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„Märchen“ - Förderung des Schreibens durch prozessorientierte Methoden: Eine Unterrichtssequenz im Fach Englisch einer 7. Klasse (Gymnasium)

©2011 Examensarbeit 52 Seiten

Zusammenfassung

Schüler lernen mit Hilfe eines lernstoffunabhängigen Themas, einfache zusammenhängende Texte, verständlich und logisch aufgebaut sowie sprachlich versiert, zu einem Thema aus ihrem Interessen- und Erfahrungsbereich zu verfassen.
‘Märchen’ als Thema der Unterrichtsreihe bietet einen guten Zugang, weil mit diesen Texten im kreativen Umgang spielerisch neuer Wortschatz und notwendige sprachliche Mittel gelernt werden und die Unterrichtsform auch Binnendifferenzierung berücksichtigt.
Die vorliegende Arbeit stellt theoretische Grundlagen dar, bietet ein Modell, wie man sinnvoll Ideen sammelt und ordnet sowie den Schreibprozess plant und gestaltet und legt wichtige Überlegungen für die Planung der Unterrichtssequenz dar. Nach einer Übersicht der Unterrichtsreihe werden relevante Unterrichtsabschnitte genauer analysiert. Abschließend werden die Ergebnisse der Unterrichtssequenz aufgezeigt und die Methoden hinsichtlich ihres Erfolges bewertet.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


3. Unterrichtsvoraussetzungen

3.1 Allgemeine Unterrichtsvoraussetzungen

Die Schule ist ein Gymnasium in Berlin, einem konservativen Bezirk mit einer guten Sozialstruktur. Der familiäre Hintergrund der Schüler kann hier als stabil bewertet werden, demnach gibt es im Verhalten der Schüler keine Anzeichen im Hinblick auf dekonstruktive Entwicklungen. Seit Beginn des Schuljahres XX bin ich für eine Lerngruppe der 7. Klassenstufe im Fach Englisch zuständig. Diese setzt sich zusammen aus Schülern der Klasse 7.1 und der Klasse 7.2, die in der Grundschule Englisch als erste Fremdsprache gewählt haben. Für die Unterrichtsgestaltung in der Lerngruppe stehen mir vier Wochenstunden zur Verfügung, verteilt auf zwei Doppelstunden. In der Klasse sind X Schüler, davon X Mädchen und X Jungen. Der Unterricht findet in einem eher kleinen Raum statt. Die Schüler sitzen zu zweit an einem Tisch, verteilt auf jeweils vier Sitzreihen rechts und links vom Lehrerpult. Die gegebene Raumgröße lässt für diese Schüleranzahl leider keine andere Tischgruppierung zu, dies führt dazu, dass für bestimmte Lernmethoden ein größerer Raum organisiert werden muss. Die technische Ausstattung der Schule ist gut, Kreidetafel und Overheadprojektor sind in jedem Unterrichtsraum vorhanden.

3.2 Lerngruppenanalyse

Entscheidend für das erfolgreiche Lernen der Schülerinnen und Schüler ist eine fachkundige Diagnostik, mit der anhand nachvollziehbarer Kriterien Lernentwicklung festgestellt und möglicher Förderbedarf beschrieben wird [1] .

Das Interesse der Lerngruppe am Fach Englisch ist groß. Die Schüler sind motiviert, wenn sie ein klares Ziel vor Augen haben, das sie erreichen wollen. Gerade wenn Ergebnisse ausgestellt werden, ist das eine zusätzliche Lernmotivation. Es herrscht eine gute Arbeitsatmosphäre. Die Schüler untereinander sind freundlich, allerdings sehen sie sich noch nicht als eine Lerngruppe, die Zusammensetzung aus zwei Teilklassen ist deutlich bemerkbar, vor allem wenn Gruppen gebildet werden.

