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Die Gestalt des Medardus im Werk "Die Elixiere des Teufels": Abbild eines Wahnsinnigen im Zeichen der Schwarzen Romantik

©2008 Bachelorarbeit 44 Seiten

Zusammenfassung

Hoffmanns 1815 erschienener Roman ‘Die Elixiere des Teufels’ ist nicht nur das deutsche Pendant zum Schauerroman ‘The Monk’ von Matthew Gregory Lewis, sondern auch ein typischer Vertreter der Schwarzen Romantik, vor allem der ‘dunklen Seite’ der Schwarzen Romantik - des Wahnsinns, des Kranken, des Bösen, des Dämonischen und Teuflischen. Hoffmann schafft es in diesem Werk wie kein anderer Vertreter dieser literarischen Strömung durch seinen Schreibstil sowie die ‘kranke’ Denk- und Handlungsweise des Protagonisten dem Leser die Abgründe der menschlichen Seele und den Wahnsinn naturgetreu vor Augen zu führen und das ohne dem Leser die Hoffnung zu nehmen, dass der geistlich verwirrte und ‘ins Verderbnis stürzende’ Protagonist am Ende dennoch Heilung oder Erlösung finden wird. Eben diese Hoffnung, dass man vom Wahnsinn geheilt werden kann, die allgegenwärtig ist - wie im wahren so auch im fiktionalen Leben - wusste Hoffmann sehr gut für das Schreiben seines Werkes auszunutzen. Die Elemente des Fantastischen, die der Autor erfolgreich in die realistischen Situationsschilderungen des Wahnsinns einbettet, machen den Roman zu einem äußerst lesenswerten Erlebnis.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2.2. Der Wendepunkt bei Medardus

Als Medardus’ Wendepunkt von der Vernunft zum Wahnsinn kann entweder sein Wahnsinnsanfall in der Kirche während seiner Rede oder das Trinken des verbotenen Teufelselixiers gesehen werden. Zwar verlässt Medardus seine Vernunft zum ersten Mal beim Anblick des Malers in der Kirche, als er seine Rede über die Legende vom heiligen Antonius hält, aber erst nachdem er in den Genuss des Teufelselixiers gekommen ist, leiten ihn statt der Vernunft nur noch seine Triebe, seine Besessenheit oder wie er selbst sagt „eine höhere Macht“, der er sich oft ganz hingibt.

2.2.1. Rede bei Anwesenheit des Malers

Als Medardus sein Rednertalent entdeckt und seine Reden hält, verändert sich sein Inneres. Er beginnt gegenüber den Geistlichen, vor allem Leonardus, Hassgefühle zu entwickeln, die er nicht verbergen kann und verfällt immer mehr in einen Größenwahn. Da die Veränderung seines Gemüts so sehr auffällt, warnt ihn Leonardus vor seinem Schicksal:

Du trägst in diesem Augenblick die Schuld unseres sündigen Ursprungs, die jedem mächtigen Emporstreben unserer geistigen Kraft die Schranken des Verderbnisses öffnet, wohin wir uns in unbedachtem Fluge nur zu leicht verirren! [...] Gehe in dich Medardus! – entsage dem Wahn, der dich betört – [...] Laß dich warnen, weiche aus dem Feinde, der dir nachstellt.[1]

Während seiner Rede, die er der Legende vom heiligen Antonius widmet, erblickt er einen Mann im dunkelvioletten Mantel, der sich später als der Maler herausstellt, der ihm auf seinem späteren Weg immer wieder in die Quere kommt. Dessen Anblick, der Medardus in Todesangst versetzt, führt bei Medardus zum Ausbruch des Wahnsinns. Medardus’ Rede wird immer verwirrter, bis er sich letztlich als der heilige Antonius ausgibt und den Maler in Verzweiflung wegscheucht. An diese ersten Anzeichen des Wahnsinns erinnert sich Medardus auch auf seiner Reise, auf der ihm immer wieder der Maler über den Weg läuft und es scheint, als ob der Maler in Medardus den Wahnsinn entfacht hat, der nach dem Genuss des Teufelselixiers immer mehr zum Vorschein kommt.

