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Found in Translation: Interkulturelle Verständigung durch die Synchronisation

©2014 Bachelorarbeit 52 Seiten

Zusammenfassung

Blockbuster, Telenovela, Filmbiografie, Dramenfilm… Die meisten Spielfilme durchlaufen nach der Fertigstellung einen weiteren Prozess - die Synchronisation.
Als wissenschaftlicher Untersuchungsgegenstand kaum beachtet, spukt sie zugleich vor den Augen und Ohren des dispersen Publikums durch die Wohnzimmer und Kinosäle. Und gerade weil diese Form kultureller Vermittlung so allgegenwärtig ist, gilt es, sie näher ins Licht theoretischer Reflexion zu rücken, als dies bisher geschah.
Zudem gewinnt die Empirie durch die technische Reproduzierbarkeit audiovisueller Medien auf einzigartige Weise eine Basis, auf der die parole nicht mehr flüchtig ist. Erstmalig wird die gesprochene Sprache durch ihre Fixierung in audiovisuellen Medien in ihrer Gänze exakt wiederhol- und somit besser beschreibbar.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


3. Allgemein-übersetzungswissenschaftliche Theorien und deren Anwendung auf die Synchronisation

In den folgenden Unterkapiteln zu den diversen Theorien der Übersetzung sollen folgende Ansätze in Bezug auf deren Anwendbarkeit auf die Synchronisation erläutert und an Hand des Werkstücks durch Einzelbeispiele beleuchtet werden:

a. Die strukturalistische Betrachtungsweise
b. Die prototypologische Betrachtungsweise
c. Die texttypologische Betrachtungsweise
d. Die soziokulturelle Betrachtungsweise

3.1 Die strukturalistische Betrachtungsweise

Als Vertreter der strukturalistischen Betrachtungsweise sieht Levy in einem literarischen Werk die künstlerisch-subjektive Wahrnehmung einer objektiven Umgebung. Der Inhalt dieses „Schöpfungsvorgangs“ wird als „Information“ gesehen, die der Übersetzer adäquat in die Zielsprache zu übertragen hat. Die Textform hingegen muss nur dann beibehalten werden, wenn sie bezogen auf den Inhalt eine semantische Funktion besitzt. Während die Übersetzung in vorangehenden Betrachtungsweisen häufig als eigenständige Kunst interpretiert wurde, betrachtet sie Levy also eher als „Dienstleistung an die Kunst“. Die Übertragung in die Zielsprache solle sich am Zielpublikum orientieren, jedoch ohne dass die „Information“, also der ästhetische Wert, der Sprache verlorengehe. Da sich die „Bedeutungen und ästhetischen Werte der Sprachen nicht decken“[1], verlangt eine gute Übersetzung automatisch nach einem Kompromiss. Sich von der Übersetzung als reiner Kunstform abgrenzend, entwickelte Levy ein Schema, mit dem produktionsorientiert übersetzt werden konnte, ohne jedoch ästhetische Sprachaspekte außen vor zu lassen. Dementsprechend unterteilte er die Texte in verschiedene Gattungen, darunter auch die Synchronisation, und bestimmte für die jeweiligen Gattungen, welche Sprachaspekte in ihrer Übersetzung variabel und welche invariabel sind.[2]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle. 1

