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Die neue Medienrevolution: Wie wir in Zukunft mit Kunden sprechen

©2012 Bachelorarbeit 58 Seiten

Zusammenfassung

Von der Produkt- bis zur Kommunikationspolitik verändert sich das Marketing in Buchverlagen seit Jahren rasant. Eindimensionale Werbemodelle, die den Kunden als passiven Rezipienten begreifen, scheitern. Kunden wollen anders angesprochen werden. Das macht einerseits Angst – andererseits bietet es einmalige Möglichkeiten. In Verlagen liegt die Kompetenz, Kunden Geschichten zu erzählen, und sie so an das Unternehmen zu binden. Transmedia Storytelling, Social Media, digitale Publikation: Modelle wandeln sich, und Verlage müssen jetzt die Chancen der neuen Kanäle, Methoden und Instrumente nutzen. Diese Arbeit will vor allem Eines: Vorurteile und Ängste abbauen und Verlagen Fallbeispiele an die Hand geben, die zeigen, was möglich ist.
Sie geht dabei von 4 zentralen Thesen aus:
1. Nutzer wollen an Produktion und Distribution von Inhalten aktiv partizipieren.
2. Marketingstrategien müssen unterhaltsamen Content bieten.
3. Es zahlt sich für Verlage aus, Content kostenfrei zu verteilen und User Generated Content zu fördern.
4. Die klassischen Kategorien „Werbung“ und „Content“ sind nicht mehr klar zu trennen.
Anhand realer Beispiele wie dem Alternate Reality Game Cagot,Buchtrailern und User Generated Content werden die Thesen an der Praxis gemessen und ausgebaut. Für die Arbeit erstellte Interviews mit Leander Wattig, Medienberater, und Thomas Zorbach, Geschäftsführer der Transmedia Agentur vm-people, dienen als zusätzliche Quellen und sind im Anhang beigefügt.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


lassen und welche Kommunikationsstrategien im Marketing den besten Er-
folg versprechen. Der Fokus der Arbeit liegt auf dem Publikumsmarkt. Als
Ausgangspunkt wird unterstellt, dass Kunden die Rolle der Konsumenten
der von Unternehmen produzierten oder vertriebenen Inhalte übernehmen.
Die Auflösung dieser klaren Kategorisierung ist Teil des zu betrachtenden
Prozesses.
Die Methodik dieser Arbeit konzentriert sich im theoretischen Teil auf
die Auswertung digitaler und analoger Fachliteratur und Fachwebsites.
Der empirische Teil stützt sich einerseits auf die Analyse von Branchenme-
dien, andererseits auf Experteninterviews mit Leander Wattig, freier Medi-
enberater, Blogger und Hochschuldozent, und Thomas Zorbach, geschäfts-
führender Gesellschafter der Social Media Agentur vm-people GmbH.
5

2 Verwendete Literatur und der aktuelle
Forschungsstand zu Social Media
Beim Blick in die Literatur zum Thema Social Media Marketing, gerade in
Bezug auf die Buchbranche, fällt auf, dass das Thema noch kaum beleuchtet
wurde. Der Katalog der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg
2
listet
zur Suchanfrage nach ,,Social Media Marketing" lediglich 17 Ergebnisse,
von denen keines einen spezifischen Bezug zur Buchbranche aufweist. Alle
Publikationen sind mit einer Ausnahme in den letzten beiden Jahren er-
schienen.
Auch Publikationen von Akademikern zum Thema haben häufig aus-
geprägten Ratgebercharakter, so etwa das Buch ,,Social Media Marketing.
Analyse, Strategie, Konzeption, Umsetzung"
3
des Professors für Digitale
Medien an der Dualen Hochschule in Mannheim, Gerald Lembke. Aus dem
Klappentext:
Das Buch informiert Führungskräfte, Mitarbeiter im Marketing und insbeson-
dere Social-Media-Verantwortliche über Analyse, Strategie, Konzeption und
Umsetzung. Es zeigt Wege zum erfolgreichen Marketing Boosting. Zugleich ist
es als Lehr- und Arbeitsbuch mit Reflexionsfragen und Aufgaben konzipiert.
Insbesondere in Hinblick auf die Buchbranche lassen sich aktuelle Fall-
beispiele und Überlegungen besser aus Online-Medien entnehmen, z.B.
dem dizidiert dem Social Media Marketing für Medienunternehmen gewid-
meten Weblog von Leander Wattig
4
und den einschlägigen Branchenmaga-
zinen Börsenblatt, Buchmarkt und Buchreport
5
. Für eine umfassendere
Theorieentwicklung sind Fachmagazine natürlich wenig geeignet. Hier be-
steht folglich noch Nachholbedarf.
Eine wichtige Rolle bei den Überlegungen in dieser Arbeit wird das
Buch ,,Facebook, YouTube, Xing und Co. Gewinnen mit Social Technolo-
gies"
6
spielen. Der Titel dieses Buches wurde vom deutschen Verlag Hanser
meines Erachtens eher unglücklich gewählt -- denn nicht die (sich schnell
wandelnden und veraltenden) Technologien und Plattformen stehen im
2
Katalog der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg (2011), Stand vom 19.12.2011.
3
Lembke (2011).
4
Wattig (2006).
5
S. hierzu Kapitel 5.1.
6
Bernoff u. Li (2009).
6