2.2.2. Der Genuss des Teufelselixiers

Medardus hört zum ersten Mal vom Teufelselixier von Cyrillus, der ihm die Legende vom heiligen Antonius erzählt, während sie die Reliquienkammer besichtigen. Der Legende nach hat der heilige Antonius die Getränke, die ihm sein Widersacher anbot und ihm im Rasen zurückgelassen hat, damit er sie findet, in einer Höhle versteckt, um nicht in Versuchung zu kommen. Eine solche Flasche steht auch in der Reliquienkammer des Klosters und gerade Medardus bekommt die Aufgabe, diese Flasche, die „Verderben und heillosen Untergang jedem bereiten könnte“[2] zu überwachen.

Am Anfang von Cyrillus’ Warnung abgeschreckt, das Kistchen mit dem Teufelselixier niemals zu öffnen, versteckt Medardus die Schlüssel, die aber nach der Besichtigung der Reliquienkammer mit einem Grafen und seinem Hofmeister wie von Geisterhand im Schlüsselbund auftauchen. Trotz Cyrillus Warnung überschätzt sich Medardus selbst, glaubt, dass nur der Genuss des Elixiers seinen Geist, der nach seinem Wahnsinnsanfall in der Kirche erschöpft ist, stärken kann und beschließt deshalb den Wein zu trinken, der ihn mit seinem angenehmen Duft betört hat. „Medardus schildert sich im Verlauf der Aufzeichnungen gleichsam als Verführten: [...] Im Detail betrachtet, vollführt der Mönch das Sakrileg mehr aus quälender Neugier als aus schuldvoller Absicht.“[3]

Dank des Elixiers erwacht in Medardus seine Heiterkeit und Lebendigkeit wieder, aber auch sein Größenwahn und die sexuelle Lust. Medardus sieht aber nur die Vorteile, die ihm der Genuss des Elixiers verschafft, und nicht die Nachteile, die all die anderen, u. a. die Äbtissin und auch Leonardus, sehen. Leonardus missfällt Medardus’ Verhalten, weil es das „ruhige Beisammensein“[4] der Mönche zerreißt und deshalb beschließt er ihn nach Rom zu schicken, damit er dort Heilung findet.

Nicht die Vernunft leitet ihn auf seinem Weg, sondern der Wahn, der ihn von einem Verbrechen zum nächsten führt, sein Inneres spaltet und ihm ermöglicht, seine sexuelle Lust auszuleben. Er denkt über seine Handlungen wie auch deren Konsequenzen nie lange nach, sondern lässt sich vom Schicksal leiten. Die Schwäche von Medardus’ Vernunft, die seinem Wahnsinn unterliegt, und den Sieg der Narrheit über die Vernunft verdeutlicht Belcampo in seiner Predigt im Krankenhaus:

[...] ich selbst bin die Narrheit, die ist überall hinter dir her, um deiner Vernunft beizustehen, und du magst es nun einsehen oder nicht, in der Narrheit findest du nur dein Heil, denn deine Vernunft ist ein höchst miserables Ding, und kann sich nicht aufrecht erhalten […] und muß mit der Narrheit in Kompagnie treten, die hilft ihr auf. [...] Die Narrheit erscheint auf Erden, wie die wahre Geisterkönigin. Die Vernunft ist nur ein träger Statthalter, der sich nie darum kümmert, was außer den Grenzen des Reichs vorgeht, der nur aus Langerweile auf dem Paradeplatz die Soldaten exerzieren läßt, die können nachher keinen ordentlichen Schuß tun, wenn der Feind eindringt von außen.[5]

Erst nachdem Medardus’ Doppelgänger Aurelie erstochen hat, kommt Medardus zur Vernunft und sieht ein, dass seine Verbrechen „wie eine physische Krankheit von jenem Gift erzeugt“[6] großes Unheil angerichtet haben.