Am Anfang des Schuljahres saßen Mädchen und Jungen getrennt[2], sodass aufgrund der unterschiedlichen Schülerzahlen ein Mädchen sich immer bei den Jungs unwohl fühlte[3]. Durch mehrere Veränderungen in der Sitzordnung, auch um Unruhe-störungen zu verringern, wurde diese starre Struktur aufgelöst. Zwar sitzen vor allem gleichgeschlechtliche Schülerpaare nebeneinander – in den meisten Fällen sind die Schüler miteinander befreundet und sind ähnlich leistungsstark, allerdings sind die überwiegend gleichgeschlechtlichen Schülerpaare jetzt so im Raum verteilt, dass die Zweiergruppe davor bzw. dahinter einen anderen Leistungsstand hat und sich Mädchen und Jungs abwechseln. In Partnerarbeitsphasen ergeben sich dadurch einerseits die leistungshomogene Möglichkeit mit dem Banknachbar rechts bzw. links und andererseits die erweiterte Variante für eine leistungsheterogene Zusammenarbeit mit dem Nachbarn in der Sitzreihe dahinter bzw. davor. Daraus ergeben sich auch geeignete leistungsheterogene meist auch geschlechtlich gemischte Vierergruppen, ohne dass eine ohnehin schwierige Verschiebung des Mobiliars notwendig wäre. Um leistungsschwächere Schüler dauerhaft zu fördern habe ich in drei Fällen diese neben einem leistungsstärkeren Schüler gesetzt, was sich bewährt hat. Andere Differenzierungsmöglichkeiten kommen im alltäglichen Unterricht auch zum Tragen, sind aber für diese Unterrichtssequenz nicht weiter relevant.

Es gibt ein paar leistungsstarke Schüler wie X, X und X, die sich auch mündlich rege beteiligen. Andere schriftlich gute Schüler, vor allem die Mädchen, sind eher still. Einige ruhige und gleichzeitig leistungsschwache Schüler wie X, X und X müssen immer wieder aufgefordert werden, sich am Unterrichtsgeschehen aktiv zu beteiligen.

Andere anfänglich lernschwache Schüler wie X oder X haben aufgeholt und bemühen sich, durch Fleiß und Mitarbeit ihre Leistungen zu verbessern. Sie melden sich aber freiwillig nur dann, wenn sie sicher sind, die richtige Antwort zu haben.

Ich unterrichte sehr gerne in der Lerngruppe und merke, dass nach dem ersten Halbjahr die Schüler sich an gewisse Strukturen und Arbeitsmethoden gewöhnt haben und die Arbeitsregeln akzeptieren. Bei einem Arbeitsauftrag in Partner– oder Gruppenarbeit fangen sie mittlerweile zügig mit der Arbeit an, am Anfang wurden die ersten Minuten für Privatgespräche genutzt. Die Interaktionsformen und die Methoden dieser Unterrichtssequenz sind den Schülern gänzlich vertraut[4], daher gehe ich davon aus, dass die Schüler die Aufgaben in der dafür vorgesehenen Zeit ohne größere zwischenmenschliche Probleme erledigen werden. Bei längeren Phasen verlieren die Schüler allerdings schnell die Konzentration und es entsteht Unruhe. Deshalb halte ich den Unterricht eher kleinschrittig, plane Methodenwechsel ein und versuche nach und nach die Arbeitsphasen zu verlängern. Für die schriftlichen Aufgaben allerdings brauchen die Schüler viel Zeit und müssen immer wieder ermahnt werden, sauber und ordentlich zu schreiben. Das könnte im Laufe der Unterrichtssequenz zu einem Problem werden, wenn nicht ausreichend Zeit eingeplant wird.

Bei der Lerngruppendiagnose habe ich festgestellt, dass die Schreibkompetenz gefördert werden muss, was ich mir vor allem im Rahmen meiner Arbeit vorgenommen habe. Meinen anfänglicher Eindruck, die Schüler könnten nicht schreiben, untersuchte ich im Vorfeld der Unterrichtssequenz genauer: am Ende der Unit 3 nahm ich eine Übung aus dem Workbook zum Thema Text production [5] als Vortest bzw. um heraus zu finden, welche Faktoren genau diesen Eindruck hervorrufen. In der Übung geht es um Robby, einen Roboter, der als Haushaltshilfe alles falsch macht. Die Schüler sollten die dargestellten sieben Zeichnungen nutzen, um die Geschichte dazu zu erzählen. Anhand von Schülerbeispielen sollen die Defizite der Lerngruppe, die von mir kategorisiert wurden, aufgezeigt werden:

- Satzbau/Kohärenz: *[6] And at the and did he go after a day, *For the family he makes every day breakfast, *He should later walk the dog;
- Verbformen falsch oder tenses gemischt: *they buyed a new gadget, *he takes too much washing powder, then he ironed the air;
- s-endung: *a robot who help the family, he wake up the children, clean, wash and he cook for them;
- Gliedernde Elemente/ Satzbausteine: *the family came home and this they were happy, *and he make so a lot of trouble, *this way, he isn’t a good help;

Das Vokabular aus der Unit 3 beherrschten die Schüler zwar, es mangelte aber an anderen Faktoren: die Texte waren nicht im angemessenen Umfang, nicht strukturiert (keine Absätze, etc.), mit eingeschränktem Wortschatz und oft wiederholend. Elementare Orthographie- und Grammatikfehler (s-Endung, Plural), Tempora und Formfehler (vor allem present und past), störten den Lesefluss. Es gab zahlreiche Fehler in der Bildung und Anwendung von Adjektiven und Adverbien. Sätze wurden gebildet, zum großen Teil aber wurde die word order nicht eingehalten, linking words wurden kaum oder überhaupt nicht benutzt, selbst die leistungsstärkeren Schüler verwenden nur and, but und because.

