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Bedeutung der Jugendphase im Prozess der Bildung von Identität

©2013 Bachelorarbeit 56 Seiten

Zusammenfassung

Bücher zum Thema Identität, wie der Bestseller „Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“ von Richard David Precht, sind in den letzten Jahren immer zahlreicher auf dem Büchermarkt vertreten. Die Frage nach der eigenen Identität und was dieser Begriff zu bedeuten hat, erlebt eine bemerkenswerte Konjunktur, sowohl in der Wissenschaft als auch in der Populärliteratur. Gleichzeitig wird Identität zum Inflationsbegriff Nr. 1, welcher immer unübersichtlicher zu werden scheint. Aber was genau bedeutet der Begriff der Identität? Ist es möglicherweise nur die schlichte Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“ oder steckt doch mehr dahinter?
Am Ende dieser Arbeit steht sowohl ein besseres Verständnis für die Phase der Jugend, als auch für den Begriff der Identität.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1.2 Aus Sicht der Soziologie

Bevor es sich um die altersspezifischen Bewältigungsaufgaben aus der Sicht der Soziologie handeln wird, geht es zuerst allgemein um den Begriff der Sozialisation, auch wenn dieser Begriff sowohl der Soziologie als auch der Pädagogik zugeschrieben werden kann. Sie spielt eine zentrale Rolle bei der Entwicklung von jungen Menschen im Kontext der Gesellschaft.

Sozialisation bezeichnet den Prozess, bei dem Personen in eine Gesellschaft integriert werden. Verbunden mit dieser Integration, steht das Erlernen gesellschaftlicher Normen und Handlungsmuster, um junge Menschen „auf die Übernahme von verantwortungsvollen gesellschaftlichen Mitgliederrollen vorzubereiten“.[1] Im weiteren Sinne sind alle Lern- und Erziehungsprozesse darunter zu verstehen, die einem Menschen dabei helfen sollen, innerhalb einer Gesellschaft mit deren spezifischen Kultur und Bräuchen am sozialen Leben teilhaben zu können.[2] Hurrelmann versteht unter diesem Prozess folgendes:

„Sozialisation bezeichnet [...] den Prozess, in dessen Verlauf sich der mit einer biologischen Ausstattung versehene menschliche Organismus zu einer sozial handlungsfähigen Persönlichkeit bildet, die sich über den Lebenslauf hinweg in Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen weiterentwickelt“.[3]

Oder anders formuliert: Sozialisation ist die Entwicklung der Persönlichkeit aufgrund ihrer Interaktion mit einer spezifischen und sozialen Umwelt. Sozialisation bezieht also immer beides mit ein, die einzelne Person und die Gesellschaft als Ganzes, welche in einer wechselseitigen Beziehung zueinander stehen.

Zum Einen möchte eine Gesellschaft durch gezielte Bildungs- und Erziehungsprozesse ihre gesellschaftlichen Strukturen, Traditionen, Bräuche, Werte, Normen usw. aufrechterhalten und an nachfolgende Generationen ‚weitervererben‘. Zum Anderen soll dem Individuum dabei geholfen werden, eine selbstständige und aktiv handelnde Person innerhalb dieser Gesellschaft zu werden, um die eigene Rolle in ihr zu finden und diese einzunehmen. Dabei geht Sozialisation über Bildungs- und Erziehungsprozesse innerhalb von gesellschaftlichen Institutionen hinaus, da sie überall dort zu finden ist, wo eine „aktive Auseinandersetzung mit der sozialen und materiellen“[4] Welt stattfindet. Sozialisation findet ein Leben lang statt, dennoch hat sie gerade in der Kindheits- und Jugendphase eine besondere Relevanz. Das liegt unter anderem daran, dass sie in diesen Phasen „eine einzigartige Dichte“[5] an Interaktionsprozessen zwischen Individuum und Gesellschaft erreicht wird und erste prägende Schritte stattfinden. Junge Menschen entwickeln sich aus der Phase der Kindheit, in welcher sie weder verantwortungsvolle Aufgaben, noch tragende Rollen der Gesellschaft verinnerlicht haben, hin zu erwachsenen Personen, die für ihre Handlungen die volle Verantwortung tragen müssen. Die Jugend wiederum stellt eine Phase des Erlernens und Experimentierens dar, was sich beispielsweise im deutschen Jugendstrafgesetzbuch widerspiegelt, in welchem den Jugendlichen eine besondere Stellung eingeräumt wird. Dabei laufen erste Prozesse der Verantwortungsübernahme in gesellschaftlichen Bereichen zwischen Kindheit und Jugendphase schleichend ab, wie etwa in den Bereichen „Bildung (Schulabschluss), Konsum (Besitz von Gütern) und Partizipation (Übernahme eines Ehrenamtes)“.[6] Durch diese schleichenden Übergänge wird es schwer, die Phasen zeitlich eindeutig festzulegen und zu definieren. Mit dem Übergang von der Kindheits- in die Jugendphase hängt sowohl ein stetig wachsender Handlungsspielraum, welcher eine „Vergrößerung der Rollenvielfalt mit sich bringt“,[7] als auch zunehmende Erwartungen und Verpflichtungen gegenüber dem sozialen Umfeld, zusammen. Am Ende dieses Prozesses sollte die Übernahme gesellschaftsrelevanter Rollen stehen.[8]

Als tragende Institutionen der Sozialisation sind nach wie vor die Familie, Bildungseinrichtungen, Freunde, Peer-Groups, Vereine, Medien usw. anzusehen, wobei die Familie nach wie vor einen hohen Stellenwert und eine Schlüsselrolle einnimmt.[9] So legt sie nicht nur erste Grundsteine der Sozialisation und Wissensvermittlung in der Kindheit, sondern dient auch als „wichtiger Ort des Rückhalts“[10] im weiteren Verlauf des Lebens. Hier lernen junge Menschen erste intime und persönliche Beziehungen kennen. Sie erfahren, was es bedeutet, diese sowohl aufzubauen, als auch in ihrem täglichen Leben zu praktizieren. Die Familie übernimmt zwar eine wichtige Rolle, so reicht sie dennoch nicht aus, um junge Menschen auf eine zunehmend komplexe Welt vorzubereiten.[11] Mit steigendem Alter nehmen daher auch außerfamiliäre Einrichtungen an Relevanz und Bedeutung zu, zu denen sowohl staatliche Bildungseinrichtungen, wie auch Einrichtungen freier Träger, Kirchen und Jugendverbände zählen. Sie eröffnen jungen Menschen nach und nach Chancen, neue Bereiche der Gesellschaft und ihrer Persönlichkeit zu entdecken und ihnen auf ihrem Weg zu eigenverantwortlichen und selbständig handelnden Personen professionell zur Seite zu stehen, sie anzuleiten und zu unterstützen. Dabei nimmt die Schule die wichtigste Rolle ein, was an der verpflichtenden Teilhabe eines jedes Kind und der Zeitspanne von mindestens 9 Jahren liegt. Neben den Sozialisationsaufgaben gibt sie außerdem einen Ausblick auf die darauffolgenden Bereiche des Bildungs- und Berufswesens. Schüler sollen darauf vorbereitet werden, sich für einen Weg von vielen zu entscheiden.