Wie sich an obiger Tabelle ablesen lässt, zählt die Filmübersetzung nach Levy zu den „schwierigsten“ Formen, da praktisch alle Einzelaspekte beim Übersetzungsprozess als invariabel deklariert werden. Erschwerend kommt bei der Synchronisation hinzu, dass es sich bei ihr nur im übertragenen Sinn um eine Textform handelt. Ersetzen wir „Textform“ durch „Bildform“ hat diese definitiv eine semantische Funktion, die beibehalten wird. Diesen Umstand arbeitet Levy teilweise in seine Überlegungen mit ein, in dem er den Aspekt des Artikulationscharakters als „visuelle Form der Artikulationsbewegungen“[3] präzisiert. Zugleich muss m. E. aber die Ansicht, die Artikulationsbewegung – also die Lippen­synchro­nität – wäre ein invariabler Faktor, relativiert bzw. differenziert werden. Betrachten wir die Gesamtlänge eines Sprechaktes im Bild, trifft die Behauptung einer Invariabilität weitgehend zu. Zweifelsfrei kommt es zu negativen Auffälligkeiten, wenn der Protagonist im Film zu hören ist, seine Lippen aber gleichzeitig geschlossen bleiben oder umgekehrt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass aus einer invariablen quantitativen Lippensynchronität zugleich auf eine Invariabilität bei der qualitativen Lippensynchronität geschlossen werden kann. (siehe weiterführend Kapitel 5.2.2.2)

3.2 Die prototypologische Betrachtungsweise

Wie die Bezeichnung bereits zeigt, versucht sich die angesprochene Betrachtungsweise bei der Übersetzung an Prototypen zu orientieren. Snell-Hornby bemängelt die starre Kategori­sierung, die in den meisten übersetzungstheoretischen Ansätzen vorherrscht. In ihnen werde die Übersetzung oftmals als Teildisziplin der Linguistik verstanden. Eine eigenständige übersetzungswissenschaftliche Methode benötige jedoch eine feinere Ausdifferenzierung, als die Linguistik sie mit ihren strengen Abgrenzungen biete.

„Daher wird die Typologie hier durch eine ‚Prototypologie‘ ersetzt, wobei unscharfe Ränder möglich sind und strenge Kategorisierungen in ein Spektrum der Phänomene um einen Fokus herum übergehen.“[4]

Um für die Übersetzungswissenschaft deduktiv von einer Makro- hin zu einer Mikroebene ableiten zu können, entwirft Snell-Hornby ein Modell, in dem sie eine Prototypologisierung der einzelnen Textgattungen vornimmt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle. 2

Die sechs dargestellten Ebenen beginnen mit der klassischen Abgrenzung der Übersetzungs­bereiche, denen in Ebene B bestimmte Textgattungen zugeordnet werden. In Ebene C wird die nicht-linguistische, außersprachliche Realität dargestellt, während sich Ebene D der wesentlichen Kriterien bei der Übersetzung zuwendet. In Ebene E sind linguistische Bereiche dargestellt, die als übersetzungsrelevant angesehen werden.[5] In Ebene F werden phono­logische Aspekte dargestellt, die in manchen Textsorten, wie beispielsweise bei der Synchronisation, beachtet werden müssen.

In der horizontalen Achse werden die übersetzungsrelevanten Gesichtspunkte zueinander in Beziehung gesetzt. Die Pfeile kennzeichnen hierbei die mögliche Verschiebbarkeit der einzelnen Aspekte abhängig von der Situation des Textes. Somit entsteht eine Kategori­sierung, die keine strenge Unterteilung, sondern verschwommene Grenzen besitzt. Die einzelnen Aspekte können somit ineinander übergehen. Diese Prototypisierung (bei der Übersetzung) entspricht zudem, wie Kleiber festhält, der menschlichen Wahrnehmung, die reale Objekte in Kategorien zusammenfasst.[6] Dies bedeutet, dass „die natürliche Kategorie […] eine fokale Mitte und verschwommene Ränder [hat]. Als Beispiel für die Kategorie Vogel wäre z.B. ‚Spatz‘ prototypisch, ‚Pinguin‘ jedoch nicht.“[7]