3.3 Rahmenlehrplanbezug und Kompetenzstand

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3.4 Zielsetzungen der Unterrichtssequenz

Zielsetzung dieser Unterrichtssequenz ist die Förderung der Schreibkompetenz. In diesem Zeitraum sollen die Schüler ihre grammatischen Basiskenntnisse bezüglich der Benutzung der Adjektive und der Adverbien und den Gebrauch der simple past Formen festigen. Der richtige Satzbau soll vor allem in der Textproduktion beachtet werden. Die Schüler sollen sowohl grammatisch als auch inhaltlich besser schreiben. Ihre Textprodukte sollen einen roten Faden erkennen lassen und die wichtigen W-Fragen[8] ihrer Geschichte beantworten. Dazu soll ihre Selbständigkeit gefördert werden durch das Erarbeiten von Strukturen und Graphiken, mit denen sie strukturierter an das Schreiben freier Texte herangehen können. Weiterhin sollen die Schüler ausgehend von den bearbeiteten Texten und Märchenbeispielen kreativ sein und ein eigenes Märchen schreiben.

4. Planung der Unterrichtssequenz

4.1 Konzeption der Unterrichtseinheit

Am Ende der Unit 3 des im Unterricht benutzten Lehrwerks findet sich im Lehrer-handbuch als Zusatzaktion ein story-telling period -Vorschlag: eine Kopiervorlage mit Märchenelementen, welche die Schüler als Impuls nehmen können für das Schreiben eines eigenen Märchens. Es werden als Arbeitsanweisung zwar use linking words oder write a first version and then correct your mistakes gegeben, allerdings ist keine weitere Hilfe als: you may start like this: once upon a time gegeben[9]. Das wäre meiner Lerngruppe als Hilfestellung zu wenig gewesen, allerdings fand ich die grundsätzliche Idee gut. Deswegen habe ich einen eigenen methodisch-didaktischen Ansatz entwickelt. Ausgehend von den Ergebnissen der Lernausgangslage bzw. der Diagnostik im Vortest und den didaktisch-theoretischen Überlegungen plante ich die 14-stündige Unterrichtssequenz als ein Stufenverfahren.

Zunächst sollten die Schüler durch die neue Thematik ihren Wortschatz erweitern und den richtigen Satzbau anwenden, sowie kurze Texte auf Basis von vorgegebenen Elementen verfassen bzw. umschreiben; dazu ihre Grammatikkenntnisse vertiefen, sowie anhand der Übungstexte festigen. Später sollten diese Kenntnisse in längeren Texten, welche die Schüler kreativ verfassen, angewendet werden. Die Unterrichtssequenz sollte Ausfälle im fundamentalen Bereich (Zeitformen, Adjektive, Satzbau, etc.) ausgleichen und die Schüler dahingehend fördern, dass ihnen eine Struktur zur Verfügung steht, anhand derer sie ihre Handlung planen, erzählen und überarbeiten können.

Über das Fundamentum an Sprachmitteln hinaus wollte ich auch ein inhaltliches Additum als attraktives Zusatzangebot für leistungsstärkere Schüler zur Verfügung stellen, in Form von motivierenden Zusatzaufgaben. Meine Vorüberlegungen bezüglich der Aufgabenformate unterteilten sich auf drei Bereiche:

- activities before writing: bekannte Märchen bzw. Lieblingsmärchen lesen, Märchen gegenseitig vorlesen, Charaktere herausarbeiten, Mustermärchenaufbau entwickeln, Videos zu Märchen auf youtube suchen, Märchentitel erraten, Syntagmen erstellen
- activities while writing: schreiben nach Bildern, schreiben zu einem Bild oder zu einem Wort, Texte umschreiben[10], (anderes) Ende schreiben, Texte zusammenfassen, Überschriften finden, Schreiben in Lücken, Sprechblasen ausfüllen, Dialoge erfinden, Schreiben zu einem Lied
- activities after writing: Geschichte laut in der Klasse vorlesen, korrigieren lassen vom Partner, weitergeben zum Weiterschreiben, überarbeiten, verkürzen, korrigieren, Bilder dazu malen, veröffentlichen

Das Erreichen der angestrebten Ziele der Unterrichtssequenz wollte ich einerseits am vorläufigen Textprodukt einer Lernzielkontrolle und andererseits auch im Verbesserungs- bzw. Überarbeitungsprozess überprüfen. Durch den benötigten Zeitaufwand für die Erstkorrektur würde notgedrungen eine Lücke in der Durchführung der Reihe entstehen, die ich auf eine Unit verlängert habe, damit das Thema London nicht auch auseinander gezogen wird.