3. Hoffmanns Darstellung des Wahnsinns

Hoffmann, der immer danach strebte, bestehende Konventionen zu brechen und seine Zeitgenossen für seine Werke zu begeistern, indem er sie schockierte, bietet seinen Lesern in seinen Werken, u. a. „Der Sandmann“ und „Die Elixiere des Teufels“, eine mysteriöse Handlung mit schaurigen Gestalten wie der Gestalt des Sandmanns oder des Doppelgängers. Dabei sind seine Werke nur Spiel seiner eigenen Fantasie; er verwendet Symbole, die sich auf seine eigenen Probleme, Visionen, Träume und Ängste beziehen und für ihn sind sie wie auch für Novalis „die Sprache der Natur“, den für ihn wie auch für Novalis umfasst die Natur einfach alles: den Himmel und die Hölle, den Traum und den Wahnsinn.[7]

Hoffmann lässt nicht nur seine Figuren, sondern auch den Wahnsinn „selbst”, der bei den Figuren zeitweilig ausbricht, sprechen, indem er ihn als eine fremde Stimme im menschlichen Innern zu Wort kommen lässt. Der Wahnsinn mischt sich mit den anderen dunklen Mächten in Hoffmanns Werken in den bürgerlichen Alltag ein, der meist satirisch dargestellt wird.

Gerade sein Werk „Die Elixiere des Teufels“ repräsentiert die schauerliche Atmosphäre mit Bildern des Dämonischen, des Wahnsinns und der Bedrohung des Doppelgängers, des Widersachers, woran man Hoffmann wiedererkennt. Eine genaue Darstellung des Wahnsinns verdankt Hoffmann u. a. seinen Studien über die verschiedensten Formen des Wahnsinns, dem Kontakt mit einigen Patienten von Dr. Marcus und Dr. Speyer in Bamberg und den Werken von Phillipe Pinel, Cox (Praktische Bemerkungen über Geisteszerrüttungen), Schubert, Kluge und Johann Christian Reil (Rhapsodien über die Anwendung der psychischen Kurmethode auf Geisteszerrüttungen).[8] Somit schuf Hoffmann in seinem Werk, in dem, nach Heine, das Furchtbarste und Entsetzlichste, das der Geist sich erdenken könne, liegt, krankhafte Züge aufweisende Gestalten der Wirklichkeit.[9]

4. Stilistische Merkmale des Romans „Die Elixiere des Teufels“

Beim Lesen des Romans fallen sofort die Mischform und die Gliederung des Romans sowie der chronologische Ablauf der Handlung, der durch Rückblenden unterbrochen wird, die häufige Verwendung von Metaphern und Allegorien und Hoffmanns Komik, gemischt mit Ironie, dem Leser ins Auge, auf die im Folgenden näher eingegangen wird.

4.1. Gattungsbezeichnung

Der Roman verdankt seinen vielen Motiven, die von Mord, Inzest, Verführung, Sünde, Verbrechen bis hin zur Liebe und Klosterleben reichen, seine Mischform. Folgend kann der Roman als eine Mischung aus Fabel, Trivialroman (Schauer-, Kloster-, Abenteuer-, Geheimbundroman) und Autobiografie gesehen werden.

Die Bezeichnung „Fabel“ ist durch die vielen fantastischen und abenteuerlichen Geschehnisse begründet, es dominiert aber durch die Motive wie Inzest, Mord und vor allem das Dämonische, das die „individuelle Schuld nicht [zulässt] oder höchstens diejenige krimineller Passivität“[10], der triviale Charakter des Romans. Auch wegen der Fülle an Geschehnissen, der Darstellung von Medardus’ Handeln als Verführung des Teufels und den geheimnisvollen Familienbeziehungen kann der Roman zur Trivialliteratur gezählt werden.