Eine solche Kategorisierung kann im Fall der Übersetzung auch zu einer beabsichtigten Umdeutung semantischer Wahrnehmung verwendet werden. Im beiliegenden Dialogbuch wäre die Übersetzung des englischen Wortes car ein Beispiel hierfür. Während es in der Originalfassung bei car[8] bleibt, lautet die Übersetzung in der Synchronfassung zunächst „Auto“[9], an späterer Stelle „Wagen“[10] und an einer weiteren Stelle „Karre“[11]. Da „Auto“ an erster Stelle genannt wird, ist offensichtlich, dass im weiteren Verlauf mit „Wagen“ und „Karre“ das gleiche Objekt gemeint ist, jedoch mit unterschiedlichen Konnotationen. Im ersten Fall der semantischen Umdeutung wird das Auto als „totschicker importierter Wagen“ beworben, während im zweiten Fall die scheinbare Trivialität des Auftrags mit „Karre“ unterstrichen wird.[12]

Zudem ist an der Schematisierung Snell-Hornbys zu beachten, dass die Kategorie Bühne und Film eine Einheit bilden. Wie Pisek feststellt, ist diese Zusammenfassung im vorliegenden Schema berechtigt, müsste die Kategorie jedoch aufgeteilt werden, wenn das Schema beispielsweise um den Aspekt „Lippensynchronität“ erweitert werden würde.[13]

3.3 Die texttypologische Betrachtungsweise

Mit dem texttypologischen Ansatz beschreibt Reiß eine Methode, die keine präskriptive Vorgabe zur Übersetzung von Texten darstellt, sondern mehr eine deskriptive Vorgehens­weise, die eine Qualitätsbeurteilung von Übersetzungen ermöglichen soll. Abgeleitet von den Dimensionen der Sprache, die in logisch, ästhetisch und dialogisch unterteilt sind, prägt sie drei Textfunktionen, die sich jeweils einer dieser Dimensionen bedienen und in inhaltsbetonte, formbetonte und appellbetonte Texte unterteilt werden.[14]

Durch diese übergeordnete Einteilung von Texten ergibt sich laut Reiß automatisch eine bestimmte Übersetzungsmethode, die angewendet werden muss, um die Funktion des Textes in der Zielsprache zu erhalten. So ist beispielsweise das Qualitätskriterium für einen inhaltsbetonten Text – wie ein Beipackzettel – die Übertragung des Informationsinhalts, wo hingegen die stilistische Umsetzung in den Hintergrund tritt. Zu diesen drei Typen kommt ein vierter Texttyp hinzu, der als „audio-medialer“ Text bezeichnet wird. Die Einteilung der einzelnen Typen, deren Merkmale und die Methode, nach denen eine treffende Übersetzungsmethode gewählt werden soll, findet sich in der angeführten Tabelle 3.[15]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle. 3

Zu Recht wurde diese Einteilung dahingehend kritisiert, dass in der Realität kein Text existiert, der lediglich eine Funktion wiederspiegelt, wobei Reiß entgegnete, es gäbe jedoch immer eine Primärfunktion, derer ein Text dient.

Für die Betrachtung „audio-medialer Texte“ wird jedenfalls die anfangs postulierte These untermauert, die Synchronisation sei nicht abhängig von der Text- sondern von der Bildform. Wie aus der Tabelle zu entnehmen ist, misslingt eine festgelegte Einteilung bezüglich sprach­licher Dimensionen bzw. einer Einteilung in Textfunktionen. Obgleich ebenfalls die einzelnen Teile eines zu synchronisierenden Textes in bestimmte Textfunktionen unterteilbar sind, reicht die Rücksicht auf die sprachliche Dimension dieser „Textform“ offensichtlich nicht aus, um eine qualitativ hochwertige Übersetzung/Übertragung zu definieren. Um eine ent­sprechende Qualität zu erreichen, d.h., um bei einem Zuschauer des Zielpublikums die gleiche Wirkung zu erzielen, wie bei einem Zuschauer des Ausgangspublikums, bedarf es somit auf sprachlicher Ebene ‚unter Umständen eine[r] noch stärkere[n] Abweichung von Inhalt und Form des Originals, als es bereits für die Übertragung appellbetonter Texte postuliert wurde.‘[16] Doch die Bildebene außer Acht gelassen, zeigen sich auch beim Film unter­schied­liche Funktionen bei der Übersetzung bereits auf der reinen Textebene. Betrachten wir das vorliegende Dialogbuch, zeigen sich – wie in der Tabelle vermerkt – alle drei Textfunktionen. So finden wir bereits in der prägnanten Aufforderung „Buzz off pimp“[17] einen Ausdruck, der operativen Charakter trägt und im kurzen Vers „It´s a sad and beautiful world“[18] eine künstlerische Aussage, die im Anschluss von Tom Waits als Liedzeile aufgegriffen wird. Der nachfolgende Dialog zwischen Zack und Preston hat zwar im Gesamtbild operativen Charakter, nutzt dafür aber im einzelnen Textelemente informativen Chrarakters, wie „all I wanna do, is pay you a grant“[19] oder „No delivery of controlled substances“[20].