Obgleich die Bewertung schriftlicher Leistungen meist in den Kriterien Sprache – Inhalt – Stil, erfolgt, ist sie doch stark subjektiv und hat außer ungeeigneten Messinstrumenten wie dem des Fehlerquotienten[11] kaum eine real mathematisch messbare Basis. Inhaltliche Kriterien bzw. Erwartungshorizont sind stark lehrerabhängig, da sie meist von der beurteilenden Lehrkraft erstellt werden. Daher sollte die Bewertung der schriftlichen Arbeiten sich nicht nur auf das fertige Produkt beschränken und den bis dahin erreichten Leistungsstand beurteilen, sondern ebenfalls prozessorientiert sein und den Lernweg miteinschließen, also die Korrektur bzw. die einzelnen Überarbeitungsetappen bis zum Erreichen des finalen Textes bewerten. Wenngleich Schreiben auch ein individueller Prozess ist, so sollten die Schüler sich nicht allein gelassen fühlen, sondern jederzeit Unterstützungen erhalten, entweder durch die Lehrkraft oder in Gruppen- und Partnerarbeit, ebenso durch geeignete Arbeitsblätter und graphische Hilfen.

Frei nach der Definition von Hilbert Meyer, wonach Handlungsprodukte veröffentlichungsfähige materielle und geistige Ergebnisse der Unterrichtsarbeit sind [12] , habe ich für das Ende der Unterrichtssequenz zwei Möglichkeiten in Erwägung gezogen: ein Buch bzw. eine Zeitschrift zusammenstellen mit den Geschichten der gesamten Lerngruppe oder Plakate für eine Ausstellung erstellen.

Ich habe mich dann für die Variante Plakate und Ausstellung entschieden, weil dadurch die Schüler in der letzten Unterrichtsphase daran arbeiten konnten und ich dann gleichzeitig Zeit hatte, individuell auf die Schüler einzugehen und ihnen bei der Überarbeitung ihrer Texte zu helfen bzw. die Zwischenstadien ihrer Produkte zu korrigieren. Außerdem bot diese Präsentationsform die Möglichkeit, dass die Ergebnisse der Schüler von einem größeren Publikum gesehen werden und weniger Papierressourcen erfordern.

4.2 Auswahl und Begründung des Themas

Die Schülerinnen und Schüler erwerben interkulturelle fremdsprachige Handlungsfähigkeit in einem thematischen Kontext. Sie setzen sich mit Themen und Texten auseinander, die für Jugendliche von besonderem Interesse sind, […] sich durch interessante Darstellungsformen auszeichnen, die zur Interaktion zwischen Leser und Text anregen. [13]

Die literarische Gattung Märchen ist den Schülern aus Kindertagen (Eltern, Kindergarten, Grundschule) bekannt, durch ihren Beliebtheitsgrad üben Märchen eine besondere Anziehungskraft auf Kinder aus; häufig bekommen sie noch Geschichten vorgelesen oder sehen sich Nachverfilmungen im Fernsehen an. Freiere Versionen traten in den letzten Jahren auch verstärkt im Kinoformat oder als Zeichentrickfilm auf. Inhaltlich sind gerade Volksmärchen sehr stereotypisch, die Welt der Charaktere ist in gut und böse aufgeteilt; der Aufbau der Handlung folgt in der Regel einer festen, gleichbleibenden Grundstruktur: Ausgangssituation (Mangel oder Konflikt) – Weg des Helden – Beseitigung des Mangels oder Lösung des Konfliktes – Happy End[14].

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4 Arbeitsblatt zu neuem Wort-schatz, Beispiel aus Schülerhefter

Die Sprache der Märchen ist einfach gehalten und daher auch in der Fremdsprache für die Zielgruppe geeignet. Die Handlung ist nicht unbedingt alltagsnah, aber lustig und fantasievoll präsentiert, dadurch sind die Schüler motiviert, typische Formen, Merkmale, Motive, Figuren etc. kennen zu lernen. Das breite Angebot an Märchen ermöglicht eine lerngruppen- und methodengerechte Auswahl der Materialien zum Thema und ihre sinnvolle Aufarbeitung für die Ziele der Unterrichtssequenz. So ist es für die Schüler leicht, einen Originaltext nach zu erzählen oder mit Hilfestellungen eine eigene Geschichte aufgrund ihres eigenen Wissenshorizontes zu erzählen, auch schwächere Schüler können diesbezüglich auf einen Erfahrungsschatz aus der Muttersprache zurückgreifen und bereits bekannte Inhalte verwenden. Weiterhin könnte sich das Thema Märchen positiv auf die Lesemotivation in der Fremdsprache auswirken.