Eine besondere Relevanz nimmt die Schule für junge Menschen ein, welche aufgrund ihrer familiären Situationen soziale Ungleichheit erleben. Diese soziale Ungleichheit kann möglicherweise zu ungleichen Teilhabechancen in der Gesellschaft führen. Aus diesem Grund fordert die Schulpolitik, solche Ungleichheiten durch eine stärkere Unterstützung der Jugendlichen und ihrer Familien, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Schulsystems, auszugleichen.[12]

Damit Jugendliche den Bewältigungsaufgaben der Jugendphase aus dem Bereich der Soziologie positiv gegenüberstehen, ist eine erfolgreiche Sozialisation notwendig. Sie müssen die Normen und Werte der Gesellschaft kennen und verstehen, um in bestimmen Bereichen deren Ansprüchen und Forderungen gerecht zu werden. Doch welche Aufgaben müssen sie lösen, um dieses Ziel zu erreichen? Klaus Hurrelmann hat diese Aufgaben in vier Dimensionen aufgeteilt, bei denen es um das Erlangen von verschiedenen Kompetenzen geht, um deren Lösung zu ermöglichen.[13]

Die erste Dimension stellt die der „ Qualifizierung “ dar. Junge Menschen müssen Kompetenzen in Bezug auf ihr späteres Berufsleben erlenen. Es geht um fachspezifisches Wissen, sowie „kognitive und soziale Fähigkeiten“.[14] Am Ende sollte mit deren Hilfe die erfolgreiche Übernahme einer Berufstätigkeit stehen, um wirtschaftlich unabhängig zu sein. Die zweite Kompetenz ist die der „ Bindung “. Dabei geht es um die Ablösung von der Familie, hin zu einem erfolgreichen Aufbau von Freundschaften mit Gleichaltrigen, Entdeckung der eigenen Sexualität und schließlich das Eingehen einer intimen Beziehung und der Gründung und Verantwortungsübernahme für eine eigene Familie.

Eine weitere Kompetenz ist die des verantwortungsvollen „Konsums “. In einer kapitalistischen Gesellschaft, die auf den Konsum von Gütern baut, ist das Erlangen von Kompetenzen für einen angemessenen Umgang mit Gütern und deren Nutzen unabdingbar. Auch die Planung der eigenen finanziellen Mittel hängt mit dieser Kompetenz zusammen und ist die Voraussetzung für junge Menschen, in der Lage zu sein, einen eigenen Haushalt führen zu können. Die letzte Kompetenz bezeichnet Hurrelmann, als „ Partizipation “, um sich an der Gestaltung der Gesellschaft mit beteiligen und eigene Interessen und Ansichten vertreten zu können. Voraussetzung für eine solche Teilhabe ist der Aufbau eigener Ansichten, Werte und Normen in „ethischen, religiösen, moralischen und politischen“[15] Belangen.[16]

Am Ende der Jugendphase, welche den Eintritt in das Erwachsenenalter darstellt, sollte laut Hurrelmann eine erfolgreiche Einnahme von vier Rollen, welche im Zusammenhang mit den jeweiligen Kompetenzen stehen, stattfinden. Die „Berufsrolle[…], Partner- und Elternrolle[…], Konsumentenrolle […] und die Rolle als politischer Bürger“,[17] um das Fortbestehen der Gesellschaft, sowohl wirtschaftlich als auch biologisch zu garantieren. Werden diese Rollen erfolgreich übernommen, ist die Übergangsphase der Jugend aus soziologischer Sicht abgeschlossen. Die Altersspanne, in der dieser Prozess vollzogen wird, ist von Person zu Person unterschiedlich, wodurch eine feste zeitliche Definition nicht möglich ist. Abbildung 1 bietet zur Veranschaulichung noch einmal einen grafischen Überblick über den Prozess der Übergangsphase.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Idealtypische Darstellung der Entwicklungsaufgaben, in Anlehnung an Hurrelmann/Quenzel 2012, S.41. 1.2.1

Sicht der Jugendlichen

Um die Ansichten der Jugendlichen zu diesem Bereich darstellen zu können, helfen die Shell Jugendstudien. Im Jahr 2010 ist die bereits 16te Studie veröffentlicht worden. Diese 16te Studie arbeitet mit einer repräsentativen Stichprobengröße von 2.604 Jugendlichen im Alter von 12- 25 Jahren, die zu ihrer „Lebenssituation und zu ihren Einstellungen und Orientierungen persönlich befragt“[18] worden sind. Dabei handelt es sich sowohl um quantitative als auch qualitative Untersuchungen. Herausgeber der Studien ist das Energieunternehmen Shell. Die nachfolgenden Kapitel werden den Blick der Jugendlichen anhand der Shell Studien verdeutlichen

Welche Fragen könnten den Zusammenhang der Sicht von Jugendlichen und der soziologischen Sicht auf Jugend verdeutlichen? Wenn die Familie eine der wichtigsten Sozialisationsinstanzen ist, könnte eine Frage die Frage nach dem persönlichen Stellenwert der Familien für die Jugendlichen sein. Welche Relevanz spielt diese aus ihrer Sicht? Der Wunsch eine eigene Familie zu gründen, was zum biologischen Fortbestand der Gesellschaft beiträgt, könnte den Gegenstand einer weiteren Frage darstellen.