3.4 Die soziokulturelle Betrachtungsweise

Hönig und Kußmaul abstrahieren die Übersetzung von Texten um ein Weiteres und sehen die Kriterien einer „guten“ Übersetzung in der Überwindung kultureller Diskrepanz zwischen Ausgangs- und Zieltext respektive zwischen Ausgangs- und Zielkultur. Demnach hat sich eine Übersetzung mehr nach der spezifischen Situation zu richten, in der sie rezipiert und somit interpretiert wird als nach der Textform oder gar des einzelnen Wortes. Ein

„AS-Text [ist] nicht als ein fertiges Bedeutungsgefüge, sondern im wesentlichen als ein Angebot von linguistischen Instruktionen, das je nach Interesse und Situation des Übersetzers verschieden als Bedeutung realisiert wird, [zu sehen.]“[21]

Sprache wird somit primär als Werkzeug kommunikativer Pragmatik angesehen, die abhängig von kulturellen Konventionen unterschiedlich angewendet wird. Im Gegensatz zur Betrachtungsweise des prototypologischen Ansatzes wird das bestehende Bedeutungsgefüge durch die Interpretation zielsprachlicher Konventionen überlagert. Nehmen wir, wie im vorangegangen Kapitel, wieder die Übersetzung eines Beipackzettels als Beispiel, zeigt sich, dass die Spezifikation, es handle sich um eine inhaltsbetonte Textform, nicht ausreicht. Selbst diese scheinbar sehr simpel zu übersetzende Textform ist im Deutschen detaillierter ausfor­muliert als dies im Englischen der Fall ist.[22] Würde ein solcher Text – aus einer etwaig übertrieben perfektionistischen Intention den Inhalt exakt übertragen zu wollen – satzweise übersetzt werden, klänge das Ergebnis befremdlich. Somit wäre nicht nur eine Übersetzung entstanden, die „schlecht“ klingt, sondern ein Text, der zudem die „Autorität der Text­handlung“[23] verliert. Um dies zu vermeiden, muss vor einer „gelungenen“ Übersetzung somit immer ein bestimmter Grad kultureller Differenzierung vorgenommen werden, der von Text zu Text neu festgelegt werden muss. Der Differenzierungsgrad ist hierbei

„abhängig von der ersten strategischen Entscheidung des Übersetzers, nämlich der des Übersetzungszwecks, also der Funktion des ZS-Textes. […] Aus dieser kommunikativen Funktion leitet er den notwendigen Grad der Differenzierung ab, indem er die relevante Grenze zwischen Verbalisierung und soziokulturellem Situationshintergrund im AS-Text bestimmt, und dann als Sender des ZS-Textes auf dem Hintergrund der soziokulturellen Situation seiner Adressaten den notwendigen Grad der Differenzierung seiner Verbalisierung festlegt.“[24]