Dank des Einflusses des Schauerromans „Der Mönch“ von Matthew Gregory Lewis, der sich in einer Reihe von Schauermotiven widerspiegelt, kann der Roman „Die Elixiere des Teufels“ dem Schauerroman zugeordnet werden.[11] Die beiden Schauerromane unterscheiden sich aber grundlegend im Inhalt. Während Lewis seinen Ambrosio in „Der Mönch“ in ewiger Verdammnis enden lässt, geht Medardus den Weg der Buße und rettet somit sich selbst. Neben vielen schauerlichen Motiven, wie dem Dämonischen im Menschen, womit sich auch viele andere romantische Autoren in ihren Werken beschäftigt haben, der Angst vor dem Doppelgänger, der Verführung des Teufels zum Bösen und zur Sünde, der Mordlust, den Wahnsinnsanfällen, den Familienbeziehungen und der Erbsünde wird im Roman „Die Elixiere des Teufels“ der Einfluss von Lewis’ Schauerroman sogar auf eine fiktive Gestalt (Aurelie) beschrieben.[12]

Obwohl der Roman dank der Darstellung des Klosterlebens, das aus Bruderschaft, Messen, Kirchenreden, Beichten, Reliquien, Andachtsübungen und in Medardus’ Fall auch aus Marter und Buße besteht, zum Klosterroman gezählt werden kann, fehlen die Glaubenskonflikte, denn Medardus beschäftigt sich nicht mit seinem Glauben und Gott, sondern nur mit sich selbst, seiner Moral.

Neben den bisherigen Bezeichnungen als Fabel, Schauer- und Klosterroman kann der Roman auch als Geheimbundroman oder Abenteuerroman bezeichnet werden. Als Geheimbundroman kann der Roman wegen des geheimen Ordens, der Cyrillus in einer geheimen Kammer, abgeschnitten von der Außenwelt, hinrichtet, bezeichnet werden, als Abenteuerroman hingegen wegen Medardus’ abenteuerlicher Reise.

Die Zuordnung des Romans zur Autobiografie ist nicht auf den Autor, sondern auf den Icherzähler (Medardus) bezogen, obwohl einige Autoren glauben, dass der Roman auch autobiografische Züge enthält.

Neben all diesen Bezeichnungen fand Friedrich Hebbel die passendste Lösung für die Gattungszuordnung:

„Die Elixiere des Teufels sind und bleiben ein höchst bedeutungsvolles Buch, so voll warmen, glühenden Lebens, so wunderbar angelegt und mit solcher Konsequenz durchgeführt, daß, wenn es noch keine Gattung gibt, der Darstellungen dieser Art angehören, das Buch eine eigene Gattung bilden wird.“[13]

4.2. Form

Im Roman „Die Elixiere des Teufels“, der in der Ichform geschrieben ist, wechseln sich fünf Erzähler ab (der fiktive Herausgeber, Medardus, Aurelie, der Maler und Pater Spiridion).

Als Icherzähler dominert Medardus, der seinen Lebensweg, aber vor allem seine Erlebnisse vom Eintritt in das Kloster bis zur Aurelies Tod dem Leser als eine Art Beichte genau schildert. Im Gegensatz zum Icherzähler unterliegt das handelnde Ich Gefühlsschwankungen. Er schwankt zwischen Liebe, Sehnsucht, Leidenschaft und Hass und Mordlust. Eben dieser „Vielheit des handelnden Ichs steht [...] die Einheit des erzählenden Ichs gegenüber, ein Kontrast, in dem sich die Problematik des romantischen Ich-Begriffs widerspiegelt.“[14]

