklametafeln im öffentlichen Raum. Subvertising schließt diese Technik zwar mit ein, geht aber weiter: Es gestaltet Werbemittel auch professionell um. Dabei kann es sich um Plakate, Flyer oder sogar TV-Werbespots handeln – also die klassische Anti-Werbung. Diese Praxisform des Subvertising bzw. Adbusting steht im Zentrum dieser Arbeit. Aus diesem Grund soll nun noch genauer darauf eingegangen werden.

2.2.2 Gebrauchsart Adbusting/Subvertising

Beim Adbusting bzw. Subvertising werden Werbungen – egal in welcher Form bzw. in welchem Medium sie vorliegen – genommen, umgedeutet und so die Produkte bzw. das Unternehmen lächerlich gemacht oder abgewertet. Es werden Informationen über Wirkungen, Nebenwirkungen oder Herkunft des Produktes etwa hinzugefügt. Wesentlich ist, dass dabei die Ästhetik bzw. das Aussehen der Originalanzeige sowie das Emotionsmanagement der Originalkampagne imitiert werden. „Auf diese Weise profitiert die Anti-Werbung auf eine parasitäre Weise von dem Aufmerksamkeitspotenzial, welches das betroffene Unternehmen vorher für sein Produkt und seine Marke gesammelt hat“ (Völlinger 2010, 98).

Naomi Klein bezeichnet die kreative Umgestaltung von Werbebotschaften als die raffinierteste Art des Culture Jammings: Das Unternehmen zahlt für die Subversion – einerseits, weil es für die Reklametafel oä. bezahlt, andererseits, weil bei der Umwertung des Logos an der Investition gekratzt wird, die es gebraucht hat, um das Image aufzubauen (Klein 2005, 291). Logos und Slogans, aber auch Werbezettel und große Werbeplakate sind hervorragend für kreative Abwandlungen geeignet: „Die Verfremdung ist ironisch und überspitzt, sie kehrt die ursprüngliche Aussage ins Gegenteil um und löst negative Assoziationen aus.“ (Löding/ Schulze/Sundermann 2006, 85). Dabei wird die Aufmachung des Originals mitunter so weit imitiert, dass dem Betrachter eventuell erst beim zweiten Blick auffällt, dass es sich nicht um klassische Werbung handelt.

2.3 Culture Jamming als politisches Ausdrucksmittel

Auch politische Organisationen, die mehr im Mainstream zu verorten sind als Adbusters, die nachts unbemerkt Plakatwände umgestalten, verwenden die Aktionsformen des Culture Jammings. Umwelt- und entwicklungspolitische Kampagnen sowie Verbraucherschutzkampagnen betreiben damit ebenfalls Konzernkritik (Löding/Schulze/Sundermann 2006, 50). Aus welchem Lager die Aktivisten auch kommen, meist verbindet sie die Überzeugung, dass kommerzielle Werbung zu sehr in die Aufmerksamkeitssphäre der Menschen eingreift (Klein 2005, 294-295).

Culture Jamming ist damnach auch ein gerne verwendetes Mittel von NGO’s: Die zunehmend kritische Stimmung gegenüber Konzernen während der vergangenen Jahre hat – neben der leichteren Zugänglichkeit technischer Mittel – zu einer wachsenden Nutzung der Subvertising-Techniken zum Ausdruck politischer Bekenntnisse geführt (Lloyd 2006, 6). NGO’s sind Nichtregierungsorganisationen, also zivilgesellschaftliche Akteure. Sie versuchen durch Lobbying, aber auch durch öffentlichkeitswirksame Skandalisierung Aufmerksamkeit für ihre Anliegen zu bekommen. Culture Jamming bzw. Adbusting ist dabei eine Möglichkeit, die öffentliche Aufmerksamkeit, die bekannte Konzerne besitzen, für ihre Zwecke zu nutzen, und durch kreative Techniken, die eventuell mit Normverletzungen einhergehen, zu steigern (Baringhorst 2006, 233-234). Auf diese Weise wird versucht, politische Steuerungsdefizite durch Konsumentenmobilisierung zu kompensieren (Baringhorst 2006, 247).

Die Adbusting-Produktionen sollen in erster Linie Konsumkritik & Globalisierungskritik zum Ausdruck bringen. Generell ist zu sagen, dass Markenkritik, also im weiteren Sinne Konsumkritik, und Globalisierungskritik sind meist miteinander verbunden sind (Haslinger 2010, 40). Derartige Kampagnen haben oft (vor allem bei ihrem Beginn) nicht die Menge an Leuten hinter sich, um sinnvolle Boykottaktionen durchzuführen. Die Schädigung des Firmenimages erweist sich oftmals als einfacher als wirtschaftlich spürbare Boykottaktionen (Baringhorst 2006, 251). Symbolstarke Markennamen haben eine stark identitätsstiftende Bedeutung – auf einem globalisierten Markt. Die medienwirksame Skandalisierung von beispielsweise Menschenrechtsverletzungen oder Umweltproblemen ist dadurch zu einem einflussreichen Mittel geworden (Baringhorst 2006, 241). Innerhalb dieses globalisierten Marktes ist eine alternative Produktwahl in der Regel nicht mit großem Aufwand verbunden. Diese Mobilisierung ist zwar in großen Massen schwer erreichbar, kann aber durch eine Adbusting-Aktion angetrieben und unterstützt werden. Und eine tatsächliche Mobilisierung der Verbraucher durch Skandale ist definitiv eine Gefahr für die Konzerne (Baringhorst 2006, 247).