Die Ergebnisse der Studien aus den Jahren 2002 bis 2010 zeigen, dass Jugendliche der Familie einen hohen Stellenwert zuschreiben, mit steigender Tendenz in den letzten Jahren. Auf die Frage, ob zum Glücklichsein eine Familie notwendig sei, haben 76% der Jugendlichen mit einem Ja geantwortet, wobei weibliche Befragte einen deutlich höheren Wert aufwiesen.[19] Dabei handelt es sich sowohl um die Gründung einer eigenen Familie, als auch um dem Bezug zur eigenen Herkunftsfamilie, welche „[i]n Zeiten hoher Anforderungen in Schule, erste beruflicher Ausbildung […] zu einem sicheren sozialen Heimathafen“[20] wird. Dies spiegelt sich unter anderem darin wider, dass mehr als 90% der Jugendlichen ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern angeben, nur 2% geben an, ein schlechtes Verhältnis zu den eigenen Eltern zu haben.[21] 73% würden ihre eigenen Kinder wieder genau so oder ähnlich erziehen. Wobei hier deutliche Unterschiede zu den unteren sozialen Schichten[22] sichtbar sind, bei denen nur 40% ihre Kinder genau so oder ähnlich erziehen würden.[23] Den Wunsch nach der Gründung einer eigenen Familie, haben der Studie zufolge 69% der Jugendlichen, wobei hier ein leichter Aufwärtstrend zu sehen ist. Bei der Gründung der Familie liegt nach wie vor die Anzahl von zwei Kindern auf Platz 1 der Vorstellungen.[24] Dennoch gibt es Unterschiede zwischen dem Stellenwert der Herkunftsfamilie und dem Kinderwunsch der Befragten. Zwar äußert die Mehrheit den Wunsch nach Kindern, sieht aber im Hinblick auf das eigene Lebensglück eigene Kinder nicht an erster/gleicher Stelle, wie den Stellenwert der eigenen Herkunftsfamilie und Partnerschaft.[25] Ein weiterer anhaltender Trend ist der späte Auszug von Jugendlichen aus den Familien. Etwa 73% der Jugendlichen leben bis zum Alter von 25 Jahren noch bei ihren Eltern, wobei 46% sich eine eigene Wohnung nehmen würden, wenn sie die finanziellen Mittel dazu hätten.[26]

Die Shell Studie macht somit deutlich, dass Jugendliche nach wie vor der Familie einen hohen Stellenwert zuschreiben und ein Großteil unter ihnen die Erziehung der eigenen Kinder ähnlich gestalten würde. Dadurch zeigt sich, dass die Familie, welche durch die Soziologie einen hohen Stellenwert im Prozess der Sozialisation zugeschrieben bekommt, vom Großteil der Jugendlichen als positiv empfunden wird und der Wunsch nach einer eigenen Familie und somit der Wunsch, einen Teil zum Fortbestand der Gesellschaft beitragen zu wollen, auch in unserer heutigen Gesellschaft vorhanden ist. Außerdem bestätigt die Studie, dass die Zeitspanne, in denen Jugendliche noch bei ihren Eltern wohnen, in den letzten Jahren zugenommen hat, was zu einer verspäteten Gründung von einem eigenen Haushalt führen kann.

1.3 Aus Sicht der Psychologie

Ist es bei der Betrachtung der Jugend aus der Sicht der Soziologie, um die Übernahme von verschiedenen gesellschaftsrelevanten Rollen gegangen, geht es bei der Sicht der Psychologie auf die altersspezifischen Bewältigungsaufgaben darum, welche Kompetenzen für die Entwicklung von einem Jugendlichen hin zu einem selbständigen, reifen, emotional stabilen und handlungsfähigen Menschen vonnöten sind.[27]

Anders als die Soziologie, geht die Psychologie davon aus, dass der Start in das Jugendalter klar zu erkennen ist, nämlich mit dem Beginn der Pubertät und den damit einhergehenden körperlichen Veränderungen. Diese sind unter anderem auf eine steigende Produktion von Hormonen zurückzuführen. Steigt bei Jungen das Testosteron, so ist es bei Mädchen das Estradiol. Der Beginn der daraus resultierenden Veränderungen kann bei Jungen und Mädchen stark variieren. Kann er bei Mädchen zwischen 8 und 13 Jahren sein, liegt er bei Jungen zwischen 9 und 13 Jahren, wobei sich in den letzten Jahren eine immer frühere Reifung abgezeichnet hat.[28] Die körperlichen Veränderungen werden von den Autoren Grob und Jaschinski in fünf wesentliche Bereiche unterteilen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Körperliche Veränderungen in der Pubertät, in Anlehnung an Grob/Jaschinski 2003, S. 34.

Erste emotionale Folgen dieser Veränderungen können z.B. die Abnahme des Selbstwertgefühls und der Zufriedenheit mit dem eigenen Körper, Schamgefühl, die Suche nach mehr Privatsphäre, Unabhängigkeitsgefühl, Abgrenzung und steigende Stimmungsschwankungen sein.[29] Junge Menschen müssen lernen, mit diesen Problemen umzugehen und ihren eigenen Körper zu akzeptieren. Die Akzeptanz des eigenen Körpers stellt aber nur eine von vielen Entwicklungsaufgaben dar, welche in der Phase der Jugend gelöst werden sollten.[30]

In den 1940ern erarbeitete Robert Havighurst das erste Konzept der Entwicklungsaufgaben. In diesem Konzept stellt er die Behauptung auf, dass Menschen ihr ganzes Leben lang Entwicklungsaufgaben lösen müssen, welche in verschiedene Lebensabschnitte fallen. Jeder Mensch entwickelt sich in seinem Leben weiter, ändert seine Ansichten und Interessen, muss sich mit neuen Lebensaufgaben auseinandersetzen und diese bewältigen. Dabei unterteilt er das gesamte Leben in sechs Lebensabschnitte, welchen er jeweils einige zentrale Aufgaben zuordnet. Havighurst geht davon aus, dass das Glück eines Menschen mit der erfolgreichen Bewältigung dieser Aufgaben zusammenhängt.[31] Einige der Aufgaben, welche er dem Jugendalter zuordnet, sind der Aufbau von tieferen Beziehungen zu Gleichaltrigen, eigene Geschlechterrolle finden, Verständnis des eigenen Körpers und Umgang mit ihm, Unabhängigkeit von den Eltern, Ausbildung für das Berufsleben, Planung von eigener Familie, Erarbeiten von eigenen Werten und vieles mehr.[32] Die Entwicklungsaufgaben stellen somit Bindeglieder zwischen Individuelle Bedürfnissen und Anforderungen der Gesellschaft dar.[33]

Diese Entwicklungsaufgaben sind in den letzten Jahren unter anderem von Eva und Michael Dreher erweitert worden, beispielsweise durch die Entwicklung von intimen Beziehungen, der Erarbeitung einer eigenen Identität und dem Erwerb einer Zukunftsvorstellung.[34]

Auch Hurrelmann und Quenzel erstellten ein Konzept mit Entwicklungsaufgaben. Sie unterteilen diese, wie auch schon bei den soziologischen Entwicklungsaufgaben, in vier Bereiche.