4.3 Sachstrukturanalyse und didaktische Reduktion

Die für die Unterrichtssequenz aus­gewählten Geschichten: Jack and the Beanstalk, Goldilocks, Snow White und Three little pigs sind alle bekannte Volksmärchen, die aufgrund ihres Bekanntheitsgrades eine globale Anwendung finden und demzufolge auch für Schüler aus anderen Sprach- und Kulturräumen verständlich sind.

Die Geschichte Jack and the Beanstalk eignete sich für den Beginn der Unterrichtssequenz, gilt sie vor allem als englisches Märchen, und bot eine gute Überleitung zu der letzten Unterrichtsreihe, die mit den Themen Scotland und Wales abgeschlossen wurde.

Diese Geschichte hat darüber hinaus, wie in Abbildung 5 dargestellt, auch eine Struktur, die sich auf die meisten Märchen übertragen lässt. Die Schüler können daran ein Schema erarbeiten und diese typische Struktur in den anderen Märchen wiederfinden und für die selbst erstellten Texten verwenden. Die Charaktere sind stereotypisch in gut und böse bzw. arm und reich aufgeteilt. Weiterhin bietet dieses Märchen eine wiederholende Handlung – Jack klettert mehrmals auf die Bohnenstange und holt aus der Burg des Riesens zuerst einen Sack voll Gold, beim zweiten Besuch die Goldeierhenne und beim dritten Besuch die Harfe. Dabei wiederholen sich die Handlungen: der Oger kommt nach Hause, riecht Jack, der sich verstecken muss. Nach dem Abendessen erfreut sich der Riese an seinen Schätzen und schläft ein. Jack raubt diese anschließend und muss fliehen weil der Riese aufwacht und ihn jagt. Dieses Märchen eignet sich sehr gut für den Unterricht, denn es bietet einerseits semantisch viele magische Elemente, die für ein Märchen typisch sind, wie ein alter Zauberer, magische Bohnensamen, eine Stadt im Himmel, menschenfressende Riesen, als auch lexikalisch viele Adjektive und wörtliche Rede. Ausdrücke wie z.B. You little rascal oder Fee-fi-fo-fum, I smell the blood of an Englishman begeistern die Schüler und regen ihre Phantasie an, weil sie merken, dass ihrer Kreativität beim Schreiben keine Grenzen gesetzt sind, und ein Märchen nicht unbedingt politisch korrekt oder nett sein muss. Das Märchen von dem ungehörigen Mädchen Goldilocks mit ihrem Besuch bei den drei Bären bietet ein Zusammenspiel von Menschenwelt und Tierwelt an. Snow White wiederum ist ein Mädchen, das von Zuhause fortgeht bzw. fortgehen muss, die aber bei netten Zwergen unterkommt und dort wertvolle Hilfe im Haushalt leistet. Während Goldilocks sehr jung ist und zu ihren Eltern nach Hause rennt, wird die von ihrer Stiefmutter vergiftete Snow White zum Glück von einem Prinzen gerettet. Anschließend tauschen in der Geschichte Three little pigs die drei unpersönlichen Schweinchen auf, die von außen durch den Wolf bedroht werden und zusammenhalten müssen. Dieses Märchen hat mit drei Geschwistern auch mehrere heroes.

Auch die Sozialstruktur der Märchen wurde beachtet. In der ersten Geschichte geht es um einen Jungen und seine alleinerziehende Mutter, Goldilocks ist ein Mädchen das in relativ stabilen Verhältnissen aufwächst, auch die Bärenfamilie bietet mit Vater-Mutter-Kind die prototypische Minimalfamilie. In der ersten Geschichte geht es um einen Jungen, in der zweiten um ein Mädchen, bei beiden handelt es sich um Kinder, die nicht auf ihre Eltern hören, was jedoch unterschiedliche Konsequenzen hat.