3. Rezeption & Wirkung des Adbusting Produkts

3.1 Erweitertes Kommunikationsmodell

Christian Hartard hat zum Vonstattengehen der Kommunikation im Falle von Culture Jamming Produktionen ein Kommunikationsmodell entworfen, das sich an das grundlegende Encoding-Decoding-Modell von Stuart Hall anlehnt. Angelika Sutter hat das Modell von Hartard in ihrer Arbeit zu Culture Jamming adaptiert und erweitert (Sutter 2010, 78).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Für Culture Jamming adaptiertes Kommunikationsmodell von Sutter

Das Modell basiert auf einem Sender-Empfänger Verhältnis. Der vom Sender gesendete Ursprungstext wird vom Culture Jammer ummantelt und zu Text 2 gemacht. Der Culture Jammer enkodiert den Ursprungstext neu, davor dekodiert er aber selbst den Ursprungstext – dies in einer oppositionellen Lesart. Diese ist der Hauptaspekt des Culture Jammings.

Zu den Lesarten: Im Zuge der Dekodierung des Textes wird für den Rezipienten eines Textes (bzw. einer Information) von der Möglichkeit dreier unterschiedlicher Lesarten ausgegangen: Die favorisierte Lesart bzw. der dominant-hegemonialen Ansatz, der eine Dekodierung im Sinne des Senders bedeutet; die ausgehandelten Lesart, die auf adaptiven und oppositionellen Elementen beruht; und die oppositionellen Lesart, bei der der Rezipient den Text zwar versteht, sich selbst aber gegensätzlich zur Intention des Senders lokalisiert. Dies ist die charakteristische Lesart des Ursprungstextes seitens der Culture Jammer (Sutter 2010, 65-66).

Der Culture Jammer wird im Modell im Zuge des Kommunikationsprozesses selbst zum Enkodiererer, ist demnach einerseits Rezipient, andererseits Produzent. Der Endkonsument bzw. Rezipient rezipiert nun den Ursprungstext und den zweiten, ummantelten Text – wobei Text 2 eine oppositionelle Lesart von Text 1 ist. Er/Sie kann nun die verschiedenen Lesarten miteinander vergleichen. Daneben wird Text 2 aber auch vom Sender von Text 1 rezipiert und die Form der Ummantelung bei Text 2 vom ursprünglichen Sender beeinflusst, ebenso wie der Endrezipient von dieser Wechselwirkung in seiner Lesart beeinflusst wird (Sutter 2010, 73-78).

Die hier vorgestellte Aufschlüsselung der verschiedenen Lesarten und die modellhafte Darstellung der stattfindenden Kommunikationsprozesse liefert ein theoretisches Denkkonstrukt, das einen systematischeren Zugang zu Culture Jamming bzw. Adbusting ermöglicht.

3.2 Das Verhältnis von Original und Verfremdung/die gegebene Aufmerksamkeit

Mythen rufen immer auch Widerstand hervor und wenn Marken moderne Mythen sind, ist es die Markenkritik, die natürlicherweise zur Stelle ist, um diesen Mythos zu demontieren (Haslinger 2010, 40). Die Demontage dieses Mythos, die Konzenrkritik, ist demnach eine natürliche Reaktion auf die starke Präsenz der Konzerne bzw. ihrer Marken. Das Original ruft seine Kritik, das Adbusting-Produkt, hervor.

Das Original ausreichend zu kennen ist dabei eine wichtige Voraussetzung für seine Veränderung: Um eine vorhandene Werbung neu zu interpretieren bzw. ihren Sinn zu ändern, muss sich der Adbuster über die Details und Assoziationen bewusst sein, die die Originalversion mit sich bringt (Sutter 2007, 11). Er nutzt diese vorhandenen Assoziationen, in dem er die Ästhetik der Originalversion kopiert und damit die Aufmerksamkeit erhält, die dem Original zu Teil geworden wären. Ziel ist, diese Assoziationen dadurch umzukodieren, also den Rezipienten näher an eine oppositionelle Lesart zu bringen.

Wie sehr durch die Wiederholung und Umdeutung von Symbolen ihre Bedeutung dauerhaft geändert werden kann, beweist beispielsweise Andy Warhol mit seinem Portrait von Mao Tse-Tung: Er entpolitisierte damit die wohl politisch umstrittenste Person der 70’er in den 70’ern und machte sie salonfähig (Müller 2006, 189).

Zum Verhältnis von Original und Verfremdung sei noch gesagt, dass zweitere (Text 2) zumindest eine gewisse eindeutig wahrnehmbare Distanz zum Original (Text 1) aufbauen muss. Das später analysierte gefakete Lidl-Werbeprospekt war angeblich so nah am Original, dass es vielfach für normale Werbung gehalten wurde, entsprechend im Müll landete und die kleingedruckten kritischen Informationen teils ungelesen blieben (Völlinger 2010, 91).

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Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2011
ISBN (PDF)
9783863417840
ISBN (Paperback)
9783863412845
Dateigröße
4.1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Wien
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1
Schlagworte
Werbung Konsumkritik Konsum Kommunikationsguerilla Markenverfremdung

Autor

Regina Kriechhammer wurde 1987 in Salzburg geboren. Sie studierte Politikwissenschaft in Wien und Innsbruck, Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien und Umwelt- & Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur in Wien. Ihren Schwerpunkt legte sie dabei unter anderem auf Marktkommunikation bzw. Marketing innerhalb dieser Bereiche.
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Titel: Adbusting: Methoden, Techniken und Wirkung der Entstellung von Werbecodes
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