Im Bereich der „ Qualifikation “ geht es ihnen auf der psychologischen Ebene um das Erlangen und die Anwendung kognitiver, geistiger und sozialer Kompetenzen, um ein selbstständiges und verantwortliches Handeln zu erlernen. Dieses Handeln benötigen junge Menschen, um mit den Anforderungen der Gesellschaft erfolgreich umgehen zu können.Um den zweiten Bereich, den der „ Bindung “, erfolgreich bewältigen zu können, müssen Jugendliche zuerst einen angemessen Umgang mit ihren emotionalen Schwankungen erlernen. Dieser Umgang soll neben der Akzeptanz des eigenen Körpers und dem Erlangen einer eigenen Identität dabei helfen, sich von den Eltern abzulösen, um später in eine intime Beziehung mit einem Partner eintreten zu können.Im Bereich des „ Konsums “ geht es ihnen um den Aufbau eines eigenen Freundeskreises und die Entwicklung eines passenden Lebensstils. Außerdem sollten junge Menschen lernen, mit jeglicher Art von Konsum in den Bereichen Freizeit, Genuss und Medienangeboten angemessen umzugehen. Um den Bereich der „ Partizipation “ erfolgreich zu durchlaufen, müssen junge Menschen eigene Werte und Normen entwickeln, welche mit ihrem Lebensstil übereinstimmen.[35]

Alle diese Entwicklungsaufgaben, ob von Havighurst oder anderen, lassen sich in drei Kategorien unterteilen.

Die erste Kategorie bezieht die Entwicklungsaufgaben mit ein, die sich direkt auf die Person beziehen. Sie resultieren zum Einen aus der sich entwickelnden Fähigkeit zum logischen Denken und zum Anderen aus den biologischen Veränderungen des eigenen Körpers. Die zweite Kategorie umfasst alle Aufgaben, die in Verbindung mit anderen Menschen stehen. Beispielsweise die Beziehungen zu den Eltern, Gleichaltrigen und zum anderen Geschlecht, welche aufgrund körperlicher und emotionaler Veränderungen neu ausgehandelt und definiert werden müssen. Alle Aufgaben, die mit der Gesellschaft in Verbindung stehen, sind Teil der letzten Kategorie.[36]

Warum setzen sich Menschen und auch junge Leute überhaupt mit Entwicklungsaufgaben auseinander? Dafür gibt es unterschiedliche Gründe oder, laut Grob und Jaschinski, auch drei „Quellen“, die dafür verantwortlich sind. Diese drei „Quellen“ sind teilweise in verschiedenen Gesellschaften ähnlich, können sich aber auch ganz gegenteilig gestalten. Die erste Quelle, die der körperlichen Reifung, stellt eine universalle Quelle dar, da sie überall auf der Welt von allen Menschen ungefähr gleich durchlaufen wird. Die anderen beiden Quellen können sich jedoch stark voneinander unterscheiden, nicht nur im gesellschaftlichen Kontext, sondern auch im individuellen: Die zweite Quelle sind die Erwartungen, welche die Gesellschaft an das Individuum stellt. So werden durch bestehende Normen, Werte und auch Institutionen bestimmte Aufgaben zu bestimmen Zeiten an Menschen herangetragen. Im Jugendalter werden diese Erwartungen meist durch Erwachsene an die Jugendlichen herangetragen. Beispielsweise müssen sich junge Schüler durch den Eintritt in die Schule neuen Herausforderungen stellen. Sie machen neue Erfahrungen, wodurch sich ihnen auch neue Entwicklungsaufgaben offenbaren. Welche Ansprüche, Ziele und Werte sich jeder Mensch selbst aussucht, stellt die letzte der drei Quellen dar. Die Motivation, selbstständig die eigene Umwelt und das eigene Leben mitzugestalten, gibt jungen Menschen einen starken Antrieb für Veränderungen im Lebenslauf. Dieser Antrieb hat Einfluss auf verschiedene Bereiche im Leben, wie zum Beispiel die Wahl der Freunde, den eigenen Berufswunsch, die Wahl der Wohn- und Familiensituation und vieles mehr.[37] Auch den Umgang mit den Spannung, die durch unterschiedliche, zum Teil gegensätzliche, gesellschaftliche, individuelle und körperliche Erwartungen und Entwicklungen entstehen können, müssen junge Menschen in dieser Zeit lernen und eine passende Lebensplanung für sich erarbeiten. Doch nicht nur die Spannungen, sondern auch die zeitliche Übereinstimmung bestimmter Aufgaben, kann zu Problemen führen, da in der Gesellschaft ein ungefährer Konsens besteht, zu welchem Zeitpunkt bestimmte Entwicklungsaufgaben abgeschlossen sein sollten. Gelingt es dem Individuum nicht, dieser Anforderung gerecht zu werden, gerät es zunehmend unter Druck und eine verspätete Lösung kann durchaus negative Folgen haben. Dabei können sich die Vorstellungen über den richtigen Zeitpunkt, wann die Lösung erfolgen soll, von Jugendlichen und Erwachsenen stark unterscheiden, was zu zusätzlichen Spannungen führen kann.[38]

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Entwicklungsaufgaben immer in wechselseitiger Beziehung zwischen Mensch und Umwelt stehen, welche sich aufgrund von körperlichen Reifungsprozessen, Erwartungen der Gesellschaft und dem Stecken von eigenen Zielen ergeben.[39] Dabei können Spannungen entstehen, welche gerade durch die körperliche Reifung in der Pubertät, erste gesellschaftliche Erwartungen und die Möglichkeit, erste eigene Lebensziele zu finden, zu starken Veränderungen und neuen Erfahrungen bei jungen Menschen führen. Erst wenn alle Entwicklungsaufgaben, welche in den Bereich der Jugend fallen, gelöst worden sind, sieht die Psychologie die Jugendphase als beendet an. Damit verbunden müssen Jugendliche „einen hohen Grad an Selbstständigkeit und Selbstbestimmung“[40] im Umgang mit sich und ihrer Umwelt gelernt haben und bereit sein, für die eigenen und andere Interessen und die von anderen, Verantwortung zu übernehmen.