Wenden wir diese Definition auf die Übersetzung audio-medialer Texte an, zeigt sich zum einen, dass auch bei einer solchen Übersetzung der Differenzierungsgrad von AS-Text und ZS-Text, bzw. wie zu Anfang umformuliert, von Ausgangs- zu Zielszene immer neu ange­passt werden muss. Des Weiteren muss hierbei gleichermaßen beachtet werden, dass etwaige kulturelle Konventionen nicht nur schriftlich, sondern auch visuell und auditiv wahr­genommen werden. Neben der Beachtung einer entsprechenden Verbalisierung kommt daher eine entsprechende Beachtung der Artikulation des Habitus‘ und allgemein des gesamten Bild- und Tongeschehens bei der Übersetzung zum Tragen. Um diese Unterscheidung kultureller Konvention, die Teil des Bild- und Tongeschehens sind, zu verdeutlichen, sei hiermit nochmals auf die Frage nach einer adäquaten Übersetzung eines audiovisuell formulierten „bulgarischen Nein“ ins Deutsche verwiesen. In solch einem Fall wäre es nicht nur befremdend, eine direkte Entsprechung rein auf der Wortebene zu suchen, sondern schlicht falsch. Nehmen wir zum Abschluss dieser Überlegung ein diffizileres und weniger offensichtliches Beispiel aus der Synchronisationsarbeit, das die zu beachtende Autorität der Texthandlung illustriert. Am Ende des Dialogs zwischen Preston und Zack äußert Preston den Satz:

Zack, you can buy yourself twenty girls for all of that”[25]

während Zack bereits von Preston abgewendet sein eben erhaltenes Geld zählt. Von den spezifischen in Kapitel 4 beschriebenen Aspekten der Synchronisation wäre es passender gewesen, die Aussage Prestons abzuändern und ihn im Deutschen den Satz „du kannst es gerne nachzählen, wenn du willst“ sagen zu lassen – was auch kurzzeitig die Überlegung war. Dieser Satz hätte die leichten Auffälligkeiten der Lippensynchronität vermieden, die im Endprodukt zu sehen sind. Allerdings hätte zugleich die Information gefehlt, dass Preston genau weiß, wen er vor sich hat. In diesem Satz wird deutlich, dass Preston sich Zack nicht unbedingt zufällig rausgesucht hat, sondern es sich bei ihm um eine Person handelt, die auf schnelles Geld aus ist, was danach in welcher Art auch immer verschleudert wird. Dementsprechend ist auch in diesem Fall die Autorität der Texthandlung von Bedeutung, um die Szene „richtig“ zu interpretieren.

4. Ausgewählte Aspekte der „parole-Übersetzung“

In den folgenden Abschnitten werden wichtige Aspekte hervorgehoben, die bei der Synchro­nisation beachtet werden müssen. Da es sich – wie bereits festgestellt – bei der Synchronisa­tion nicht um eine reine Übersetzung der langue handelt, zieht dies die Konsequenz nach sich,

„daß es sich neben der adäquaten lexikalischen, syntaktischen und semantischen Wiedergabe des Originaltextes auch darum handelt, den Ausdruck des Originals phonetisch angemessen wiederzugeben, dem Zusammenhang zwischen gestischem Ausdruck und sprachlicher Vermittlung Rechnung zu tragen und die Funktion der Figuren im Zusammenhang der Figurenkonstellationen nicht zu verändern.“[26]

Zu Müller-Schwefes Feststellung kommt hinzu, dass vor allem paralinguistische Merkmale nicht universell übersetzbar, sondern sprachen- bzw. kulturspezifisch sind. Von daher muss im Allgemeinen zwischen paralinguistischer Synchronität und paralinguistischer Äquivalenz bei der Synchronisation unterschieden werden.[27]