Fokus, sondern der ,,Groundswell", ,,[a] social trend in which people use
technologies to get the things they need from each other, rather than from
traditional institutions like corporations", so der Klappentext des Origi-
nals. Das Buch widmet sich ­ ebenfalls unter eher praktischen Gesichts-
punkten, aber ein einheitliches Phänomen unterstellend und analysierend
­ dem Wandel im Nutzer- und Kundenverhalten durch soziale Medien.
Für die Grundbegriffe und -theorien des Marketing wird die siebte Auf-
lage des Buchs ,,Marketing" von Franz Böcker und Roland Helm
7
verwen-
det.
7
Böcker u. Helm (2003).
7

3 Das klassische Verhältnis von Werbung und
Content, Kunden und Unternehmen
Dieses Kapitel versucht, in gebotener Kürze, einen Ausgangspunkt zu defi-
nieren, der den im Folgenden aufgestellten Thesen zugrunde liegt. Diese
Definition hat dabei Thesencharakter, denn es ist selbst in der Retrospektive
nur mit großem Aufwand und mit mehr Raum, als er hier zur Verfügung
steht, auszumachen, wo Werbung aufhört und der Inhalt anfängt und wo
diese Kategorien schon immer verschmolzen. Inhalte sind und waren nie
inhaltslos zu bewerben.
3.1 Der Dualismus von Produkt und Werbung
Es wird in der verlegerischen Praxis ­ etwa durch die betriebliche Tren-
nung von Lektorat bzw. Redaktion einerseits und einer Werbeabteilung
andererseits ­ eine Trennung von Produkton und Werbung vorgenommen.
Dabei steht das Denkschema im Vordergrund, dass es ein zu bewerbendes
Produkt getrennt von Werbemaßnahmen für dieses Produkt gebe.
Das klassische Marketing umfasst zwar auch die Produktpolitik, diese
befasst sich aber vor allem mit der technischen Realisierung des Produkts
und steht getrennt von Werbemaßnahmen.
8
3.2 Die journalistische Abgrenzung von Werbung und
Content im Printbereich
Der klassische Content eines Verlagsprodukts, etwa einer Zeitung oder
Zeitschrift, steht in der Produktpolitik streng abgegrenzt gegenüber der
Werbung, die häufig eine Haupteinnahmequelle des Printprodukts dar-
stellt. Anzeigen werden als solche gekennzeichnet. Erfolgt diese Kenn-
zeichnung nicht, spricht man von Schleichwerbung, die zwar regelmäßig
praktiziert wird, allerdings geächtet wird.
9
Daher spricht auch das Phäno-
men der Schleichwerbung dafür, dass die Trennung von Werbung und In-
halten in der vorherrschenden Meinung dominant ist.
8
Vgl. Böcker u. Helm (2003), S. 249­255.
9
Vgl. ebd., S. 421f.
8