Erikson geht noch weiter. Er spricht erst von einem erfolgreichen Abschluss der Jugendphase, wenn junge Menschen die wichtigsten Fragen ihrer eigenen Identität beantworten können, auch wenn der Identitätsprozess noch weit über die Jugendphase hinausgeht.[41] Außerdem spricht Hurrelmann davon, dass mit dem Eintritt in das Erwachsenenalter die Experimentierphase in körperlichen, psychischen und sozialen Bereichen nachlassen würde und somit „Motive, Bedürfnisse und Interessen in eine vorläufige persönliche Ordnung gebracht“[42] worden sind. Wann dieser Prozess abgeschlossen ist, lässt sich wohl nicht genau feststellen. Sind die Anfänge der Jugend, aus psychologischer Sicht, relativ eindeutig mit dem Eintritt der Geschlechtsreife zu erkennen, so fällt es deutlich schwerer, eine eindeutige Grenze zwischen Jugend- und Erwachsenenalter zu ziehen.[43]

Sicht der Jugendlichen

Ein interessanter Aspekt, der die Jugendlichen in Bezug auf die Psychologie betrifft, könnte sein, wie Jugendliche in Deutschland ihre aktuelle Zufriedenheit mit ihrer Lebenssituation beschreiben würden. Dabei kann festgestellt werden, dass fast drei Viertel aller Jugendlichen zufrieden und ca. 6% unzufrieden sind. Unter anderem spielt die finanzielle Lage eine Rolle bei der Einflussnahme auf diese Zufriedenheit. So wird deutlich, dass Jugendliche aus finanziell schlechter gestellten Haushalten auch ihre Lebenszufriedenheit schlecht einschätzen. Weitere Gründe für eine höhere Lebensunzufriedenheit sind Arbeitslosigkeit und die Zugehörigkeit zur sozialen Unterschicht. Außerdem wird sichtbar, dass die Lebenszufriedenheit mit steigendem Alter innerhalb der Jugendphase leicht nach unten sinkt. Von 77% bei den 12- bis 14-Jährigen, auf 72 % bei den 22- bis 25-Jährigen.[44]

Neben der Lebenszufriedenheit ist die Frage nach den Wertvorstellungen ein weiterer Aspekt, welcher betrachtet werden kann, weil eine der Entwicklungsaufgaben die Erarbeitung von eigenen Werten und Normen darstellt. Welche Werte und Normen sind den Jugendlichen in Deutschland heute wichtig? Die Shell Studie von 2010 zeigt, dass junge Menschen zunehmend seit den 1990er Jahren eine starke „arbeits- und versorgungsbezogene Orientierung“[45] haben. Weitere Werteorientierung sind die der sozialen Beziehungen, welche schon immer einen hohen Stellenwert hatten, in den letzten Jahren aber weiter an Bedeutung zugenommen haben. So ist von 2002 auf 2012 die subjektive Wichtigkeit guter Freunde von 87% auf 94% gestiegen. Ähnliche Steigerungen lassen sich bei der Wertschätzung einer Partnerschaft und des Familienlebens erkennen, welche von 82% auf 90% beziehungsweise von 67% auf 77% gestiegen sind, wobei die Wertschätzung der Familie am stärksten dazugewonnen hat. Die sozialen Beziehungen stehen bei Jugendlichen an erster Stelle ihrer Werteorientierung. Werte wie der Genuss des Lebens oder das Erlangen von Sicherheit stellen ebenfalls wichtige Orientierungspunkte dar, mit 57% und 55 % jedoch eine weitaus schwächer Priorität. Ein weiterer Punkt, welcher jungen Menschen wichtig ist, ist das selbstständige Leben und Handeln, welcher von 71% der Jugendlichen als besonders wichtig wahrgenommen wird.[46] Weitere Bereiche der Wertorientierungen, die den Jugendlichen wichtig sind, sind, bewusst gesund zu leben, tolerant gegenüber Meinungen anderer sein, einen hohen Lebensstandart zu erreichen, soziale Ungleichheiten aus der Welt zu schaffen, Macht zu haben und vieles mehr. Bereiche, die weniger als die Hälfte der Jugendlichen betrifft, aber seit 2002 relativ konstant geblieben sind, sind beispielsweise Religion, die eigene Geschichte oder auch Traditionen.[47]

Da die Phase der Jugend auch durch starke emotionale Schwankungen und Spannungen aufgrund vielerlei Veränderungen gekennzeichnet ist, kommt die Frage auf, welche Hilfen Jugendlichen in dieser Phase nutzen, um ihre Probleme zu bewältigen und auf welche Ressourcen sie zurückgreifen können. Die Shell Studie zeigt hier deutlich, dass die meisten Jugendlichen bei Problemen ihre sozialen Netzwerke nutzen. Ganz oben auf ihrer Liste steht der Austausch mit guten Freunden, auf welche 79% immer oder öfter zurückgreifen, gefolgt von der Familie mit 61%. Dabei unterscheiden sich Jugendliche aus sozial unterschiedlichen Schichten stark voneinander. Greifen in der Oberschicht 72% immer oder öfter auf ihre Familie zurück, sind es in der Unterschicht 46%. Bei den Freunden gibt es jedoch keine wesentlich Unterschiede bei den verschiedenen sozialen Schichten. Die am wenigsten genutzten Möglichkeiten sind das Nutzen von Alkohol und Zigaretten oder „sozial unverträgliche[m] Verhalten“[48] gegen andere. Weitere Möglichkeiten sind für viele ein humorvoller Umgang mit Problemen, die Ablenkung durch Medienangebote, Partys und vielem mehr oder zu versuchen, die Probleme zu ignorieren. Wobei in der Altersspanne von 18 bis 21 Jahren die Möglichkeit der Ablenkung am stärksten genutzt wird. Eine andere Möglichkeit, welche von 46% der Jugendlichen immer oder öfter genutzt wird, ist die der bewussten Auseinandersetzung mit Problemen und der Versuch, mit Hilfe eines erarbeitenden Planes, das Problem Schritt für Schritt zu lösen. Diese Möglichkeit wird mit steigendem Alter häufiger genutzt. 12- bis 14-Jährige nutzen sie immer oder öfter zu 32% wohin gegen die 22- bis 25-Jährigen zu 58% auf sie zurückgreifen.