Es werden bei der nachfolgenden Darstellung einzelne Aspekte behandelt und somit kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Stattdessen wird auf die Aspekte Wert gelegt, die beim erstellten Werkstück besonders zum Tragen gekommen sind. Unterteilt wurden diese Aspekte in auditive Aspekte, wozu Stimme Dialekt und Akzent zählen und visuelle Aspekte, zu denen die Lippensynchronität, die Mimik und die Gestik gezählt werden. Eine Unter­teilung in auditive und visuelle Aspekte dient hierbei nicht nur der besseren Übersichtlichkeit: Ist von einer Übersetzung der parole die Rede, bildet die Synchronisation zunächst nur eine Unterkategorie der parole- Übersetzung, die neben auditiven Aspekten um visuelle erweitert bzw. mit der visuellen Ebene verknüpft ist. Daher sei vorab angemerkt, dass selbstredend auch bei der Wiedergabe einer Rede, eines Bühnenstücks etc. auditive Aspekte wie Sprechweise, Dialekt, Akzent usw. bei der Übersetzung beachtet werden müssen, ohne jedoch dabei an die visuelle Darstellung des Originals – wie beispielsweise das Bühnenbild – gekoppelt zu sein.

4.1 Auditive Aspekte

4.1.1 Die Stimme

Ein in der Synchronisationsforschung häufig diskutiertes Problem, ist der (unumgängliche) Austausch der Originalstimme[28]. Hierbei muss beachtet werden, dass die Stimme als Persönlichkeitsmerkmal angesehen wird. Die wichtigsten Eigenschaften, die hierbei beachtet werden müssen, wenn eine Originalstimme durch eine Synchronstimme ersetzt wird, sind biologische Faktoren und eine äquivalente Übertragung des Charakters. Während die Be­achtung biologischer Faktoren wie Alter, Geschlecht, Statur etc. relativ eindeutige Kategorisierungen bieten, nach denen eine entsprechende Synchronbesetzung erfolgen kann, ist die Charakterisierung einer Figur aufgrund einer Synchronstimme bzw. einer gewissen Sprechweise deutlich komplexer und weniger eindeutig. Die Verknüpfung von Figur und Stimme zeigt sich bereits daran, dass es zu Irritationen kommt, wenn die Synchronstimme einer bekannten Figur ausgetauscht wird. Ein relativ aktuelles Beispiel, bei dem es nicht nur zu Irritationen, sondern zur krassen Ablehnung kam, die sich in einem Kaufboykott manifestierte, findet sich beim Film Escape Plan[29]. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es sich in so einem Fall generell um eine fehlerhafte Besetzung handelt. Laut Herbst kann man

„mit Sicherheit davon ausgehen, daß die neuen Synchron[stimmen] vom Publikum ohne weiteres akzeptiert worden wären, wenn sie die Rollen von Anfang an gesprochen hätten.“[30]

Derartige Irritationen können auch dann auftreten, wenn man zuerst die Originalfassung und später die Synchronfassung gesehen hat und umgekehrt.[31] Dies führt uns wiederum zu der Annahme, dass gewisse stimmliche Merkmale weniger charakterbezogen, sondern eher gewohnheitsmäßig mit einer Figur verknüpft werden. Trotz dieser Gewöhnung an eine Synchronstimme und den relativ eindeutigen biologischen Faktoren, die bei der Auswahl der Synchronstimmen zum Tragen kommen, können sich dennoch Äquivalenzverletzungen der Persönlichkeit ergeben. Dies lässt sich zum einen auf die Aufnahmetechnik einzelner Takes zurückführen. Durch das Sprechen einzelner Sätze und einen dadurch fehlenden Redefluss kann die Synchronstimme häufig monoton klingen. Zum anderen muss bei der Übertragung paralinguistischer Merkmale zwischen Synchronität und Äquivalenz unterschieden werden. Im Gegensatz zu biologischen Faktoren sind paralinguistische Merkmale sprachen- bzw. kulturabhängig. Dementsprechend wäre es beispielsweise falsch,

„die extrem starken Tonhöhenbewegungen, die für den Sprechstil aufgeregter englischer Schulmädchen charakteristisch sind, bei der Synchronisation ins Deutsche durch ebenso starke Tonhöhenbewegungen wiederzugeben; im Deutschen ist nämlich eine solch starke Variation mit Exaltiertheit verbunden.“[32]

Eine paralinguistische Synchronität zielte demnach vor allem darauf ab, eine Synchronrolle mit einem/r Sprecher/in zu besetzen, dessen/deren Stimme und Sprechweise der Original­stimme möglichst ähnlich ist. Wichtiger jedoch ist die Wahrung paralinguistischer Äqui­valenz. Die Synchronstimme muss daher zwar passend, aber nicht zwingend ähnlich sein.[33] Ein Drang nach einer möglichst hohen paralinguistischen Synchronität kann somit dazu führen, dass paralinguistische Äquivalenzkriterien eher verletzt als gestützt werden.