Diese Trennung setzt sich auch im Digitalen fort, etwa beim Content-Ad-
Angebot ,,Google AdSense", wo die unklare Abgrenzung von Inhalt und
Werbung gegen die Nutzungsbedingungen verstößt und mit Ausschluss
aus dem Programm sanktioniert werden kann.
10
3.3 Produzenten- und Konsumentenrollen
Es wird klassisch davon ausgegangen, dass dem Kunden bzw. Nutzer eine
einseitig konsumierende Rolle im Umgang mit dem Content des Unterneh-
mens zukommt. Die Möglichkeit, den Kunden auch als aktiven Partizipan-
ten an der Erstellung des Contents zu begreifen, wird ausgeklammert;
seine aktive Beteiligung ist weder gewünscht noch vorgesehen, sieht man
von einfachen Feedback-Mechanismen wie Leserbriefen und Kommentaren
ab. Das Unternehmen produziert Inhalte, die dann vom Konsumenten rezi-
piert werden.
3.4 Klassische einseitige Kommunikationsstrategien
Die Kommunikation mit dem Kunden verläuft einseitig über massenmedi-
ale Kanäle wie Print, Funk und Fernsehen oder ­ in digitalen Medien ­
über Anzeigen auf Websites.
11
Dies hängt ebenfalls mit der Rollenverteilung zusammen: Der (poten-
zielle bzw. zu gewinnende) Kunde wird vom Unternehmen über dessen
Produkte informiert und zum Kauf motiviert. Es findet kein Dialog statt,
was über die erwähnten Kanäle auch nur schwer bzw. über Umwege zu
bewerkstelligen ist.
Rückmeldungen werden nicht im Dialog mit dem Kunden eingeholt,
höchstens vermittelt durch Marktforschungsinstrumente. Kennzahl für den
Erfolg einer Kampagne etwa ist die Zahl der Werbeträgerkontakte bzw.
Kontaktwahrscheinlichkeiten, wobei Kontakt hier bedeutet, dass ein Rezi-
pient mit dem Werbemittel in Kontakt kommt (und dieses eventuell wahr-
nimmt).
12
10
Vgl. Illegale Formulierungen zur Abgrenzung von Inhalt und Werbung (2011).
11
Vgl. Böcker u. Helm (2003), S. 419f.
12
Ebd., S. 435­440.
9

4 Begriffsbestimmungen und Grundthesen der
Arbeit
4.1 Begriffsbestimmungen
In diesem Abschnitt werden relevante (und in dieser Arbeit bereits teil-
weise verwendete) Begriffe bestimmt und definiert. Wo dies möglich ist,
wird Fachliteratur zitiert; gerade bei neueren und nur teilweise im akade-
mischen Diskurs angekommenen Begriffen wird eine vorläufige Arbeits-
definition angeboten, die zunächst nur für den Rahmen dieser Arbeit gilt.
4.1.1 Marketing und Werbung
Unter Marketing wird die Gesamtheit aller Instrumente eines Unternehmens
verstanden, die dem Absatz seines Angebots dienen:
Unter Absatzpolitik bzw. Marketing werden im Folgenden alle Entscheidung-
en, die primär die aktive Gestaltung der Absatzbedingungen eines Unterneh-
mens zum Gegenstand haben, und deren Realisation verstanden. Die Amer-
ican Marketing Association definiert es als ,the process of planning and ex-
ecuting the conception, pricing, promotion and distribution of ideas, goods,
and services to create exchanges that satisfy individuals, organizations, and
society`.
13
Werbung stellt einen kommunikationspolitischen Teil des Marketing dar.
14
Die klassische Form der Werbung ist die Mediawerbung, ,,der bewusste
Versuch [...], Menschen mit Hilfe spezifischer Kommunikationsmittel (Werbe
media) zu einem bestimmten, unternehmenspolitischen Zwe-cken dienen-
den Verhalten zu bewegen"
15
.
Als Social Media Marketing werden im Folgenden sämtliche Bemühung-
en bezeichnet, die o.g. Marketingagenda mit Hilfe digitaler, netzbasierter,
sozialer Medien zu verwirklichen versuchen. Ein Medium wird dann als
sozial bezeichnet, wenn es eher auf den Aufbau eines tendenziell gleich-
berechtigten Dialogs abzielt als auf hierarchische, einseitige Information.
Soziale Medien sind z.B. Social Networks wie Facebook, Weblogs gegen-
über statischen Websites, Microblogging-Dienste wie Twitter, kollaborative
13
Böcker u. Helm (2003), S. 7.
14
Vgl. ebd., S. 415.
15
Ebd., S. 419.
10