1.4 Aus Sicht der Pädagogik

Betrachtet man die Jugend aus Sicht der Pädagogik, dann wird deutlich, dass die in dieser Disziplin angesprochenen/behandelten Aspekte bereits bei den anderen beiden Disziplinen aufgetaucht sind. Diese beiden können teilweise dabei helfen, Grundbegriffe der Pädagogik, zu denen Bildung, Sozialisation, Erziehung, Lernen, Persönlichkeitsentwicklung, Schule usw. gehören, zu vertiefen und ein besseres Verständnis dafür zu erlangen. Dabei bewegt sich die Pädagogik in der ständigen Spannung, auf Veränderungen der Gesellschaft reagieren zu müssen, um neue Konzepte und Handlungsmöglichkeiten für die Praxis zu erstellen. Mit dem Blick auf die Phase der Jugend zeigen sich ähnliche Spannungen. Die wechselnde Bedeutung, die der Jugendphase zugeschrieben wird, neue Erwartungen der Gesellschaft, eine früher einsetzende Geschlechtsreife, Veränderungen der Bildungsinstitutionen, steigende Individualisierung, sich wandelnde Werte, Normen und Entscheidungsmöglichkeiten haben Einfluss auf die Sicht der Pädagogik und ihrer Praxis. Weitere Spannungen resultieren aus den Veränderungen der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes in den letzten Jahren.[49] Wurde die Jugend in Teilen des letzten Jahrhunderts noch als Humankapital, „als eine der wichtigsten Erfindungen der Modernen“[50] gesehen, welches gefördert und qualifiziert wurde, müssen sich junge Menschen heute, im steigenden Konkurrenzkampf um Arbeitsplätze, stärker um individuelle Bildung und Weiterbildung bemühen. Dies hat auch Auswirkungen auf die Wertorientierung von jungen Menschen, was sich in dem vorherigen Kapitel darin gezeigt hat, dass „arbeits- und versorgungsbezogene“[51] Orientierungen zugenommen haben. Dadurch verliert die Jugend, aus Sicht der Pädagogik, ihren besonderen Charakter als Experimentier- und Verschonungsphase.[52]

Fragen im Zusammenhang mit der heutigen Jugend aus der Sicht der Pädagogik beschäftigen sich mit der Bewältigung der von der Gesellschaft geforderten Rollenübernahmen aus der Soziologie und den altersspezifischen Bewältigungsaufgaben der Psychologie. Damit, welche Konflikte dabei entstehen können, welche Möglichkeiten Jugendliche bei deren Lösung nutzen und wie sie dabei professionell unterstützt werden können, um erfolgreich in die Gesellschaft integriert und zu eigenständige Persönlichkeiten zu werden.[53]

Während vor einigen Jahren versucht wurde, die Jugendlichen zu separieren, „um sie auf das Erwachsenenalter vorzubereiten und später wieder zu integrieren, fällt diese Separation heute weg.[54] Auch durch die Verlängerung der Jugendphase an Jahren wäre dies nicht mehr möglich. Dazu kommt, dass den Jugendlichen eine immer größere Teilhabe in den Bereichen Konsum, soziale Kontakte, Sexualität und vielem mehr zugesprochen wird. Dadurch muss die Phase der Jugend heute auf der einen Seite aktiver und individueller durchlebt und mitgestaltet werden, auf der anderen Seite haben die Risiken und die Möglichkeit des Scheiterns zugenommen.[55] Auch die erfolgreiche Aussicht auf eine Berufstätigkeit oder das lebenslange Ausüben eines erlernten Berufes, besteht heute nicht mehr und der Druck, den Anschluss in Bildung und Kapital zu verlieren, nimmt zu. Jugendliche kommen immer stärker in den Konflikt, dass sie mehr Engagement zeigen müssen, ein positiver Erfolg daraus aber nicht garantiert werden kann.[56]

Trotz des teilweise wegfallenden Schonungsraumes für Jugendliche, bleibt die Jugend immer noch als eine eigenständige Phase des Lebens bestehen, eine Phase in der Jugendliche sich ausprobieren können und müssen, eine Phase die auch als „Moratorium“ bezeichnet wird.[57] Dennoch zeichnet sich diese Phase immer mehr dadurch aus, dass sie eine „biografisch vielfältig variierte Bewältigungskonstellation geworden“[58] ist, was eine steigende Suche nach neuen Orientierungshilfen zur Folge hat.[59] Orientierungshilfen, welche die Familien ab einem gewissen Alter, wenn Reifungsprozesse außerhalb der Familie anfangen stattzufinden, nur noch schwer leisten können. Familien können erste Orientierungen in bestimmten Bereichen, wie beispielsweise im Erlernen von ersten intimen Beziehungen geben, wohingegen die Gesellschaft, Kultur und ihre Institutionen stärkere Orientierungen für Bereiche des späteren Berufsleben und gesellschaftlichen Anforderungen geben können. Darum muss die Pädagogik Räume schaffen, in denen Jugendliche diese Orientierungshilfen bekommen, um sich selbstständig entwickeln und in Gruppenprozessen bestimmte Kompetenzen in einem sozialen Kontext erlernen zu können. Dabei ist es wichtig, dass es ein Raum „nur“ für sie ist. Ein Raum, in dem zusammen mit Gleichaltrigen ein Erfahrungsaustausch stattfinden kann.[60]

Neben den pädagogischen und staatlichen Einrichtungen haben auch die sogenannten Peer-Groups und die verschiedenen Subkulturen bei Jugendlichen eine große Bedeutung. Sie bieten einen autonomen Raum, um Rollenverhalten innerhalb einer Gruppe zu erlernen, sich mit verschiedenen Werten und Normen auseinanderzusetzen oder auch Lebensstilfragen nachzugehen, unabhängig vom Einfluss und den Regeln der Erwachsenen. Sie geben den Jugendlichen zusätzlichen Halt und Orientierung in ihrer Findungsphase. Dort besteht auch die Möglichkeit, sich selbstständig mit der Welt der Erwachsenen auseinanderzusetzen, sich an ihr zu reiben, eigene Wege für sich zu entdecken und seine Grenzen auszuprobieren.[61] Zusätzlich stellen sie eine wichtige und eigenständige Größe innerhalb des Sozialisationsprozesses dar.[62] Neben der Orientierungshilfe, können die Peer-Groups auch eine emotionale Stütze sein und dabei helfen, „das Gefühl der Einsamkeit [zu] überwinden, dass viele Jugendliche […] entwickeln“.[63] Auch wenn die Gleichaltrigenkultur eine wichtige und entscheidende Rolle aus Sicht der Pädagogik einnimmt, birgt sie Gefahren in sich. So gibt es Subkulturen, welche sich in ihren Absichten stark von denen der Gesellschaft unterscheiden oder sich bewusst von ihnen abgrenzen, was sowohl positive als auch negative Folgen nach sich ziehen kann.[64] Sie entwickeln eigene Werte, Ziele und Verhaltensmuster, was bei der Integration in die Erwachsenenwelt zur Gefahr werden kann.[65]