Im Falle des erstellten Werkstücks wurde in Einzelbeurteilungen mehrfach die Stimme Ron Spiess´ zur Synchronisation der Figur Preston als leicht unpassend kritisiert. Dies kann legt man die Schemata Scherer und Fährmanns zu Grunde, durch folgende Verletzung para­linguistischer Äquivalenzkriterien erklärt werden:

In der Originalfassung spricht die Figur Preston in einer eher hohen Stimmlage und mit einer größeren Tonhöhendynamik, was laut Scherer im Englischen mit einem „personality syndrome of competence and dominance in male American“[34] verknüpft wird. Demgegenüber steht die deutsche Synchronstimme, die eher als tiefe Stimmlage einzuordnen ist und zudem ein langsames Tempo besitzt. Dies wird jedoch im Deutschen eher mit Verflachung und Spannungslosigkeit assoziiert, der außerdem eine stärkere Klischeehaftigkeit anhaftet.[35]

[...]


[1] Stolze, Übersetzungstheorien, S.139.

[2] Ebd. 136-142.

[3] Jiri Levy, Die literarische Übersetzung, Frankfurt am Main 1969 S. 19.

[4] Stolze, Übersetzungstheorien, S. 167.

[5] Vgl. Stolze, Übersetzungstheorien, S. 165-171.

[6] Georges Kleiber, Prototypensemantik. Eine Einführung, Tübingen 1993, S. 30-55 u. 102-108.

[7] Vgl. Stolze, Übersetzungstheorien, S. 168.

[8] Dialogbuch, Take 051, TC: 10:03:35:01-10:03:37:10. Take 057, TC: 10:03:52:09-10:03:56:05. Take 061, TC: 10:04:03:11-10:04:07:16, S. 39f.

[9] Dialogbuch, Take 051, TC: 10:03:35:01-10:03:37:10, S. 39.

[10] Dialogbuch, Take 057, TC: 10:03:52:09-10:03:56:05, Take 059, TC: 10:03:56:04-10:04:01:02, S. 40.

[11] Dialogbuch, Take 061, TC: 10:04:03:11-10:04:07:16, S. 40.

[12] Die Verwendung des Begriffs „Karre“ erfolgt zudem zu Gunsten der mimischen Synchronität, worauf in Kapitel 5.2.1 noch näher eingegangen wird.

[13] Vgl. Gerhard Pisek, Die grosse Illusion: Probleme und Möglichkeiten der Filmsynchronisation. Dargestellt an Woody Allens Annie Hall, Manhattan und Hannah and her Sisters. Trier 1994. S. 15.

[14] Ebd. S. 17

[15] Vgl. Stolze, Übersetzungstheorien, S. 112-118.

[16] Katharina Reiß, zitiert in: Pisek, Die große Illusion, S. 17.

[17] Dialogbuch, Take 006, TC: 10:01:07:05-10:01:08:15, S. 34.

[18] Dialogbuch, Take 003, TC: 10:00:46:09-10:00:50:02, S. 34.

[19] Dialogbuch, Take 046, TC: 10:03:17:02-10:03:20:12, S. 39.

[20] Dialogbuch, Take 049, TC: 10:03:30:01-10:03:33:09, S. 39.

[21] Hans G. Hönig und Paul Kußmaul, Strategie der Übersetzung: Ein Lehr- und Arbeitsbuch, in: Tübinger Beiträge zur Linguistik Band 205, Tübingen 1982, S.29.