Wikis und Webforen.
16
Newsletter-Werbung und nicht-partizipative Unter-
nehmenswebsites fallen somit nicht unter diesen Begriff des Social Media
Marketing. Sie stellen lediglich Instrumente eines Online-Marketing dar,
das sich traditioneller Kommunikationsformen bedient.
4.1.2 Content und Inhalt
Content bzw. Inhalt ­ die Begriffe werden im Folgenden synonym verwen-
det ­ bezeichnet sämtliche publizierten Informationen, die für den Rezip-
ienten von inhaltlichem Interesse sind. Abgegrenzt wird er insbesondere
von Werbeanzeigen:
Unter den Bedingungen der Netzökonomie wird damit eine alte Diskus-
sion über den instrumentellen Charakter der journalistischen Arbeit für den
ökonomischen Absatz von Medien neu belebt. Es war der Nationalökonom
Karl Bücher, der bereits 1926 mit Blick auf die damalige Zeitungslandschaft
eine für Journalisten bis heute höchst provozierende Position formulierte:
,Die Zeitung hat jetzt den Charakter einer Unternehmung, welche Anzeigen-
raum als Ware produziert, die nur durch den redaktionellen Raum absetzbar
wird.`
Heute geht die Diskussion weiter, wenn journalistische Inhalte im Umfeld
von E-Commerce, also dem Verkauf von Produkten und Dienstleistungen
im Netz, positioniert werden.
17
Diese auf den Journalismus bzw. journalistische (redaktionelle) Inhalte
abzielende Unterscheidung wird im Rahmen dieser Arbeit auf andere In-
halte übertragen. In klassischen Medien diente der Content der Verbrei-
tung, während der Anzeigenraum die Finanzierung besorgte.
4.1.3 User, Nutzer, Kunde, User Generated Content und Fan-Fiction
Die Begriffe User, Nutzer und Kunde werden weitgehend synonym ver-
wendet. Kunde ist hierbei eher rezeptiv-konsumierend und ökonomisch
konnotiert, User und Nutzer implizieren bereits eine gewisse Partizipation
und entstammen dem Bereich der IT.
Die Begriffsfindung steht im Bereich des Social Media Marketing und
der damit verbundenen Instrumente noch am Anfang. In der operativen
16
Vgl. Koch u. Pfeiffer (2011), S. 18f.
17
Mast (2003), S. 3.
11

wie auch in der akademischen Betrachtung finden sich zunehmend künst-
lich geschaffene Begriffe wie Prosumer
18
oder Erleber
19
, die das Problem be-
heben sollen, dass gerade die Termini Kunde und Nutzer zu eindimensional
als rezeptiv wahrgenommen werden.
User Generated Content bezeichnet Inhalte, die von einzelnen Personen
oder Personengruppen produziert werden, denen traditionell eher eine
konsumierende Rolle zukommt, den Usern (Nutzern). Es handelt sich dabei
um Inhalte in verschiedenen medialen Formen, etwa Texte, Videos, Bilder
und Tondateien, die online ausgetauscht oder veröffentlicht werden und
sich stark auf ähnliche Produkte anderer Nutzer beziehen.
20
Im Zusammenhang mit User Generated Content bezeichnet der Begriff
Fan-Fiction im Folgenden Inhalte, die einem spezifischen Erzählkosmos
zugeordnet werden können, jedoch durch Personen erstellt werden, die
ursprünglich reine Konsumenten dieser Erlebniswelt waren. Diese Kon-
sumenten wurden nicht durch die Rechteinhaber, Urheber oder Schöpfer
dieses Kosmos beauftragt oder auch nur ermutigt, sich an der Erzählwelt
zu beteiligen.
4.1.4 Transmedia Storytelling und Alternate Reality Games
Der Begriff Transmedia Storytelling wurde populär durch einen Artikel glei-
chen Namens, den Henry Jenkins 2003 in technology review publizierte.
21
Er schildert darin seine Vision von gutem transmedialem Erzählen:
In the ideal form of transmedia storytelling, each medium does what it does
best ­ so that a story might be introduced in a film, expanded through tele-
vision, novels, and comics, and its world might be explored and experienced
through game play. Each franchise entry needs to be self-contained enough
to enable autonomous consumption. That is, you don't need to have seen the
film to enjoy the game and vice-versa.
Es geht also um einzeln konsumierbare mediale Inhalte, die zusam-
mengenommen eine Art Erlebniswelt bilden.
Ein zentrales und in dieser Arbeit mehrfach angesprochenes Werkzeug
des transmedialen Erzählens ist das Alternate Reality Game (ARG). Hierbei
18
University of Maryland (2009).
19
Vgl. Interview mit Thomas Zorbach (2011).
20
Vgl. Bernoff u. Li (2009), S. 25­27.
21
Jenkins (2003).
12