In den folgenden zwei Märchen ist der positive Bezug zu den Eltern nicht mehr gegeben, da Schneewittchen – Snow White – ohne Eltern aufwächst und von ihrer Stiefmutter bedroht wird. Die drei Schweinchen müssen von Zuhause ausziehen und sich ein eigenes Haus bauen. Jedoch geht es hier um Geschwister und Hilfe und den Gruppenzusammenhalt (zu dritt ist man stärker und weiser als alleine). Diese Märchen sollten einerseits als Textmaterial zu Übungszwecken dienen, aber auch eine inhaltliche und kreative Hilfestellung für die Schüler bieten, als sprachliche und formale Anregung und Material, das sie kreativ und fantasievoll für ihre eigene Geschichte nutzen können. Bei Snow White war vor allem die Darstellungsform interessant für die Unterrichtssequenz: ein Comic zum Ausfüllen. Dieses Märchen ist den Schüler als Schneewittchen und die sieben Zwerge (von den Brüdern Grimm) bekannt, sodass sie auf ihr Hintergrundwissen zurück-greifen und die etwas verkürzte Bildvariante in ihren eigenen Worten nacherzählen konnten. An der Darstellungsform mit Textkästchen und Sprechblasen, die den Schülern aus ihrem Alltag (Comic, Fotolovestory, etc.) vertraut ist, lässt sich der Unterschied zwischen Erzähltext bzw. Hintergrundhandlung und die direkte Rede mit den jeweils erforderlichen Zeitformen einüben, was für die spätere Textproduktion benötigt wird.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 6 Illustration von Shaun Tan für den Deutschen Jugendliteratur Preis 2010, Quelle: http://www.djlp.jugendliteratur.org/2010/

Für ihren ersten selbst verfassten Text erhielten die Schüler ein Poster als Bildimpuls. Diese Methode ermöglicht individuelle Äußerungen je nach Leistungsstand ohne dass weitere binnendifferenzierende Maßnahmen notwendig werden. Die Zeichnung von Shaun Tan ist schülernah, bunt und witzig. Weiterhin stellt die Illustration eine Interaktion dar, die Ziege gibt dem Hasen etwas, das fördert Dialoge. Da die Erdbeere Buchstaben enthält, wird der Phantasie beim Schreiben keine Grenze gesetzt und die Schüler können ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Weiterhin ermöglicht es auch interessenbezogene und schülernahe sowie auch geschlechtlich nicht gelenkte Inhalte. Je nach Interesse können die Schüler Prinzessinnen oder Räuber und Schwerter hinzufügen.

4.4 Didaktisch- methodische Überlegungen

Um den Erwerb der angestrebten Kompetenzen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu sichern, orientiert sich der Fremdsprachenunterricht an Prinzipien. Als solche Prinzipien der Unterrichtsgestaltung nennt der Rahmenlehrplan drei wesentliche Aspekte: 1. Schülerorientierung

2. Handlungsorientierung

3. Prozessorientierung und projektbezogenes Arbeiten[15]

Schülerorientierung ist schon im Thema der Unterrichtssequenz gegeben: die neue Textgattung Märchen fördert den eigenständigen Aufbau von Wissen durch die Schüler. Die Einbeziehung der Schüler in die Erstellung der Strukturierungshilfe und die Gruppenarbeiten zum Zusammentragen der Märchenelemente fördern gezielt das selbst entdeckende Lernen der Schüler. Die offenen Aufgabenstellungen zur Texterstellung ermöglichen es ihnen, eigene Beobachtungen anzustellen, selbst Fragen aufzuwerfen und Textgliederungen zu erstellen, die sie als scaffolding [16] für den eigenen Schreibprozess benutzen können.

Handlungsorientierung fordert, dass der Unterrichtsschwerpunkt auf dem anwendungsbezogenen Gebrauch der Fremdsprache liegt. Die Schüler müssen zwar im Alltag keine Märchen schreiben, aber die Bereitstellung von Formulierungshilfen und Konnektoren und der richtige Gebrauch von Satzbau und Zeitformen beziehen sich auch auf die anderen Kompetenzen und fördern nicht nur gesondert das Schreiben. Haß nennt als Ziele der Schreibschulung die Freisetzung von Kreativität und Phantasie, weiterhin die Beachtung des inhaltlichen, sprachlichen sowie textsorten-angemessenen und formalen Regelwerks [17] . Beide von Haß geforderte Ziele werden in dieser Unterrichtssequenz beachtet. Die Überprüfung des selbst geschriebenen Textes mit Hilfe einer Check liste, die Korrektur von fremden Texten nach bestimmten Kriterien und die Erstellung einer überarbeiteten Fassung der Texte sind methodische Kompetenzen, die fächerübergreifend Anwendung finden.