Die anderen (der fiktive Herausgeber, Aurelie, der Maler und Pater Spiridion) übernehmen nur vorübergehend Medardus‘ Rolle als Erzähler. Gleich am Anfang des Romans, im Vorwort, übernimmt die Rolle des Icherzählers der fiktive Herausgeber, der die Leser vor Medardus’ Bekenntnissen warnt, an denen nach seiner Meinung die Leser vielleicht Gefallen finden werden. Der Herausgeber mischt sich ein zweites, letztes Mal in den Handlungsablauf ein, als er mit seinen Anmerkungen über die Pergamente des Malers dem Leser die Familienbeziehungen erklärt. Aurelie wird in ihrem Brief an die Äbtissin, den Medardus findet und liest, zum Erzähler, der Maler in seinem Buch über den Familienfluch und Pater Spiridion im Nachtrag, in dem er die unheimlichen Umstände von Medardus’ Tod schildert.

Der Roman umfasst neben dem Vorwort zwei Bände und sieben Abschnitte. Der erste Band enthält vier Abschnitte: „Die Jahre der Kindheit und das Klosterleben“, „Der Eintritt in die Welt“, „Die Abenteuer der Reise“ und „Das Leben am fürstlichen Hof“, der zweite drei Abschnitte: „Der Wendepunkt“, „Die Buße“ und „Die Rückkehr in das Kloster“.

4.3. Handlungsablauf

Der chronologische Handlungsablauf, der in sieben Abschnitte eingeteilt ist, die Medardus’ Lebensweg von seinen Kinderjahren bis hin zu seinem Tod umfassen, ist durch zahlreiche Rückblenden (Geschichten über seine Ahnen, seinen Stiefbruder [Graf Viktorin bzw. den wahnsinnigen Mönch], und ihn selbst, Medardus, dem Mönch), Aurelies Brief an die Äbtissin, die Anmerkungen des Herausgebers, das Pergamentblatt vom Maler und den Nachtrag vom Pater Spiridion unterbrochen. Gerade durch diese Episoden wird der eigentlich geradlinige Handlungsablauf, der durch Anhäufung von Ereignissen gekennzeichnet ist, verzögert.

Medardus erzählt rückblickend in der Ichform seine Lebensgeschichte, die er als letzte Bußübung aufschreiben musste, wobei er mehrere Gefühle auf einmal empfand: „Schmerz und Wonne, Grauen und Lust – Entsetzen und Entzücken stürmten in meinem Innern, als ich mein Leben schrieb.“[15]

4.4. Bildersprache

Die Bildlichkeit in Hoffmanns Roman „Die Elixiere des Teufels“ äußert sich in Metaphern, Allegorien und Paradigmen, die eine Atmosphäre des Unheimlichen, Dämonischen und Schrecklichen verbreiten sollen.

Den Begriffen „geheimer Faden“ und „der über uns gebietenden dunklen Macht“ entsprechen im Roman viele metaphorische Äquivalente wie das „dunkle Verhängnis“, die „finstre Macht“ oder das „geheimnisvolle Spiel des Schicksals“.

Hoffmanns Bilder und Metaphern, die den Menschen als Gefangenen, als Opfer der Wellen und am Abgrund darstellen, entsprechen zugleich Nietzsches Darstellung des Menschen.

Szenen wie der auf dem Dach beschworene Kampf, der Sturz von Graf Viktorin in den Abgrund, Medardus’ Kampf mit dem Doppelgänger, der ihm auf den Rücken springt, als Darstellung von Medardus’ innerem Zwiespalt zeugen von einer sehr bildreichen Sprache, die Hoffmann u. a. bekannt gemacht hat.