handelt es sich um eine Form des Storytelling, also des Erzählens einer
Geschichte,
through narrative elements that are distributed across various platforms. [...]
Game play involves players working collaboratively through email, phone/
sms contact, real-time interactions and extensive online engagement. Players
generally react to narrative cues that are projected across numerous forms of
media. These include media technologies that are not traditionally associated
with games that, unlike ARGs, rely on a single platform for communication
(eg console games). In doing so, ARGs make players step outside the restric-
tions of mono-genre game boundaries.
22
4.2 Vier Thesen
Die folgenden vier Thesen entstanden bei den Vorrecherchen und den
Überlegungen zur Themenfindung und bei der Konzeption dieser Arbeit.
Sie fassen die medialen Trends und deren (Branchen-)Diskussion in den
letzten Monate zusammen und wurden nicht direkt aus anderen Quellen
übernommen.
Auf den Nachweis des Vorkommens der Thesen in der Literatur wird
weitgehend verzichtet. An dieser Stelle soll ebenfalls noch kein Schwer-
punkt darauf gelegt werden, ihre Richtigkeit zu beweisen oder sie zu bele-
gen ­ diese Aufgabe ist dem Kapitel 5 vorbehalten. Beispiele und Zitate
sollen lediglich ihre Aktualität demonstrieren. Alle nicht belegten Aus-
sagen haben Behauptungscharakter.
4.2.1 Nutzer wollen an Produktion und Distribution von Inhalten aktiv
partizipieren
Das Bild des einseitig produzierenden und seine Produkte bewerbenden
Unternehmens und des einseitig konsumierenden und von der Werbung
informierten Kunden ist ­ jedenfalls für das Online-Marketing von Content
­ veraltet. Nutzer wollen an der Produktion, der Weiterentwicklung und
der Distribution von Inhalten teilhaben.
Hierbei werden vermutlich nicht alle Rezipienten von Online-Botschaften
gleichermaßen aktiv ­ es kann vermutet werden, dass Jakob Nielsens 90-9-
1-Regel
23
gilt: ,,In most online communities, 90% of users are lurkers who
22
What is an ARG? (2008).
23
Vgl. Nielsen (2006).
13