Das Prinzip der Prozessorientierung bedeutet, dass der Unterricht die Lernenden als Subjekte des Lernprozesses begreift und diesen Lernprozess selbst in den Mittelpunkt stellt. Die Übungen zum Auffinden von Schlüsselbegriffen, das Sortieren zerwürfelter Textteile und das Schreiben zusammenfassender Sätze sowie die Erstellung von Textalternativen bzw. die Umformulierung einiger Passagen dienten als methodische Verfahren im Prozess der Erarbeitung eines Schreibprodukts und reflektieren den eigentlichen Schreibprozess, der am Ende der Unterrichtssequenz steht. Durch die visuelle Darstellung der Ergebnisse ist zuweilen auch dem Projektcharakter Rechnung getragen worden.

Progression

Die Konzeption der Unterrichtsreihe weist eine deutliche Steigerung der Anforderungen auf. Von der zur Verfügung Stellung sprachlicher Mittel und der Strukturerstellung (Stufe 0) über die einfache Satzebene und Einsetzübungen (Stufe I) zur schwierigeren Reproduktion von Texten und das Planen eines Märchens (Stufe II) bis hin zum komplexen kreativen Schreiben nach einem story plan (Stufe III) und der anschließenden inhaltlichen und sprachlichen Überarbeitung (Stufe IV).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Methoden

Die vorherrschenden Sozialformen dieser Unterrichtssequenz sind für die Entwicklungsstufe der Schüler geeignet. In diesem Alter erfordert die geringe Konzentrationsfähigkeit einen häufigen Wechsel der Methoden, sodass sie Schüler sich auch bewegen können. Die verschiedenen Sozialformen respektieren unterschiedliche Lernertypen und implementieren Wiederholungs- und Übungsphasen. Teile der Erarbeitung sind durch das gelenkte Unterrichtsgespräch stark lehrerzentriert.

Damit der Unterricht nicht frontal verläuft und die Schüler-Schüler-Interaktion gefördert wird, sind immer wieder kurze Partnerarbeitsphasen eingeplant. Damit es keinen Lernstillstand gibt, muss stetig ein Lernfortschritt ermöglicht werden; um auch die leistungsstärkeren Schüler herauszufordern, habe ich in jeder Stunde Zusatzaufgaben bereitgestellt.

Die Methoden, die zum Tragen gekommen sind, sollen hier kurz nach der Sozialform aufgeteilt, präsentiert werden:

- Die Einzelarbeit eignet sich zum Üben und Wiederholen, auch für solche Aufgaben wie Lücken bzw. Sprechblasen Ausfüllen[18], Sätze bzw. Satzbausteine zu einer Geschichte Zusammenfügen und eine story aus vorgegebenen Sätzen Auswählen[19], ebenso beim Feedbackbogen zur Unterrichtssequenz.

- Partnerarbeit [20] bietet gegenseitige Hilfe bei schwierigen Arbeitsphasen. Sie bietet eine innere Differenzierung und reziproke Unterstützung der Schüler z.B. beim Wörter Heraussuchen in einer Geschichte[21], der Erarbeitung des Unterschieds zwischen narration und dialogue oder bei der leicht abgeänderten Methode des Cooperative Storytelling[22] (Gemeinsames Geschichtenerzählen): die Schüler bearbeiten einen Schreibauftrag indem sie Notizen anfertigen, anschließend die Ideen oder die Texte weitergeben und vom Partner lesen und korrigieren lassen.

- Gruppenarbeit ist vorgesehen für Aufgaben, die kooperativ oder arbeitsteilig bearbeitet werden können und bei denen Kommunikation erwünscht ist[23]: Die Schüler helfen sich gegenseitig, sodass Lernschwächere von dem output der leistungsstärkeren Schüler profitieren.

Gallery walk [24] (Galerierundgang, siehe hierzu Abbildung 7) ist eine Form der Schülerpräsentation, bei der nicht nur die Arbeitsergebnisse von der gesamten Lerngruppe bewertet und gewürdigt werden, sondern die auch die Präsentationfähigkeit der Schüler und ihre Bewertungskompetenz schult.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 7 Graphische Darstellung der Methode Gallery Walk aus dem Method Guide, Grieser-Kindel 2006, S.82.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 8 Mind map, Beispiel für ein graphic organizer, aus dem Method Guide, Grieser-Kindel 2006, S.89.

Das gelenkte Unterrichtsgespräch wurde angewendet für: die Erarbeitungen von Visualisierungen (graphic organizers [25] ) wie z.B. die features of a story [26] Herausarbeiten bzw. zur Entwicklung eines Erzählgerüsts, den Story Plan [27] ; ebenfalls zum gemeinsamen Ideensammeln, dem kooperativen Brainstorming [28] (siehe hierzu auch Abbildung 8). Als progressives Brainstorming kann man die Methode Think! Pair! Share! [29] verstehen: zunächst denken die Schüler einzeln über ein Thema nach, tauschen sich dann mit ihrem Partner aus und teilen anschließend ihre Kerngedanken im Plenum der Klasse mit.