4.5. Ironie und Komik

Hoffmanns Ironie unterschiedet sich von der romantischen Ironie, wie sie bei Ludwig Tieck in seinem biedermännisch scherzenden Ton zu finden ist. Hoffmann ist in seinem Humor spontan und bitter. Hoffmann übt mit seiner Ironie Kritik u. a. an den Verhältnissen am Fürstenhof, weshalb auch der Fürstenhof im Roman nicht namentlich genannt wird. Im Roman stellt sich Medardus demnach das Hofleben folgendermaßen vor:

Zum erstenmal in meinem Leben sollte ich an einem Hofe erscheinen, [...] und mir gingen all die abenteuerlichen Geschichten von den Kabalen, Ränken, Intrigen der Höfe, wie sie sinnreiche Roman- und Komödienschreiber aushecken, durch den Kopf. Nach Aussage dieser Leute mußte der Fürst von Bösewichtern aller Art umgeben und verblendet, insonderheit aber der Hofmarschall ein ahnenstolzer, abgeschmackter Pinsel, der erste Minister ein ränkevoller, habsüchtiger Bösewicht, die Kammerjunker müssen aber lockere Menschen und Mädchenverführer sein. – Jedes Gesicht ist kunstmäßig in freundliche Falten gelegt, aber im Herzen Lug und Trug; [...] Die Hofdamen sind häßlich, stolz, ränkevoll, dabei verliebt und stellen Netze und Sprenkeln vor denen man sich zu hüten hat wie vor dem Feuer![16]

Selbst die Figuren im Roman sind ironisch, wie Belcampo der ironisch seinen Verzicht auf ein planmäßiges Leben ausdrückt, indem er die Narrheit preist.

Wie die Ironie so setzt Hoffmann auch die Komik gezielt ein, sodass sich sogar die humoristischen Zwischenfälle im Roman auf eines der zentralen Themen beziehen: den Wahnsinn. Zu den komischen Szenen gehört u. a. die Szene mit dem bestechlichen Richter, die mit Medardus’ Identifizierung als „Blutbruder“ durch ein wahnsinniges Bettelweib endet oder Belcampos Rede, in der er Medardus eine Predigt über die Schwäche der Vernunft hält, wobei er selbst dem Wahnsinn verfallen ist.

5. Anzeichen des Wahnsinns bei Medardus

Medardus’ Wahnsinn zeichnet sich u. a. durch seinen inneren Zwiespalt, dem Medardus oft die Schuld an seiner Handlungs- und Denkweise gibt, seiner Verfolgungsangst, die seine Wahnvorstellungen nach sich ziehen, seine Träume und seine Obsession, die in ihm Mordgedanken weckt, aus. Im Folgenden wird auf die sechs genannten Merkmale (innerer Zwiespalt, Mordgedanken, Verfolgungsangst, Wahnvorstellungen, Träume und die Obsession) näher eingegangen.

5.1. Innerer Zwiespalt

Nachdem Medardus vom Teufelselixier gekostet hat, entfachen in ihm „dunkle“ Mächte, denen er sich hingibt, wobei sein Ich gespaltet wird. Indem seine Sprech-, Handlungs- und Denkweise wie von einer fremden Macht geleitet wird, wird ihm klar, dass in seinem Körper zwei Seelen gefangen sind. Als er in die Rolle des Grafen Viktorin schlüpfen muss, äußert er sich über seinen Zustand folgendermaßen:

Ich konnte mich selbst nicht wiederfinden! [...] Ich bin das, was ich scheine, und scheine das nicht, was ich bin, mir selbst ein unerklärliches Rätsel, bin ich entzweit mit meinem Ich![17]

Somit kann man als Ursache der Spaltung des Ichs auch die zusätzliche Übernahme der Identität eines anderen (in Medardus’ Fall der Identität des Grafen Viktorin) sehen. Dies verwirrt und erschreckt Medardus so sehr, dass er nicht mehr weiß, wer er ist und zu welchen Taten er fähig ist. Das Einzige, was für ihn sein vorheriges und jetziges Sein verbindet, ist der Gedanke an Aurelie.

Nach Freud, erscheint Medardus als einer, der „an seinem Ich irre wird”, „das Fremde Ich [...] an die Stelle des eigenen versetzt”[18].