never contribute, 9% of users contribute a little, and 1% of users account
for almost all the action."
Die große Masse der (potenziellen) Kunden könnte also weiterhin haupt-
sächlich passiv konsumieren. Dies widerspricht aber keineswegs der These:
Die verbleibenden zehn Prozent der Nutzer bergen großes Potenzial, da sie
(für Unternehmen kostenfrei bzw. kostengünstig je nach Aufwand der Be-
treuung und der Initialisierung) die neunzig Prozent unterhalten und der
Gesamtmasse der Nutzer weitere Personen hinzufügen können. Die zehn
aktiven Prozent sind häufig gut vernetzt, sachlich kompetent und haben
Einfluss auf ihr Netzwerk. Sie stellen daher exzellente Multiplikatoren
24
der zu verbreitenden Botschaft dar.
Aber sie sind auch Prosumer: Sie fühlen sich eng mit dem Unternehmen
oder dessen Produkten verbunden und wollen Einfluss auf diese üben. Sie
wollen nicht einseitig informiert werden, sondern mindestens in einen hi-
erarchiearmen Dialog treten ­ und sie sind, wie Bernoff und Li analysieren,
nicht einfach zu ignorieren:
Tatsache ist aber [...], dass Ihre Kunden darauf brennen, Ihnen zu sagen, was
Sie tun sollen. Sie schimpfen in Foren über Ihre Produkte und loben sie,
sie bewerten und besprechen sie auf Websites. Sie bloggen über sie, machen
Videos und analysieren jede Ihrer Bewegungen. Sie sind jetzt Bestandteil
Ihres Prozesses, ob Sie nun dafür bereit sind oder nicht ­ sie schauen Ihren
Managern über die Schulter.
25
Zum vergeudeten Potenzial tritt also hinzu, dass Ignoranz gegenüber
den relevanten Nutzern zu schlechter Publicity führen kann ­ bis hin zum
sogenannten Shitstorm
26
, der massenhaften und (mindestens partiell) un-
sachlichen negativen Meinungsäußerung zu einem Unternehmen oder ein-
er Person.
Der grundlegende Denkfehler auf Seiten der Unternehmen besteht darin,
dass sie eine falsche bzw. nicht mehr zeitgemäße Vorstellung davon haben,
wie erstens das Verhältnis zu ihren Nutzern, und zweitens, wie jenes zwi-
schen ihren Produkten (im Falle der Verlage: ihres Contents) und ihrer
Werbung aussieht. Beides wird als strikt getrennt gehandhabt: Die Nutzer
sind für sie Abnehmer ihrer Bücher (und neuerdings ihrer Software, Apps,
24
Vgl. hierzu Böcker u. Helm (2003), S. 185­188.
25
Bernoff u. Li (2009), S. 199.
26
Vgl. Koch u. Pfeiffer (2011), S. 236.
14

Hörbücher etc.), keine Teilhaber, und ihre Werbung ist ein einseitiger Infor-
mationsvorgang der Nutzer über ihre Produkte. Diese Werbung ist zudem
häufig langweilig und motiviert die Nutzer nicht, sie weiterzuverbreiten.
All dies hält die Kunden davon ab, ihren eigenen Content einzubringen
und am Content des Unternehmens aktiv zu partizipieren.
Sobald Verlage umdenken und sich auf ihre Nutzer als Prosumer und
Teilnehmer einlassen, steht die Nutzermotivation im Vordergrund. Es müs-
sen gut vernetzte und einflussreiche Multiplikatoren gewonnen werden,
die die Inhalte auf kreative Weise verbreiten und weitere Nutzer als Teile
des Prozesses gewinnen, einen ,,Viral Loop" aufbauen:
Der Viral Loop bezeichnet das Phänomen der Weiterverbreitung von Inhal-
ten, Instrumenten oder Webseiten im sozialen Netz. Daraus entstanden ist
der virale Faktor, der sich mit der Formel N x P1 x P2 errechnen lässt.
· N ist die durchschnittliche Anzahl bestehender Nutzer, die Inhalte an
ihr Netzwerk weiterleiten.
· P1 ist der Anteil des Netzwerks, die dieser Einladung nachkommen
[sic].
· P2 ist der entscheidende Anteil aus P1 und beinhaltet die Nutzer, die
die ursprünglichen Inhalte selbst streuen.
· Die Nutzergruppe P2 wird zur [neuen] Nutzergruppe N. [...]
27
Eine Möglichkeit der Nutzermotivation ist der Einsatz von Gamification-
Elementen ­ die beste Motivation liefert aber unterhaltsamer Content.
4.2.2 Marketingstrategien müssen unterhaltsamen Content bieten
Online-Werbung und klassische Werbung unterscheiden sich. Klassische
Werbung versucht, den Nutzer mit Hilfe objektiver Information und sub-
jektiver Motivation (etwa durch emotionale Bindung an ein Produkt, eine
Marke oder ein Kaufverhalten) dazu zu bringen, im Sinne der Unterneh-
mensziele zu agieren. Die Kanäle klassischer Werbung sind definiert und
lassen sich im Rahmen von Kampagnen kaufen (etwa Sendezeit oder ver-
breitungsstarker, attraktiver Anzeigenplatz).
28
Im Rahmen von Social Me-
dia Marketing hingegen basiert Werbung darauf, hohe und qualitativ hoch-
wertige Verbreitung unabhängig von direkten Investitionen zu erreichen.
27
Ebd., S. 216.
28
Vgl. Böcker u. Helm (2003), S. 419­422.
15