[...]


[1] Berliner Rahmenlehrplan 2006, S.8.

[2] Dies wurde auch durch die Sitzreihen und die Raumgröße begünstigt.

[3] Um eine bessere gegenseitige Förderung zu erzielen, hatte ich zu Beginn des Schuljahres eine Binnen-differenzierungsmethode eingeführt, bei der mit Hilfe von Tierkarten sich sowohl heterogene als auch homogene Leistungsgruppen schnell zusammensetzten ließen. Die Zusammenarbeit unterschiedlicher Tiere im Team hat sich aber leider nicht bewährt, die geschlechtliche Teilung zwischen Jungs und Mädchen wurde zwar damit aufgelöst aber das Arbeitsklima hat sich nicht verbessert, v.a. weil Freundschaften getrennt wurden. Darüber hinaus beanspruchte die Gruppenbildung relativ viel Zeit und war mit Unruhe verbunden.

[4] Das Verfahren der peer correction kennen die Schüler, allerdings nur wenn sie Übungen korrigieren oder Tests und sie die Lösung haben bzw. kennen.

[5] Cornelsen Workbook zu English G 2000 A3, Schwarz 2000, S.19.

[6] Der Asterisk (Sternchen) markiert in der vorliegenden Arbeit ungrammatische Schülerbeispiele.

[7] Berliner Rahmenlehrplan 2006, S.30.

[8] Fragewörter, die mit dem Buchstaben W anfangen: Wer? Was? Wann? Wieso? etc.

[9] Vgl. Cornelsen English G 2000 A3, Lehrerhandbuch KV 10, Schwarz 2000, S.108.

[10] Creative copying (z.B. durch Einfügen von Wörtern) vgl. hierzu Brookes / Grundy 1998, S.34ff.

[11] Vgl. hierzu Haß 2010, S.271ff.

[12] Hilbert Meyer in: Meyer 1987, S.158.

[13] Berliner Rahmenlehrplan 2006, S.45.

[14] Gasteiger in FU 97 2009, S.26.

[15] Vgl. Berliner Rahmenlehrplan 2006, S.52.

[16] Gängiger Begriff aus der einschlägigen Literatur, benennt ursprünglich ein Geländer oder ein Gerüst und bezeichnet im pädagogisch-fachlichen Kontext die Unterstützung des Lernprozesses durch Orientierungs-hilfen, Anleitungen und andere Grundlagen.

[17] Frank Haß in Haß 2010, S.103.

[18] Hedge 1998, S.121ff.

[19] Vgl. hierzu auch die Anregungen in Wright 1997, S.76ff.

[20] Mattes 2002, S.79.

[21] Idee dazu aus Hedge 1998, S.116ff.

[22] Vgl. Grieser-Kindel 2006, S.31f.

[23] Mattes 2002, S.38.

[24] Die Schüler hängen ihre Arbeitsergebnisse an die Wände des Klassenraums, alle Schüler zirkulieren und lesen und wählen das gelungenste Poster bzw. Produkt aus. Vgl. Mattes 2002, S.48 und Grieser-Kindel 2006, S.79ff.

[25] Ideen dazu aus Hedge 1998, S.30f., Mattes 2002, S.85 und S.130, Grieser-Kindel 2006 S.86ff.

[26] Vgl .hierzu function of a fairy tale auf www.lefavole.org.

[27] Vgl. hierzu auch Reilly/ Reilly 2005, S.116.

[28] Vgl. Taylor 2001, S.27 und Hedge 1998, S.11ff. bzw. S.34f.

[29] Grieser-Kindel 2006, S.186ff.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2011
ISBN (PDF)
9783955499273
ISBN (Paperback)
9783955494278
Dateigröße
6.2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Schulpraktische Seminare Berlin
Erscheinungsdatum
2013 (Juli)
Note
2
Schlagworte
Scaffolding Binnendifferenzierung Motivation Schreiben Referendariat

Autor

Laura Hordoan studierte an der Universität Konstanz Anglistik / Amerikanistik, Romanistik, Geschichte und Pädagogik und absolvierte ihr Referendariat in Berlin. Bereits während des Studiums unterrichtete die Autorin Englisch für Grundschüler und leitete Sprachkurse an der Volkshochschule. Die Autorin unterrichtet derzeit an einem Gymnasium in Berlin und hat bereits mehrere Arbeiten veröffentlicht. Das vorliegende Werk entstand im Rahmen des zweiten Staatsexamens.
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