Seine Angst, dass er mit seinem Selbst entzweit ist, geht so weit, dass Medardus, nachdem er mit „Glück“ zwei Hühner herabgeschossen hat, als er mit dem Förster jagen ging, befürchtet, dass diese Angst sein Wesen zerstören könnte. Und da ihm sein Stiefbruder Viktorin als Doppelgänger überall begegnet und “als, das vom Teufel beseelte Prinzip’ ihn in die abscheulichsten Frevel stürzt, muß sich diese Bewußtseinsspaltung bis zum Zweifel am eigenen Ich steigern”[19].

Erst auf dem Hof des Fürsten erkennt Medardus seinen Zwiespalt endlich an und hofft dank dieser Kenntnis seine Angst zu bezwingen und der bösen Macht, seinem Feind, der ihn zu sündigen antreibt, zu widerstehen. Der Zwiespalt bleibt aber weiterhin ein Teil von ihm. Belcampo beschreibt seinen Zwiespalt und die damit verbundene Unentschlossenheit mit folgenden Worten:

Fürchten Sie nicht, daß Sie bisweilen zu wenig Katzenhirn zu sich genommen, statt dessen aber im Wirtshause neben der gezogenen Schnur zu viel Spirituöses genossen und nun wie ein schwindliger Turmdecker zwei Ziele sehen, ohne zu wissen, welches das rechte?[20]

Ein weiteres Anzeichen dafür, dass sein Inneres zerstreut ist, ist eine fremde Stimme, die er in seinem Kopf flüstern hört. Medardus hört die Stimme, wenn er unter Druck oder Angst steht oder wenn er sich in einer für ihn ausweglosen Situation befindet. Er spricht dann alles nach, was sie ihm sagt, ohne darüber nachzudenken. So verwickelt sich Medardus immer mehr in Lügen, wird aber bis zu seiner Beichte nicht als Lügner entlarvt, obwohl einige an der Wahrheit seiner Worte zweifeln, wie Hermogen. Dieser durchschaut seine Lügen und wünscht sich, dass Medardus, den er Heuchler nennt, der Wahnsinn ins Verderben stürzt:

Elender Heuchler, bald kommt die Stunde der Vergeltung, und in den Staub getreten wie ein giftiger Wurm, zuckst du im schmachtvollen Tode, vergebens nach Hülfe, nach Erlösung von unnennbarer Qual ächzend, bis du verdirbst in Wahnsinn und Verzweiflung.[21]

Durch die Wahrnehmung der Stimme, die ihn zum Kampf herausfordert, wird Medardus immer klarer, dass sein innerer Zwiespalt ein Ende haben muss. Die Stimme fordert ihn mit den Worten „der Uhu macht Hochzeit; nun wollen wir auf das Dach steigen und ringen miteinander, und wer den anderen herabstößt, ist König und darf Blut trinken“[22], zum Duell heraus, um zu bestimmen, wer über Medardus’ Körper herrschen darf. Er weiß aber nicht, wie er diese Gestalt, die kein lebendiger Gegner und nur ein Teil seiner Wahnvorstellungen oder Träume ist, bezwingen soll. Oft kommt es gar nicht zum Kampf, weil er kurz nach der Herausforderung von jemandem aus seiner Wahnvorstellung geweckt wird. Als sich Medardus dann im Försterhaus in den Kampf einlässt, erwacht er, ohne zu wissen, wer der Sieger ist. Diese Herausforderung, die er an seinem Hochzeitstag hört, weckt in ihm die Mordlust. Er sieht sich als Sieger im Kampf, gesteht Aurelie, dass er Medardus und nicht Leonard ist, für den er sich ausgegeben hat, ersticht sie und flieht.