Der Bereich des Konsums zeigt einiges an Parallelen zu den Gleichaltigenkulturen. Jugendliche benutzen ihn ebenfalls, um sich auszuprobieren und zu experimentieren und schaffen sich so zusätzliche Räume, um sich von den Eltern zu lösen und eigene Erfahrungen zu sammeln. Sie werden von der Werbeindustrie „als eigenständige Konsumenten neben anderen oder sogar anderen Gruppen gegenüber bevorzugt behandelt“.[66] Jugendliche nutzen den Konsum, um sich auszudrücken, sich eigene Lebensformen zu konstruieren und sich mit dem Konsum zu identifizieren und sich dadurch einen eigenen Wert zuzuschreiben. „Der Konsum bietet das uneingeschränkte soziale Erlebnis des Ichs“.[67] Die Pädagogik kann und muss dabei helfen, einen geeigneten Umgang damit zu erlernen.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Pädagogik ihren Blick in der Jugendphase darauf richtet, wie Jugendliche lernen, Bewältigungsaufgaben zu lösen und damit umgehen, welche Räume sie dafür nutzen und benötigen und wie man sie dabei praktisch unterstützen kann. Dabei unterscheiden sich Jugendliche, auch Mädchen und Jungen, in der Art und Weise, wie sie mit ihren Aufgaben umgehen, stark voneinander. Das spiegelt sich ebenfalls in der Vielzahl von Peer-Groups und den heutigen Subkulturen wider. Junge Menschen suchen nach Orientierungshilfen, um die Phase der Jugend erfolgreich zu bewältigen und ihren eigenen Weg zwischen einer Fülle an Angeboten und den Erwartungen der Gesellschaft zu finden. Dabei kann die steigende Selbstständigkeit und Dynamik in der heutigen Jugendphase positiv als auch negativ empfunden und erlebt werden. Lothar Böhnisch formuliert eine Zusammenfassung der Jugendphase folgendermaßen:

„Damit ist die gesellschaftlich eingerichtete Lebensphase Jugend zu Ausgang des 20. Jahrhunderts einer deutlichen Biografisierung unterworfen. Jugend als gesellschaftlicher Erwartungskontext von Bildungsanforderungen und Integrationsversprechen bietet keine soziale Verlässlichkeit mehr, muss von den einzelnen Jugendlichen mit biografisch je eigenen Chancen und Risiken – in unterschiedlichen ‚Jugenden’ also (Lenz 1988) – selbstthematisiert und bewältigt werden“.[68]

Wann genau diese Phase beginnt und wann sie abgeschlossen ist, lässt die Pädagogik ebenfalls offen, da die Grenzen immer mehr ineinander übergehen und sie sich individuell stark voneinander unterscheiden können.

Sicht der Jugendlichen

Das letzte Kapitel hat gezeigt, dass sich im Bereich der Bildung vieles verändert hat für junge Menschen. Sie müssen sich aktiver mit einbringen, immer mehr Entscheidungen treffen. Zusätzlich sinken die Aussichten auf einen verlässlichen Arbeitsplatz. Aber wie empfinden junge Menschen diese Veränderungen? Welche Ängste haben sie und welcher Wert wird der eigenen Bildung zugeschrieben?

Als erstes wird anhand der Shell Studie deutlich, dass der Druck, den sich junge Menschen machen, in den letzten Jahren zugenommen hat. Das zeigt sich daran, dass fast die Hälfte aller Hauptschüler und ungefähr ein Drittel der Realschüler bereits während ihrer Schulzeit einen höheren Schulabschluss anstreben, was in erster Linie zeigt, dass junge Menschen ihre Ausbildung sehr ernst nehmen. Ein anderer Grund für den Wunsch nach einem höheren Abschluss liegt darin, dass die Haupt- und Realschule an subjektivem Stellenwert verloren und die Erkenntnis zugenommen hat, dass mit niedrigem Schulabschluss das Arbeitslosenrisiko steigt. Daher sehen auch 60% der Schüler, welche zum Zeitpunkt der Befragung schon mit hoher Sicherheit sagen können, dass sie einen Schulabschluss erreichen werden, zuversichtlich ihrer Zukunft entgegen. Schüler, mit einer geringen Sicherheit des Erreichens eines Schulabschlusses, sagen dies zu 37%.[69] Was die berufliche Zukunft angeht, so wird sichtbar, dass das Vertrauen in den Arbeitsmarkt bei Jugendlichen, die sich in einer Ausbildung befinden, gestiegen ist. Waren 2006 noch 62% zuversichtlich nach der Ausbildung übernommen zu werden, sind es 2010 bereits 76%. Auch wenn es um die Verwirklichung der eigenen beruflichen Wünsche geht, sind die Zahlen von 2006 bis 2010 gestiegen. Glaubten 2006 noch 64%, ihrem Berufswunsch nachgehen zu können, sind es im Jahr 2010 schon 71%. Was die subjektive Bewertung des Themas Fleiß angeht, schreiben diesem Bereich 60% der Befragten eine hohe Wichtigkeit zu, wobei sich Schüler, Studierende und Auszubildende nicht stark voneinander unterscheiden. Bei der Frage nach dem Zusammenhang der Lebenszufriedenheit mit einer Erwerbstätigkeit, fällt deutlich auf, dass sich Jugendliche mit und ohne Arbeit stark voneinander unterscheiden. Geben 73% der erwerbstätigen Jugendlichen eine hohe Zufriedenheit an, sind es nur 31% bei denjenigen, ohne einen Arbeitsplatz. Was sich also zeigt ist, dass Jugendliche trotz steigender Möglichkeiten und den gegebenen Unsicherheiten, überwiegend zufrieden sind und zu 59%, mit steigender Tendenz, optimistisch in ihre Zukunft schauen. Was aber auch deutlich sichtbar wird, sind die starken Unterschiede von jungen Menschen aus den unterschiedlichen sozialen Schichten. So sind sich nur 41% aus sozial schwächeren Schichten sicher, ihren Wünschen hinsichtlich ihrer Berufes, nachgehen zu können. Die Tendenz ist in den letzten Jahren sinkend. Gleiches zeigt sich auch in der allgemeinen Lebenszufriedenheit und dem Optimismus.[70] Was die Frage angeht, wie wichtig jungen Menschen ihre Karriere ist, ist erkennbar, dass 76% aus der sozialen Unterschicht dieser einen höheren Stellenwert zuschreiben, als Jugendliche aus der sozialen Obersicht. Diese geben ihr zu 57% einen hohen Stellenwert.[71] Die Bedeutung der eigenen Bildung, des Schulabschlusses und den daraus resultierenden Chancen auf einen Arbeitsplatz, spiegelt sich nicht nur in der Lebenszufriedenheit wieder, sondern zeigt sich auch in den häufigsten Ängsten von Jugendlichen. So hängen die zwei am häufig genannten Ängste direkt mit ihrer Ausbildung und Berufswahl zusammen; Jugendliche fürchten sich am meisten vor Armut aufgrund einer schlechten wirtschaftlichen Lage, gefolgt von der Angst, keinen Arbeitsplatz zu finden. Die Angst vor Armut teilen 70%, vor Arbeitslosigkeit 62% aller Jugendlichen.[72]