Dies lässt sich am leichtesten umsetzen, indem Unternehmen in den rele-
vanten Netzwerken Multiplikatoren ausmachen und für sich einnehmen.
Hierfür benötigen sie interessante, die Nutzer unterhaltende Inhalte, die
eine Werbefunktion erfüllen ­ die Werbung nimmt also immer stärkeren
Content-Charakter an.
Die Überlegungen etwa zur ,,Währung Aufmerksamkeit"
29
machen deut-
lich, dass wir es gerade beim Publikumsmarkt für Bücher mit einem Nach-
fragemarkt zu tun haben: Die Nutzer haben die dominante Marktstel-
lung inne, da sie ihre Aufmerksamkeit frei auf ein Überangebot von In-
halten verteilen können. Die Unternehmen konkurrieren folglich um diese
Aufmerksamkeit, stehen aber vor dem Problem, sie nicht durch herkömm-
liche und häufig langweilige Werbekampagnen erringen zu können.
Generell verlassen sich Nutzer eher auf ihre Bezugsgruppen und deren
Erfahrungswerte als auf die (zu Recht) für befangen befundenen Aussagen
von Unternehmen. Zudem individualisieren sich Nutzer stärker und schät-
zen Aussagen von Freunden
30
oder Personen mit gleichen Interessen als
zuverlässiger ein als klassische, anonyme Werbung. Positive Nutzerberichte
und (digitale) Mundpropaganda ­ im Falle von Verlagen etwa Rezensionen
oder allgemeine Aussagen zum Unternehmen ­ sind also besser geeignet,
um Aufmerksamkeit zu generieren.
Heute konkurrieren so viele Produkte um die Aufmerksamkeit der Leute,
dass es nicht mehr annähernd so effektiv wie früher ist, sie anzuschreien [ih-
nen Botschaften wiederholt und mit Nachdruck vermitteln zu wollen, Anm.
d. A.]. [...] Sobald die Leute sich [des] Produkts [eines Unternehmens] be-
wusst geworden sind, setzt eine neue Dynamik ein: Sie lernen voneinander.
Die sozialen Technologien haben diese Dynamik der Mundpropaganda auf
Touren gebracht, sie haben den Einfluss der Konsumenten erhöht und den
Wert des traditionellen Marketing verwässert.
31
Hohe Verbreitung erreichen regelmäßig virale Video-Clips
32
oder Com-
munity-Angebote, die den Nutzern erlauben, sich miteinander und mit den
Entwicklern ihres favorisierten Contents zu vernetzen und auszutauschen
und dabei Einfluss auf neue Produkte zu üben ­ egal, ob es sich dabei
29
Vgl. Franck (1996).
30
Die höchste Glaubwürdigkeit haben hierbei laut einer Studie von ECIN.de Personen,
die der Nutzer auch im nichtdigitalen Leben kennt. Vgl. Reale Freunde online (2010).
31
Bernoff u. Li (2009), S. 113f.
32
S. Kapitel 5.2.
16

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783863419424
ISBN (Paperback)
9783863414429
Dateigröße
262 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,3
Schlagworte
Gamification Social Media Alternate Reality Game Facebook Kundenkommunikation Content

Autor

Dennis Schmolk (Jahrgang 1987) studierte in Erlangen Buchwissenschaft und Soziologie, mit den Schwerpunkten Mediensoziologie, Digitalisierung und Social Media. Seine Bachelorarbeit schrieb er über Social Media Strategien im Verlagsmarketing und den Wandel des Verhältnisses von Werbung und Content, Kunden und Unternehmen. 2012 konzipierte und veranstaltete er für den KOSMOS-Verlag ein Alternate Reality Game. Seit August 2012 arbeitet Dennis Schmolk bei dotbooks im Lektorat und twittert unter dotbooks_verlag.
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