Medardus’ Zwiespalt beruht auch auf einer Gegenüberstellung, die ebenfalls sein Ich spaltet, denn die Gegenüberstellung von „Kloster“ und „Welt“, der gläubig verehrten heiligen Rosalia und der sündig begehrten Aurelie usw. zeugt von einem Dualismus der Wahrnehmung.[23] Diesem Dualismus kann er wie der Stimme, die er wahrnimmt, und dem Doppelgänger nicht entkommen.

Erst als Medardus durch Aurelies Tod von seinen Sünden gereinigt wird, verschwinden alle Anzeichen des Wahnsinns und somit auch sein Zwiespalt.

[...]


[1] E.T.A. Hoffmann: Elixiere des Teufels. Nachgelassene Papiere des Bruders Medardus, eines Kapuziners. Wilhelm Goldmann Verlag. München. o.J. S. 31.

[2] Elixiere. S. 26.

[3] Brigitte Feldges und Ulrich Stadler: E.T.A. Hoffmann. Epoche - Werk – Wirkung. Verlag C. H. Beck. München 1986. S. 202.

[4] Elixiere. S. 41.

[5] Elixiere. S. 205.

[6] Ibd. S. 274.

[7] Vgl. Gabrielle Wittkop-Ménardeau: E.T.A. Hoffmann. In Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Rowohlt Taschenbuch Verlag. Reinbek bei Hamburg 1966. S. 97

[8] Vgl. E.T.A. Hoffmann, S. 69 und Auhuber, Friedhelm: In einem fernen dunklen Spiegel: E.T.A. Hoffmanns Poetisierung der Medizin. Westdeutscher Verlag GmbH. Opladen 1986. S. 10ff

[9] Vgl. Steinecke, Hartmut (Hg): E. T. A. Hoffmann: deutsche Romantik im europäischen Kontext, Erich Schmidt Verlag GmbH &, Berlin 1993. S. 36

[10] Epoche - Werk – Wirkung. S. 201.

[11] Vgl. E.T.A. Hoffmann. S. 106 und E. T. A. Hoffmann: deutsche Romantik im europäischen Kontext. S. 145

[12] Vgl. Elixiere. S. 191

[13] Elixiere. S. 284.

[14] dtv (Hrsg.): Kindlers Literaturlexikon. Band 8: Ea – Fak. Deutscher Taschenbuch Verlag. München 1974. S. 3059.

[15] Elixiere. S. 276.

[16] Elixiere. S. 120.

[17] Elixiere. S. 57f.

[18] Epoche-Werk-Wirkung. S. 207.

[19] Elixiere. S. 281.

[20] Ibd. S. 210.

[21] Elixiere. S. 62.

[22] Ibd. S. 101.

[23] Vgl. Gerhard R. Kaiser: E. T. A. Hoffmann. In: Sammlung Metzler. Realien zur Literatur. Band 243. J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung. Stuttgart 1988. S. 49

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2008
ISBN (PDF)
9783956847097
ISBN (Paperback)
9783956842092
Dateigröße
1.7 MB
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Schlagworte
Schwarze Romantik Hoffmanns Schreibstil Klosterroman Doppelgängertum (Erb)Sünde Schauerroman Wahnsinn

Autor

Marta Hajsok wurde 1986 in Varaždin in Kroatien geboren. Ihr Magisterstudium der Germanistik für Diplomübersetzer an der Philosophischen Fakultät in Osijek in Kroatien schloss die Autorin im Jahre 2010 erfolgreich ab. Mit dem Abschluss erlangte sie de akademischen Grad Magister der Germanistik und die Berufsbezeichnung Diplomübersetzer für Deutsch. Während des Bachelor- und Magisterstudiums verfestigte sich bei der Autorin die Leidenschaft für das Lesen, die Interpretation und das Übersetzen deutschsprachiger Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts. Die Prosawerke der Romantiker E. T. A. Hoffmann und Ludwig Tieck erweckten bei ihr das größte Interesse, weshalb sie auch eines von Hoffmanns bekanntesten Werken zum Gegenstand ihrer Arbeit machte.
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