[...]


[1] Hurrelmann/Quenzel (2012), S. 34.

[2] Vgl. Hurrelmann (2006), S. 6 ff.

[3] Hurrelmann (2006), S. 6.

[4] Ecarius/Eulenbach/Fuchs/Walgenbach (2011), S. 9.

[5] Hurrelmann (2006), S. 7.

[6] Hurrelmann/Quenzel (2012), S. 35.

[7] Ebd., S. 36.

[8] Vgl. Ebd., S. 36.

[9] Vgl. Ecarius/Eulenbach/Fuchs/Walgenbach (2011), S. 69.

[10] Ebd., S. 73.

[11] Vgl. ebd., S. 69 ff.

[12] Vgl. ebd., S. 73 ff.

[13] Vgl. Hurrelmann/Quenzel (2012), S. 36 f.

[14] Ebd., S. 36.

[15] Ebd., S. 37.

[16] Vgl. ebd., S. 36 f.

[17] Ebd., S. 39.

[18] Vgl. Shell Studie: Homepage.

[19] Vgl. 16. Shell Jugendstudie (2010), S. 57.

[20] Ebd., S. 17.

[21] Vgl. ebd., S. 66.

[22] Für den quantitativen Teil der Studie werden die Befragten verschiedenen sozialen Schichten zugeordnet. Diese werden anhand eines speziell entwickelten Indexes ermittelt. Dabei spielen die Faktoren Schulabschluss des Vaters, Zufriedenheit mit der finanziellen Situation, Wohnsituation der Eltern und Anzahl der Bücher im Haushalt eine Rolle.

[23] Vgl. ebd., S. 18.

[24] Vgl. ebd., S. 62.

[25] Vgl. ebd., S. 58.

[26] Vgl. ebd., S. 70.

[27] Vgl. Hurrelmann/Quenzel (2012), S. 28 f.

[28] Vgl. Grob/Jaschinski (2003), S. 33 ff.

[29] Vgl. ebd., S. 35.

[30] Vgl. ebd., S. 18.

[31] Vgl. Oerter/Montada (2002), S. 267 ff

[32] Vgl. Grob/Jaschinski (2003), S. 24 ff.

[33] Vgl. Oerter/Montada (2002), S. 269.

[34] Vgl. Dreher (1985), S. 56 ff.

[35] Vgl. Hurrelmann/Quenzel (2012), S. 28.

[36] Vgl. ebd., S. 28 f.

[37] Vgl. Grob/Jaschinski (2003), S. 26 f.

[38] Vgl. ebd., S. 31 f.

[39] Vgl. ebd., S. 32.

[40] Hurrelmann/Quenzel (2012), S. 31.

[41] Vgl. Erikson (2007).

[42] Hurrelmann/Quenzel (2012), S. 31.

[43] Vgl. ebd., S. 31 f.

[44] Vgl. 16. Shell Jugendstudie (2010), S. 190 f.

[45] Ebd., S. 195.

[46] Vgl. ebd., S. 196 ff.

[47] Vgl. ebd., S. 203.

[48] Ebd., S. 227.

[49] Vgl. Gudjons (2008), S. 138.

[50] Böhnisch (2008), S. 143.

[51] 16. Shell Jugendstudie (2010), S. 195.

[52] Vgl. Böhnisch (2008), S. 143.

[53] Vgl. ebd., S. 147.

[54] Vgl. ebd., S. 146.

[55] Vgl. Gudjons (2008), S. 138.

[56] Vgl. Böhnisch (2008), S. 145 ff.

[57] Vgl. Hurrelmann/ Quenzel (2012), S. 46

[58] Vgl. Böhnisch (2008), S. 144.

[59] Vgl. Sting in: Homepage Böhnisch, S. 1.

[60] Vgl. Böhnisch (2008), S. 145.

[61] Vgl. Gudjons (2008), S. 131.

[62] Vgl. Böhnisch (2008), S. 156 ff.

[63] Vgl. Oerter/Montada (2002), S. 310.

[64] Vgl. Gudjons (2008), S. 131.

[65] Vgl. Hurrelmann/Quenzel (2012), S. 59.

[66] Böhnisch (2008), S. 152.

[67] Ebd., S.151.

[68] Ebd., S.143.

[69] Vgl. 16. Shell Jugendstudie (2010), S. 71 ff.

[70] Vgl. ebd., S.17 f.

[71] Vgl. ebd., S. 220.

[72] Vgl. ebd., S. 119.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2013
ISBN (PDF)
9783956847738
ISBN (Paperback)
9783956842733
Dateigröße
1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1
Schlagworte
Erikson Heiner Keupp Shell Jugendstudie Entwicklungsaufgabe

Autor

Pascal Eßer, B.A., wurde 1989 in Pforzheim geboren. Sein Studium der Bildungs- und Erziehungswissenschaft an der Universität Tübingen schloss der Autor im Jahre 2009 mit dem akademischen Grad Bachelor of Art erfolgreich ab. Bereits während des Studiums sammelte der Autor umfassende praktische Erfahrungen in Bereichen der Kinder- und Jugendarbeit. Aus diesem Interesse heraus war es ihm sehr wichtig einen Beitrag zum Thema Jugend und Identität zu verfassen, um Eltern, Erziehern, Lehrern, aber auch Außenstehenden einen Einblick in diese komplexen Bereiche zu ermöglichen.
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Titel: Bedeutung der Jugendphase im Prozess der Bildung von Identität
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