[22] Stolze, Übersetzungstheorien, S. 133-136.

[23] Hönig/Kußmaul, Strategie der Übersetzung, S. 50.

[24] Ebd. S. 58.

[25] Dialogbuch, Take 084, TC: 10:05:29:07-10:05:34:17, S. 43.

[26] Gerhard Müller-Schwefe, Zur Synchronisation von Spielfilmen, in: Literatur in Wissenschaft und Unterricht, Band 16, Würzburg 1983, 135f.

[27] Vgl. Thomas Herbst, Linguistische Aspekte bei der Synchronisation von Fernsehserien, S.71-78.

[28] Vgl. hierzu die Darlegung folgender Kontroverse in: Pisek, Die große Illusion S. 75f.

[29] Hier spielten die beiden Actionschauspieler Arnold Schwarzenegger und Sylvester Stallone Seite an Seite, die für gewöhnlich beide von Thomas Danneberg synchronisiert werden. Im Gegensatz zu den ersten beiden Teilen der Filmreihe The Expendables, in der beide Schauspieler von Thomas Danneberg synchronisiert wurden, verwendete die Synchronfirma bei Escape Plan für Arnold Schwarzenegger eine andere Synchronstimme. Dieser plötzliche Austausch, der Synchronstimme Schwarzeneggers führte vor allem in der Fangemeinde zur Empörung und zum Kaufboykott der DVD. Vgl. Thomas Danneberg im Interview, in: Hakan Turan, Ärger um Synchronstimme von Schwarzenegger und Stallone.( zuletzt abgerufen am 15.02.2014 unter: http://www.antenne.com/news-service/nachrichten/1311/synchronsprecher-aerger-um-arnold-schwarzenegger-und-sylvester-stallone/ )

[30] Herbst, Linguistische Aspekte der Synchronisation von Fernsehserien, S. 83.

[31] Mitunter kommt es auf Grund des höheren Marktpotentials auch vor, dass beispielsweise deutsche Produktionen in englischer Sprache gedreht und dann nachsynchronisiert werden. Somit täuscht bereits mancher Zuschauer bei der Beantwortung der Frage, welche Fassung die Ursprungs- und welche die Synchronfassung ist.

[32] Herbst, Linguistische Aspekte der Synchronisation von Fernsehserien, S. 73.

[33] Vgl. Ebd. S. 80-88.

[34] Klaus R. Scherer, Voice Quality Analysis of American and German speakers, in: Journal of Psycholinguistic Research, 3.3, o. O. 1974, S. 295, zitiert in: Ebd. S. 81.

[35] Vgl. Rudolf Fährmann, Die Deutung des Sprechausdrucks. Studien zur Einführung in die Praxis der charakterologischen Stimm- und Sprechanalyse, Bonn 1960, S. 174. zitiert in Ebd. S. 85.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783958205567
ISBN (Paperback)
9783958200562
Dateigröße
8.1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1
Schlagworte
Filmwissenschaft Übersetzungstheorie Kommunikationswissenschaft Rhetorik Spielfilm

Autor

Thomas De Filippi wurde 1984 in Italien geboren. Durch den Umzug nach Deutschland im Kindesalter und die damit einhergehende Zweisprachigkeit begann er früh sich für die Manifestation kultureller Unterschiede in der Kommunikation zu interessieren. Nach dem Abschluss seiner Lehrzeit und mehreren Auslandsaufenthalten in Südamerika begann er das BA-Studium der Medienwissenschaften an der Universität Tübingen, das er 2014 mit "sehr gut" abschloss. Bereits während des Studiums sammelte der Autor umfassende praktische Erfahrungen in der Film- und Fernsehbranche - vorwiegend in den Bereichen Tontechnik, Sounddesign und Tonmischung.
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Titel: Found in Translation: Interkulturelle Verständigung durch die Synchronisation
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